Berliner Kurier 16.10.2018
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Müder Abgang<br />
Die Wahrheit über<br />
Bushidos Ausstieg<br />
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BERLINER KURIER, Dienstag, 16. Oktober 2018<br />
Von<br />
NORBERT KOCH-KLAUCKE<br />
Berlin – Der goldene<br />
Herbst strahlt mit voller<br />
Kraft, als würde der Sommer<br />
in diesem Jahr kein Ende<br />
nehmen wollen. Täglich<br />
gibt es über neun Stunden<br />
Sonnenschein, die Temperaturen<br />
liegen weit über<br />
den Normalwerten. Das<br />
Wetter scheint die innere<br />
biologische Uhr der Natur<br />
aus dem Takt zu bringen.<br />
Viel Vogelgezwitscher ist in<br />
der Stadt zu hören, Insekten<br />
schwärmen wieder aus,<br />
um Nahrung zu suchen.<br />
Merken Amsel und Co.<br />
überhaupt, dass in Berlin<br />
schon Herbst ist?<br />
Die Aufzeichnungen der Wetterstation<br />
Tempelhof zeigen<br />
es deutlich. Temperaturen bis<br />
zu 25 Grad Celsius wurden<br />
dort in den vergangenen Tagen<br />
registriert. „Das ist recht<br />
extrem für diese Jahreszeit“,<br />
sagt Meteorologin Hannelore<br />
Pries vom Deutschen Wetterdienst.<br />
„Es sind die absoluten<br />
Höchstwerte, die an dieser<br />
Station seit 1948 für den Oktober<br />
gemessen wurden.“ Normal<br />
seien zu diesem Zeit-<br />
Die Amsel lässt sich<br />
nicht beirren. Genau<br />
wie das Eichhörnchen<br />
spürtdie innereUhr<br />
der Tiere, dassder<br />
Sommer längst ein<br />
Herbst ist.<br />
punkt Höchsttemperaturen<br />
um die 15 Grad. Inklusive Regen,<br />
der in Berlin dieses Jahr<br />
seit Mitte Juli nicht mehr so<br />
richtig fiel.<br />
Auch wenn das Wetter uns<br />
den Sommer im Herbst vorgaukelt:<br />
„Die Tiere wissen<br />
dennoch, welche Jahreszeit<br />
wir haben“, sagt Berlins Wildtierexperte<br />
Derk Ehlert. „Ihre<br />
innere Uhr richtet sich nicht<br />
nach der Wärme, sondern<br />
nach dem Sonnenstand. So<br />
merkt die Amsel genau, dass<br />
die Lichtdauer täglich um drei<br />
Minuten abnimmt, trifft wie<br />
Igel oder Eichhörnchen nun<br />
ihre Wintervorbereitungen.“<br />
Bei den Zugvögeln ist es sogar<br />
der innere „Zugzwang“,<br />
der sie spüren lässt, dass nun<br />
Herbst ist und sie jetzt in<br />
Richtung Süden starten müssen.<br />
„Die Kraniche sind sogar<br />
schon früher unterwegs, weil<br />
sie durch die Trockenheit<br />
kaum noch Nahrung finden“,<br />
sagt Ehlert. Dennoch gibt es<br />
Ausnahmen. „Normalerweise<br />
sind die Hausrotschwänze zu<br />
diesem Zeitpunkt nach Frankreich<br />
und Spanien unterwegs.<br />
Doch die Wärme lässt sie in<br />
diesem Jahr etwas länger in<br />
Berlin bleiben. Es ist ihr Gezwitscher,<br />
das wir überall in<br />
der Stadt hören, mit dem die<br />
Vögel ihr Revier verteidigen.“<br />
Ausnahmen sind auch die Bienen,<br />
die die Sommerwärme<br />
ausnutzen, um dank der<br />
Herbstblüher (wie Astern) in<br />
den Gärten Berlins Nahrung<br />
für den Winter zu sammeln.<br />
Die hohen Temperaturen<br />
und die längere Sonnenscheindauer<br />
bringen derzeit<br />
jedoch die menschliche innere<br />
Uhr aus dem Takt. „Sie ist<br />
längst auf Herbst eingestellt,<br />
der Körper will einen Gang<br />
herunterfahren,doch wir sind<br />
noch im Sommermodus und<br />
