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rik Februar / März 2019

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FILM<br />

Yorker Klubs wie dem Copacabana. Dort<br />

hat er es immer wieder mit den unterschiedlichsten<br />

Künstlern zu tun, und von<br />

denen sind natürlich viele schwul. Womit<br />

wir wieder dabei sind, wie wichtig es ist,<br />

alle, die anders sind, nicht unbedingt auch<br />

als fremd wahrzunehmen, sondern sie als<br />

Teil der eigenen Welt zu erleben.<br />

Tony und Don haben höchst unterschiedliche<br />

Arten, mit Ungerechtigkeit<br />

und Konflikten<br />

umzugehen: der eine<br />

ziemlich konfrontativ,<br />

der andere duldsam<br />

und zurückhaltend.<br />

Wie ist Ihr eigener<br />

Ansatz?<br />

Man könnte vermutlich<br />

sagen: irgendwo dazwischen.<br />

Wenn es um mich<br />

selbst geht, dann bin ich<br />

meistens einigermaßen besonnen.<br />

Doch wenn jemand, der<br />

mir nahesteht, ungerecht behandelt<br />

wird, womöglich sogar ein Kind, dann<br />

bin ich doch sehr viel aufbrausender. Ich<br />

kann nicht still dabeistehen, wenn ich mit<br />

ansehen muss, dass jemand anderes – aus<br />

welchen Gründen auch immer – nicht für<br />

sich selbst einstehen kann oder darf.<br />

Tony Vallelonga ist nicht die erste<br />

reale Person, die Sie für einen Film<br />

verkörpern. Im Fall von „Green Book“<br />

hat nun aber auch noch sein Sohn am<br />

Drehbuch mitgeschrieben. Übernimmt<br />

man da als Schauspieler eine<br />

ganz besondere Verantwortung?<br />

Anfangs hat das natürlich schon irgendwie<br />

den Druck erhöht, dass ich nicht nur Tonys<br />

Sohn Nick, sondern auch die gesamte<br />

Großfamilie kennengelernt habe, die mit<br />

mir ihre Erinnerungen und Fotoalben<br />

geteilt haben. Nick gab mir sogar eine Kruzifix-Kette<br />

seines Vaters, die ich während<br />

der Dreharbeiten trug. Aber letztlich fand<br />

ich es unglaublich hilfreich, Nick jeden Tag<br />

am Set zu haben, denn wann immer ich<br />

Fragen hatte – und sei es auch nur, was<br />

eine einzelne Geste oder die Aussprache<br />

eines Wortes angeht – konnte ich mich<br />

an ihn wenden. Insgesamt ist es ohnehin<br />

für einen Schauspieler gar keine so große<br />

Sache, eine reale Person zu spielen. Man<br />

muss sich nur bewusst machen, dass man<br />

ihn ohnehin nie ganz exakt darstellen<br />

kann. Den Zahn hat mir David Cronenberg<br />

damals gezogen, als er mir die Rolle<br />

von Sigmund Freud gab, obwohl ich dem<br />

kein bisschen ähnlich sah. Es geht<br />

am Ende immer nur darum,<br />

das Wesen einer Person<br />

einzufangen, also<br />

sozusagen ihren<br />

Geist.<br />

Aber es muss<br />

Ihnen, der bekanntlich<br />

sehr<br />

intellektuell<br />

und belesen ist,<br />

doch schwergefallen<br />

sein, einen<br />

Mann zu verkörpern,<br />

der kulturell so wenig<br />

bewandert und naiv ist, oder?<br />

Tony ist wirklich ganz anders als eigentlich<br />

alle Figuren, die ich je gespielt habe, und<br />

ich war sehr auf der Hut, ihn nicht zur<br />

Ka<strong>rik</strong>atur eines tumben Italo-Ame<strong>rik</strong>aners<br />

zu machen. Auf den ersten Blick ist er<br />

nicht der Hellste und ziemlich unbeholfen,<br />

schließlich hat er nicht einmal die<br />

Highschool abgeschlossen. Aber er ist<br />

trotzdem sehr aufmerksam, hört zu und<br />

bekommt ganz vieles mit. Und in Sachen<br />

stolz und Sturheit unterscheidet er sich<br />

kaum von Doc Shirley. Deswegen war es<br />

nicht so, dass ich mich nicht einfühlen<br />

konnte in diese ganz andere Mentalität.<br />

Sie haben sich für die Rolle ordentlich<br />

Gewicht angefuttert ...<br />

Stimmt, und ich habe sogar während der<br />

Dreharbeiten immer noch mehr zugenommen,<br />

denn ich esse ja quasi in jeder Szene<br />

– und Mahersala Ali entpuppte sich als<br />

Kollege, der es mit seinen Dialogen sehr<br />

genau nimmt. Es kam ständig vor, dass er<br />

eine Szene noch mal von vorne anfangen<br />

wollte, was ich aus Schauspieler-Sicht<br />

natürlich unbedingt begrüßt habe. Aber es<br />

bedeutete eben auch, dass ich immer und<br />

immer wieder irgendetwas essen musste.<br />

Heißt es nicht, dass Filmessen selten<br />

wirklich schmeckt?<br />

Da hatte ich zum Glück keinen Grund<br />

zur Beschwerde. Das Fried Chicken zum<br />

Beispiel war richtig gut. Und die Sandwiches<br />

auch. Normalerweise esse ich<br />

deutlich gesünder, aber in den Wochen<br />

vor Drehbeginn hatte ich mich an das<br />

ganze fette Zeug schon gewöhnt und<br />

meinen Magen ganz gut gedehnt. Vielleicht<br />

hätte ich mir auch ein Kissen unters<br />

Hemd stecken können und nach jeder<br />

Szene alles wieder ausspucken können,<br />

aber mir war es wichtig, Tonys Statur<br />

tatsächlich ein bisschen näherzukommen,<br />

denn das Gewicht hat ja auch Einfluss auf<br />

die ganze Körpersprache, die Gesten und<br />

allgemein die Energie. Und wie gesagt: Es<br />

hat durchaus geschmeckt!<br />

Eine letzte Frage noch zu Ihrem 60.<br />

Geburtstag, den Sie gerade gefeiert<br />

haben. War das für Sie eine große<br />

Sache?<br />

Ach, nicht wirklich. Sind runde Geburtstage<br />

für mich eigentlich nie. Meinen 50.<br />

damals hätte ich sogar fast vergessen,<br />

auch weil ich gerade auf Familienbesuch in<br />

Dänemark war. Aber dann hat meine Tante<br />

eine Überraschungsparty in meinem Hotel<br />

organisiert. Ich lasse es normalerweise lieber<br />

etwas ruhiger angehen. Wobei solche<br />

Tage natürlich immer ein netter Anlass<br />

sind, mal ein bisschen zurückzublicken<br />

und über das Leben zu sinnieren. So wie<br />

ich es auch am 1. Januar immer mache.<br />

Und ich kann nicht leugnen, dass 60 sich<br />

doch irgendwie alt anfühlt. Das dachte ich<br />

auch schon, als ich 40 und dann 50 wurde.<br />

So richtig daran gewöhnt, dass ich kein<br />

Jungspund mehr bin, habe ich mich also<br />

wohl noch nicht.<br />

*Interview: Jonathan Fink<br />

„Green Book“ läuft ab dem 31.1.19<br />

im Kino

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