10.03.2019 Aufrufe

Berliner Zeitung 09.03.2019

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 57 · 9 ./10. März 2019 – S eite 25<br />

·························································································································································································································································································<br />

Feuilleton<br />

Das Fliegende Auge:<br />

Rumänische Filme<br />

im Zeughauskino<br />

Seite 28<br />

„Ein Problem der Popmusik ist die Musik.“<br />

Johannes von Weizsäcker kommt beim Herbert-Grönemeyer-Konzert zu grunderschütternden Erkenntnissen Seiten 26 und 27<br />

Vom<br />

Widerstand<br />

der Körper<br />

Digitale Dystopie: Sasha Waltz’ „Rauschen“ in der Volksbühne<br />

VonAlexandraHennig<br />

Abstand halten: Die Choreografin Sasha Waltz sortiertimEpilog ihrer neuen Arbeit „Rauschen“ Individuen zu einer strukturierten Masse. JULIAN RÖDER (2)<br />

Eshandelt sich um einen der<br />

ureigenen Konflikte spätestens<br />

seit der Industrialisierung:<br />

das Spannungsfeld<br />

zwischen Mensch und Technik –von<br />

Kontrolle,Fortschritt und Manipulation.<br />

EinKonflikt, der mit der Digitalisierung<br />

in eine neue, rasend beschleunigte<br />

Runde geht. DerTanz ist<br />

eine geeignete Kunstform, diesen<br />

Konflikt physisch zu befragen −ohne<br />

eindeutig Antworten geben zu müssen.<br />

DerKörper wirdzum Fundus eines<br />

anderen Wissens, das sich nicht<br />

in Worte übersetzen lässt, aber eben<br />

dadurch noch mehr zu sagen weiß.<br />

Vielleicht etwas, das spürbar und<br />

fassbar wird unterhalb oder oberhalb<br />

des binären oder verbalen Rauschens,das<br />

der neuen, am Donnerstag<br />

in der Volksbühne uraufgeführten<br />

Arbeit von Sasha Waltz den Titel<br />

gab.<br />

Sasha Waltz ist als die wohl bekannteste<br />

<strong>Berliner</strong> Choreografin<br />

zum Aushängeschild dieser physischen<br />

Sprache geworden. In den<br />

letzten 25 Jahren hat sie den zeitgenössischen<br />

Tanz salonfähig gemacht<br />

−hat andereKörpertechniken als die<br />

des klassischen Balletts auf die großen<br />

Bühnen gebracht und eine eigene<br />

Ästhetik und Handschrift etabliert.<br />

Bevor sie ab der nächsten<br />

Spielzeit neben Johannes Öhman die<br />

Künstlerische Leitung des Staatsballetts<br />

übernehmen wird, widmet sie<br />

ihrer eigenen Compagnie „Sasha<br />

Waltz &Guests“ eine vorerst letzte<br />

Premiere. Unddalässt sie es sich natürlich<br />

nicht nehmen, die ganz großen<br />

vermächtnishaften Fragen zu<br />

stellen.<br />

Grundmotiv der Arbeit also ist der<br />

Einzug der Digitalisierung in fast all<br />

unsere Lebensbereiche. Diese kommunikative<br />

und soziale Revolution<br />

geht mit verordneter Transparenz,<br />

mit unsichtbaren Kontrollmechanismen<br />

und Schranken einher, deren<br />

Auswirkungen noch lange nicht zu<br />

erfassen sind. Was steht eigentlich<br />

alles auf dem Spiel?Waltz beschäftigt<br />

sich mit der Angst vorder Auflösung<br />

und vor dem Autonomieverlust des<br />

Körpers. Wobleibt der Widerstand,<br />

wo bleiben die echten zwischenmenschlichen<br />

Begegnungen jenseits<br />

vonLikes und Statusmeldungen?<br />

So zeigt „Rauschen“ über weite<br />

Strecken verlorene,isolierte und aufbegehrende<br />

Individuen –zwischen<br />

der Abwesenheit von Gefühlen taumeln<br />

sie in einem undefinierten,<br />

haltlos wirkenden Raum. Die Subjekte<br />

sind hineingeworfen in eine<br />

dystopische Welt, in der sie nicht sicher<br />

sein können, wemsie begegnen<br />

– einem Menschen oder einem<br />

Computer? Sie wirken abgehetzt,<br />

verunsichertund funktionieren dennoch<br />

einwandfrei. Kommunikation<br />

läuft nach standardisierten Mustern<br />

ab, herunterzubrechen auf Kombination<br />

zwischen Nullen und Einsen.<br />

DieTänzer bewegen sich in strengen<br />

Raumwegen und formalistischen<br />

Gesten, aus denen sie immer wieder<br />

auszubrechen suchen. Über die fast<br />

zwei Stunden der Choreografie sind<br />

sie einem kontinuierlichen Schwanken<br />

ausgesetzt. Ihre Körper kippen in<br />

Schräglagen –zurückgeworfene Wirbelsäulen,<br />

