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Berliner Zeitung 15.01.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 12 · D ienstag, 15. Januar 2019 3<br />

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Report<br />

Das Hotel Eden ist im Januar 1919 Quartier der Garde-Kavallerie-Schützen-Division. Hier werden KarlLiebknecht und Rosa Luxemburg vor ihrer Ermordung verhört.<br />

BPK-BILDAGENTUR<br />

santen. Vonder Gedenktafel nimmt<br />

kaum jemand Notiz, auch nicht von<br />

dem roten Fleck auf dem Pflaster ein<br />

paar Meter weiter: „15.01.19. Politischer<br />

Mord.“<br />

Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht<br />

undWilhelm Pieck werden nach ihrer<br />

Festnahme in der Mannheimer<br />

Straße ins Eden gefahren, wo Waldemar<br />

Pabst sie verhört. Der Hauptmann<br />

schreibt noch in der Nacht einen<br />

Bericht für den Divisionsstab:<br />

Liebknecht habe auf dem Wegvom<br />

Hotel ins Untersuchungsgefängnis<br />

Moabit zu fliehen versucht und sei<br />

dabei erschossen worden; Luxemburg<br />

sei ihren Bewachern von aufgebrachten<br />

Bürgern entrissen und mit<br />

unbekanntem Ziel verschleppt worden.<br />

Auftragsmordder Regierung?<br />

<strong>Zeitung</strong>en melden am 16. Januar:<br />

Liebknecht auf der Flucht erschossen!<br />

Rosa Luxemburg von der<br />

Menge getötet! Zweifel an den Todesumständen<br />

der beiden Politiker<br />

kommen der Presse nicht; sie beschwörteinmal<br />

mehr die „bolschewistische<br />

Gefahr“ –und die sei nun<br />

beseitigt. Der„Vorwärts“, das Zentralorgan<br />

der SPD, schreibt, Luxemburg<br />

und Liebknecht seien „Opfer<br />

ihrer eigenen blutigen Terrortaktik“<br />

geworden; die „Vossische <strong>Zeitung</strong>“,<br />

dass „an den beiden terroristischen<br />

Führern eine Art Volksgericht<br />

vollstreckt worden ist“.<br />

Die Regierung bestellt am selben<br />

TagWaldemar Pabst zum Rapportins<br />

Reichskanzlerpalais. Eine „ziemliche<br />

Aufregung“ habe es dort gegeben,<br />

wird Pabst später sagen. „Ebert<br />

meinte ärgerlich, wir hätten aus den<br />

beiden Märtyrer gemacht. Landsberg<br />

und Scheidemann verlangtenVerhaftungen,<br />

um die Unruhe in der Arbeiterschaft<br />

zu beschwichtigen. Nur einer<br />

von den Herrschaften hat richtig<br />

begriffen, was wir für unser deutsches<br />

Vaterland getan haben. Noske.Erhat<br />

mir die Hand gedrückt.“<br />

Der Fall nimmt eine Wende, als<br />

„Die Rote Fahne“, einst Zentralorgan<br />

des Spartakusbundes, nun der KPD,<br />

zwischenzeitlich verboten, am<br />

12. Februar titelt:„Der Mord an Liebknecht<br />

und Luxemburg. DieTat und<br />

die Täter.“<br />

DerAblauf der Tatstellt sich heute<br />

so dar: Karl Liebknecht wird gegen<br />

23 Uhraus einem Nebenausgang aus<br />

dem Hotel geführt, mit einem Gewehrkolben<br />

geprügelt, halb bewusstlos<br />

in ein Auto geschleppt, zum<br />

Tiergarten gefahren, am Neuen See<br />

aus dem Auto gezerrt, erschossen<br />

und als aufgefundener „Unbekannter“<br />

in die Unfallstation am Zoologischen<br />

