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Berliner Zeitung 18.03.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 64 · M ontag, 18. März 2019 – S eite 20 *<br />

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Sport<br />

Huub Stevens<br />

Einer wie<br />

James Bond<br />

Daniel Theweleit<br />

ist vonder Wirkung des Niederländers<br />

fasziniert.<br />

Womöglich wird Huub Stevens<br />

erst nach und nach klar, auf<br />

was für eine komplizierte Herausforderung<br />

er sich eingelassen hat, als er<br />

vorige Woche vorübergehend aus<br />

dem Aufsichtsrat auf den Trainerposten<br />

beim wankenden FC Schalke<br />

04 gewechselt ist. Jedenfalls stand er<br />

am Sonnabend nach dem 0:1 (0:1)<br />

gegen RB Leipzig mit weit aufgerissenen<br />

Augen vor einer Traube Journalisten,<br />

die Tonlage seiner Stimme<br />

bewegte sich irgendwo im Frequenzbereich<br />

einer Motorsirene. „Ihr<br />

müsst mal sehen, wie wir die Jungs<br />

vorgefunden haben. Mitden Köpfen<br />

nach unten, enttäuscht, diese ganze<br />

Trauer“, rief der niederländische<br />

Pensionär.Seine persönlichen Pläne<br />

sahen eigentlich vor, in diesen Tagen<br />

zu einem Frühlingsurlaub nach Mallorca<br />

aufzubrechen, nun stand er<br />

mal wieder in seiner königsblauen<br />

Trainingsjacke im Stadion und stellte<br />

fest: „Das ist einer meiner schwierigsten<br />

Jobs, die ich bisher erlebt<br />

habe, und ich hoffe, dass es mein<br />

letzter ist.“ Er war umgeben von einer<br />

Aura der totalen Selbstsicherheit,<br />

der Mann kennt diesen Klub<br />

wie kaum ein anderer und mit der<br />

Rettung von inAbstiegsnot geratenen<br />

Traditionsvereinen kennt er sich<br />

beinahe so gut aus wie James Bond<br />

mit der Rettung der Welt.<br />

Tatsächlich ist der Zauber, den<br />

dieser Mann alleine durch seine Anwesenheit<br />

in diesem Verein wecken<br />

kann, faszinierend. „Schalke braucht<br />

Leidenschaft, Schalke braucht<br />

Kampfkraft, Schalke braucht Belebung“,<br />

sagte er,und„das sind Tugenden,<br />

die ich heute zurück gesehen<br />

habe.“ Nureinen Taghatte er vorder<br />

Partie mit dieser zuletzt ganz und gar<br />

leblosen Mannschaft zusammengearbeitet,<br />

aber die Spieler wirkten wie<br />

verwandelt. In der ersten Viertelstunde<br />

spielten sie mit der ganzen<br />

Hingabe, die zuletzt unter der tonnenschweren<br />

Last der Krise verschüttet<br />

war. Sie gewannen die engen<br />

Zweikämpfe,wagten Sprint- und<br />

Dribbelduelle, halfen sich gegenseitig.<br />

Und imGegensatz zu den vergangenen<br />

Wochen blieb zumindest<br />

die Defensive nach dem frühen Gegentreffer<br />

durch Timo Werner (15.)<br />

stabil, und irgendwann in der zweiten<br />

Halbzeit fanden sie auch im Angriff<br />

wieder zu sich.<br />

Der harte Kern der Fans ist aber<br />

noch längst nicht versöhnt. „Den<br />

Trainer rasiert, uns in Europa blamiert<br />

und Schalke nie kapiert: Söldner<br />

aussortieren!“, stand auf einem<br />

Banner. „Schalke ist ein emotionaler<br />

Verein, da dürfen die Leute auch mal<br />

zeigen, dass sie enttäuscht sind“,<br />

sagte Stevens dazu, er ist sich seiner<br />

großen integrativen Kraft sehr bewusst.<br />

Die Schalker haben jedenfalls<br />

den wohl besten Spezialisten zur Abwendung<br />

der ganz großen Katastrophe<br />

jetzt auf der Bank sitzen.<br />

Greift bei seinem Herzensverein durch:<br />

Schalke-Coach Huub Stevens GETTY/KOEPSEL<br />

Ziemlich beste Fußballer:Marco Reus und Jadon Sancho<br />

Die Raketen<br />

In einem spektakulären Spiel gegen Dortmund verfällt Hertha doch noch in Panik und verliert 2:3<br />

