Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
2 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 46 · 2 3./24. Februar 2019<br />
·························································································································································································································································································<br />
Report<br />
„Wir sehen<br />
uns in<br />
Berlin“<br />
Die Gruppe Berlin Aspire verkauft<br />
Wohnungen als Geldanlage ins Ausland. Für die<br />
Mieter bedeutet das oft nichts Gutes, aber das ist<br />
nur die eine Seite. Werdie andere verstehen will,<br />
muss zu den Käufern nach Israel reisen, wo<br />
Immobilien extrem teuer sind –und das Konzept<br />
Mieterschutz nahezu unbekannt ist<br />
VonGabriela Keller und Kai Schlieter<br />
Mit jeder Information<br />
wächst bei Eliav Cohn<br />
das Misstrauen. Mit<br />
jedem Monat, der vergeht,<br />
zerfällt seine Gewissheit, dass<br />
er seinen Pensionsbonus gut und sicher<br />
angelegt hat. „Wir sind ausgetrickst<br />
worden “, sagt er, „dieses Investment<br />
ist nicht, was man uns<br />
weisgemacht hat.“<br />
Eliav Cohn ist ein Mann mit<br />
grauem, dichtem Haar und schwerem<br />
Oberkörper, seine Augen liegen<br />
in tiefen Lachfalten. Er sitzt rund<br />
4000 Kilometer südöstlich der Wohnung,<br />
die er sich in Berlin gekauft<br />
hat, in einem Strandcafé irgendwo<br />
an der israelischen Küste, aber die<br />
geografische Distanz ist nicht das<br />
einzige, was zwischen ihm und seiner<br />
Immobilie liegt.<br />
Er hat sich einen Platz in der Ecke<br />
des Cafés gesucht, es ist spät, außer<br />
ihm ist niemand hier.Woerlebt, soll<br />
verschwiegen werden, Eliav Cohn ist<br />
auch nicht sein richtiger Name.<br />
Mehrere Hundert Menschen in<br />
Israel haben Wohnungen in Berlin<br />
von der Gruppe Berlin Aspire gekauft.<br />
Es ist nicht leicht, mit ihnen<br />
ins Gespräch zu kommen, nicht nur,<br />
weil die meisten ihre Geldgeschäfte<br />
lieber diskret behandeln. Sondern<br />
auch, weil sie fürchten, dass die Firmengruppe<br />
ihnen das Leben schwer<br />
machen könnte.<br />
„Alle Zügel in der Hand“<br />
Schließlich hat die Gruppe Verwaltung,<br />
Vermietung und Instandhaltung<br />
ihrer Immobilien übernommen.<br />
Wasauf den ersten Blick praktisch<br />
erschien, bedeutet für manche<br />
inzwischen auch Abhängigkeit. „Die<br />
Firma hält alle Zügel in der Hand“,<br />
sagt Eliav Cohn, „Ich habe nichts,<br />
nur den Namen meiner Mieterin.“<br />
Berlin Aspire, das klingt nach<br />
Chancen, nach großen Erwartungen.<br />
DieFirma der Gruppe,die in Israel<br />
auftritt, nennt sich schlichter:<br />
Berlin Estate. Der Name taucht bei<br />
Google auf, sobald man in Israel<br />
„Wohnung“ und „Berlin“ eingibt.<br />
Die Angebote wirken überzeugend:<br />
Wohnungen in attraktiven Gegenden<br />
Berlins,günstige Preise,dazu ein<br />
umfassendes Servicepaket.<br />
Hinzu kommt, dass die Firmengruppe<br />
Anlegern ansehnliche Erträge<br />
in Aussicht stellt: In den ersten<br />
drei Jahren sollen sie je fünf Prozent<br />
auf ihre Zahlungen oder den Kaufpreis<br />
erhalten –dieses Versprechen<br />
steht zumindest in mehrerenVereinbarungen<br />
zwischen Wohnungskäufern<br />
und der Firmengruppe, die der<br />
<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> vorliegen.<br />