voll aktiv. Das könnte zu Konflikten<br />
führen“, sagt Neurobiologe<br />
Prof. Henrik Oster von<br />
der Uni Lübeck.<br />
Wie bei Schichtarbeitern,<br />
deren innere Uhr wegen des<br />
Jobs aus dem Rhythmus gerät,<br />
könnte auch das Leben in der<br />
falschen Jahreszeit die Gesundheit<br />
gefährden, zu Stoffwechsel-<br />
und Kreislauf-Erkrankungen<br />
führen. „Allerdings<br />
sind die Folgen noch<br />
wenig erforscht, weil es diese<br />
Wetterextreme bisher kaum<br />
gab“, sagt Oster.<br />
Mit dem verlängerten Sommer<br />
ist ab Donnerstag auch<br />
schon Schluss. Die Temperaturen<br />
sinken bis zum Wochenende<br />
auf herbstliche 14<br />
Grad Celsius in Berlin.<br />
Shakir Muzdlifa und Abdallah Wafa mit ihrer Küchenchefin HeikeErpel<br />
Flüchtlingsfrauen<br />
kochen jetzt für<br />
bedürftige <strong>Berliner</strong><br />
Heimat Aleppo fliehen und<br />
Von<br />
sind verwundert über die Not<br />
KERSTIN HENSE<br />
in der Stadt: „Ich hätte nie gedacht,<br />
dass in Berlin so viele<br />
Lichterfelde – Sie wissen, was<br />
es bedeutet, fast alles zu verlieren.<br />
Shakir Muzdlifa (29)<br />
und Abdallah Wafa (49) sind<br />
selbst auf Unterstützung angewiesen.<br />
hilfsbedürftige Menschen leben“,<br />
sagt sie.<br />
Für die dreifache Mutter ist<br />
die neue Aufgabe auch eine<br />
Chance, um sich hier auf dem<br />
Gerade deshalb Arbeitsmarkt zu etablieren. Sie<br />
wollen sie anderen Menschen<br />
war früher Chefin einer Großküche<br />
in Not helfen. In der<br />
Suppenküche der Pauluskirche<br />
und bringt jede Menge<br />
Erfahrung mit. Für Kollegin<br />
kochen die beiden ge-<br />
Abdallah Wafa, die im Irak als<br />
flüchteten Frauen für bedürftige<br />
Beamtin gearbeitet hat, ist es ei-<br />
<strong>Berliner</strong>.<br />
ne Herausforderung, für so vie-<br />
Shakir Muzdlifa würzt das<br />
le Menschen zu kochen. Doch<br />
die Arbeit tut ihr gut und lenkt<br />
Hackfleisch und püriert die Tomaten<br />
für die Bolognesesoße.<br />
Seit acht Uhr steht sie schon in<br />
der Küche, vorher hat sie ihre<br />
Kinder in die Kita und zur<br />
Schule gebracht. Hier bereiten<br />
sie gemeinsam mit ihrer Teamchefin<br />
Heike Erpel (38) dreimal<br />
pro Woche 60 Mahlzeiten vor,<br />
in den Wintermonaten sogar<br />
sie vom eigenen Schicksal ab.<br />
Vor drei Jahren starb ihr Mann<br />
Maroanalsad an Herzversagen.<br />
„Ich vermisse ihn so sehr“, sagt<br />
sie.<br />
Die Milaa GmbH, ein gemeinnütziges<br />
Unternehmen, hat sie<br />
angestellt und unterstützt das<br />
Projekt des evangelischen Diakonievereins.<br />
„Viele Bedürftige<br />
80.<br />
haben Angst, dass ihnen<br />
Ihre Mittagsgäste leben fast Flüchtlinge etwas wegnehmen“,<br />
alle auf der Straße oder beziehen<br />
staatliche Hilfe. Muzdlifa<br />
lebt selbst mit ihrem Mann und<br />
drei Kindern in einer Flüchtlingsunterkunft<br />
in Lichterfelde.<br />
weiß Heike Erpel. Ein<br />
Ziel ist es, die Vorurteile abzubauen.<br />
Die beiden geflüchteten<br />
Frauen haben in Berlin viel Hilfe<br />
erfahren. „Wir wollen gern<br />
Sie mussten vor zwei Jahren etwas davon zurückgeben“,<br />
wegen des Krieges aus ihrer sagt Shakir Muzdlifa.<br />
Fotos: Gerd Engelsmann<br />
Nach dem Kochen kommt das warme Essen in Warmhalteboxen.