Garten gebracht.<br />

Rosa Luxemburg wird eine Viertelstunde<br />

später auf gleichem Weg<br />

hinausgebracht, mit Kolbenschlägen<br />

niedergestreckt, ohnmächtig in<br />

ein Auto geschleift, während der<br />

Fahrt indie Schläfe geschossen, an<br />

der Lichtensteinbrücke im Tiergarten<br />

mit Steinen beschwert und in<br />

den Landwehrkanal geworfen.<br />

Wilhelm Pieck sollte tatsächlich<br />

den Behörden überstellt werden und<br />

konnte unterwegs fliehen.<br />

Das Reichsjustizministerium beauftragt<br />

nicht die Strafjustiz mit der<br />

Strafverfolgung, sonderndas Feldgericht<br />

der Garde-Kavallerie-Schützen-Division.<br />

Die Begleitkommandos,<br />

die Liebknecht und Luxemburg<br />

abführten, kommen in Haft. Es gibt<br />

einen Prozess.Die Höchststrafe,ausgesprochen<br />

gegen einen Oberleutnant,<br />

liegt bei zwei Jahren und vier<br />

Monaten; der Verurteilte flieht drei<br />

Tage später bei einer fingierten<br />

Überstellung in ein anderes Gefängnis<br />

unter falschem Namen in die<br />

Niederlande.<br />

Mehrere Soldaten behaupten<br />

nach dem Prozess, Karl Liebknecht<br />

und Rosa Luxemburg getötet zu haben.<br />

Einer sagt nicht mehr,als er sagen<br />

muss: Waldemar Pabst. VorGericht<br />

steht er nur als Zeuge. „Ich habe sie<br />

richtenlassen“, gesteht er Jahrespäter,imJanuar<br />

1962, dem rechtsextremen<br />

„Deutschen Studenten-Anzeiger“.<br />

Und begründet sein Handeln<br />

so: Der Sieg des Kommunismus in<br />

Deutschland 1919 hätte „das gesamte<br />

christliche Abendland zum<br />

Einsturz gebracht. Die Beendigung<br />

dieser Gefahr wog bestimmt wesentlich<br />

mehr als die Beseitigung von<br />

zwei politischen Verführern.“<br />

DerDoppelmordwar vonlanger<br />

Hand geplant und von kalter Hand<br />

durchgeführt, sehr wahrscheinlich<br />

mit Wissen von Vertretern der<br />

Reichsregierung. „Dass ich die Aktion<br />

ohne Zustimmung Noskes gar<br />

nicht durchführen konnte – mit<br />

Ebert imHintergrund –und auch<br />

meine Offiziere schützen musste,<br />

ist klar“, heißt es in einem Brief von<br />

Pabst, der sich in seinem Nachlass<br />

1970 fand. „Aber nur ganz wenige<br />

Menschen haben begriffen, warum<br />

ich nie vernommen oder unter Anklage<br />

gestellt worden bin. Ich habe<br />

als Kavalier das Verhalten der damaligen<br />

SPD damit quittiert, dass<br />

ich 50 Jahrelang das Maul gehalten<br />

habe über unsere Zusammenarbeit.“<br />

Eine Zusammenarbeit bei der<br />

Festnahme und Ermordung von<br />

Liebknecht und Luxemburg hat<br />

Noske stets bestritten.<br />

Hier fanden sie ihreletzte Unruhe,<br />

im Norden des Zentralfriedhofs<br />

Aufständische haben sich vor dem Verlagshaus Mosse in der Schützenstraße<br />

verschanzt.<br />

AKG, ULLSTEIN, BPK/KUNSTBIBLIOTHEK<br />

„Wenn wir die<br />

haben, dann gibt’s<br />

nichts zu winseln,<br />

dann müssen<br />

wir selber<br />

Richter sein.“<br />

Waldemar Pabst,<br />

Offizier<br />

Friedrichsfelde. Von ihren Gräbern<br />

