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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 12 · D ienstag, 15. Januar 2019 – S eite 9 *<br />
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Berlin<br />
TodimU-Bahnhof:<br />
Debatte über Umgang<br />
mit Obdachlosen<br />
Seite 12<br />
Ökobauer Schwienhorst hat es satt und klagt gegen die Regierung Seite 11<br />
Designer Reinke mag es spießig und ist trotzdem auf der Fashion Week Seite 10<br />
Stadtbild<br />
Mit Kind<br />
und Kasten<br />
Ida Krenzlin<br />
bangt um einen ZweijährigenimBadezimmer.<br />
Die Tür war zu. Voninnen abgeschlossen.<br />
Der gerade Zweijährige<br />
rüttelt drinnen an der Badtür.<br />
Vier Stimmen reden auf ihn ein. „Du<br />
musst den Schlüssel umdrehen“.<br />
„Nein, nicht den oberen Schlüssel,<br />
den unteren!“ Der große Bruder,<br />
sechs Jahre alt, schätzt die Lage<br />
ziemlich schnell vernünftig ein: „Der<br />
versteht das nicht.“ Die Großmutter<br />
ruft die Feuerwehr. Esist Sonntag,<br />
wir sind bei den ElternzuBesuch. Eigentlich<br />
wollten wir gerade Mittag<br />
machen. Normalerweise nimmt der<br />
Zweijährige nur den Staubsauger<br />
auseinander oder sortiertdie Pantoffeln.<br />
Diesmal also das Problem Badezimmer.<br />
Zur Freude des großen Bruders<br />
steht kurz darauf ein Feuerwehrmann<br />
in UniformimFlur der Altbauwohnung.<br />
Das Haus ist von 1880.<br />
Meine Mutter hat immer darauf geachtet,<br />
die originalen Schlösser zu<br />
erhalten. Sie ist besorgt. Der Feuerwehrmann<br />
schaut sich das Schloss<br />
an und biegt den Beschlag hoch.<br />
„Nicht hochbiegen!“, schreit meine<br />
Mutter und lässt von nun an den<br />
Feuerwehrmann nicht mehr aus den<br />
Augen. Als dieser andeutet, dass man<br />
vielleicht eine Kassette aus der alten<br />
Tür nehmen muss,umvon innen an<br />
das Schloss zu kommen, wirdmeine<br />
Mutter blass.<br />
In das Funksprechgerät ruft er:<br />
„Den blauen Kasten. Bringt den<br />
blauen Kasten mit“. Kurz darauf<br />
kommen zwei weitere Feuerwehrmänner<br />
in die Wohnung. Der Zweijährige<br />
im Bad ruft zunehmend verzweifelt<br />
„Mama“. Viel mehr kann er<br />
noch nicht sagen. Wirberuhigen ihn<br />
durch die Lüftungsschlitze, die gegen<br />
den Widerstand meiner Mutter<br />
vor Jahren in die Badtür gebohrt<br />
wurden. Drei Löcher. Man kann sogar<br />
hindurchschauen und die kurzen<br />
Strumpfhosenbeine sehen. Der<br />
große Bruder lenkt den Steppke ab:<br />
„Spiel ruhig an derWaschmaschine!“<br />
Darf er sonst nicht. Es klappt, er<br />
spielt mit der Klappe.<br />
Derweil schrauben die Feuerwehrmänner<br />
den Beschlag ab und<br />
inspizieren das Schloss. Zur großen<br />
Erleichterung meiner Mutter entpuppt<br />
sich einer der Feuerwehrmänner<br />
als Tischler.Gemeinsam suchen<br />
sie einen Splinttreiber, umdie<br />
Türklinke zu lösen. Der konische<br />
Splint hält die aufgesteckte reich verzierte<br />
Türklinke aus Horn, Perlmutt<br />
oder Elfenbein von 1880 fest. Schritt<br />
für Schritt nehmen sie vorsichtig das<br />
Schloss auseinander. Wie eine Operation<br />
am Herzen. Leider hat der<br />
Junge nicht nur an der unteren Badverriegelung<br />
gedreht, sondern auch<br />
an dem alten Buntbartschlüssel, der<br />
