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FILM<br />
Yorker Klubs wie dem Copacabana. Dort<br />
hat er es immer wieder mit den unterschiedlichsten<br />
Künstlern zu tun, und von<br />
denen sind natürlich viele schwul. Womit<br />
wir wieder dabei sind, wie wichtig es ist,<br />
alle, die anders sind, nicht unbedingt auch<br />
als fremd wahrzunehmen, sondern sie als<br />
Teil der eigenen Welt zu erleben.<br />
Tony und Don haben höchst unterschiedliche<br />
Arten, mit Ungerechtigkeit<br />
und Konflikten<br />
umzugehen: der eine<br />
ziemlich konfrontativ,<br />
der andere duldsam<br />
und zurückhaltend.<br />
Wie ist Ihr eigener<br />
Ansatz?<br />
Man könnte vermutlich<br />
sagen: irgendwo dazwischen.<br />
Wenn es um mich<br />
selbst geht, dann bin ich<br />
meistens einigermaßen besonnen.<br />
Doch wenn jemand, der<br />
mir nahesteht, ungerecht behandelt<br />
wird, womöglich sogar ein Kind, dann<br />
bin ich doch sehr viel aufbrausender. Ich<br />
kann nicht still dabeistehen, wenn ich mit<br />
ansehen muss, dass jemand anderes – aus<br />
welchen Gründen auch immer – nicht für<br />
sich selbst einstehen kann oder darf.<br />
Tony Vallelonga ist nicht die erste<br />
reale Person, die Sie für einen Film<br />
verkörpern. Im Fall von „Green Book“<br />
hat nun aber auch noch sein Sohn am<br />
Drehbuch mitgeschrieben. Übernimmt<br />
man da als Schauspieler eine<br />
ganz besondere Verantwortung?<br />
Anfangs hat das natürlich schon irgendwie<br />
den Druck erhöht, dass ich nicht nur Tonys<br />
Sohn Nick, sondern auch die gesamte<br />
Großfamilie kennengelernt habe, die mit<br />
mir ihre Erinnerungen und Fotoalben<br />
geteilt haben. Nick gab mir sogar eine Kruzifix-Kette<br />
seines Vaters, die ich während<br />
der Dreharbeiten trug. Aber letztlich fand<br />
ich es unglaublich hilfreich, Nick jeden Tag<br />
am Set zu haben, denn wann immer ich<br />
Fragen hatte – und sei es auch nur, was<br />
eine einzelne Geste oder die Aussprache<br />
eines Wortes angeht – konnte ich mich<br />
an ihn wenden. Insgesamt ist es ohnehin<br />
für einen Schauspieler gar keine so große<br />
Sache, eine reale Person zu spielen. Man<br />
muss sich nur bewusst machen, dass man<br />
ihn ohnehin nie ganz exakt darstellen<br />
kann. Den Zahn hat mir David Cronenberg<br />
damals gezogen, als er mir die Rolle<br />
von Sigmund Freud gab, obwohl ich dem<br />
kein bisschen ähnlich sah. Es geht<br />
am Ende immer nur darum,<br />
das Wesen einer Person<br />
einzufangen, also<br />
sozusagen ihren<br />
Geist.<br />
Aber es muss<br />
Ihnen, der bekanntlich<br />
sehr<br />
intellektuell<br />
und belesen ist,<br />
doch schwergefallen<br />
sein, einen<br />
Mann zu verkörpern,<br />
der kulturell so wenig<br />
bewandert und naiv ist, oder?<br />
Tony ist wirklich ganz anders als eigentlich<br />
alle Figuren, die ich je gespielt habe, und<br />
ich war sehr auf der Hut, ihn nicht zur<br />
Ka<strong>rik</strong>atur eines tumben Italo-Ame<strong>rik</strong>aners<br />
zu machen. Auf den ersten Blick ist er<br />
nicht der Hellste und ziemlich unbeholfen,<br />
schließlich hat er nicht einmal die<br />
Highschool abgeschlossen. Aber er ist<br />
trotzdem sehr aufmerksam, hört zu und<br />
bekommt ganz vieles mit. Und in Sachen<br />
stolz und Sturheit unterscheidet er sich<br />
kaum von Doc Shirley. Deswegen war es<br />
nicht so, dass ich mich nicht einfühlen<br />
konnte in diese ganz andere Mentalität.<br />
Sie haben sich für die Rolle ordentlich<br />
Gewicht angefuttert ...<br />
Stimmt, und ich habe sogar während der<br />
Dreharbeiten immer noch mehr zugenommen,<br />
denn ich esse ja quasi in jeder Szene<br />
– und Mahersala Ali entpuppte sich als<br />
Kollege, der es mit seinen Dialogen sehr<br />
genau nimmt. Es kam ständig vor, dass er<br />
eine Szene noch mal von vorne anfangen<br />
wollte, was ich aus Schauspieler-Sicht<br />
natürlich unbedingt begrüßt habe. Aber es<br />
bedeutete eben auch, dass ich immer und<br />
immer wieder irgendetwas essen musste.<br />
Heißt es nicht, dass Filmessen selten<br />
wirklich schmeckt?<br />
Da hatte ich zum Glück keinen Grund<br />
zur Beschwerde. Das Fried Chicken zum<br />
Beispiel war richtig gut. Und die Sandwiches<br />
auch. Normalerweise esse ich<br />
deutlich gesünder, aber in den Wochen<br />
vor Drehbeginn hatte ich mich an das<br />
ganze fette Zeug schon gewöhnt und<br />
meinen Magen ganz gut gedehnt. Vielleicht<br />
hätte ich mir auch ein Kissen unters<br />
Hemd stecken können und nach jeder<br />
Szene alles wieder ausspucken können,<br />
aber mir war es wichtig, Tonys Statur<br />
tatsächlich ein bisschen näherzukommen,<br />
denn das Gewicht hat ja auch Einfluss auf<br />
die ganze Körpersprache, die Gesten und<br />
allgemein die Energie. Und wie gesagt: Es<br />
hat durchaus geschmeckt!<br />
Eine letzte Frage noch zu Ihrem 60.<br />
Geburtstag, den Sie gerade gefeiert<br />
haben. War das für Sie eine große<br />
Sache?<br />
Ach, nicht wirklich. Sind runde Geburtstage<br />
für mich eigentlich nie. Meinen 50.<br />
damals hätte ich sogar fast vergessen,<br />
auch weil ich gerade auf Familienbesuch in<br />
Dänemark war. Aber dann hat meine Tante<br />
eine Überraschungsparty in meinem Hotel<br />
organisiert. Ich lasse es normalerweise lieber<br />
etwas ruhiger angehen. Wobei solche<br />
Tage natürlich immer ein netter Anlass<br />
sind, mal ein bisschen zurückzublicken<br />
und über das Leben zu sinnieren. So wie<br />
ich es auch am 1. Januar immer mache.<br />
Und ich kann nicht leugnen, dass 60 sich<br />
doch irgendwie alt anfühlt. Das dachte ich<br />
auch schon, als ich 40 und dann 50 wurde.<br />
So richtig daran gewöhnt, dass ich kein<br />
Jungspund mehr bin, habe ich mich also<br />
wohl noch nicht.<br />
*Interview: Jonathan Fink<br />
„Green Book“ läuft ab dem 31.1.19<br />
im Kino