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Berliner Zeitung 23.02.2019

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6** <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 46 · 2 3./24. Februar 2019<br />

·························································································································································································································································································<br />

Politik<br />

Tote und<br />

Verletzte in<br />

Venezuela<br />

Militär schießt auf Zivilisten<br />

an der brasilianischen Grenze<br />

Die Frau<br />

Präsidentin<br />

von Frankreich<br />

Brigitte Macron und der<br />

Einfluss auf ihren Mann<br />

VonMartina Farmbauer,Rio de Janeiro<br />

Venezolanische Soldaten haben<br />

das Feuer auf eine Gruppe vonZivilisten<br />

eröffnet, die versuchten, einen<br />

Teil der GrenzezuBrasilien offen<br />

zu halten, damit humanitäre Hilfe<br />

nach Venezuela gelangen kann. Mehr<br />

als 15 Menschen wurden verletzt,<br />

zwei Menschen starben. Nach Informationen<br />

der Nichtregierungsorganisation<br />

Kapé Kapé handelt es sich<br />

bei den Toten um Angehörige des<br />

Stamms der Pemón. Die indigenen<br />

Völker haben besonders unter der<br />

Versorgungskrise zu leiden.<br />

Der tödliche Zwischenfall scheint<br />

eine der bisher gewaltsamsten Auseinandersetzungen<br />

im Rahmen der<br />

Operation der venezolanischen Opposition<br />

um Interimspräsident Juan<br />

Guaidó zu sein, mit Unterstützung<br />

der USA Lebensmittel und Medikamente<br />

in das vonArmut und Hunger<br />

gezeichnete Land zu bringen. Demnach<br />

näherte sich am Freitagmorgen<br />

ein Militärfahrzeug einem Checkpoint,<br />

den die indigene Gemeinschaft<br />

in Kumarakapay im Süden Venezuelas<br />

auf einer der Hauptverbindungsrouten<br />

zwischen Venezuela<br />

und Brasilien errichtet hatten.<br />

Weiteres Blutvergießen befürchtet<br />

Als die Freiwilligen das Militärfahrzeug<br />

stoppen wollten, begannen die<br />

Soldaten zu schießen. Die brasilianische<br />

Gesundheitsbehörde bestätigte,<br />

dass fünf venezolanische Patienten,<br />

die mit zwei Ambulanzen aus Venezuela<br />

gekommen waren, im Hospital<br />

Geral deRoraima in Boa Vista, der<br />

Hauptstadt des Bundesstaates, behandelt<br />

werden. Alle fünf hatten<br />

Schussverletzungen. „Ich frage die<br />

Streitkräfte, ist es für sie mit der Verfassung<br />

vereinbar, auf unbewaffnete<br />

Indigene zu schießen?“, zitiert die<br />

Washington Post Jorge Perez, einen<br />

Gemeinderat in Gran Sabana, dem<br />

Distrikt, zu dem der Ort Kumarakapay<br />

gehört.<br />

Die Regierung um den autoritär<br />

regierenden Präsidenten Nicolás Maduro<br />

hat die Hilfsgüter, die vor allem<br />

in Cúcuta in Kolumbien lagern, blockiert<br />

und den Luft- und Seeweg zu<br />

den benachbarten karibischen Inseln<br />

sowie die Grenze zu Brasilien geschlossen.<br />

Auch auf der Militärbasis<br />

in BoaVista kamen an diesem Freitag<br />

Reis, Milchpulver, Zucker und Notfallpakete<br />

an. DieOpposition fürchtet<br />

nun weiteres Blutvergießen an diesem<br />

Sonnabend, wenn die Freiwilligen<br />

die Hilfsgüter über die Grenze<br />

nach Venezuela bringen wollen.<br />

Guaidó forderte die Militärs auf Twitter<br />

auf, sich zu entscheiden, auf welcher<br />

Seite sie in diesem entscheidenden<br />

Moment stehen würden.<br />

Exodus aus Venezuela<br />

Venezolanische Flüchtlinge und Migranten<br />

weltweit, in Millionen<br />

16,9 % der Bevölkerung 5,3<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

0,6<br />

Hauptaufnahmeländer<br />

nach Anzahl venezolanischer Flüchtlinge,<br />

in Millionen<br />

Kolumbien<br />

Peru<br />

Ecuador<br />

Argentinien<br />

Chile<br />

Panama<br />

Brasilien<br />

0,22<br />

0,13<br />

0,10<br />

0,09<br />

0,09<br />

0,5<br />

3,0<br />

0<br />

*Prognose<br />

2010 ’18 ’19*<br />

1,0<br />

BLZ/GALANTY; QUELLE: UNHCR, AFP<br />

Vertreter von Opferverbänden demonstrieren vor der Engelsburg in Rom.<br />

Im Zeichen des Kreuzes<br />

Missbrauchsopfer kritisieren an der Papst-Konferenz, dass sie nicht gehört werden<br />