und denen anderer Revolutionäre ist<br />

nichts geblieben, ebenso vom Revolutionsdenkmal<br />

aus dem Jahr 1926 –<br />

die Nationalsozialisten haben alles<br />

beseitigt.<br />

Die Luft ist frisch und würzig, angereichert<br />

mit dem Geruch von<br />

feuchter Erde. Die Sonne müht sich<br />

durch die Wolkendecke. Eine Säge<br />

„Meinetwegen!<br />

Einer muß der<br />

Bluthund werden,<br />

ich scheue die<br />

Verantwortung<br />

nicht!“<br />

Gustav Noske,<br />

Volksbeauftragter (SPD)<br />

röhrt in der Nähe, Straßenverkehr<br />

rauscht in der Ferne.<br />

Wo bis 1935 das Revolutionsdenkmal<br />

stand, ein Block von zwölf<br />

mal vier mal sechs Metern, verblendet<br />

mit vor- und zurückgesetzten<br />

Hartbrandziegeln und versehen mit<br />

einem Sowjetsternmit Hammer und<br />

Sichel, da befindet sich seit 1983 ein<br />

Erinnerungsmal. Seine Klinker-<br />

steine, die das Fundament des alten<br />

Denkmals nachformen, sind verwittert,<br />

teils bemoost.<br />

Einige Hundert Meter weiter, am<br />

anderen, dem südlichen Teil des<br />

Friedhofs befindet sich seit 1951 die<br />

„Gedenkstätte der Sozialisten“. Wer<br />

auf den hoch aufragenden Stein mit<br />

der Inschrift„Die Toten mahnen uns“<br />

in der Mitte des Rondells geradewegs<br />

zugeht, der stößt an dessen Fuß auf<br />

zwei nebeneinanderliegende Grabplatten<br />

mit den Namen Karl Liebknecht<br />

und Rosa Luxemburg.<br />

Am Tage der Beisetzung von Karl<br />

Liebknecht und weiteren Revolutionären<br />

am 25. Januar 1919 sperrt die<br />

Regierung die Innenstadt, um zu verhindern,<br />

dass sich der Trauerzug um<br />

12 Uhr von der Siegesallee in Bewegung<br />

setzt.<br />

„Es gab ein gewaltiges Militäraufgebot,<br />

Geschütze und Maschinengewehre<br />

ander Siegesallee, amReichstag,<br />

am Potsdamer Platz, dazu Sperren,<br />

die nur mit Ausweis durchschritten<br />

werden konnten“, schreibt Harry<br />

Graf Kessler in sein Tagebuch. „(...)<br />

der Trauerzug bewegte sich vom<br />

Volkstheater am Bülowplatz zum<br />

Friedrichshain, an diesem vorbei und<br />

weiter hinaus bis Friedrichsfelde.“<br />

Sechs Tage zuvor, am19. Januar,<br />

haben die Wahlen zur Nationalversammlung<br />

stattgefunden, erstmals<br />

haben auch Frauen stimmen dürfen.<br />

Die SPD wird mit 37,9 Prozent<br />

stärkste Kraft und bildet mit der<br />

Zentrumspartei und der Deutschen<br />

Demokratischen Partei (DDP) die<br />

Weimarer Koalition; Friedrich Ebert<br />

wird Reichspräsident, Philipp Scheidemann<br />

Ministerpräsident, Gustav<br />

Noske Reichswehrminister.<br />

Die USPD erhält 7,6 Prozent; die<br />

KPD hatte sich bei ihrer Gründung<br />

gegen eine Beteiligung an den Wahlen<br />

ausgesprochen, gegen den Rat<br />

vonLiebknecht und Luxemburg.<br />

Berlin kommt nicht zur Ruhe.Anfang<br />

März weitet sich ein Generalstreik<br />

zu einem bewaffneten Aufstand<br />

aus. Das Ziel ist dasselbe wie<br />

beim Januaraufstand: Sturz der<br />

Reichsregierung. Die Reichsregierung<br />

verhängt den Ausnahmezustand,<br />