im eigentlichen Schlüsselloch steckt.<br />
Im blauen Koffer findet sich kein<br />
Dietrich. Meine Mutter zieht prompt<br />
einen Vorkriegs-Dietrich aus der<br />
Werkzeugschublade. Schwuppdiwupp<br />
ist die Badezimmertür offen.<br />
Das befreite Kleinkind schaut erstaunt<br />
auf den Auflauf vor der Badezimmertür.<br />
Beim Anblick der drei<br />
Feuerwehrmänner ruft er „Da. Da.<br />
Feuer!“. Ein neues Wort. Nach dem<br />
Einsatz lassen wir uns erschöpft am<br />
Küchentisch nieder. Die Tür ist heil,<br />
das Kind auch. Wirdanken den Feuerwehrmännern<br />
von der Wache in<br />
der Oderberger Straße.<br />
Sicherer unterwegs: Der Moritzplatz in Kreuzberg ist bereits umgestaltet worden, damit es dortnicht mehr so viele Fahrradunfälle gibt.<br />
Planer treten in die Pedale<br />
Der Senat zieht Bilanz: Die Ausgaben für den Radverkehr sind um fast das Doppelte gestiegen<br />
VonPeter Neumann<br />
Im Schleichtempo ging es los.<br />
Doch inzwischen haben die<br />
Bemühungen, Berlin zur Fahrradstadt<br />
umzugestalten, an<br />
Tempo gewonnen. Im vergangenen<br />
Jahr hat die Verwaltung 13,4 Millionen<br />
Euro abgerufen –vor allem, um<br />
Radwege zu sanieren, neue Trassen<br />
einzurichten und die Planungsgesellschaft<br />
Infravelo zu unterstützen.<br />
Das geht aus einer Auflistung der<br />
Verkehrsverwaltung hervor. Zwar<br />
wurde auch im vergangenen Jahr nur<br />
ein Teil des Geldes, das im Landeshaushalt<br />
für den Radverkehr zur Verfügung<br />
steht, tatsächlich verbraucht.<br />
Doch mit rund 73 Prozent ist der Anteil<br />
größer als in vergangenen Jahren.<br />
„Dies ist, erfreulicherweise aus<br />
Sicht der Senatsverkehrsverwaltung,<br />
gegenüber 2017 immerhin fast eine<br />
Verdoppelung der verausgabten Mittel“,<br />
sagt JanThomsen, Sprecher der<br />
Verkehrssenatorin Regine Günther<br />
(parteilos, für Grüne). „Ein halbes<br />
Jahr nach Verabschiedung des Mobilitätsgesetzes<br />
beginnen die ersten<br />
fest etablierten Strukturen für mehr,<br />
bessere und sichere Radverkehrsanlagen<br />
in Berlin zu greifen.“<br />
So viel Geld wie noch nie<br />
Die Bilanz kommt zu einer Zeit, in<br />
der die Kritik an der ersten von den<br />
Grünen nominierten Verkehrssenatorin<br />
lauter geworden ist. Wo sind<br />
sie, die erwarteten neuen Radfahrstreifen,<br />
Radschnellwege, Fahrradbügel?<br />
„Das Duo Günther/Kirchner<br />
hat den Radwegeausbau vom Start<br />
wegversammelt wie einst die Politik<br />
den BER“, sagt Heinrich Strößenreuther<br />
von der Initiative Clevere<br />
Städte –ein Seitenhieb auch auf den<br />
Ende 2018 abberufenen Verkehrs-<br />
Staatssekretär Jens-Holger Kirchner.<br />
2017, im ersten Jahr Günthers,<br />
waren 15,7 Millionen Euro für den<br />
Radverkehr eingeplant –ein Betrag,<br />
der deutlich über früheren Ansätzen<br />
lag. Aber nur 6,99 Millionen, lediglich<br />
44,6 Prozent, wurden abgerufen.<br />
2018, als mit 18,4 Millionen Euro<br />
so viel Geld wie noch nie bereitstand,<br />
sah es zunächst nicht besser aus.<br />
Eine im September erstellte Liste für<br />
Finanzsenator Matthias Kollatz<br />
(SPD) zeigte,dass nicht mal ein Drit-<br />
Geschützte Radstreifen:<br />
2019 sollen weitere von<br />
