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Berliner Zeitung 20.11.2018

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 271 · D ienstag, 20. November 2018 3 *<br />

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Seite 3<br />

Nickolas Bauer fühlt sich zuweilen<br />

etwas abgeschnitten. Wenn der<br />

Fernsehjournalist Gäste einlädt,<br />

hagelt es spätestens bei der Nennung<br />

seiner Adresse Absagen: Dieeinen müssen<br />

plötzlich verreisen, anderehaben partout<br />

noch keinen Babysitter gefunden, wieder andere<br />

wurden von einer akuten Familienkrise<br />

überrascht.<br />

Dass sie sich nicht zutrauen, Bauers Wohnung<br />

im Johannesburger Ponte-Haus zu finden,<br />

kann nicht der Grund der massenhaften<br />

Körbe sein: Denn das 54-stöckige Gebäude<br />

kennt hier jeder, esist auch von fast allen<br />

Ecken und Enden der acht Millionen Menschen<br />

zählenden Metropole zu sehen. Das<br />

mit 173 Metern höchste Wohngebäude auf<br />

der südlichen Erdhalbkugel ragt wie ein ausgestreckter<br />

Mittelfinger aus der Skyline der<br />

Stadt des Goldes: einWahrzeichen, das bereits<br />

in zahllosen Reportagen, in Spielfilmen und<br />

Romanen die bedrohliche Kulisse für schaurige<br />

Geschichten abgab.<br />

Der wahre Grund für die Absagen von<br />

Bauers Gästen: Sie haben Angst. Das Ponte<br />

steht in Hillbrow, einem Stadtteil, den ehrbareBürger<br />

meiden: Hier werden auf offener<br />

Straße Drogen verkauft, Sexfür wenig Geld in<br />

schmierigen Etablissements angeboten und<br />

Jahr für Jahr 70 von 100 000 Menschen umgebracht<br />

–eine Quote, welche die deutsche<br />

um das Hundertfache übersteigt.<br />

DasMonster<br />

Umso verblüffter war Nickolas Bauer,als sich<br />

kürzlich ein Besucher ankündigte, den er zu<br />

allerletzt in seinem Milieu erwartet hätte:<br />

Seine Exzellenz, Bundespräsident Walter<br />

Steinmeier,der Südafrika derzeit einen zweitägigen<br />

Besuch abstattet. Dermaßen heikel<br />

war dessen Visite im Ponte, dass Journalist<br />

Bauer dem deutschen Sicherheitsteam versprechen<br />

musste, kein Wort über Steinmeiers<br />

Besuch nach außen zu tragen. Um den<br />

Präsidenten sicher ins Wahrzeichen schleusen<br />

zu können, musste sogar der längst abgesperrte<br />

einstige Hauptzugang zu dem berüchtigten<br />

Gebäude vorübergehend wieder<br />

zugänglich gemacht werden. „Und wozu das<br />

alles?“, fragt Ponte-Manager Glenn Kraut<br />

vorher ziemlich verwirrt.<br />

DasPonte ist ein architektonisches Monstrum,<br />

dessen raue Betonfassade dem Brutalismus<br />

zugerechnet wird. Wersich dem bedrohlichen<br />

Moloch trotzdem zu nähernwagt<br />

und auch noch die strenge Sicherheitskontrolle<br />

ins Innereüberwindet, stößt auf Pontes<br />

verborgenes Kuriosum: Der Wohnturm ist<br />

innen hohl –von seinem in den nackten Fels<br />

gesprengten Fundament kann man wie<br />

durch ein riesiges,senkrecht gestelltes Kanonenrohr<br />

in den Himmel schauen. Und ganz<br />

oben, wo sich das Gebäude mit der Unendlichkeit<br />

vereint, lebt Nickolas Bauer.<br />

AndereJournalisten waren am Montag allein<br />

schon aus Platzgründen nicht zugelassen<br />

beim Besuch des Bundespräsidenten im<br />

Ponte. Eines ist gewiss: Steinmeier wird es<br />

dortoben, im 54. Stock, erst einmal die Sprache<br />

verschlagen haben. Der Blick über Johannesburg,<br />

die hügelige Goldgräberstadt,<br />

