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Berliner Kurier 21.02.2019

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SERIE<br />

Nacht.Leben.Berlin<br />

KURIER erzählt die<br />

Geschichten der Nacht<br />

Der Abend beginnt mit einem<br />

Klassiker. Kerstin<br />

Strehmann (48) steht<br />

am U-Bahnhof Tierpark am<br />

Gleis der U5 in Richtung Hönow,<br />

schaut auf die Uhr und<br />

sagt: „Wir steigen auf den Zug,<br />

der in sechs Minuten kommt.“<br />

Dann blickt sie zur Anzeigetafel<br />

–dort steht: Nächster Zug in<br />

15 Minuten. Irgendetwas läuft<br />

falsch. Und das ist auch nichts,<br />

was eine Frau wie Strehmann<br />

überraschen kann. Seit neun<br />

Jahren arbeitet sie als U-Bahn-<br />

Fahrerin, sitzt auch nachts für<br />

die BT Berlin Transport im<br />

Cockpit der Züge. KURIER<br />

fuhr mit –und plauderte mit<br />

Strehmann über die Freuden<br />

und Tücken ihres Berufs.<br />

Nachts. Ein Zug.<br />

Frau Strehmann<br />

Kerstin Strehmann (48) sitzt seit neun Jahren in den<br />

Cockpits der <strong>Berliner</strong> U-Bahnen, auch in der Nacht. Der<br />

KURIER begleitete sie bei einer Fahrtauf der Linie<br />

U5 –<br />

und plauderte mit ihr über den Job im Untergrund<br />

KURIER: Frau Strehmann,<br />

sind Sie mit der Bahn hier?<br />

Strehmann: Ja, heute ja.<br />

Was passiert, wenn Ihr Zug<br />

Verspätung hat und Sie zu<br />

spät zum Dienst kommen?<br />

Dit wäre schlecht. (lacht)<br />

Schon mal vorgekommen?<br />

Nein, ich plane genug Puffer<br />

ein. Nur ganz am Anfang stand<br />

ich mal auf der falschen Seite.<br />

Ich sollte auf den Zug nach Hönow<br />

steigen, stand aber Richtung<br />

Alex. Wenn so was mal<br />

vorkommt, hupt der Fahrer auf<br />

dem Zug, damit man die Ablösung<br />

nicht verpasst.<br />

Ach, das hört man ständig.<br />

Nein, wir hupen nicht nur<br />

deshalb. Aber das ist so ein internes<br />

Ding. Man verquatscht<br />

sich ja im Pausenraum auch<br />

mal, wir sind ja nur Menschen.<br />

Sie fahren seit neun Jahren<br />

U-Bahn. Wie kamen sie dazu?<br />

In der DDR machte ich eine<br />

Lehre zur Industriekauffrau,<br />

nach der Wende arbeitete ich in<br />

Autohäusern. Dann konnte ich<br />

das Telefon und den Papierkram<br />

nicht mehr sehen. Weil<br />

ich schon immer gern Auto<br />

fuhr, dachte ich: was mit Fahren<br />

wäre nicht übel. Erst habe<br />

ich mich für die Straßenbahn<br />

beworben, aber dann fragte<br />

man mich, ob ich nicht lieber U-<br />

Bahn fahren wolle. Ich sagte Ja.<br />

Warum denn?<br />

Mein Mann ist Busfahrer bei<br />

der BVG, deshalb hatte ich immer<br />

Kontakt zu dem Job und<br />

war vorbelastet. Es hat mich interessiert<br />

–ich fand es cool, so<br />

ein Teil zu fahren. (lacht)<br />

Und warum sind Sie nicht<br />

Busfahrerin geworden?<br />

Ich mag den direkten Kontakt<br />

zu den Leuten nicht. Ich bin da<br />

vorn lieber allein.<br />

Ist das nicht einsam?<br />

Ich habe damit kein Problem.<br />

Ich fahre sehr gern auf der U5,<br />

die finden andere doof. Man<br />

sieht Natur, weil man die halbe<br />

Strecke oberirdisch fährt.<br />

Aber was machen Sie die ganze<br />

Zeit? Nur Knöpfe drücken?<br />

Wir drücken nicht nur Knöpfe.<br />

Ich gucke raus, muss ja auf<br />

Dienstantritt am U-Bahnhof<br />

Tierpark.Die Station ist der<br />

Ablösepunkt für die Linie U5.<br />

die Signale achten, aufmerksam<br />

