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Berliner Zeitung 23.02.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 46 · 2 3./24. Februar 2019 3· ·<br />

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Report<br />

DIE ASPIRE-STORY TEIL III<br />

Videos, Podcast und die<br />

Netzwerkgrafik der Aspire<br />

Gruppe finden Sie im Netz. Mit<br />

dieser Folgeendet die Serie.<br />

ILLUSTRATION: BERLINER ZEITUNG<br />

das Geschäftszentrum von Tel Aviv,<br />

in ein hohes, anthrazit-graues Gebäude,<br />

das nahe dem TelAviv Museum<br />

of Art aufschießt. Neben der<br />

Ado Holdings Ltd, bei der die Fäden<br />

der Gruppe zusammenlaufen, liegen<br />

Repräsentanzen des Auktionshauses<br />

Christie’s,von Boeing und der japanischen<br />

Botschaft. Ringsum schiebt<br />

sich der Verkehr über mehrspurige<br />

Straßen; rechts und links erheben<br />

sich Wolkenkratzer, vielstöckige<br />

Shopping-Malls,Hoteltürme,dazwischen<br />

ragen gewaltige Baukräne in<br />

den Himmel.<br />

„Preise wie in NewYork, Einkommen<br />

wie in Detroit“ –sobeschreibt<br />

es eine TelAviver Journalistin. Gerade<br />

junge Leute können sich die<br />

Stadt kaum noch leisten. Der Mietmarkt<br />

ist ohne Sicherheit. Meist<br />

werden Verträge nur über ein Jahr<br />

ausgestellt, ohne Garantie auf Verlängerung.<br />

Auch langjährige Mieter<br />

können jederzeit rausfliegen. Eine<br />

Mietpreisbremse gibt es nicht, verbindliche<br />

Mietspiegel auch nicht.<br />

London verpasst,Tel Aviv verpasst<br />

„Ich habe mehrmals am Ende eines<br />

Jahres erlebt, dass ich plötzlich 50<br />

Prozent mehr Miete zahlen sollte“,<br />

sagt Nir Levy, „dann habe ich mich<br />

auf dem Marktumgesehen und festgestellt,<br />

dass mir nichts anderes übrigbleibt,<br />

als das zu bezahlen.“ Levy,<br />

ein schlaksiger Mann Mitte 40 im<br />

braunen Anzug, hat sich auf einer<br />

Bank voreinem kleinen Café in einer<br />

ruhigen Seitenstraße niedergelassen.<br />

Vorihm flitzen junge Leute auf<br />

Elektrorollernvorbei, hinter ihm sitzen<br />

die Gäste des Cafés über ihre<br />

Macbooks gebeugt.<br />

Levy ist nun selbst Vermieter; er<br />

gehört zu den Anlegern, die eine<br />

Wohnung vonder Gruppe Berlin Aspire<br />

gekauft haben. Fragt man ihn,<br />

wie er die Nachfrage nach den <strong>Berliner</strong>Wohnungen<br />

erklärt, holt er etwas<br />

weiter aus.Erüberlegt, dann sagt er:<br />

„Ich glaube,als Jude,vor allem als Israeli<br />

ist man sich nie ganz sicher. Es<br />

ist sich niemand wirklich sicher, wie<br />

lange das hier gut geht.“ Dashier,das<br />

ist der Staat Israel. Viele Menschen<br />

hier suchten sich lieber ein zweites<br />

Standbein, einen zweiten Pass und<br />

am besten auch eine Unterkunft in<br />

einem anderen Land. Levy sagt: „Es<br />

war für uns ausschlaggebend zu sagen:<br />

Wirhaben eine kleine Wohnung<br />

in Berlin, wo eins der Kinder hingehen<br />

kann, um zu studieren.“<br />

Levy –auch er heißt eigentlich<br />

anders –spricht akzentfrei Deutsch.<br />

Er ist in Berlin geboren und aufgewachsen.<br />

Vorrund acht Jahren begann<br />

