Berliner Kurier 23.01.2019
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10 BERLIN BERLINER KURIER, Mittwoch, 23. Januar 2019 *<br />
Daniel Craig als James<br />
Bond mit offener Schleife:<br />
Dasfinden junge<br />
Leute nachahmenswert.<br />
Der Knoten-Fürst vonRuhlsdorf<br />
ErwünschtBerlin<br />
Jürgen Stange trägt<br />
immer eine Schleife –<br />
„nur nicht in der<br />
Badewanne“.<br />
wasandenHals<br />
Jürgen Stange produziertnoch Schleifen und Krawatten in echter Handarbeit<br />
Von<br />
GERHARD LEHRKE<br />
Ruhlsdorf – James Bond rettet<br />
nicht nur die Welt, sondern<br />
auch Deutschlands vermutlich<br />
letzte Schleifen- und<br />
Krawattenmanufaktur. Die<br />
Firma „Stange Berlin“, die in<br />
Ruhlsdorf Krawatten, Schleifen<br />
und Westen aus Seide<br />
produziert, verzeichnet einen<br />
Schleifen-Boom bei jungen<br />
Kunden, seit Daniel Craig<br />
2006 sehr sexy mit offener<br />
Schleife auf dem Plakat für<br />
„Casino Royale“ erschien.<br />
Jürgen Stange (76) führt die<br />
Manufaktur, die 1934 von seinen<br />
Eltern gegründet wurde,<br />
seit 1972. „Wir produzieren pro<br />
Tag 100 bis 120 Stücke –70Prozent<br />
Schleifen, 20 Prozent Krawatten,<br />
10 Prozent Westen. Ohne<br />
die Schleifen gäbe es uns<br />
nicht mehr.“<br />
Neun Mitarbeiterinnen hat er<br />
noch. Es waren mal 40, als er<br />
1993 mit der Firma aus der Kel-<br />
lerfabrikation in Zehlendorf ins<br />
nahe Ruhlsdorf zog.<br />
Die Seide lässt Stange auch<br />
nach Entwürfen seiner Frau<br />
Gabriele, einer Modegrafikerin,<br />
im italienischen Como weben<br />
und bedrucken. An die 1300<br />
Dessins (uni, gestreift, kariert,<br />
mit Paisleymuster ...) hat er auf<br />
Lager. Der Kaufmann der Bekleidungsindustrie:<br />
„Como ist<br />
Europas letzte Seidenstadt.“<br />
Barcelona, Lyon und Krefeld<br />
seien raus aus dem Geschäft.<br />
Ein- bis zweimal im Jahr reist<br />
er in die Stadt, in der auch die<br />
Seidenstoffe für den Papst hergestellt<br />
werden, um zu bestellen.<br />
Er spricht Italienisch,<br />
bringt ein italienisches Wort<br />
ins Spiel: Stupidita, Dummheit,<br />
gemünzt auf US-Präsident Donald<br />
Trump. Der trage seine<br />
Krawatten absurd lang: „Er<br />
macht sich zum Clown. Krawatten<br />
müssen bis zum Hosenbund<br />
reichen.“<br />
Er selbst trägt immer selbstgebundene,<br />
deshalb leicht<br />
schiefe Schleifen („nicht Fliege,<br />
das sind Insekten“). Das Accessoire<br />
hat eine leicht pikante Geschichte:<br />
„Madame de Pompadour,<br />
die Mätresse des französischen<br />
Königs Ludwig XV., hatte<br />
sich eine Schleife als<br />
erotische Provokation gebunden.<br />
Das hat die Bohème sofort<br />
aufgegriffen. Noch heute ist sie<br />
vor allem bei Kreativen beliebt.“<br />
Folglich sei er einmal für<br />
einen Architekten gehalten<br />
worden, weil er Schleife trug.<br />
In der S-Bahn sei er damit immer<br />
der Mittelpunkt.<br />
Seine Krawatten und Schleifen<br />
kosten 59 Euro online, im<br />
Fabrikverkauf 49 Euro. Westen<br />
schlagen mit 100 bis 110 Euro zu<br />
Buche. „Mit Massenprodukten<br />
aus Asien, die chemisch belastet<br />
sind, kann ich nicht mithalten.<br />
Wir haben deshalb die qualitative<br />
und preisliche Flucht<br />
nach oben angetreten.“<br />
Gegenwärtig führt er Gespräche,<br />
damit jemand in die Firma<br />
einsteigt, um sie einmal in seinem<br />
Sinne weiterzuführen.<br />
Stahnsdorfer Str.3,TeltowOTRuhlsdorf.<br />
www.stangeberlin-onlineshop.de<br />
Fotos: Gerd Engelsmann, Imago<br />
Schneiderin Sabine Rohm<br />
zieht den letzten Knoten<br />
zu: Die Schleife geht an<br />
einen Karnevalsverein.<br />
Irene Gronau, seit 23<br />
Jahren in der Firma,<br />
schneidet Einlagen für<br />
Krawatten zu.