VonPaul Linke<br />

Der Strafraum, auch das<br />

impliziert der Name, ist<br />

ein Tatort, und dortstraffrei<br />

zu bleiben, eine sehr<br />

heikle Angelegenheit. Zumal für einen<br />

Verteidiger, der alles Mögliche<br />

und Notwendige unternimmt, um<br />

seinen Gegenspieler zu stoppen, das<br />

Gegentor zu verhindern und im<br />

Strafraum zum Überzeugung- oder<br />

auch mal zum Verzweiflungstäter<br />

wird. Und die finale Waffe ist eine<br />

Monstergrätsche.<br />

Es kommt allerdings nur selten<br />

vor, dass man hinterher noch die<br />

Spuren sichern kann, die ein grätschendes<br />

Abwehrmonster hinterlässt.<br />

Bei Niklas Stark war das so. Er<br />

war in der ersten Halbzeit des Spiels<br />

zwischen Hertha BSC und Borussia<br />

Dortmund (2:3) dermaßen kraftvoll<br />

über die Linie des Fünfmeterraums<br />

geschlittert, um einen Schuss vonJadon<br />

Sancho zu blocken, dass dortein<br />

weißes Kreidekreuz entstand; und<br />

das konnte Deutschlands oberstem<br />

Fußballspurensicherer auf der Ehrentribüne<br />

nicht entgangen sein.<br />

Joachim Löw war ja am Sonnabend<br />

auch deswegen ins <strong>Berliner</strong><br />

Olympiastadion gekommen, weil er<br />

seinen neuen Nationalspieler Stark<br />

sehen wollte. Und er sah einen Innenverteidiger,<br />

der diesem grandios<br />

unterhaltsamen Fußballabend so<br />

viel gegeben hatte, dass er am Ende<br />

unter Wadenkrämpfen litt. Hatten<br />

ihn die Nominierung für die anstehenden<br />

Länderspiele und Löws Anwesenheit<br />

zusätzlich motiviert? „Im<br />

Hinterkopf – oder im Hinterohr –<br />

hatte ich es mal gehört“, sagte Stark.<br />

„Aber ich habe mich nicht darauf<br />

konzentriert, dass der Bundestrainer<br />

da ist.“ Starks Konzentration galt<br />

dem Schutz des Strafraums und diesen<br />

Eindringlingen aus Dortmund,<br />

deren List und Finesse sich erst in<br />

der zweiten Halbzeit voll entfaltete.<br />

Waswäregewesen, wenn ...?<br />

„Ich habe vor dieser Begegnung gesagt,<br />

dass wir eine Serie starten müssen,<br />

um noch eine Chance auf die internationalen<br />

Plätze zu haben. Das ist uns<br />

in diesem Moment nicht gelungen,<br />

wir werden aber natürlich nicht aufgeben.“<br />

Niklas Stark ist seit vergangenem Freitag ein glücklicher Nationalspieler,<br />

als Innenverteidiger von Hertha BSC ist er aber auch enttäuscht.<br />

Foul oder nicht? Abdou Diallo gegen Ondrej Duda<br />

Stark griff zu allen fußballerischen<br />

Waffen. Und ertat das mit seinen<br />

Waffenbrüdern im Geiste, die sich<br />

lange nicht zurückdrängen ließen,<br />

hoch standen, eng deckten. „Wir haben<br />

sehr gut verteidigt“, sagte Stark<br />

zu Recht. „Jeder war dabei, jeder hat<br />

mitgemacht, jeder ist an seine Grenzen<br />

gegangen.“ Und einige darüber<br />

hinaus.Esreichte trotzdem nicht. Es<br />

reichte einfach nicht, dieses Torin<br />

der Nachspielzeit und damit die Niederlage<br />

zu verhindern.„Was wäregewesen,<br />

wenn“, sagte PalDardai, „das<br />

interessiertnicht mehr.“<br />