er,nach einer Wohnung zu suchen,<br />

und als er auf die Website der<br />

Gruppe Berlin Aspire stieß, überlegte<br />

er nicht lange –erhatte Sorge,<br />

zu spät zu kommen. Wieder einmal.<br />

Levy hat in den Neunzigerjahren in<br />

London studiert und sah dort<br />

Preise,die ihm damals schon irrsinnig<br />

vorkamen. Als er später nach Tel<br />

Aviv zog, dämmerte ihm, dass er<br />

sich auch hier nichts mehr würde<br />

leisten können: „London haben wir<br />

verpasst, Tel Aviv haben wir verpasst“,<br />

in Berlin sollte ihm das nicht<br />

noch einmal passieren.<br />

Anders als die meisten anderen<br />

Käufer wusste Levy,was der deutsche<br />

Mieterschutz vorgibt. Er arbeitet<br />

selbst in der Baubranche. Dass mit<br />

dem Modell der Aspire-Gruppe Risiken<br />

verknüpft sind, war ihm bewusst.<br />

Dennoch bereut er den Kauf der<br />

Wohnung nicht. Nureins hat ihn geärgert.<br />

Vor ein paar Jahren schrieb<br />

ihm seine Mieterin einen Brief. Sie<br />

warf ihm vor, die Gentrifizierung in<br />

Berlin voranzutreiben. Nir Levys Gesicht<br />

nimmt einen harten Zugan. „Es<br />

war ein unverschämter Brief“, sagt er.<br />

Ihn irritiert der Zorn, der aus dem<br />

Schreiben sprach. Generell kann er<br />

nichts anfangen mit den Protesten<br />

gegen Mietsteigerungen in Berlin, der<br />

Schärfe der Debatte. Manchmal<br />

kommtihm das alles ignorant vor.<br />

Er deutet zwischen die niedrigen<br />

Wohnblocks gegenüber, Betonquader<br />

mit Balkonen und Palmen im<br />

Vorgarten, er lebte früher ganz in der<br />

Nähe. Die Nachbarin unter ihm in<br />

der Wohnung war 95 Jahre alt und<br />

sprach nur Deutsch, sagt er:Sie kam<br />

aus Pankow, wo sie ein großes Haus<br />

besessen hatte.„Diese Leute,die vertrieben<br />

wurden“, sagt er,„deren Enkel<br />

kaufen nun Wohnungen in Berlin,<br />

zumindest teilweise.“ Er lässt<br />

den Gedanken in der Luft hängen,<br />

eine Schlussfolgerung zieht er nicht.<br />

Deutlich wird nur sein Gefühl,<br />

dass es um mehr geht als um eine<br />

Debatte um soziale Verdrängung.<br />

Levy macht sich auf den Weg. Im Gehen<br />

wendet er noch einmal den Kopf<br />

und sagt: Es sei ja toll, dass die Mieter<br />

in Berlin lange Zeit so günstig leben<br />

Die Gruppe: Die vonAdi Keizman gegründete<br />

Berlin Aspire agiertseit 2012 am <strong>Berliner</strong><br />

Markt. Sie ist darauf spezialisiert, Häuser<br />

günstig zu kaufen, schnell in Eigentumswohnungen<br />

umzuwandeln und zumeist an israelische<br />

Anleger zu verkaufen.<br />

Die Mieter: Sie haben nicht selten das<br />

Nachsehen. Häuser und Wohnungen sind oft<br />

in verbesserungswürdigem Zustand. Viele<br />

Preise wie in NewYork, Gehälter wie in Detroit<br />

konnten, „aber irgendwann fangen<br />

die Dinge an, sich zu verändern“.<br />

Aufder Website der Berlin Aspire<br />

Gruppe sind Fotos vom Reichstag,<br />

der Humboldt-Universität, vom<br />

Brandenburger Torzusehen, hübsche<br />

bunte Bilder, wie gemacht für<br />

einen Werbeprospekt. Siezeigen nur<br />

einen Ausschnitt des Ganzen. Von<br />

den Straßen, in denen die Aspire-<br />