Dieser Prozentsatz, aufgeteilt auf<br />
monatliche Zahlungen, kann darüber<br />
hinwegtäuschen, wie niedrig<br />
die Erträge der Wohnungen zum Teil<br />
tatsächlich sind. Für so manchen<br />
Anleger kommt deshalb nach Ablauf<br />
der Garantiephase das böse Erwachen.<br />
In Berlin hat die Firmengruppe<br />
seit 2011 mehr als 30 Häuser<br />
gekauft. In einigen davon leben Mieter<br />
noch mit Kohleöfen und ohne Badezimmer;<br />
in einer Wohnung wuchert<br />
Schimmel, in einer anderen<br />
ziehen sich Risse durch die Decke.<br />
Dafür sind die Mieten billig –oder<br />
zumindest war das bisher so.Aber zu<br />
diesen Konditionen lässt sich kaum<br />
Rendite erwirtschaften.<br />
Das ist ein Knackpunkt bei dem<br />
Geschäft. Die Folgen lassen sich in<br />
einigen der Häuser beobachten:<br />
Viele Altmieter sind inzwischen weggezogen.<br />
Stattdessen kommen Menschen,<br />
die monatsweise in möblierten<br />
Wohnungen leben –mit Quadratmeterpreisen<br />
von bis zu 30 Euro.<br />
(Die <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> berichtete.)<br />
Das ist die eine Seite der Geschichte,<br />
aber es gibt noch eine andere,<br />
und wer die verstehen will,<br />
muss fernab der Milieuschutzgebiete<br />
in Neukölln, Mitte und Moabit<br />
nach Antworten suchen. Die Frage,<br />
weshalb die Angebote der Firmengruppe<br />
Berlin AspireinIsrael gut ankommen,<br />
hat viel mit der Realität in<br />
dem Land zu tun, wo Immobilien<br />
sehr teuer sind und das Konzept<br />
Mieterschutz völlig unbekannt ist.<br />
Die <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> hat Dutzende<br />
Käufer in Israel kontaktiert.<br />
Bei den meisten handelt es sich um<br />
Kleinanleger,darunter viele Rentner,<br />
Paareoder Menschen, die eine Wohnung<br />
für ihre Kinder gekauft haben.<br />
Längst nicht alle sind unzufrieden.<br />
„Wir sind glücklich, weil die Firma<br />
sehr gut arbeitet“, sagt eine ältere<br />
Frau nahe TelAviv,die zweiWohnungen<br />
gekauft hat. „Wir haben unsere<br />
Mietgarantie erhalten, auch sonst<br />
war alles so,wie es vereinbartwar.“<br />
Es stimmt ja, dass der Wert der<br />
Wohnungen, die sie in Neukölln,<br />
Wedding oder Treptow gekauft haben,<br />
in wenigen Jahren drastisch gestiegen<br />
ist. Undnicht jeder hat es mit<br />
Mietern mit jahrzehntealten Verträgen<br />
zu tun. Es gibt aber auch Fälle,<br />
bei denen es schlecht für die Anleger<br />
läuft, weil sie nach und nach herausfinden,<br />
dass das Bild, das sie sich gemacht<br />
haben, und dieWirklichkeit in<br />
Berlin nicht übereinstimmen.<br />
„In den ersten drei Jahren erhielt<br />
ich meine fünf Prozent, und deshalb<br />
habe ich keine Fragen gestellt“, sagt<br />
Eliav Cohn, „aber danach bekam ich<br />
plötzlich nur noch ein Drittel des<br />
Geldes.“ Er wandte sich an das Büro,<br />
um Antworten zu bekommen. Inzwischen<br />
versteht er,dass dieser Betrag<br />
nun eben das ist, was nach Abzug<br />
der Kosten von der Miete übrig<br />
bleibt. Er kann damit gerade die Raten<br />
seiner Hypothek bedienen.<br />
Cohn ist vor ein paar Jahren in<br />
Rente gegangen. ZumSchluss erhielt<br />
er von seiner Firma eine Bonuszahlung.<br />
Die wollte er anlegen. Er<br />
dachte, dass er gut informiert sei: In<br />
Berlin kennt er sich aus,erwar oft geschäftlich<br />
dort. Er las Berichte über<br />
den Immobilienmarkt und hörte immer<br />