VonRegina Kerner,Rom<br />

Peter Isley steht vor einem<br />

Pulk von Fernsehkameras<br />

und Reportern aus aller<br />

Welt. Hinter ihm ragt die<br />

Engelsburg auf, einen halben Kilometer<br />

entfernt tagt im Vatikan seit<br />

dem Morgen der Anti-Missbrauchsgipfel<br />

der katholischen Kirche. Isley<br />

spricht über den Priester, der ihn im<br />

Franziskaner-Internat im US-Bundesstaat<br />

Wisconsin quälte und missbrauchte,<br />

als er 13 Jahre alt war. „Er<br />

holte mich nachts aus dem Schlafsaal,<br />

wollte Oralsex. Als ich mich weigerte,musste<br />

ich im Pyjama draußen<br />

in klirrender Kälte knien, stundenlang,<br />

mit einem Besenstil unter den<br />

Knien. Irgendwann gab ich auf. Man<br />

erträgt nur ein gewisses Maß, gerade<br />

als Kind.“<br />

Isleys Mitstreiter von der internationalen<br />

Organisation ECA (Ending<br />

Clergy Abuse – Missbrauch durch<br />

Kleriker beenden) haben sich hinter<br />

ihm zu einer Mahnwache aufgereiht<br />

und halten ein Holzkreuz hoch. Es<br />

symbolisiert die körperlichen und<br />

seelischen Leiden, die ihnen die Kirche<br />

zugefügt hat. Mehrere Dutzend<br />

Opfer pädophiler Geistlicher sind<br />

nach Rom gekommen, obwohl der<br />

Vatikan sie nicht zu seiner Konferenz<br />

eingeladen hat. Sie wollen ihre Stimmen<br />

erheben, wollen, dass die Täter<br />

endlich bestraft werden. Aus den<br />

USA, Kanada, Jamaica, Mexiko, Peru,<br />

Karikaturen zeichnen ist die<br />

Kunst, Komplexes auf ein einfaches<br />

Bild einzudampfen, ohne simpel<br />

zu werden, garniert mit ironischem,<br />

bissigem Humor. Thomas<br />

Plaßmann, seit mehr als zehn Jahren<br />

Karikaturist der <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong>, gehörtohne<br />

