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Berliner Zeitung 09.03.2019

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B6 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 57 · 9 ./10. März 2019<br />

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Karriere<br />

Wer aus Ostdeutschland stammt und Karriere gemacht hat, ist meistens relativ früh imLeben in eines der alten Bundesländer gezogen oder hat ineinen westdeutschen Unternehmen zu arbeiten begonnen.<br />

IMAGO<br />

Die Führungsetage ist immer noch westdeutsch<br />

In den Top-Positionen von Wirtschaft, Politik und Verwaltung in Deutschland gibt es nach wie vor nur wenige Menschen mit Ost-Hintergrund<br />

Von Iris Leithold<br />

Ganz oben steht natürlich<br />

Dauerkanzlerin Angela<br />

Merkel. Aber auch Hiltrud<br />

Dorothea Werner, Vorstandsmitglied<br />

der Volkswagen AG.<br />

Oder Thomas Krüger, Direktor der<br />

Bundeszentrale für politische Bildung.<br />

Auch Gerd Teschke,Rektor der<br />

Hochschule Neubrandenburg, gehören<br />

zudem illustren Kreis: Sie alle<br />

sind Kinder der DDR, und sie alle sind<br />

im wiedervereinten Deutschland in<br />

Spitzenpositionen aufgestiegen.<br />

Forschung nach der Ursache<br />

Das macht sie zu Exoten, denn einer<br />

Studie der Universität Leipzig aus<br />

dem Jahre 2016 zufolge besetzen<br />

Menschen mit Ost-Hintergrund lediglich<br />

1,7 Prozent aller betrachteten<br />

Führungspositionen in Deutschland.<br />

Ihr Bevölkerungsanteil beträgt jedoch<br />

17 Prozent. Nach Einschätzung<br />

vonRaj Kollmorgen, Soziologe an der<br />

Hochschule Zittau/Görlitz, hat sich<br />

seither kaum etwas verändert: „Es ist<br />

nach wie vorein trauriges Bild.“<br />

Warum ist das drei Jahrzehnte<br />

nach der Wiedervereinigung immer<br />

noch so, und was bedeutet das? Darüber<br />

zerbrechen sich nicht nur Soziologen<br />

den Kopf. Werden Ostdeutsche<br />

systematisch benachteiligt?<br />

Oder sind sie selber Schuld? Haben<br />

sie immer noch nicht begriffen, wie<br />

Karrieregeht? Oder wollen sie nicht?<br />

Kollmorgen sieht bei Ostdeutschen<br />

kulturelle Benachteiligungen<br />

beim Aufstieg. „Viele Ostdeutsche<br />

haben nicht den Habitus der Oberschicht,<br />

verfügen nicht über deren<br />

Geschmacksurteile und selbstbewusstes<br />

Auftreten.“ Und die Chefetagen<br />

großer Unternehmen und<br />

Verwaltungen, wo über Karrieren<br />

entschieden wird, seien in der Regel<br />

eben westdeutsch besetzt.<br />

Aber nicht nur die Wirtschaft,<br />

auch die Universitäten sind weiter<br />

westdeutsch geprägt. Keine der Führungskräfte<br />

wurde in Ostdeutschland<br />

geboren. Das ist das Ergebnis<br />

einer Studie, die das Centrum für<br />

Hochschulentwicklung (CHE) veröffentlicht<br />

hat. Hochschulen wie die in<br />

Neubrandenburg wurden dabei<br />

nicht ausgewertet.<br />

Kollmorgen betont, es gebe aber<br />

auch hausgemachte Ursachen. „Wir<br />

finden bei den Ostdeutschen und in<br />

deren Familien häufiger eine Mentalität<br />

der Suche nach Sicherheit.“ Von<br />

risikoreichen Wegen werde abgeraten,<br />

was seine Ursache in Verlusterfahrungen<br />

nach der Wende habe.<br />

Familienmitglieder verloren ihren<br />

Job, erlebten Entwertung ihrer Lebensleistung<br />

und Bedeutungsschwund.<br />

Zu beobachten war der<br />

abgrundtiefe Sturzfrüherer Eliten.<br />

Werner, Krüger und Teschke<br />

wuchsen in den 1960er-und 1970er-<br />

Jahren in der DDR auf, mit Erich<br />

Honecker, der Aktuellen Kamera,<br />

mit Pionierorganisation und FDJ. Sie<br />

haben zum Teil seltsam klingende<br />

Berufe gelernt, wie Facharbeiterin<br />