wieder, dass die Preise seit Jahrensteigen.<br />
Alles schien zu stimmen,<br />
die Aspire-Gruppe machte auf ihn<br />
einen vertrauenswürdigen Eindruck.<br />
„Sie sagten: Keine Sorge, Sie brauchen<br />
nichts selbst zu erledigen, wir<br />
kümmernuns um alles.“<br />
Cohn lehnt sich zurück, hinter<br />
ihm im Dunkel schwappt das Meer<br />
an den Strand. Dass in seiner Wohnung<br />
eine Mieterin lebt, war ihm<br />
klar, sagt er, der Mietvertrag lag ihm<br />
ja sogar vor. Womit er nicht rechnete,<br />
war, dass die Miete in den nächsten<br />
Jahren nicht steigen würde – und<br />
dass die Fixkosten so viel davon aufzehren<br />
würden. Während der Garantiephase<br />
hatte er jeden Monat 800<br />
Euro auf dem Konto.Jetzt sind es nur<br />
noch 250. Wasgenau seine Mieterin<br />
derzeit zahlt und wie sich das Hausgeld<br />
zusammensetzt, durchschaut er<br />
nicht. Er wollte seine Wohnung besichtigen,<br />
aber das habe schon zweimal<br />
nicht geklappt, sagt er, Kontakt<br />
zu der Frau habe er nicht. Er hat nun<br />
den Eindruck: „Sie bauen eine<br />
Überall im Geschäftszentrum von TelAviv wachsen neue Türme in die Höhe.<br />
Mauer zwischen mir und meiner<br />
Mieterin.“<br />
Cohn würde die Wohnung gern<br />
selbst nutzen, aber auch das geht natürlich<br />
nicht; er muss sich ein Hotelzimmer<br />
buchen, wenn er nach Berlin<br />
reist. All das war ihm nicht bewusst,<br />
als er die Wohnung kaufte,<br />
sagt er.„Ichbin jetzt viel klüger,aber<br />
ich habe meinWissen teuer bezahlt.“<br />
Einunregulierter Markt<br />
BLZ/G. KELLER<br />
DieGeschäfte der Gruppe Berlin Aspire<br />
liefen lange blendend, auch,<br />
weil es einen deutlichen Unterschied<br />
zwischen den Immobilienmärkten<br />
in Deutschland und Israel<br />
gibt. In Deutschland sind Mieter<br />
rechtlich umfassend geschützt. In Israel<br />
dagegen ist der Markt nahezu<br />
unreguliert. Das kann dazu führen,<br />
dass die Käufer die Potenziale ihrer<br />
Immobilie falsch einschätzen. Manche<br />
von ihnen fühlen sich nun<br />
schlecht beraten, aber in Israel sind<br />
solche Praktiken durchaus verbreitet:<br />
Dass die Firmengrupe zum Beispiel<br />
Wohnungen schon vermarktet,<br />
bevor die Gebäude aufgeteilt sind, ist<br />
juristisch einwandfrei –auch wenn<br />
solche Geschäfte nach Einschätzung<br />
deutscher Juristen mit großen Risiken<br />
verbunden sind.<br />
Um das Geschäftsmodell zu verstehen,<br />
hilft es,ein paar Tage in Israel<br />
zu verbringen. TelAviv ist in diesen<br />
Zeiten eine laute, schnelle, hypermoderne<br />
Metropole, die in einem<br />
gewaltigen Wandel steckt: Im Zentrum<br />
schießen an allen Ecken neue<br />
Gebäude aus Stahl und Glas aus der<br />
Erde,riesige Baugruben tun sich auf,<br />
immer neue Apartment-Blocks<br />
überlagern das Bild der traditionellen<br />
Bauhaus-Architektur.<br />
Die Universität TelAviv liegt außerhalb<br />
auf einem Hügel, von dem<br />
aus sich die Stadt gut überblicken<br />
lässt, die Kette der Wolkenkratzer am<br />
Ayalon Highway, Siedlungen, die<br />
sich in der Ferneverlieren. Professor<br />
Danny Ben Shahar, Leiter des Alrov<br />
Instituts für Immobilienforschung<br />
an der Coller-Management-Schule<br />
der Universität TelAviv, sitzt in seinem<br />
Büro und versucht, die Dynamik<br />
der Stadt in Wortezufassen.<br />
Die Preise haben sich seit 2007<br />
mehr als verdoppelt, sagt er,„im letzten<br />
