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16 KULTUR<br />
Castorf inszeniert Dostojewskis<br />
„EIN GRÜNER JUNGE“<br />
Wenn die Oper die affektbeladenste<br />
Kunstform ist, dann<br />
ist Frank Castorf die Operndiva<br />
des Theaters.Das Kölner Ensemble<br />
samt Gästen läuft zur Höchstform<br />
auf, um Sprecharien auszustoßen,<br />
unterstützt von einem ausgesuchten,<br />
heterogenen Klangteppich.<br />
Gespielt wird in historischen Kostümen<br />
mit russischem Einschlag<br />
und einem Hauch heutiger Designermode<br />
bis hin zu Comme des<br />
garcons beim Hauptdarsteller<br />
Arkadij. So heißt „Der grüne Junge“<br />
und ist in Nikolay Sidorenko<br />
wirklich ein russischer „Jüngling“,<br />
wie der 800 seitige Roman von<br />
Dostojewski in früheren Übersetzungen<br />
hieß.<br />
Es gibt zwei Themen in diesem Stück: eine<br />
Vater-Sohn-Beziehung und einen Erbschaftsstreit,<br />
der von zwei kompromittierenden<br />
Briefen befeuert wird. Der 19jährige<br />
Arkadij hat seine ganze Jugend im Internat<br />
verbracht und ist nun begierig, seinen Vater<br />
Werssilow (Peter Miklusz) kennenzulernen.<br />
Er hat sich zudem die Idee in den Kopf<br />
gesetzt, durch Beharrlichkeit und Ausdauer<br />
reich zu werden wie ein Rothschild, nicht<br />
um des Reichtums willen, sondern um Unabhängigkeit<br />
zu erlangen. Er sagt: „Ich hatte<br />
mich definitiv überzeugt, dass mein Wille<br />
stark genug war, um mein Ziel zu erreichen.“<br />
Im Laufe der Zeit – wir befinden uns im<br />
Petersburg des Jahres 1873 – ergibt es sich,<br />
dass sich beide, Vater und Sohn, in die Fürstentochter<br />
Katerina Nikolajewna verlieben,<br />
dargestellt von Melanie Kretschmann, die<br />
übrigens auch Arkadijs Mutter Sofia Andrejewna<br />
gibt und ihren Sohn dann liebevoll<br />
Arkascha nennt.<br />
Im Umfeld dieser drei Protagonisten<br />
kommt es zu einer Vielzahl von Ereignissen.<br />
So machen wir u.a. die Bekanntschaft<br />
mit einem Schwiizerdütsch sprechenden<br />
Transsexuellen und wir werden Zeuge eines<br />
offensiven, lesbischen Liebesgeständnisses.<br />
Apropos Liebe: Sie gibt es nur als Eigenliebe,<br />
die man sich selbst als Menschlichkeit<br />
in seiner Seele erschaffen kann. Ansonsten<br />
lieben die meisten Menschen am liebsten<br />
aus Furcht, lässt uns Werssilow wissen.<br />
Mit Wissen wird nicht gespart an diesem<br />
sechsstündigen Abend. Es gibt Exkurse zur<br />
Finanzkrise, zu Europa, zum Nationalismus,<br />
ja sogar zur Kleiderpflege und vielem anderen.<br />
Und auch in dieser Inszenierung gibt<br />
Castorf wieder seinem Hang zur französischen<br />
Sprache nach. Nicht nur die Französin<br />
Tiphaine Raffier bezaubert uns in der<br />
schönsten Sprache der Welt ausgiebig mit<br />
Baudelaire-Texten, wie immer bei Castorf<br />
nach dem Motto Verlaines: „De la musique<br />
avant toute chose“ (zuallererst Musik).<br />
*Ludger Tabeling<br />
KINO<br />
Der verlorene Sohn<br />
Dass falsch verstandene<br />
und ausgelebte Religion<br />
Schlimmes anrichtet, sieht<br />
man jeden Tag in den<br />
Nachrichten. Weniger im Fokus<br />
steht dabei das, was im Stillen<br />
(meist in den USA) passiert: Konversionstherapien.<br />
Hierbei beruft sich das Umfeld<br />
junger (fast) Coming-outler auf<br />
wahllos rausgepickte (und übrigens<br />
im Neuen Testament entkräftete)<br />
Bibelstellen, um ihre wenig christliche,<br />
aber christlich gerechtfertigte,<br />
Umerziehungsmaßnahme durchzuführen.<br />
Dabei ist ja jeder so perfekt,<br />
wie er eben von Göttin/Gott/<br />
Mutter Natur geschaffen wurde.<br />
Der Film „Der verlorene Sohn<br />
(Boy Erased)“ nimmt sich dieses<br />
Themas an. Erzählt wird die wahre<br />
Geschichte eines Jungen (Lucas<br />
Hedges), der sich auf Wunsch<br />
seiner konservativen Eltern (Nicole<br />
Kidman und Russell Crowe) in eine<br />
Konversionstherapie begibt. Aus<br />
einem Baptistenprediger-Elternhaus<br />
kommend, fügt er sich einem<br />
entwürdigenden und unmenschlichem<br />
Umerziehungsprogramm<br />
... Der Film basiert auf dem Buch<br />
„Boy Erased“ von Garrard Conley<br />
und läuft am 21. <strong>Februar</strong> in den<br />
Kinos an. *rä