hinweg ist atemberaubend: Das Beste, was<br />

das Afrika südlich der Sahara anurbanen<br />

Einblicken zu bieten hat. Neben Abraumhalden<br />

aus dem Goldbergbau, Industrievierteln<br />

und Slums sind auch die grünen Villenviertel<br />

der einst ausschließlich weißen Südafrikaner<br />

zu sehen: Topografie einer aufgewühlten<br />

Stadt, die auch heute noch –130 Jahre nach<br />

ihrer Gründung und ein Vierteljahrhundert<br />

nach dem Ende der Apartheid –zuden ungerechtesten<br />

Orten dieserWelt zählt. Hier oben<br />

kann man bestens über den Kolonialismus<br />

und seine grüne Fassade, über die Ausbeutung<br />

der Natur und den Menschen als Wolf<br />

des Menschen sinnieren.<br />

Aber nicht nur der Blick nach außen hat<br />

es in sich: Auch was Nickolas Bauer seinen<br />

Gästen über das Gebäude selbst erzählt,<br />

kann manche trockene Lektion in Geschichte<br />

und Geografie ersetzen.<br />

Die Wurzeln des Wohnturms reichen einerseits<br />

in eine finstereZeit zurück und breiten<br />

sich inzwischen außerdem über den gesamten<br />

Kontinent aus: Weit mehr als die<br />

Hälfte der derzeit rund 3000 Ponte-Bewohner<br />

kommen aus anderen Ländern Afrikas –<br />

vor allem aus Simbabwe und dem frankophonen<br />

Kongo, aus dem portugiesischsprachigen<br />

Mosambik oder aus Kamerun. Studenten,<br />

Immigranten, Menschen, die am<br />

KapihreHoffnung festgemacht haben.<br />

Biblisch fundierte Südafrikaner nennen<br />

das Ponte den „Turmbau zu Babel“: Wersich<br />

seiner Sprache und seinen Gewohnheiten<br />

folgend abgrenzen zu müssen meint, hat<br />

hier nichts verloren. Noch immer unter den<br />

Moloch-Bewohnern: auch ein knappes Dutzend<br />

Weiße.<br />

Das war nach der Fertigstellung des<br />

Monstrums Mitte der 70er-Jahre noch anders:<br />

Damals, imZenit der Apartheid, stand<br />

das futuristische Projekt –wie der Stadtteil<br />

Hillbrow und Johannesburg überhaupt –als<br />

Das Ponte-Haus in Johannesburg-Hillbrow ist mit seinen 54 Stockwerken<br />

ein Wahrzeichen, das in Reportagen, in Spielfilmen<br />

und Romanen die Kulisse für schaurige Geschichten abgab.<br />

Lange galt es als gefährlichster Ort Südafrikas,<br />

als erster „vertikaler Slum“ der Welt.<br />

Das hat sich geändert. Am Montag hat deshalb sogar der deutsche<br />

Bundespräsident Steinmeier hier vorbeigeschaut<br />

Wohnort ausschließlich Weißen zur Verfügung.<br />

Dunkelhäutige Einheimische durften<br />

hier zwar arbeiten, mussten sich zum Schlafen<br />

jedoch in Townships wie Soweto zurückziehen,<br />

während das Ponte vor allem von<br />

jungen Weißen und europäischen Einwanderern<br />

inBeschlag genommen wurde. Die<br />

486 Apartments des Wohnturms waren ständig<br />

ausgebucht: Selbst die sechs dreistöckigen<br />

Penthäuser mit ihrem Weinkeller, der<br />

Sauna, den vier Schlafzimmern und dem<br />

Grillplatz auf dem Dach.<br />

Der hippe Tower verfügte über Tennisplätze,<br />

einen Swimmingpool, ein eigenes<br />

Einkaufszentrum und eine Kegelbahn –wer<br />

hier wohnte, war noch cooler als Hillbrow<br />

selbst, mit seinen Cafés, seinen Nightclubs<br />

und den flanierenden Bohemiens.Das Ponte<br />

sei „der Himmel auf Erden“, titelte damals<br />

eine <strong>Zeitung</strong>.<br />

Turmbau zu<br />

Babel<br />

Die Bewohner warfen ihren Müll einfach innen in den Wohnturm: Bald hatte der sich bis in den dritten Stock mit stinkendem Abfall gefüllt.<br />