Plastikpfeilerngesäumte<br />
Fahrradspuren entstehen –<br />
etwa an der Hasenheide, der<br />
Karl-Marx- und der Frankfurter<br />
Allee. Später steht auch<br />
die Siegfriedstraße auf der<br />
Liste. Am 22. Januar berät<br />
der Lichtenberger Ausschuss<br />
für öffentliche Ordnung über<br />
das umstrittene Projekt.<br />
eingeplant<br />
davon abgerufen<br />
15,7<br />
7,0<br />
2017<br />
PLANUNGEN FÜR 2019<br />
Grün unterwegs: Ebenfalls<br />
in diesem Jahr werden weitere<br />
Radfahrstreifen mit grünen<br />
Fahrbahnen versehen –<br />
zum Beispiel in der Invaliden-,<br />
Schlüter-, Schloß- und<br />
Warschauer Straße. In allen<br />
Bezirken werden insgesamt<br />
mehrere tausend Fahrradbügelaufgestellt.<br />
Hinzu kommen<br />
mehr als 30 größere<br />
bezirkliche Radprojekte.<br />
Finanzierung des Radverkehrs in Berlin<br />
18,4 18,2<br />
13,4<br />
2018<br />
2019<br />
24,8<br />
2020<br />
Geschützt durch Poller:der Radstreifen in der Holzmarktstraße.<br />
Geld für Großprojekte:<br />
Über den laufenden Haushalt<br />
hinaus steht weiteres<br />
Geld parat –imSondervermögen<br />
Infrastruktur der<br />
Wachsenden Stadt und<br />
Nachhaltigkeitsfonds (Siwana).<br />
Das PaketSiwana III<br />
hält 50 Millionen Euro bereit,<br />
etwa für Radschnellwege<br />
und Radparkhäuser,Siwana<br />
IV 16 Millionen Euro.<br />
23,8<br />
2021<br />
BLZ/REEG; QUELLE: SENAT<br />
DPA/PAUL ZINKEN<br />
DPA/BRITTA PEDERSEN<br />
tel des Geldes abgerechnet worden<br />
war. Doch zum Jahresende verbesserte<br />
sich die Bilanz, so Thomsen.<br />
Einige Details: Für die Unterhaltung<br />
bestehender Radwege waren<br />
6,4 Millionen Euro eingeplant –<br />
4,3 Millionen wurden verbaut. Für<br />
neue Radverkehrsanlagen waren<br />
fünf Millionen Euro vorgesehen –<br />
3,4 Millionen wurden tatsächlich investiert.<br />
Die Zuschüsse für die Infravelo,die<br />
zum Beispiel für die Bezirke<br />
größere Projekte vorplanen bereiten<br />
und umsetzen soll, sollte sich auf fast<br />
5,1 Millionen Euro summieren –abgerufen<br />
wurden rund 3,8 Millionen.<br />
Pro<strong>Berliner</strong> nur 3,80 Euro<br />
Warum wurde mehr Geld ausgegeben?<br />
Personal wurde eingestellt, bekräftigte<br />
die Verwaltung. So habe die<br />
Infravelo inzwischen 26 Beschäftigte,<br />
eine Aufstockung auf bis zu<br />
70 Stellen wurde beantragt. In der<br />
Senatsverwaltung sei die Zahl der<br />
Mitarbeiter, die sich ausschließlich<br />
mit dem Radverkehr befassen, um<br />
zehn gestiegen. Weitere acht Stellen<br />
sind beantragt. „In den zwölf <strong>Berliner</strong><br />
Bezirken, unter deren Regie grob<br />
geschätzt zwei Drittel aller Radprojekte<br />
stattfinden, sind von den vorgesehenen<br />
24 Radplanernbisher gut<br />
die Hälfte im Job“,soThomsen. Dort<br />
werden 230 Vorhaben bearbeitet.<br />
Trotzdem wurden pro<strong>Berliner</strong> im<br />
vergangenen Jahr nur 3,80 Euro in<br />
den Radverkehr investiert, der Wert<br />
einesWeizenbiers in der Kneipe,entgegnet<br />
Radaktivist Strößenreuther.<br />
„Der Landesvorsitz der Grünen und<br />
die Fraktionsspitzen haben versprochen<br />
zu liefern. Bis zur Abrechnung<br />
am WahltaginzweiJahren sollten sie<br />
sich schnellstens was einfallen lassen.“<br />
