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MUSIK<br />
INTERVIEW<br />
JOANNE<br />
SHAW TAYLOR<br />
Vom Leben und Glück in der Nische<br />
Wenn man eine erfolgreiche<br />
Musikerin ist und an jeden Ort<br />
der Welt ziehen könnte, wenn man<br />
sich ein zweites Zuhause herauspicken<br />
dürfte, in dem man neben seiner<br />
Heimatbasis in England wohnt<br />
– warum würde man sich dann<br />
ausgerechnet Detroit aussuchen?<br />
„Es war reiner Zufall“, lacht Joanne Shaw<br />
Taylor. „Ich habe damals auf meiner USA-<br />
Tour eine Band aus der Stadt gebucht,<br />
und wenn wir nicht unterwegs waren,<br />
kehrten wir immer wieder hierher zurück.<br />
Ich war 21, liebte den Blues und ich war<br />
immer von ame<strong>rik</strong>anischen Musikern<br />
beeinflusst. Detroit passte da einfach …“<br />
Ergibt Sinn, denn wenn es eine Region<br />
gibt, die den Blues zu Recht hat, dann<br />
diese ehemaligen Industriezentren der<br />
USA. „Detroit ist schon lange nicht mehr<br />
das, was es gewesen ist, nämlich eine der<br />
mächtigsten Industriestädte der Welt. Als<br />
die Autoindustrie den Bach runterging,<br />
folgte ihr die Stadt.“ Was aber ironischerweise<br />
genau der Grund ist, warum es jetzt<br />
der richtige Ort ist, um sich als Kreativer<br />
anzusiedeln. „Die Stadt kommt langsam<br />
wieder zurück. Es herrscht heute eine<br />
wundervolle Atmosphäre und das hat etwas<br />
damit zu tun, dass so viele Menschen<br />
kommen. Es wurde nämlich wahnsinnig<br />
günstig, hier zu leben. Musiker und<br />
Künstler machen sich von überall her auf,<br />
denn woanders steigen die Mieten nur,<br />
wie in Nashville. Hier aber kann man ganze<br />
leere Lagerhäuser für wenig Geld kaufen!<br />
Überall tauchen Galerien auf, überall neue<br />
Klubs …“ Detroit <strong>2019</strong> ist ein Ort, an denen<br />
neue Szenen gedeihen können und alte<br />
ein Obdach finden. Genau wie Joannes Art<br />
von Blues-Rock.<br />
Die Gitarristin, die mit 16 von Dave Steward<br />
entdeckt und mit auf Tour genommen<br />
wurde, hat sich schon mit ihrem ersten<br />
Album vor zehn Jahren in der Blueswelt<br />
etabliert, was neben ihrem Talent auch an<br />
den speziellen Eigenschaften dieser Szene<br />
liegt. Denn eigentlich ist diese ein in sich<br />
geschlossener Kosmos für die echten Fans.<br />
„In den USA gibt es immer wieder Crossover-Künstler,<br />
John Mayer ist ja zum Beispiel<br />
ein großartiger Botschafter des Blues<br />
im Mainstream. Aber es ist eine Nische<br />
– was ich auch immer geliebt habe. Dadurch<br />
ist es wie in einer großen Familie. Und auch<br />
das Publikum ist treu, sie gehen alle Wege<br />
mit dir für die Musik.“ Denn Blues verbindet<br />
auf eine ganz eigene Art, und Blues ist kein<br />
Wettbewerb. „Ich habe einfach wunderbare<br />
Freunde in der Szene. Wir halten zusammen.“<br />
Was daran liegt, dass der Blues von<br />
seiner Ehrlichkeit und Echtheit lebt. Es<br />
werden keine Spiele gespielt, keine Charaktere<br />
erschaffen. Die Musik und die direkten<br />
Texte sind ein ungefilterter Ausdruck. „Das<br />
kann man genau so sagen! Wir haben uns<br />
wirklich in diese Musik verliebt und wir sind<br />
alle glücklich, dass wir den Blues gefunden<br />
haben. Er erlaubt, dass wir uns ausdrücken<br />
können. Es ist so schön, dass es wirklich<br />
nur um die Musik geht – und wir dürfen sie<br />
spielen!“<br />
Deswegen ist echte, neue Bluesmusik auch<br />
an sich etwas, das eher selten auf Major<br />
Labels stattfindet, da man außerhalb der<br />
Szene selten neue Märkte eröffnen kann.<br />
Doch zu Joannes eigener Überraschung hat<br />
Sony sich ihres neuen Albums angenommen.<br />
„Ich habe schon fünf Alben veröffentlicht,<br />
aber jemand von ihnen tauchte auf<br />
einem meiner Gigs auf – und zwar einer, der<br />
eine enge Verbindung zum Blues hat. Und<br />
er sprach mich an. Ich suche immer nach<br />
Veränderung, da erschien es plötzlich wie<br />
der logische nächste Schritt.“ Sony hat gut<br />
daran getan, Joanne die Tür in die Popwelt<br />
zu öffnen, und man hört, dass sie Vertrauen<br />
in ihre Musik haben, denn nach „major“<br />
im Sinne von „für die Massen zurechtgeformt“<br />
klingt nichts auf „Reckless Heart“.<br />
Hier herrscht ein rauer Sound, die Lieder<br />
klingen fast wie aus einer Jamsession oder<br />
als wären es Liveaufnahmen. „Ja, wir haben<br />
es auch praktisch so aufgenommen, was<br />
mit den großartigen Musikern, die ich habe,<br />
sehr einfach ist. Mit diesen Menschen ist<br />
eine Jamsession eigentlich gar keine! Sie<br />
brauchen nur einmal eine Idee zu hören<br />
und spucken sie wieder aus, als wäre es ein<br />
alter Klassiker, den sie schon seit Jahren im<br />
Repertoire haben.“ Deswegen ist es kein<br />
Album ausschließlich für Puristen, sondern<br />
für alle, die jenseits des Hochglanzpop<br />
wandeln wollen. Oder die dabei sind, nach<br />
Detroit umzuziehen. *fis