Häuser liegen, ist auf derWebsite wenig<br />

zu sehen außer den vorteilhaft<br />

abgelichteten Gründerzeithäusern.<br />

Die Firma hat vor allem in sozial<br />

abgerutschten Straßenzügen gekauft,<br />

in Teilen vom Wedding, Moabit<br />

und Neukölln. DieMenschen, die<br />

in den Häusern wohnen, wissen oft<br />

nichts von den Eigentümern ihrer<br />

Wohnung. Und viele Käufer kennen<br />

DIE ASPIRE-STORY<br />

fühlen sich eingeschüchtertund beklagen<br />

sich über ständig neue Mieter,die für Wohnungen<br />

auf Zeit zum Teil Preise vonüber 30<br />

Euro pro Quadratmeter bezahlen.<br />

Die Recherche: Dutzende Mieter und israelische<br />

Anleger wurden interviewt, Tausende<br />

Seiten Akten ausgewertet, um das Geschäftsmodell<br />

zu verstehen.Fragen &Hinweise:<br />

Berlin.investigativ@dumont.de<br />

BLZ/G. KELLER<br />

weder den Kiez noch ihr Haus. Für<br />

sie ist ihre Wohnung abstrakt und<br />

fern, eben eine reine Geldanlage.<br />

Inwieweit sie davon profitieren,<br />

ist unterschiedlich. Bei manchen<br />

brachen die Erträgenach den ersten<br />

drei Jahren drastisch ein. Andere<br />

wie Nir Levy sagen, dass sie kaum<br />

einen Unterschied merken. Es gibt<br />

auch Käufer, die das Modelll Berlin<br />

Aspire zu nutzen verstehen, Anleger,<br />

die sechs, sieben Wohnungen<br />

quer durch Berlin verteilt gekauft<br />

haben –oder zum Teil nach einigen<br />

Jahren mit einem Plus von 40Prozent<br />

wieder verkaufen.<br />

In etlichen Kaufverträgen, die die<br />

<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> eingesehen hat,<br />

steht immer die gleiche Klausel:„Der<br />

Käufer erklärt, er hatte die Gelegen-<br />

heit, Grundstück, Gebäude und<br />

Wohnungen eingehend zu besichtigen.“<br />

Die Firma hafte deshalb nicht<br />

für Sachmängel. Ansprüche auf<br />

Schadenersatz sind ausgeschlossen.<br />

Aber viele der israelischen Käufer<br />

haben ihre Wohnung vor dem Kauf<br />

nicht angesehen, auch Moshe Rubin<br />

nicht: Er ging davon aus, dass es<br />

nicht wichtig sei, er vertraute den<br />

Zusagen der Berlin AspireGruppe.<br />

Rubin, der auch anonym bleiben<br />

will, lebt mit seiner Frau in einem ruhigen<br />

Städtchen im Hinterland von<br />

TelAviv, ineiner Gasse voll glatter<br />

Apartmenthäuser. Der Weg führt<br />

vorbei an eingerüsteten Rohbauten<br />

und Bauzäunen, auf denen die Simulationen<br />

der Projektentwickler zu<br />

sehen sind, makellose Fassaden,<br />

quietschblauer Himmel.<br />

Moshe und Miriam Rubin sitzen<br />

auf der Couch inihrem Wohnzimmer,<br />

zwei ältere Leute, ermit Karohemd<br />

und Brille, sie mit rotbraun<br />

getönten Haaren und Steppweste.<br />

„Wir haben Berlin ein paar Mal besucht<br />

und mochten es sehr“, sagt<br />

sie. „Da kam uns die Idee, dass wir<br />

gerne eine Wohnung hätten, um<br />

dort den Sommer zu verbringen.“<br />

Lange nachgedacht über den Kauf<br />

haben sie nicht, räumen sie ein, sie<br />

waren sich keines Risikos bewusst;<br />

auch die Verträge haben sie nicht im<br />

Detail gelesen.<br />

Sieeilt nach hinten in die Küche,<br />

