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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 57 · 9 ./10. März 2019 – S eite 24 *<br />
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Sport<br />
Mit allen Pferdestärken<br />
Natürlich will Hertha die Europapokalplätze erreichen, nur sagen kann das offiziell (noch) niemand.<br />
Worauf es nun ankommt? Auf gesunde Spieler,Heimatgefühle und eine möglichst gerade Formkurve.<br />
Ein Aufgalopp zum Saisonfinale<br />
VonPaulLinke<br />
Gute Reise: Seit ein paar Wochen hat die Mannschaft viel Spaß mit einem Cart, der eigentlich der Medizinabteilung gehört.<br />
JÜRGEN ENGLER<br />
Der Plan ist klar: „Zehn<br />
Spiele, dreißig Punkte, so<br />
viele wie möglich einsammeln,<br />
und dann mal<br />
schauen, zu was es reicht am Ende.“<br />
Sagte Manager Michael Preetz vorder<br />
Auswärtsfahrt nach Freiburg. Für<br />
Hertha beginnt dort amSonnabend<br />
um halb vier die Reise nach Europa –<br />
oder wo soll es hingehen?<br />
Das Saisonziel: An einem Donnerstag<br />
im August, die Saison war 34 Spieltage<br />
vom Ziel entfernt, sagte Preetz: „Wir<br />
wollen Meister werden. Alles andere<br />
wäre für uns eine große Enttäuschung.“<br />
An einem Sonnabend im<br />
März darf man behaupten: Hertha<br />
wird wohl nicht mehr Meister. Enttäuscht<br />
kann aber nur jemand sein,<br />
der den Manager Preetz ernst genommen<br />
hat. Denn natürlich war das damals<br />
ein Scherz; und in Wahrheit<br />
heißt das Minimalziel: Platz neun. Aktueller<br />
Zwischenstand: Platz neun.<br />
Maximal dachte nur ein Stimmberechtigter<br />
bei der freien und geheimen<br />
Wahl zum offiziellen Saisonziel,<br />
auf seinem Wahlzettel stand Champions<br />
League.„Leider“, sagteWahlleiter<br />
Preetz, „hat er damit keine Mehrheit<br />
gefunden.“ Werimvergangenen<br />
Sommer das ambitionierteste Saisonziel<br />
aufgeschrieben hatte,ist nicht<br />
bekannt. Vielleicht war es auch gar<br />
nicht so ernst gemeint. Vielleicht ist<br />
Hertha einfach der witzigste Klub der<br />
Welt. Einen Minderheitssprecher gibt<br />
es aber schon. „Ich persönlich habe<br />
immer gesagt“, sagtValentino Lazaro,<br />
„dass wir eine Mannschaft mit Potenzial<br />
für den Europacup haben.“<br />
Potenziert man diese ernsten (?)<br />
Wortemit den Eindrücken aus bisher<br />
24 Spieltagen, ergibt das in der Saisonzielrechnung<br />
einen aufholbaren<br />
Rückstand vonvier Punkten auf Platz<br />
sechs; auf Platz eins sind es neunzehn.<br />
Rechnerisch ist der Meistertitel<br />
noch möglich, könnte man auch behaupten.<br />
Doch damit würde man riskieren,<br />
vom Saisonzielwitzbold<br />
Preetz ausgelacht zu werden.<br />
Das Restprogramm: An diesem Sonnabend<br />
beginnt in Essen die einwöchige<br />
Equitana, die größte Pferdemesse<br />
der Welt, und für die letzten<br />
Besucher des angrenzenden Lichtfestivals<br />
Parkleuchten ist das schon ein<br />
Problem. Die Lokalmedien warnen<br />
bereits: „Beim Restprogramm könnten<br />
Parkplätzeknapp werden.“<br />
In Berlin, wo an normalen Spieltagen<br />
kein Parkplatzmangel herrscht,<br />
beginnt in einerWoche das Heimrestprogramm<br />
