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SERIE<br />
Nacht.Leben.Berlin<br />
KURIER erzählt die<br />
Geschichten der Nacht<br />
Der Abend beginnt mit einem<br />
Klassiker. Kerstin<br />
Strehmann (48) steht<br />
am U-Bahnhof Tierpark am<br />
Gleis der U5 in Richtung Hönow,<br />
schaut auf die Uhr und<br />
sagt: „Wir steigen auf den Zug,<br />
der in sechs Minuten kommt.“<br />
Dann blickt sie zur Anzeigetafel<br />
–dort steht: Nächster Zug in<br />
15 Minuten. Irgendetwas läuft<br />
falsch. Und das ist auch nichts,<br />
was eine Frau wie Strehmann<br />
überraschen kann. Seit neun<br />
Jahren arbeitet sie als U-Bahn-<br />
Fahrerin, sitzt auch nachts für<br />
die BT Berlin Transport im<br />
Cockpit der Züge. KURIER<br />
fuhr mit –und plauderte mit<br />
Strehmann über die Freuden<br />
und Tücken ihres Berufs.<br />
Nachts. Ein Zug.<br />
Frau Strehmann<br />
Kerstin Strehmann (48) sitzt seit neun Jahren in den<br />
Cockpits der <strong>Berliner</strong> U-Bahnen, auch in der Nacht. Der<br />
KURIER begleitete sie bei einer Fahrtauf der Linie<br />
U5 –<br />
und plauderte mit ihr über den Job im Untergrund<br />
KURIER: Frau Strehmann,<br />
sind Sie mit der Bahn hier?<br />
Strehmann: Ja, heute ja.<br />
Was passiert, wenn Ihr Zug<br />
Verspätung hat und Sie zu<br />
spät zum Dienst kommen?<br />
Dit wäre schlecht. (lacht)<br />
Schon mal vorgekommen?<br />
Nein, ich plane genug Puffer<br />
ein. Nur ganz am Anfang stand<br />
ich mal auf der falschen Seite.<br />
Ich sollte auf den Zug nach Hönow<br />
steigen, stand aber Richtung<br />
Alex. Wenn so was mal<br />
vorkommt, hupt der Fahrer auf<br />
dem Zug, damit man die Ablösung<br />
nicht verpasst.<br />
Ach, das hört man ständig.<br />
Nein, wir hupen nicht nur<br />
deshalb. Aber das ist so ein internes<br />
Ding. Man verquatscht<br />
sich ja im Pausenraum auch<br />
mal, wir sind ja nur Menschen.<br />
Sie fahren seit neun Jahren<br />
U-Bahn. Wie kamen sie dazu?<br />
In der DDR machte ich eine<br />
Lehre zur Industriekauffrau,<br />
nach der Wende arbeitete ich in<br />
Autohäusern. Dann konnte ich<br />
das Telefon und den Papierkram<br />
nicht mehr sehen. Weil<br />
ich schon immer gern Auto<br />
fuhr, dachte ich: was mit Fahren<br />
wäre nicht übel. Erst habe<br />
ich mich für die Straßenbahn<br />
beworben, aber dann fragte<br />
man mich, ob ich nicht lieber U-<br />
Bahn fahren wolle. Ich sagte Ja.<br />
Warum denn?<br />
Mein Mann ist Busfahrer bei<br />
der BVG, deshalb hatte ich immer<br />
Kontakt zu dem Job und<br />
war vorbelastet. Es hat mich interessiert<br />
–ich fand es cool, so<br />
ein Teil zu fahren. (lacht)<br />
Und warum sind Sie nicht<br />
Busfahrerin geworden?<br />
Ich mag den direkten Kontakt<br />
zu den Leuten nicht. Ich bin da<br />
vorn lieber allein.<br />
Ist das nicht einsam?<br />
Ich habe damit kein Problem.<br />
Ich fahre sehr gern auf der U5,<br />
die finden andere doof. Man<br />
sieht Natur, weil man die halbe<br />
Strecke oberirdisch fährt.<br />
Aber was machen Sie die ganze<br />
Zeit? Nur Knöpfe drücken?<br />
Wir drücken nicht nur Knöpfe.<br />
Ich gucke raus, muss ja auf<br />
Dienstantritt am U-Bahnhof<br />
Tierpark.Die Station ist der<br />
Ablösepunkt für die Linie U5.<br />
die Signale achten, aufmerksam<br />
sein. Die Weichenstellung beachten.<br />