um Kaffee und einen Teller mit süßem<br />

Gebäck zu holen; beide sind<br />

höflich und freundlich. Nureine Bedingung<br />

haben sie vorher festgelegt:<br />

DieFirmengruppe Berlin Aspirewollen<br />

sie nicht kritisieren.<br />

Diebeiden Rentner sind verunsichert,<br />

aber sie scheuen sich, dem<br />

Gründer der Firmengruppe Vorwürfe<br />

zu machen. „Adi Keizman ist<br />

ein aggressiver Verkäufer“, so formuliert<br />

esRubin, „aber wirklich betrogen<br />

hat er uns nicht.“<br />

In ihrer <strong>Berliner</strong> Wohnung lebt<br />

eine Frau, deren Mietvertrag aus<br />

den Neunzigerjahren stammt. Die<br />

zahlt eine Miete vonfünf oder sechs<br />

Euro pro Quadratmeter. Das wussten<br />

sie zwar. Nur gingen sie davon<br />

Gabriela Keller<br />

war beeindruckt vomvielfältigen<br />

Stadtbild in TelAviv.<br />

aus, dass es nicht schwer sein<br />

würde,die Frau loszuwerden. So zumindest<br />

haben sie die Mitarbeiter<br />

der Firmengruppe Berlin Aspire<br />

verstanden: Sie dachten, man<br />

müsste ihr nur ein paar Tausend<br />

Euro anbieten.<br />

Die beiden wissen nun, dass sie<br />

sich geirrthaben. Rubin sagt, er habe<br />

der Mieterin 50 000 Euro geboten,<br />

damit sie auszieht. Sie lehnte ab.<br />

„Die zahlt Peanuts“, ruft er aufgebracht,<br />

„die Deutschen tun immer,<br />

als wenn sie keine höheren Mieten<br />

verkraften, aber manche sind wohlhabende<br />

Leute.“ Nun wartet er, bis<br />

ihr Mieterschutz abgelaufen ist, von<br />

zehn Jahren sind fünf um.<br />

Im Moment aber können sie weder<br />

vornoch zurück. Siekönnen die<br />

Wohnung nicht selbst nutzen. Und<br />

auch ein Verkauf ist nicht so leicht<br />

bei einer Wohnung, in der eine Altmieterin<br />

lebt. Moshe Rubin hat bei<br />

einem Makler in Berlin angefragt,<br />

dort sagte man ihm, dass er vielleicht<br />

225 000 Euro erlösen könnte,<br />

das sind gerade zehn Prozent mehr,<br />

als er selbst vor fünf Jahren bezahlt<br />

hat, sagt er bitter, „also fast gar<br />

nichts“.<br />

Immer mehr Ungewissheiten<br />

Er und seine Frau hatten keine Ahnung<br />

von den Mieterschutz-Regelungen<br />

in Berlin; so ganz erschließt<br />

sich ihnen die Rechtslage bis heute<br />

nicht. „Deutschland ist sozialistisch“,<br />

murmelt Rubin. Er und seine<br />

Frau haben versucht, sich zu informieren,<br />

aber je mehr sie herausfanden,<br />

umso mehr stellten sie fest, wie<br />

wenig sie Bescheid wissen. „Immer,<br />

wenn wir uns mit der Sache befassen,<br />

kommt noch etwas Neues<br />

dazu“, sagt Miriam Rubin. „Es wird<br />

komplizierter und komplizierter.“<br />

Das Haus mit ihrer Wohnung<br />

steht im Norden von Neukölln nahe<br />

dem Paul-Linke-Ufer. Der hellgelbe<br />

Anstrich ist schmuddelig, da und<br />

dort blättert der Putz. Im Innenhof<br />

steht ein toter Baum. Es ist früh am<br />

Abend, nur vereinzelt sind Fenster<br />

beleuchtet. Auf vielen der Klingelschilder<br />

stehen keine Namen mehr.<br />

Kai Schlieter<br />

war erstaunt, wie ausgetüftelt<br />

Aspires Modell ist.

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