sein. Die Weichenstellung beachten.<br />

Schauen, was in den<br />

Gleisen liegt. Manche schmeißen<br />

Fahrräder ins Gleis, direkt<br />

von der Brücke. Und ich beobachte<br />

gern Leute.<br />

Wie denn das?<br />

Ich sehe sie im<br />

Spiegel und<br />

beim Einfahren.<br />

Ich finde das interessant,<br />

wenn<br />

Leute anders gekleidet<br />

sind.<br />

Manchmal denke ich: So würde<br />

ich nicht rumlaufen. Wie die,<br />

die schwarz gekleidet sind.<br />

Gothics?<br />

Ja, da sind manche schön angezogen.<br />

Hier rennt auch einer<br />

mit Zylinder rum, Kniestrümpfen,<br />

Tasche und Stock. So Typ<br />

Karl Lagerfeld, aber jünger.<br />

Pause im Personalraum:<br />

Nach vier Stunden gibt’s<br />

einen heißen Kaffee und<br />

eine kleine Auszeit.<br />

Manchmal denke<br />

ich: So würde ich<br />

nicht rumloofen.<br />

Seit neun Jahren saust<br />

Strehmann im Zug durch<br />

die Tunnel im Untergrund<br />

der Hauptstadt.<br />

Sie gucken sich also die ganze<br />

Zeit Leute an?<br />

Na ja, muss ich ja, vor allem<br />

beim Einfahren in den Bahnhof.<br />

Sehen Sie mal, da vorn, das<br />

Mädel, das so nah an der Bahnsteigkante<br />

steht. Da muss man<br />

einschätzen, ob die Leute gucken<br />

oder was<br />

planen. Da wird<br />

einem anders.<br />

Warum?<br />

Dass jemand<br />

vor den Zug<br />

springt, ist der<br />

Alptraum jedes Fahrers. Hatte<br />

ich schon. Man wird in der<br />

Schulung natürlich darauf vorbereitet.<br />

Ich konnte mir nicht<br />

vorstellen, dass man in der Situation<br />

funktioniert.<br />

Aber man funktioniert?<br />

Ja. Notruf absetzen, Zug sichern,<br />

Passagiere evakuieren.<br />

So was kommt erst an, wenn<br />

man zur Ruhe kommt.<br />

Haben Sie es verarbeitet?<br />

Ich wusste, derjenige wollte<br />

das so –und ich hatte keine<br />

Chance, rechtzeitig zu bremsen.<br />

Es ist eine Erfahrung für<br />

sich. Wenn man sie machen<br />

muss, reicht es einmal. Aber<br />

wie gesagt: Die Ausbildung bereitet<br />

einen auch darauf vor.<br />

Was lernt man da noch?<br />

Fahren kann jeder, es ist nicht<br />

schwer. Der Zug weiß ja, wohin<br />

er muss. Aber man muss schon<br />

die technischen Sachen lernen,<br />

die ganzen Dienstvorschriften.<br />

Können Sie sich an Ihre erste<br />

richtige Fahrt erinnern?<br />

Ja, das Gefühl war toll. Wenn<br />

man die Kraft des Zuges merkt,<br />

anfährt und bremst, so richtig<br />

schwerfällig. Das fühlte sich für<br />

mich unglaublich an. Damals<br />

Nach Jahren bedient<br />

Kerstin Strehmann<br />

die Knöpfe und<br />

Schalter routiniert.<br />

war das Pult auch noch etwas<br />

Besonderes, die vielen Lampen<br />

und Knöpfe. Ich war sehr nervös,<br />

aber das war auch cool.<br />

Wie läuft Ihre Schicht ab?<br />

Ich wohne in Mahlsdorf. Für<br />

die U5 ist Tierpark der Ablösepunkt.<br />

Da steige ich auf den<br />

Zug. Dann fahre ich zwischen<br />

Alex und Hönow hin und her.<br />

Nach vier Stunden habe ich<br />

Pause, dann geht’s weiter.<br />

Fahren Sie nur U5?<br />

Nein, die BT bedient die U5<br />

und die U8. Die U8 mag ich<br />

nicht so, ich fahre lieber U5.<br />

Warum denn?<br />

Die U8 ist hektischer.<br />

Hektischer?<br />

Ja, die Leute werden immer<br />

gestresster. Es werden die Türen<br />

aufgehalten, alle rennen. Da<br />

ist es schwierig, den Überblick<br />

zu behalten. Wie auf der U5.

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