mit dem Auftritt gegen<br />
Dortmund. Das bereits ausverkaufte<br />
Olympiastadion ist eine Anomalie.Es<br />
könnte also eng werden. Eine platzsparende<br />
Anreise mit dem Pferdist sicherlich<br />
vonVorteil.<br />
Ansonsten erwartet Hertha noch<br />
Düsseldorf, Hannover, Stuttgart und<br />
saisonfinal Leverkusen, die restprogrammatischen<br />
Auswärtsreisen führen<br />
nach Freiburg, Leipzig, Hoffenheim,<br />
Frankfurt, Augsburg. Pferdefreunde<br />
wollen jetzt wissen: Waserwartet<br />
die Besucher der Equitana?<br />
Neben dem Messestand „Pferdeland<br />
Österreich“, dem ein Gastauftritt<br />
eines bekennenden Proeuropäers<br />
wie Valentino Lazaro sicherlich guttun<br />
würde, scheinen zwei Podiumsdiskussionen<br />
von besonderem Interesse<br />
zu sein. Sollte bereits eine Niederlage<br />
in Freiburg alle inoffiziellen<br />
Europokalpläne durchkreuzen wie<br />
ein kaltblütiges Dressurpferd dieTraversale,empfiehlt<br />
sich „Wege aus der<br />
Mistfalle –Kompostierung im Stall“;<br />
im Erfolgsfall „Denkt mein Pferd –<br />
und wenn ja, was?“ Da könnten alle<br />
Spieler etwas über die Richtung Saisonziel<br />
galoppierenden Gedanken<br />
von Pal Dardai erfahren. Ihr Trainer<br />
ist ein Mann mit intensivem Stallgeruch,<br />
der gerne von sich behauptet:<br />
„Ich bin ein wilder Hengst.“<br />
Der Krankenstand: Über das emotionale<br />
Wechselverhältnis zwischen Verletzungspech<br />
und Comebackglück<br />
sollte mal jemand eine Doktorarbeit<br />
schreiben. Lesen lässt sich zunächst<br />
nur eine Statistik, in der die Zahl 1003<br />
eine Hauptrolle spielt. So viele Fehltage<br />
hatte Hertha in der Hinrunde angehäuft.<br />
Beieiner Kaderstärke von35<br />
Mann ergab sich daraus eine durchschnittliche<br />
Verletzungszeit von 28,7<br />
Tagen und im Ligavergleich ein nicht<br />
ganz so enttäuschender Platz zehn.<br />
Einen aktuellen Zwischenstand gibt<br />
es auf Fußballverletzungen.de leider<br />
nicht. Vielleicht Platz neun. Aber nur<br />
wenn Pferdeküsse nicht zählen.<br />
Der immer wieder zu systemischen<br />
Korrekturen gezwungene Dardai<br />
sprach zuletzt immer öfter über<br />
die Leiden eines Puzzlespielers und<br />
über Bausteine, als hätte er einen<br />
„Wir wollen Meister werden.<br />
Alles andere wäre für uns<br />
eine große Enttäuschung.“<br />
Michael Preetz nach der Wahl zum offiziellen Saisonziel von Hertha BSC.<br />
Der Manager ist damit ein heißer Anwärter auf den zweitlustigsten Spruch des Jahres.<br />
„1892 Hertha Dampfer“ von Lego<br />
Technic geschenkt bekommen, den<br />
mit dem Aktienverbrennungsmotor.<br />
„Mit Lego kannst du alles bauen, das<br />
du dir vorstellen kannst“, sagt Konzernchef<br />
NielsChristiansen.<br />
Dardai muss viel Vorstellungskraft<br />
aufbringen, um aufzubauen, was andere<br />
ihm kaputttreten. Wahrscheinlich<br />
auch in Freiburg, wenn er Davie<br />
Selke, den Mann mit den tausend<br />
Pferdestärken, ersetzen muss.Dessen<br />
Saisonfehltage summieren sich auf<br />
49; erinnertsei an seinen Lungenriss.<br />
Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen<br />