Schauen, was in den<br />
Gleisen liegt. Manche schmeißen<br />
Fahrräder ins Gleis, direkt<br />
von der Brücke. Und ich beobachte<br />
gern Leute.<br />
Wie denn das?<br />
Ich sehe sie im<br />
Spiegel und<br />
beim Einfahren.<br />
Ich finde das interessant,<br />
wenn<br />
Leute anders gekleidet<br />
sind.<br />
Manchmal denke ich: So würde<br />
ich nicht rumlaufen. Wie die,<br />
die schwarz gekleidet sind.<br />
Gothics?<br />
Ja, da sind manche schön angezogen.<br />
Hier rennt auch einer<br />
mit Zylinder rum, Kniestrümpfen,<br />
Tasche und Stock. So Typ<br />
Karl Lagerfeld, aber jünger.<br />
Pause im Personalraum:<br />
Nach vier Stunden gibt’s<br />
einen heißen Kaffee und<br />
eine kleine Auszeit.<br />
Manchmal denke<br />
ich: So würde ich<br />
nicht rumloofen.<br />
Seit neun Jahren saust<br />
Strehmann im Zug durch<br />
die Tunnel im Untergrund<br />
der Hauptstadt.<br />
Sie gucken sich also die ganze<br />
Zeit Leute an?<br />
Na ja, muss ich ja, vor allem<br />
beim Einfahren in den Bahnhof.<br />
Sehen Sie mal, da vorn, das<br />
Mädel, das so nah an der Bahnsteigkante<br />
steht. Da muss man<br />
einschätzen, ob die Leute gucken<br />
oder was<br />
planen. Da wird<br />
einem anders.<br />
Warum?<br />
Dass jemand<br />
vor den Zug<br />
springt, ist der<br />
Alptraum jedes Fahrers. Hatte<br />
ich schon. Man wird in der<br />
Schulung natürlich darauf vorbereitet.<br />
Ich konnte mir nicht<br />
vorstellen, dass man in der Situation<br />
funktioniert.<br />
Aber man funktioniert?<br />
Ja. Notruf absetzen, Zug sichern,<br />
Passagiere evakuieren.<br />
So was kommt erst an, wenn<br />
man zur Ruhe kommt.<br />
Haben Sie es verarbeitet?<br />
Ich wusste, derjenige wollte<br />
das so –und ich hatte keine<br />
Chance, rechtzeitig zu bremsen.<br />
Es ist eine Erfahrung für<br />
sich. Wenn man sie machen<br />
muss, reicht es einmal. Aber<br />
wie gesagt: Die Ausbildung bereitet<br />
einen auch darauf vor.<br />
Was lernt man da noch?<br />
Fahren kann jeder, es ist nicht<br />
schwer. Der Zug weiß ja, wohin<br />
er muss. Aber man muss schon<br />
die technischen Sachen lernen,<br />
die ganzen Dienstvorschriften.<br />
Können Sie sich an Ihre erste<br />
richtige Fahrt erinnern?<br />
Ja, das Gefühl war toll. Wenn<br />
man die Kraft des Zuges merkt,<br />
anfährt und bremst, so richtig<br />
schwerfällig. Das fühlte sich für<br />
mich unglaublich an. Damals<br />
Nach Jahren bedient<br />
Kerstin Strehmann<br />
die Knöpfe und<br />
Schalter routiniert.<br />
war das Pult auch noch etwas<br />
Besonderes, die vielen Lampen<br />
und Knöpfe. Ich war sehr nervös,<br />
aber das war auch cool.<br />
Wie läuft Ihre Schicht ab?<br />
Ich wohne in Mahlsdorf. Für<br />
die U5 ist Tierpark der Ablösepunkt.<br />
Da steige ich auf den<br />
Zug. Dann fahre ich zwischen<br />
Alex und Hönow hin und her.<br />
Nach vier Stunden habe ich<br />
Pause, dann geht’s weiter.<br />
Fahren Sie nur U5?<br />
Nein, die BT bedient die U5<br />
und die U8. Die U8 mag ich<br />
nicht so, ich fahre lieber U5.<br />
Warum denn?<br />
Die U8 ist hektischer.<br />
Hektischer?<br />
Ja, die Leute werden immer<br />
gestresster. Es werden die Türen<br />
aufgehalten, alle rennen. Da<br />
ist es schwierig, den Überblick<br />
zu behalten. Wie auf der U5.