die sie unbeeindruckt umhertragen.<br />

Gelenke werden zu Maschinenscharnieren,<br />

die einrasten<br />

und den Bewegungsfluss immer wieder<br />

unterbrechen. DieKörper sind zu<br />

fast zweidimensionalen Projektionsflächen<br />

in weißen und schwarzen<br />

Kostümen geworden. Die leere<br />

Bühne ist durch eine halbrunde überdimensionale<br />

graue Wand begrenzt.<br />

Akustisch treten zu historisch wirkenden<br />

Beatles-Songs maschinelle Geräuschkulissen:<br />

das Rattern des Uhr-<br />

Gibt es einen prinzipiellen Unterschied zwischen Menschen und Robotern?<br />

werks, das Rauschen der Server und<br />

der Sogder Stromkreise.<br />

Zwischendurch erinnert Sasha<br />

Waltz auch an Pina Bauschs Tanztheater,<br />

das menschliche Beziehungen<br />

und Fehlbarkeiten in affektive,<br />

wirkungsvolle Bilder transportiert.<br />

Zum Beispiel wenn jemand in eine<br />

mit Kunststoff überzogene Matratze<br />

hineinkriecht und darin eingehüllt<br />

vonzweianderen verpackt und glatt<br />

poliert wird. In anderen Momenten<br />

begegnen sich die Tänzer in Paaren,<br />

deren Körper nur aneinander abprallen<br />

können, sich immer wieder<br />

verfehlen müssen. Eine „echte“ Um-<br />

armung zwischen Mensch und Roboter<br />

ist nicht möglich –egal wie gut<br />

beide programmiertsind.<br />

Bei den individuellen Folgen der<br />

neuen Welt bleibt Waltz nicht stehen,<br />

sondernsie hebt auch auf größerepolitische<br />

Kontexte ab.Wie schon in ihren<br />

letzten beiden Produktionen<br />

„Kreatur“ und „Exodus“ kündigen<br />

sich immer wieder Verweise auf Themen<br />

wie Flucht, Krieg und menschliche<br />

Katastrophen an. Da hängt ein<br />

einzelner Tänzer an einer wackeligen<br />

Schaukel in den Seilen und wiederholt<br />

die Verkündung der Menschenrechte,<br />

die ihm von unten zugeflüstertwerden.<br />

Da rennen Gruppen von<br />

Menschen auf der Stelle,verlieren ihr<br />

Gleichgewicht, werfen sich zu Boden,<br />

sind atemlos geworden.<br />

Aber ganz ohne Worte scheint es<br />

in diesem Stück dann doch nicht zu<br />

gehen. Es schieben sich immer wieder<br />

seltsam deplatziert wirkende<br />

Dialoge dazwischen –sinnentleerte<br />

Durchhalteparolen und Fragen, die<br />

keinen Zweifel daran lassen sollen,<br />

dass hier der Neoliberalismus kritisch<br />

hinterfragt wird. Das sind die<br />

heiklen Momente des Abends, weil<br />

die gesprochenen Sätze Gefahr laufen,<br />

etwas nachträglich erklären zu<br />

wollen und ins Plakativeabrutschen<br />

zu lassen. Rettend schimmert dann<br />

aber doch ein subtiler Humor hindurch:„Congratulations.You<br />

all have<br />

been deleted.“ (Glückwunsch. Sie<br />

wurden alle gelöscht.)<br />

„Rauschen“ lässt sich auch als<br />

Abschied deuten – als Frage nach<br />

den (eigenen) Spuren. Auf die Bühnenrückwand<br />

werden immer wieder<br />

zwei Worte gesprüht. „Now“ und<br />

„Alive“, deren schwarze Farbe jeweils<br />

schnell verblasst. „Jetzt“ und<br />

„Lebend“ sind zwei Worte gegen die<br />

Überwindung der analogen und körperlichen<br />

Welt. Wenn die hintere<br />

Bühnenhälfte am Ende in Farbe und<br />

Wasser getaucht ist und die Muster<br />

im Augenblick ihres Entstehens wieder<br />

verwischen, lässt sich an Höhlenmalerei<br />

denken –anmenschliche<br />

Spuren, die Jahrtausende überdauerthaben.<br />

Welche Spuren werden von den<br />

25 Jahren Sasha Waltz &Guests bleiben?<br />

Derlange Epilog des Stücks besteht<br />

aus ausladenden Gruppenchoreografien<br />

und kommt fast ganz<br />

ohne eindeutige narrative Ebene<br />

aus. In diesem endlos wirkenden<br />

Schlussteil formieren sich die Tänzerinnen<br />

in langen Röcken und freien<br />

Oberkörpern zum rituellen Frauenchor.<br />

Die Choreografin lässt ihr Ensemble<br />

noch einmal in seiner ganzen<br />

elegischen Körperlichkeit auftreten,<br />

bis die Bewegungen am Ende<br />

nur noch als Schatten zu sehen sind.<br />

Es sind viele Neuanfänge, die das<br />

Stück nicht enden lassen wollen: Ein<br />

Rausch der Bewegung gegen das<br />

Rauschen der Digitalität.<br />

AlexandraHennig<br />

vertraut auf die<br />

Sprache der Körper.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!