Sie Selkes Vortragsreihe „Ich<br />
dachte: Wie soll ich je wieder spie-<br />
len?“ über Verletzungspech und Comebackglück<br />
und fragen Sie seinen<br />
Arzt oder Apotheker.<br />
Die Gefühlslage: Ein Schwarzweißvideo<br />
aus der Wurfhöhle des <strong>Berliner</strong><br />
Tierparks zeigte vor wenigen Tagen,<br />
dass das Eisbärmädchen kaum vom<br />
Ball zu trennen ist. Für einen witzigen<br />
Verein wie Hertha ist das ein willkommener<br />
Anlass,twitterzwitschernd dazwischenzugrätschen.<br />
„Deine Einschätzung,<br />
@paldardai?“, fragte ein<br />
Klubvogel den anderen. „Ganz viel<br />
Gefühl am Ball. Musst du verpflichten,<br />
@michaelpreetz!“ Und der Eisbärjäger<br />
ließ ausrichten: „Angebot<br />
liegt dem Tierpark vor! Malsehen,ob<br />
es dererste Transfer für die neue Saison<br />
wird.“ Wiralle haben ja nicht vergessen:<br />
#dieZukunftgehörtBerlin.<br />
Ob MarkoGrujic in Zukunft Berlin<br />
gehören kann, ist eine Frage, dieauch<br />
vom Saisonzieleinlauf abhängt. Der<br />
Leihspieler des FC Liverpool hat die<br />
Finesse eines Eisbärmädchens und<br />
dieWucht vondreiKaltblütern. Grujic<br />
istDardais vielseitigster Legostein im<br />
Mittelfeld. Doch wegen der langen<br />
Ausfallzeit –82Tage,zehn Ligaspiele –<br />
war der Trainer dort zu statischen<br />
Umbauten gezwungen. Voneinigen<br />
Wacklern abgesehen wirkt das Gesamtkonstrukt<br />
zurzeit stabil.<br />
Nach Stand der Dinge ist Grujics<br />
Verbleib auch vonseiner Gefühlslage<br />
abhängig. Immerhin sagt er: „Ich<br />
fühle mich willkommen und habe<br />
Spaß am Fußball.“ Wäreereine Aktie,<br />
könnte Hertha die enttäuschten<br />
Dampferfreunde entschädigen. Grujicist<br />
fast immer auf Kurs,ernavigiert<br />
sein Team und gilt als nahezu unsinkbar<br />
im gegnerischen Pressingwellen<br />
ausgesetzten Spielaufbau.<br />
Die Formkurve: Die Form folgt der<br />
Funktion, schrieb der große Hochhausarchitekt<br />
Louis Sullivan 1896,<br />
also knapp vier Jahrzehnte, bevor<br />
Lego den ersten kleinen Grundstein<br />
legte.ImFußball folgt die Form einer<br />
Kurve, und was Hertha angeht, ist<br />
diese KurveausTradition sehr nervös.<br />
Sie zuckt nach oben, dann sackt sie<br />
wieder nach unten; wie die Mundwinkel<br />
eines Kleinkinds, wenn es<br />
beim Legoturmbau lernt, dass die<br />
Form auch mal der Schwerkraft folgen<br />
kann. Dardai wünscht sich deshalb<br />
mehr Konstanz im Saisonfinale.<br />
Undamliebsten wäreihm wohl eine<br />
konstant hohe Formgerade.<br />
Doch die Form, gerade im Profifußball,<br />
lässt sich nicht auf die Streckbank<br />
legen. Sie ist ein scheues, unzähmbares<br />
Wesen, und freiwillig folgt<br />
sie keinem Trainingsplan. Dardai<br />
weiß das.Erkennt auch die stureUntergattung<br />
Tagesform. Zu diesem<br />
Thema könnte er locker seinen Doktor<br />
machen. Und die Macher der<br />
Equitana in Essen, die könnten Dardai<br />
bestimmt gebrauchen beim Programmpunkt<br />
„Das Abitur für<br />
Hengste“, wo den Besucherndie HLP<br />
vorgestellt wird, also die Hengstleistungsprüfung.Würde<br />
wild werden.<br />
Paul Linke<br />
ist noch nie auf einem<br />
Pferd geritten.