Reichswehrminister Noske<br />

befiehlt, jeder Bewaffnete sei sofort<br />

zu erschießen. Der Befehl, durch<br />

kein Gesetz gerechtfertigt, beruht<br />

auf der Falschmeldung, Aufständische<br />

hätten in Lichtenberg 60Polizisten<br />

ermordet. Der dreizehntägige<br />

Aufstand fordert 1200 Menschenleben.<br />

Rosa Luxemburgwirdam31. Mai<br />

aus dem Landwehrkanal geborgen<br />

und am 12. Juni in Friedrichsfelde<br />

beigesetzt. Ohne die Strümpfe, die<br />

sie vonihrer letzten Quartiergeberinerhaltenund<br />

vorihrer Festnahme<br />

übergestreift hatte, wäre sie nicht zu<br />

identifizieren gewesen. Für die„Landung“<br />

der Leiche muss ihreSekretärineine<br />

Gebühr von3Markzahlen.<br />

Ohne Zweifel habe die KPD-Führung<br />

an den verhängnisvollen Januarereignissen<br />

„ein gerüttelt Maß an<br />

Schuld“, urteilt der Historiker Hans<br />

Mommsen. Die KPD sei jedoch<br />

„quantitativ bedeutungslos“ gewesen,<br />

„es wäre möglich gewesen, sie<br />

politisch zu isolieren“.<br />

DieKämpfeund MordeimJanuar<br />

1919 machten die Spaltung deralten<br />

Sozialdemokratie unüberbrückbar,<br />

trieben die KPD in die Arme und Abhängigkeit<br />

Moskaus und schwächten<br />

so die gesamte Linke in der politischen<br />

Auseinandersetzung mit<br />

rechten Kräften –sotrug schon der<br />

Beginn derWeimarer Republik deren<br />

Ende in sich.<br />

Die Idee voneiner besseren Welt<br />

Müßig ist es zu spekulieren, was gewesen<br />

wäre, wenn. Geschichte kennt<br />

den Konjunktiv nicht. Aber: „Die<br />

Volksbeauftragten hätten wohl mehr<br />

Veränderung wagen müssen, als sie<br />

aus ihrer damaligen Sicht für verantwortbar<br />

hielten“, wie Bundespräsident<br />

Frank-Walter Steinmeier (SPD)<br />

in seiner Rede im Deutschen Bundestag<br />

am 9. November2018 anlässlich<br />

des 100. Jahrestages der Revolution<br />

anmerkte. „Zu viele geschworene<br />

Gegner der jungen Republik behielten<br />

ihre Ämter in Militär, Justiz<br />

und Verwaltung.“<br />

Und die äußerste Linke hätte<br />

nicht in blinden Aktionismus und<br />

Spontanradikalismus verfallen<br />

dürfen.<br />

„Dieser Bürgerkrieg stellte“,<br />

schrieb der Publizist Sebastian Haffner,<br />

„die Weichen für die unselige<br />

Geschichte der Weimarer Republik,<br />

die aus ihm geboren, und die Entstehung<br />

des Dritten Reichs, das in ihm<br />

gezeugt wurde.“<br />

Karl Liebknecht ist wenige Stunden<br />

tot, da erscheint sein letzter Artikel<br />

in der <strong>Zeitung</strong> Die Rote Fahne.<br />

Darinschreibt er:„DieGeschlagenen<br />

vonheute werden dieSiegervon morgen<br />

sein (...) Undobwir dann noch leben<br />

werden, wenn eserreicht wird –<br />

leben wird unser Programm; es wird<br />

die Welt der erlösten Menschheit beherrschen.<br />

Trotz alledem!“<br />

Es ist anders gekommen. Die<br />

Idee von einer besseren Welt aber<br />

–die lebt.<br />

Michael Brettin erstaunt<br />

immer wieder,wie viel<br />

Krimi in Geschichte steckt.

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