Zweifel zu den Besten seines<br />

Fachs.<br />

Das fanden auch die Besucher<br />

der Schau „Rückblende 2018“ und<br />

verliehen Plaßmann den Publikumspreis<br />

der beliebtesten Karikatur<br />

2018. Unter dem Titel „Daheim bei<br />

AfDs“ fragt ein Junge seine Mutter:<br />

„Mama? Würde Papi mich auch im<br />

Meer treiben lassen, wenn ich zufällig<br />

in Afrika geboren wäre?“<br />

DieRückblende ist der wichtigste<br />

deutsche Wettbewerb für politische<br />

Fotografie und Karikatur. Er wird<br />

jährlich von der Landesvertretung<br />

Rheinland-Pfalz und dem Bundesverband<br />

Deutscher <strong>Zeitung</strong>sverleger<br />

ausgeschrieben.<br />

Mit Heiko Sakurai zeichnet Plaßmann<br />

regelmäßig für die Meinungsseite<br />

der <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong>. (tom.)<br />

aus Indien, dem Kongo,aus Deutschland<br />

und Polen sind sie angereist. Einer<br />

nach dem anderen tritt vor und<br />

berichtet schockierende Details.Juan<br />

Bayas aus Ecuador etwa wurde als 16-<br />

Jähriger von einem Priester als angebliche<br />

Bußübung gefoltert. „Erfesselte<br />

mich nackt an Armen und Beinen,<br />

schlug mich in die Rippen, versetzte<br />

mir Stromstöße.“ Nach Jahren<br />

erst wurde der Sadist aus dem Priesteramt<br />

entlassen, trotz hundert minderjährigen<br />

Opfern.<br />

Auch die 190 Bischöfe, Kardinäle<br />

und Ordensoberen in der Synodenaula<br />

des Vatikans waren zum Auftakt<br />

ihres Treffens mit Opfer-Schicksalen<br />

konfrontiertworden. Fünf Betroffene<br />

kamen anonym in einem Video zu<br />

Wort, darunter eine Afrikanerin, derenPfarrer<br />

sie jahrelang zu Sexund zu<br />

drei Abtreibungen zwang. An der Diskussion<br />

im Vatikan dürfen Opfer aber<br />

nicht teilnehmen. „Dabei wissen wir<br />

doch am besten, was zu tun wäre“,<br />

empört sich Peter Isley. Erist Mitbegründer<br />

der ECA-Organisation, die<br />

Initiativen aus mehr als 20 Ländern<br />

versammelt. Auch „Voices of Faith“,<br />

eine Organisation, die mehr Rechte<br />

für Frauen in der Kirche fordert, und<br />

die US-Plattform „Bishop Accountability“,<br />

die Dokumente zu Missbrauchsfällen<br />

sammelt, hat Vertreter<br />

geschickt. Siealle versuchen, eine Gegenöffentlichkeit<br />

zu schaffen. DerVa-<br />

„Warum hat er in sechs Jahren<br />

nicht gehandelt?“<br />

Peter Isley,<br />

Mitbegründer der Opfer-Organisation ECA über Papst Franziskus<br />

tikan wolle nur seine eigene Botschaft<br />

verkaufen, kritisiert Matthias Katsch<br />

von der deutschen Opfer-Initiative<br />

Eckiger Tisch.<br />

Sie organisieren Pressekonferenzen,<br />

Mahnwachen und am Samstag<br />

einen „Marsch für Null Toleranz“.<br />

Ihre Hauptforderung: Null Toleranz<br />

für pädophile Kleriker und für Bischöfe<br />

und Kardinäle,die sie decken.<br />

„Sie müssen aus dem Priesterstand<br />

entlassen werden. Dasmuss endlich<br />

im Kirchenrecht festgeschrieben<br />

werden“, sagt Peter Isley.„Null Toleranz“<br />

postuliert auch der Papst –in<br />

Worten. „Aber warum hat er in sechs<br />

Publikumspreis für Thomas Plaßmann<br />

Auszeichnung Rückblende 2018 für den langjährigen Karikaturisten der <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong><br />