Jahr ist der Aufwärtstrend erstmals<br />
abgeflacht, aber es herrscht immer<br />
noch sehr viel Nervosität auf<br />
dem Markt wegen der Frage, wohin<br />
die Preise gehen“. DiePreise im Zentrum<br />
von Tel Aviv, derzeit 10 000 bis<br />
12 000 Euro pro Quadratmeter,<br />
könnten sich allenfalls noch die oberenzehn<br />
Prozent leisten. Dabei seien<br />
die Israelis eigentlich einVolk vonEigentümern.<br />
Nur30Prozent wohnten<br />
zur Miete.<br />
Der Professor stützt sich auf seinen<br />
Schreibtisch, durch die Jalousette<br />
am Fenster schimmert der<br />
Campus: helle Gebäude zwischen<br />
Zypressen, Wiesen, Palmen. Ihn<br />
wundert esnicht, dass sich viele Israelis,<br />
der, wie er sagt, „<strong>Berliner</strong> Alternative“<br />
zuwenden. Auch die erheblich<br />
niedrigen Lebenshaltungskosten<br />
machten die Stadt attraktiv.<br />
Schon voreinigen Jahren machte ein<br />
junger Israeli Schlagzeilen, der einen<br />
Kassenbon auf Facebook postete,<br />
drei Becher Pudding für je 19 Cent –<br />
aus hiesiger Sicht ein absurd niedriger<br />
Preis. „Wir sehen uns in Berlin“,<br />
schrieb der Student. Auch Ben Shahar<br />
sagt: „Wann immer ich in Berlin<br />
in den Supermarkt gehe,bin ich völlig<br />
baff, wie wenig die Dinge kosten.“<br />
In Israel treibt die Nachfrage ausländischer<br />
Investoren die Immobilien-Preise<br />
seit Jahren massiv in die<br />
Höhe; zugleich verschärft das Bevölkerungswachstum<br />
den Platzmangel.<br />
Knapp neun Millionen Menschen leben<br />
in diesem Land, das gerade so<br />
groß ist wie Hessen, ein Drittel ist<br />
jünger als 18 Jahre.<br />
Werbung von Firmen, die Wohnungen<br />
im Ausland verkaufen, sei in<br />
Israel oft zu sehen, manche lockten<br />
sogar mit zehn- oder fünfzehnprozentigen<br />
Renditen. Solche Angebote<br />
finden ihr Publikum, auch wenn<br />
nicht alles seriös ist. Gerade beim<br />
Immobilienkauf, sagt Ben Shahar,<br />
verhielten sich Käufer generell unvernünftig:<br />
„Es gibt einige Verhaltensstudien,<br />
die das zeigen –nicht<br />
nur in Israel, überall auf derWelt: Die<br />
Leute vergessen, dass Preise auch<br />
fallen können. Sie nehmen fälschlicherweise<br />
an, dass die Investitionen<br />
in Immobilien weniger riskant sind,<br />
als sie es tatsächlich sind.“<br />
Einige der Anleger,mit denen die<br />
<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> sprach, hatten nur<br />
sehr vage Vorstellungen von ihrer<br />
rechtlichen Lage in Deutschland;<br />
auch über ihreeigene Anlage wissen<br />
sie oft wenig. Viele stören sich nicht<br />
daran. „Ich wollte eine Wohnung<br />
kaufen und dann fünfzehn Jahre<br />
lang nicht mehr daran denken“, sagt<br />
ein Anleger aus TelAviv. Sein Plan<br />
war, dass die Mieteinnahmen später<br />
einmal Teil seiner Rente sein sollen.<br />
„Israel ist ein riskantes Land, die<br />
Preise sind zu hoch. Ich habe schon<br />
eine Wohnung und einen Pensionsfonds<br />
in Israel, aber wenn hier etwas<br />
passiert, dann ist meine gesamte Alterssicherung<br />
in Gefahr.“<br />
Die Gruppe Berlin Aspire verspricht,<br />
was sich viele Anleger wünschen:<br />
Sicherheit, gute Erträge,dazu<br />
ein Rundum-Sorglos-Paket. „Eine<br />
Wohnung in Berlin zu kaufen, ist das<br />
schlaueste Investment, das du tätigen<br />
kannst“, heißt es in einem Clip<br />
auf der Unternehmenswebsite.<br />
DerWeg zu der Berlin-Estate-Unternehmensgruppe<br />
führt mitten in