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rik Februar / März 2019

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16 KULTUR<br />

Castorf inszeniert Dostojewskis<br />

„EIN GRÜNER JUNGE“<br />

Wenn die Oper die affektbeladenste<br />

Kunstform ist, dann<br />

ist Frank Castorf die Operndiva<br />

des Theaters.Das Kölner Ensemble<br />

samt Gästen läuft zur Höchstform<br />

auf, um Sprecharien auszustoßen,<br />

unterstützt von einem ausgesuchten,<br />

heterogenen Klangteppich.<br />

Gespielt wird in historischen Kostümen<br />

mit russischem Einschlag<br />

und einem Hauch heutiger Designermode<br />

bis hin zu Comme des<br />

garcons beim Hauptdarsteller<br />

Arkadij. So heißt „Der grüne Junge“<br />

und ist in Nikolay Sidorenko<br />

wirklich ein russischer „Jüngling“,<br />

wie der 800 seitige Roman von<br />

Dostojewski in früheren Übersetzungen<br />

hieß.<br />

Es gibt zwei Themen in diesem Stück: eine<br />

Vater-Sohn-Beziehung und einen Erbschaftsstreit,<br />

der von zwei kompromittierenden<br />

Briefen befeuert wird. Der 19jährige<br />

Arkadij hat seine ganze Jugend im Internat<br />

verbracht und ist nun begierig, seinen Vater<br />

Werssilow (Peter Miklusz) kennenzulernen.<br />

Er hat sich zudem die Idee in den Kopf<br />

gesetzt, durch Beharrlichkeit und Ausdauer<br />

reich zu werden wie ein Rothschild, nicht<br />

um des Reichtums willen, sondern um Unabhängigkeit<br />

zu erlangen. Er sagt: „Ich hatte<br />

mich definitiv überzeugt, dass mein Wille<br />

stark genug war, um mein Ziel zu erreichen.“<br />

Im Laufe der Zeit – wir befinden uns im<br />

Petersburg des Jahres 1873 – ergibt es sich,<br />

dass sich beide, Vater und Sohn, in die Fürstentochter<br />

Katerina Nikolajewna verlieben,<br />

dargestellt von Melanie Kretschmann, die<br />

übrigens auch Arkadijs Mutter Sofia Andrejewna<br />

gibt und ihren Sohn dann liebevoll<br />

Arkascha nennt.<br />

Im Umfeld dieser drei Protagonisten<br />

kommt es zu einer Vielzahl von Ereignissen.<br />

So machen wir u.a. die Bekanntschaft<br />

mit einem Schwiizerdütsch sprechenden<br />

Transsexuellen und wir werden Zeuge eines<br />

offensiven, lesbischen Liebesgeständnisses.<br />

Apropos Liebe: Sie gibt es nur als Eigenliebe,<br />

die man sich selbst als Menschlichkeit<br />

in seiner Seele erschaffen kann. Ansonsten<br />

lieben die meisten Menschen am liebsten<br />

aus Furcht, lässt uns Werssilow wissen.<br />

Mit Wissen wird nicht gespart an diesem<br />

sechsstündigen Abend. Es gibt Exkurse zur<br />

Finanzkrise, zu Europa, zum Nationalismus,<br />

ja sogar zur Kleiderpflege und vielem anderen.<br />

Und auch in dieser Inszenierung gibt<br />

Castorf wieder seinem Hang zur französischen<br />

Sprache nach. Nicht nur die Französin<br />

Tiphaine Raffier bezaubert uns in der<br />

schönsten Sprache der Welt ausgiebig mit<br />

Baudelaire-Texten, wie immer bei Castorf<br />

nach dem Motto Verlaines: „De la musique<br />

avant toute chose“ (zuallererst Musik).<br />

*Ludger Tabeling<br />

KINO<br />

Der verlorene Sohn<br />

Dass falsch verstandene<br />

und ausgelebte Religion<br />

Schlimmes anrichtet, sieht<br />

man jeden Tag in den<br />

Nachrichten. Weniger im Fokus<br />

steht dabei das, was im Stillen<br />

(meist in den USA) passiert: Konversionstherapien.<br />

Hierbei beruft sich das Umfeld<br />

junger (fast) Coming-outler auf<br />

wahllos rausgepickte (und übrigens<br />

im Neuen Testament entkräftete)<br />

Bibelstellen, um ihre wenig christliche,<br />

aber christlich gerechtfertigte,<br />

Umerziehungsmaßnahme durchzuführen.<br />

Dabei ist ja jeder so perfekt,<br />

wie er eben von Göttin/Gott/<br />

Mutter Natur geschaffen wurde.<br />

Der Film „Der verlorene Sohn<br />

(Boy Erased)“ nimmt sich dieses<br />

Themas an. Erzählt wird die wahre<br />

Geschichte eines Jungen (Lucas<br />

Hedges), der sich auf Wunsch<br />

seiner konservativen Eltern (Nicole<br />

Kidman und Russell Crowe) in eine<br />

Konversionstherapie begibt. Aus<br />

einem Baptistenprediger-Elternhaus<br />

kommend, fügt er sich einem<br />

entwürdigenden und unmenschlichem<br />

Umerziehungsprogramm<br />

... Der Film basiert auf dem Buch<br />

„Boy Erased“ von Garrard Conley<br />

und läuft am 21. <strong>Februar</strong> in den<br />

Kinos an. *rä

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