KUNSTINVESTOR AUSGABE NOVEMBER 2018
KUNSTINVESTOR Kunst als Kapitalanlage AUSGABE NOVEMBER 2018 Chefredakteur: Michael Minassian
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Kunst als Kapitalanlage
AUSGABE NOVEMBER 2018
Chefredakteur: Michael Minassian
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AUCTION<br />
17<br />
Artemisia zog alle Register vom Masochismus über<br />
Selbstmord bis hin zur Köpfung von Männern.<br />
Werden wir je erfahren, was davon von ihr kam und<br />
was die Auftraggeber so haben wollten?<br />
Das Schlimme ist, dass keine Skizzen von Artemisia erhalten<br />
sind, sonst könnten wir ihre „Handschrift“ lesen und<br />
wüssten mehr.<br />
In Ihrem Buch „The Obstacle Race“ beschreiben<br />
Sie Artemisia Gentileschi als „magnificent<br />
exception“, als „brillante Ausnahmefrau“. Sehen<br />
Sie in ihr eine Ausnahmepersönlichkeit, ein<br />
bedeutendes historisches Vorbild für alle<br />
Frauen, nicht nur für Künstlerinnen?<br />
In Hinblick auf ihre Rezeption über die Jahrhunderte kann<br />
man das so nicht sagen. Eine ihrer frühesten Arbeiten,<br />
„Susanna und die Ältesten“ – sie malte sie mit 17 Jahren –,<br />
ist eine wunderbare Studie eines jugendlichen Frauenkörpers.<br />
Handelt es sich hier tatsächlich um ihren Körper? Es<br />
ärgert mich, dass ständig über Artemisia geschrieben wird,<br />
ihre Arbeiten seien autobiografisch. Dieses Verbrechen wird<br />
immer und immer wieder an Frauen begangen – ihnen zu<br />
unterstellen, sie seien ihr eigenes Motiv. Simone de Beauvoir<br />
meinte, Künstlerinnen seien durch die Konzentration auf ihr<br />
eigenes Bewusstsein verblendet und würden sich dadurch<br />
vom Gegenstand der Kunst entfernen.<br />
Die Vergewaltigung wurde gewissermaßen zu ihrer<br />
Lebensgeschichte …<br />
… und jedes Mal, wenn sie einen Pinsel in die Hand nahm,<br />
war sie Opfer einer Vergewaltigung … Ich bitte Sie! Sie hatte<br />
vier Entbindungen und einen Nichtsnutz zum Mann,<br />
wegen dem sie verschuldet war und den sie schließlich<br />
verließ … Ich kann die offizielle Interpretation des von der<br />
National Gallery in London angekauften „Selbstporträts<br />
als heilige Katharina von Alexandrien“ nicht nachvollziehen.<br />
Da heißt es, das Rad sei eine Anspielung auf Artemisias<br />
Vergewaltigung. Nein, ist es nicht! Es ist ein Attribut<br />
der heiligen Katharina. Warum sollte Artemisia sich als<br />
Märtyrerin darstellen? Natürlich war sie voller Zorn, und<br />
gerade das macht ja ihre Bilder so aufregend – der geballte<br />
Zorn darin. Als Betrachter bekommt man regelrecht einen<br />
Schlag versetzt. Aber das Bild stellt weder sie dar noch handelt<br />
es von ihr. Angelika Kaufmann verbrannte alles, was<br />
ihr Leben dokumentierte, weil sie nicht zu ihrer eigenen<br />
Biografie werden wollte. Sie wusste sich vom Gossip zu<br />
befreien und es zu vermeiden, zu einer Legende zu werden.<br />
Jetzt müssen wir auch unsere Artemisia vom Gossip befreien,<br />
indem wir ihr Werk neu beleuchten.<br />
Die Fragen stellte Doris Krumpl, Pressesprecherin<br />
des Dorotheum.