VonJohannes Dieterich, Johannesburg<br />

Doch das blieb nicht lange so. Wenige<br />

Monate nach der Fertigstellung des Renommierobjekts<br />

wurde das Land im Juni 1976<br />

vom Schüleraufstand in Soweto erschüttert:<br />

Dieweiße Herrschaft befand sich seitdem in<br />

der Defensive. Zunehmender Druck aus dem<br />

In-und Ausland zwang die Rassentrenner zu<br />

Zugeständnissen: Als erster Johannesburger<br />

Stadtteil wurde das Immigrantenparadies<br />

Hillbrow stillschweigend auch für Dunkelhäutige<br />

geöffnet, europäische Einwanderer<br />

wagten sich ohnehin nur noch wenige ins erschütterte<br />

Land. Hillbrow wurde erst zur<br />

„grey area“, zum Graugebiet: Heute sieht<br />

man hier fast keinen hellhäutigen Menschen<br />

mehr.<br />

Mitdem Ergrauen des Stadtviertels war ein<br />

steiler sozialer Abstieg verbunden. Die Stadtwerke<br />

kümmerten sich immer weniger um<br />

das Schmuddel-Arrondissement: DieMüllab-<br />

DPA/JULIA NAUE<br />

fuhr blieb immer häufiger aus, die Polizei<br />

wagte sich immer seltener in das raue Terrain,<br />

die Besitzer renovierten ihre Appartementblocks<br />

nicht mehr. ImPonte gingen die Bewohner<br />

dazu über, ihren Müll statt in die<br />

Tonne ins Kanonenrohr zu werfen:Bald hatte<br />

sich der hohle Kern des Turmsbis in den dritten<br />

Stock mit stinkendem Abfall gefüllt. Die<br />

Belegschaft wurde immer ärmer, zahlreicher<br />

und dunkler: Als Luba Siparty nach der großen<br />

politischenWende 1994 ins Ponte einzog,<br />

hausten in manchen Einzimmerwohnungen<br />

bis zu 20 Menschen –statt wie geplant 3500<br />

hatte das Gebäude 10 000 Bewohner.„Es war<br />

die Hölle“, sagt derVeteran.<br />

NigerianischeVormieter hätten in seinem<br />

Dreizimmer-Appartement im 43. Stock die<br />

Teppiche aufgeschlitzt, um unter ihnen ihre<br />

heiße Ware, Kokain, zu verstecken, sagt Siparty.<br />

Imelften und zwölften Stock hatten<br />

sich gleich mehrere Bordelle eingenistet:<br />

Mankönne im Ponte innerhalb vonfünf Minuten<br />

einen Schuss Heroin, einen gefälschten<br />

Pass oder einen Revolver erstehen,<br />

schrieb ein Reporter damals. Die acht Aufzüge<br />

des Turms waren so gut wie immer kaputt:<br />

Werinden 54. Stock gelangen wollte,<br />

musste 848 Stufen erklimmen. Der Rekord<br />

für einen Ponte-Aufstieg lag bei 5Minuten<br />

und 19 Sekunden. Kein Wunder, dass sich<br />

Ordnungshüter höchstens einmal im Schaltjahr<br />

in das Gebäude wagten, und wenn,<br />

dann gleich mit einer halben Hundertschaft.<br />

Das Ponte galt als gefährlichster Ort des<br />

Landes,als erster „vertikaler Slum“ der Welt.<br />

Kaum einer der Bewohner des Turms<br />

zahlte damals noch Miete: Der Eigentümer,<br />

die Kempston-Gruppe, nahm praktisch nur<br />

noch die 50 000 Rand (damals rund 20 000<br />

Euro) des Mobilfunkgiganten Vodacom ein,<br />

der auf der Spitzedes Mittelfingers eine riesige,<br />

weit ins Land strahlende rote Leuchtreklame<br />

angebracht hatte. Die Jugendorganisation<br />

des regierenden Afrikanischen Nationalkongresses<br />

(ANC) schlug vor, den<br />

Turm in ein Gefängnis zu verwandeln: „Die<br />

Gangster sind ja schon drin“, vermerkten<br />

Spötter. „Keiner ging damals noch davon<br />

aus,dassdas Ponte überleben würde“, erinnertsich<br />

Siparty.<br />

Dann kam, mit dem Jahr 2010, die Fußball-WM.<br />

Vonden nach Osten ausgerichteten<br />

Apartments des Turms kann man direkt<br />

ins Ellis-Park-Stadion schauen, wo außer<br />