für Textiltechnik oder Facharbeiter<br />

„Viele Ostdeutsche haben nicht den Habitus der<br />

Oberschicht, nicht deren Geschmacksurteile<br />

und selbstbewusstes Auftreten.“<br />

Raj Kollmorgen, Soziologe ander Hochschule Zittau/Görlitz<br />

für Plast- und Elastverarbeitung.<br />

Dann kam die Wende.Wie haben sie<br />

es trotzdem geschafft?<br />

Teschke, geboren in Pasewalk,<br />

Jahrgang 1972, heute Rektor der<br />

Hochschule Neubrandenburg, hat<br />

nach seiner Kindheit in VorpommernMathematik<br />

und Betriebswirtschaftslehreander<br />

Universität Potsdam<br />

studiert, 2001 an der Universität<br />

Bremen promoviert und<br />

2006 dorthabilitiert. Zwischendurch<br />

war er im Ausland. „Meine innere<br />

Maxime war immer: Schau, was dir<br />

Freude macht, denn wenn einem etwas<br />

Freude macht, kann man auch<br />

große Kraft entfalten“, sagt er. „An<br />

der Uni inBremen wurde ich schon<br />

mal mit beäugendem Interesse betrachtet,<br />

nach dem Motto: Was ist<br />

das für eine Pflanze?“ Als Nachteil<br />

habe er das aber nicht wahrgenommen.<br />

„Ich hatte nie das Gefühl, dass<br />

mir etwas im Weggestanden hätte.“<br />

Hiltrud DorotheaWerner,1966 im<br />

mecklenburgischen Bad Doberan<br />

geboren, studierte noch zu DDR-Zeit<br />

Ökonomie und machte ihr Diplom<br />

1989 in Halle.Mitte der 1990er-Jahre<br />

kam sie zu BMW, ging für den Autobauer<br />

nach Großbritannien, übernahm<br />

nach mehreren Karriereschritten<br />

im Januar 2016 schließlich die<br />

Leitung der Konzernrevision der<br />

Volkswagen AG. Seit zwei Jahren sitzt<br />

sie im Vorstand.<br />

Werner und Teschke haben mit<br />

ihrem Aufbruch in den Westen anscheinend<br />

das Richtige getan. Das<br />

sei auch jungen Ostdeutschenheute<br />

nur zu empfehlen, sagt Soziologe<br />

Kollmorgen. „Verlasst die Kuschelecke,erwerbt<br />

anderes kulturelles Kapital,<br />

atmet andereMentalitäten.“<br />

Und was sagt der Ostbeauftragte<br />

der Bundesregierung, Christian Hirte<br />

(CDU)? Er beklagt, dass vieleWestdeutsche<br />

noch immer zu wenig über<br />

den Osten wüssten. „Wenn nach einem<br />

Behördenstandort gesucht<br />

wird, dann sitzen eben fast nur Leute<br />

beisammen, die aus dem Westen<br />

kommen, die kommen gar nicht auf<br />

die Idee, was es für hervorragende<br />

Standorte jenseits der Elbe geben<br />

könnte“, sagteer.<br />

Vorteile für Ostdeutsche<br />

DerWeg vonThomas Krüger,geboren<br />

1959 im thüringischen Buttstädt und<br />

aufgewachsen am Ost-<strong>Berliner</strong> Stadtrand,<br />

verlief etwas anders als der von<br />

Werner und Teschke. Er wurde als<br />

junger Mann über sein politisches<br />

Engagement in der Wendezeit der<br />

letzte Stadtrat für Inneres in Ost-Berlin<br />

vorder Wiedervereinigung. Heute<br />

leitet er die Bundeszentrale für politische<br />

Bildung. DieBehörde sei „durch<br />

und durch rheinisch“ gewesen, als er<br />

im Jahr 2000 dort anfing, erzählt er.<br />

Mit ihm habe sich damals die Zahl<br />

der Ostdeutschen verdoppelt. Heute<br />

sei es viel gemischter.„Ost-West spielt<br />

keine Rolle mehr.“ Krüger sieht bei<br />

Ostdeutschensogar einen Vorteil. Sie<br />

könnten improvisieren, sich schnell<br />

auf Neues einstellen, das seiheute in<br />

der globalisierten Welt zunehmend<br />

gefragt, ist er überzeugt. (dpa)<br />

Felicity Jones<br />

„Männer und Frauen<br />

können so effektiv<br />

sein, wenn sie<br />

zusammenarbeiten!“<br />

AM<br />

Der 35-jährige Hollywoodstar spielt die legendäreRichterin<br />

Ruth Bader Ginsburg. Ein Gespräch über Gleichberechtigung<br />

Foto: imago<br />

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