DPA/GREGORIO BORGIA<br />

Jahren nicht gehandelt?“, fragt Isley.<br />

Viele der Aktivisten haben ihren<br />

Glauben verloren. DerMexikaner Alberto<br />

Athié etwa war 20 Jahre Priester.<br />

Dann kam er mit Opfern des<br />

Gründers der „Legionäre Christi“ in<br />

Kontakt, Marcial Maziel, der Hunderte<br />

Kinder missbrauchte. Athié<br />

sagt, er habe viele Briefe nach Rom<br />

geschickt. „Um mich zum Schweigen<br />

zu bringen, boten sie mir die Beförderung<br />

zum Bischof an.“ Athié<br />

trat 2003 aus der Kirche aus, Maziel<br />

wurde nie zur Rechenschaft gezogen.<br />

Peter Isley hofft immer noch auf<br />

eine Wende in der Kirche. Und er<br />

hofft, dass Papst Franziskus sich in<br />

diesen Tagen mit den „Survivors“<br />

trifft, sie anhört. „Er ist der einzige<br />

wichtige Gesprächspartner in dieser<br />

Kirche.“ Laut Vatikan ist kein Treffen<br />

geplant.<br />

In der Eröffnungsrede hat Franziskus<br />

betont, der Gipfel müsse konkrete<br />

Ergebnisse bringen. Als Denkanstoß<br />

ließ er eine Liste mit 21 Punkten<br />

verteilen. Doch unter den Aktivisten<br />

glaubt keiner an große<br />

Fortschritte. Die Rom-Reise hat sich<br />

für sie trotzdem gelohnt. Wegen der<br />

Medienberichte erhalten sie täglich<br />

Emails und Anrufe von Menschen,<br />

die nie zuvor darüber gesprochen<br />

haben, was Geistliche ihnen antaten.<br />

„Wenn nichts anderes auf diesem<br />

Gipfel passiert, als dass Opfer andere<br />

Opfer erreichen, dann ist das schon<br />

ein enormer Erfolg“, sagt Peter Isley.<br />

VonBirgit Holzer,Paris<br />

Vor knapp zwei Jahren gewann<br />

Emmanuel Macron, bis dahin<br />

wenig bekannt, quasi im Alleingang<br />

an der Spitze seiner eigenen Bewegung<br />

die Präsidentenwahl. Das<br />

heißt, nicht ganz allein, sondernmit<br />

seiner Frau Brigitte. „Ohne sie wäre<br />

ich nicht ich“, würdigte der 40-Jährige<br />

sie damals öffentlich. Genau so<br />

sehen es auch Ava Djamshidi und<br />

Nathalie Schuck. Die Reporterinnen<br />

der <strong>Zeitung</strong> Le Parisien haben in vielen<br />

Gesprächen mit Ministern, Beratern,<br />

Vertrauten des Ehepaars Macron<br />

die Rolle der Première Dame erforscht.<br />

Das Urteil spiegelt sich im<br />

Titel ihres Buchs über Brigitte Macron<br />

wieder, „Madame La<br />

Présidente“: „IhreBedeutung für ihn<br />

kann gar nicht überschätzt werden.<br />

Er verdankt ihr alles.“ Jeden Abend<br />

beim gemeinsamen Essen besprechen<br />

sie seine Politik –Brigitte Macron<br />

redet mit und gerät so in direkte<br />

Konkurrenz zu seinen Beratern, wie<br />

das Buch schildert: Diese können sie<br />

nicht leiden.<br />

Ihre romantische Liebesgeschichte<br />

diente Macrons Image im<br />

Wahlkampf, der sich als Kandidat<br />

außerhalb des „Systems“ präsentiert<br />

hatte.„Doch er hat Elitehochschulen<br />

absolviert und einen perfekten Lebenslauf“,<br />

sagt AvaDhamshidi. „Das<br />

Einzige, womit er wirklich Normen<br />

brach, ist seine 24 JahreältereFrau.“<br />

Präsident Emmanuel Macron und seine<br />

erste Kritikerin, Ehefrau Brigitte AP/CAMUS<br />

Macron war Schüler eines katholischen<br />

Gymnasiums im nordfranzösischen<br />

Amiens, als er der verheirateten<br />

40-jährigen Lehrerin und Leiterin<br />

der Theatergruppe begegnete.Gegen<br />

alle Konventionen entschied sie sich<br />

für den aufstrebenden jungen Mann,<br />

unterstützte ihn als eine Art Coach.<br />

Bisheute übt sie mit ihm Auftritte ein<br />

wie damals im Schultheater. Unerbittlich,<br />

sogar autoritär rede sie mit<br />

ihm, sagt Nathalie Schuck. „Und er<br />

will in ihren Augen glänzen.“<br />

Als direkte, herzliche, starke Frau<br />

wird Brigitte Macron beschrieben,<br />

die mit ihrer Rolle im Élysée-Palast,<br />

der auf sie wie eine „Festung“ wirkt,<br />

zu kämpfen hat. Mitden Anfeindungen,<br />

dem Spott über ihr Alter, den<br />

verletzenden Gerüchten über die angebliche<br />

Homosexualität ihres Mannes:<br />

„Das rührt allein vom Altersunterschied<br />

her und ist schlicht frauenverachtend“,<br />

sagt Ava Djamshidi.<br />

Umso mehr und auf seinen Wunsch<br />

hin hebe Brigitte Macron ihreAttraktivität<br />

einer reiferen Frau hervor,<br />

zeige ihreschlanken Beine,setzeauf<br />

ihre positive Ausstrahlung. Der Luxuskonzern<br />

LVMH (Louis Vuitton<br />

Moët Hennessy) leiht ihr Garderobe<br />

für ihreöffentlichen Auftritte als Botschafterin<br />

der französischen Mode.<br />

Sie setzt höchste Maßstäbe an sich<br />

selbst an, will keinen Fehler machen.<br />

„Wenn ich im Ausland einen Faux<br />

Pas begehe, wird man sagen: Ah, die<br />

Franzosen!“, beschreibt Brigitte<br />

Macron selbst ihre Verantwortung.<br />

Viele der 200 Briefe,die sie täglich erhalte,beantworte<br />

sie persönlich, besuche<br />

regelmäßig deren Absender<br />

und dient als Bindeglied zum Staatschef.<br />

Hebt er zu sehr ab,bekommt er<br />

einen Rüffel vonseiner Frau.

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