mehreren Vorrunde-Spielen auch ein Viertelfinale<br />

ausgetragen wurde.Grund zur Hoffnung,<br />

dass im Zugdes Großereignisses auch<br />

Hillbrow aufgewertet würde: Die Johannesburger<br />

Entwicklungsagentur JDA wollte 900<br />

Millionen Rand (weit über 100 Millionen<br />

Euro) inden Stadtteil investieren. Zwei risikofreudige<br />

Investoren kauften Kempston<br />

seine in den Himmel ragende Bürde ab, sie<br />

wollten den Mietsturm inluxuriöse Eigentumswohnungen<br />

verwandeln. Ihr Kalkül<br />

ging allerdings spektakulär schief: Sie verkauften<br />

–auch wegen der Weltwirtschaftskrise,die<br />

selbst die hochfliegenden Pläneder<br />

Stadtväter wieder zunichte machte –nicht<br />

einmal eine einzige Wohnung.<br />

Einstriktes Regime<br />

Kempston holte sich seinen Leuchtturm<br />

wieder zurück –und zogals Lehreaus ihrem<br />

einstigen Scheitern das Primat der strikten<br />

Kontrolle über das Massenquartier. Die<br />

Firma brachte biometrisch gesteuerte<br />

Schleusen am Eingang an, regelte den Besuchsverkehr<br />

und stellte einen Ex-Polizisten<br />

als Manager ein. „Ich habe in kürzester Zeit<br />

für Ordnung gesorgt“, brüstete sich Danie<br />

Celliers damals.SeinNachfolger,ein ehemaliger<br />

Wildpark-Manager,hatte sich sogar zur<br />

Aufgabe gesetzt, seinen schwarzen Klienten<br />

das Wohnen in einem Apartmenthaus zu<br />

lehren. „Die leben ja sonst auf dem Land mit<br />

ihren Tieren“, meinte Jaap Breed: „Denen<br />

muss man das Leben in einem Wolkenkratzerjaerst<br />

einmal beibringen.“<br />

Auch Glenn Kraut, der das Ponte heute –<br />

schon wesentlich gelassener –managt, ist<br />

von der Notwendigkeit eines strikten Regimes<br />

überzeugt, soll der Ruf des Wohnturms<br />

wieder aufgemöbelt werden.Wer dreimal<br />

seine Mietenicht bezahlt, fliegt raus; wer<br />

Müll zum Fenster rausschmeißt, wird angezeigt;<br />

werBesuchhaben will, muss diesen an<br />

der Schranke abholen und im Fall einer<br />

Übernachtung seine Daten angeben. Tuter<br />

das nicht, muss er eine Geldbuße bezahlen.<br />

Kraut prüft jeden Mietswunsch eingehend<br />

auf die Finanzkraft des Antragstellers: Wer<br />

mit einem Monatsgehalt von 6 000 Rand<br />

eine 5000 Rand teureWohnung mieten will,<br />

braucht gar nicht erst anzutreten. Für den<br />

Manager zahlt sich die eiserne Hand auch<br />

wirtschaftlich aus: Das inzwischen von Kopf<br />

bis Fuß renovierte Ponte hat eine Belegrate<br />

vonfast90Prozent, bis zur Rezession in diesem<br />

Jahr gab es sogar eine Warteliste. Was<br />

sich Kraut allerdings wünscht: dass wieder<br />

mehr Mieter aus dem Mittelstand, Lehrer,<br />

Anwälte oder Bankangestellte einziehen.<br />

Wenn Nickolas Bauer während des Ponte-<br />

Besuchs des Bundespräsidenten etwas mehr<br />

Zeit hatte, wird erihm sein Projekt „Dlala<br />

Nje“ vorgestellt haben, mit dem der Johannesburger<br />

Reporter sowohl die Lebensqualität<br />

im Turm wie die Reputation das Hauses<br />

verbessern will. Im Erdgeschoss steht<br />

Schlüsselkindern am Nachmittag ein Hort<br />

offen, Gästetouren sollen das einstige Vertikal-Ghetto<br />

mit der Welt verbinden, über<br />

AirBnB werden bald auch Touristen das Flair<br />

desSymbolgebäudes kennenlernen können.<br />

Und in Bauers Club gibt es gelegentlich<br />

Weinproben und politische Debatten. Ganz<br />

oben natürlich, im 54. Stock.<br />

Johannes Dieterich<br />

würde heute ebenfalls im Ponte<br />

wohnen, gingeesnur nach ihm.

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