Die Senatsverwaltung brauche<br />
ein „grundlegendes Reset“,sagt er.<br />
Sicher: Die geplante Personalstärke<br />
konnte noch immer nicht erreicht<br />
werden, hieß es in der Verwaltung.<br />
Der Fachkräftemangel treffe<br />
auch sie, hieß es. Größere Projekte<br />
wie Fahrradparkhäuser hätten jahrelange<br />
Vorläufe –etwa für Ausschreibungen.<br />
Trotzdem rechnet Jan<br />
Thomsen damit, dass die Ausgaben<br />
weiter steigen: auf rund 20 Millionen<br />
Euro 2019. „Das wäre eine erneute<br />
Steigerung –um50Prozent im Vergleich<br />
zu 2018“, sagt der Sprecher.<br />
NACHRICHTEN<br />
Flughafengesellschaft<br />
erwartet Ausfälle in Tegel<br />
Weil am heutigen Dienstag das Sicherheitspersonal<br />
auf acht Flughäfen<br />
streikt, werden auch inTegel viele<br />
Flüge ausfallen. DieFlughafengesellschaft<br />
FBB rechnete am Montag damit,<br />
dass rund ein Fünftel aller Starts<br />
und Landungen nicht stattfinden<br />
wird. Vonden täglich 480 Starts und<br />
Landungen in Tegel entfallen 110 auf<br />
die Strecken nach Frankfurtam<br />
Main und München, wo gestreikt<br />
wird. Auch in Hamburg, Hannover,<br />
Bremen, Dresden, Leipzig/Halle und<br />
Erfurtwirdgestreikt –doch diese<br />
Ziele sind vonBerlin aus nur per<br />
Bahn und Auto erreichbar.Reisende<br />
sollten sich bei ihrer Fluggesellschaft<br />
informieren, riet die FBB.Schönefeld<br />
ist nicht betroffen. (pn.)<br />
Chlorgas tritt an Schule<br />
aus: keine Verletzten<br />
Eine undichte Chlorgasflasche in einem<br />
Schulschwimmbad hat am<br />
Montagvormittag einen Feuerwehreinsatz<br />
in Kreuzbergausgelöst. Rund<br />
400 Kinder wurden aus dem Gebäude<br />
geführt, wie ein Feuerwehrsprecher<br />
sagte.Bei dem Vorfall in einer<br />
Grund- und Förderschule sei<br />
niemand verletzt worden. DieSchüler<br />
seien im nahen Jüdischen Museum<br />
untergebracht worden. (dpa)<br />
Großeinsatz der Feuerwehr an Schule in<br />
Kreuzberg.<br />
DPA/ZINKEN<br />
Broschüre klärtüber<br />
Suchtprävention auf<br />
Wastun, wenn das Kind bekifft oder<br />
angetrunken nach Hause kommt?<br />
Was, wenn der Handygebrauch<br />
überhand nimmt? DieBroschüre<br />
„Kinder und Jugendliche vorriskantem<br />
Umgang mit Alkohol, Cannabis<br />
oder Handy schützen“ der Fachstelle<br />
für Suchtprävention im Land Berlin<br />
liefertTipps für den Familienalltag<br />
und gibt Orientierung in Fragen der<br />
Suchtprävention. Siekann im Internet<br />
heruntergeladen werden. (dpa)<br />
Zahl der Bufdis in der Region<br />
leicht angestiegen<br />
DieZahl der Bundesfreiwilligendienstler<br />
(Bufdis) in Berlin und Brandenburgist<br />
leicht gestiegen. Das<br />
geht aus Daten des Bundesamtes für<br />
Familie und zivilgesellschaftliche<br />
Aufgaben hervor. 2018 arbeiteten<br />
demnach im Durchschnitt 1797 solcher<br />
Freiwilligen in Berlin –insgesamt<br />
66 mehr als im Jahr zuvor.In<br />
Brandenburgwaren es durchschnittlich<br />
1753 Bufdis und damit<br />
26 mehr als im Jahr zuvor.Der Bundesfreiwilligendienst<br />
war 2011 als<br />
Ersatz für den parallel zur Wehrpflicht<br />
weggefallenen Zivildienst<br />
eingeführtworden. DerDienst in sozialen,<br />
kulturellen oder Bildungseinrichtungen<br />
dauertein Jahr. (dpa)