Rein aus beruflichen Gründen<br />

muss man Herthas Trainer widersprechen<br />

und fragen: Waswäreetwa<br />

gewesen, wenn KarimRekik den Ball<br />

nicht abgefälscht hätte vor dem 1:1<br />

durch Thomas Delaney? So viele<br />

halbe und ganze Eigentore inSerie<br />

wie zuletzt hat Dardai weder als<br />

Spieler noch als Trainer erlebt. Seine<br />

Theorie: „Irgendwann dreht sich das<br />

Glück schon.“ Oder was wäre gewesen,<br />

wenn Jordan Torunarigha nicht<br />

Gelb bekommen hätte nach einer<br />

eher fairen Grätsche? Für die eindeutig<br />

unfaire sieben Minuten vor dem<br />

Abpfiff bekam er die zweite. Der<br />

Platzverweis nahm Herthas Abwehr<br />

die Stabilität, schaffte noch einmal<br />

größere Lücken, steigerte die ohnehin<br />

schon ausgeprägte Angst vorder<br />

späten Niederlage. Salomon Kalou<br />

hatte sogar „Panik“ erkannt.<br />

Und dann ist da vor allem die<br />

Frage: Waswäredenn wohl gewesen,<br />

IMAGO/MATTHIAS KOCH<br />

wenn im KölnerVideokeller einer die<br />

Idee gehabt hätte, die Strafraumtat<br />

an Ondrej Duda zu melden? Dardai:<br />

„Für mich war das ein Elfmeter.“ Für<br />

viele andereauch. Dasvermeintliche<br />

Opfer sagte aus:„Ertrifft mich schon,<br />

doch ob es für einen Pfiff reicht,<br />

muss der Referee entscheiden.“<br />

Dieses Spiel war von der ersten<br />

Sekunde an auf Spektakel aus. Und<br />

spektakulär waren auch die Fehler.<br />

Wie beim 1:0 für Hertha, als Torwart<br />

Roman Bürki einen Schuss von Maximilian<br />

Mittelstädt vordie Füße von<br />

Kalou prallen ließ. Oder wie beim 1:1<br />

durch Delaney, dem nicht nur Torunarigha,<br />

sondernvor allemValentino<br />

Lazaro mit einem Querpass im Mittelfeld<br />

assistierte.<br />

Fehlerhaft, für Dortmunds Trainer<br />

Lucien Favre „dumm, dumm,<br />

dumm“ und eine „Schande“, ist jene<br />

Regel, die in dieser Saison für viel zu<br />

viele Handelfmeter sorgt. Eine Regel<br />

auch, die nicht einheitlich ausgelegt<br />

wirdund im Wochentakt zu mehr Irritationen<br />

führt. Diesmal war es die<br />

IMAGO/JAN HUEBNER<br />

Hand vonJulianWeigl, die reflexartig<br />

hochschnellte nach Dudas Flankenversuch.<br />

Der Pfiff so regelkonform,<br />

das 2:1 durch Kalou eine wieder mal<br />

beeindruckend lockereÜbung.<br />

In die erste Halbzeit, die nach der<br />

zweiten Führung bald zu Ende war,<br />

war Hertha mit Vollgas gestartet. In<br />

die zweite mit Leerlauf. Dardai beschrieb<br />

das so: „Spiel fängt an, Zweikampf<br />

verloren, Zweikampf verloren,<br />

Ecke, Ecke geht rein, 2:2.“ Niemand<br />

fühlte sich für Dan-Axel Zagadou<br />

verantwortlich. Dabei lässt<br />

Dardai doch besondere Übungen in<br />

der Halbzeit machen, um die Spannung<br />

in den Köpfen und Füßen seiner<br />

Spieler maximal hoch zu halten.<br />

„Es war wirklich nicht so“, sagte Rekik,„dass<br />

Dortmunds Tore schön herausgespielt<br />

waren, vielleicht am<br />

ehesten noch das dritte.“<br />

Es fehlte die Geschwindigkeit<br />

Dasdritte in der zweiten Minute der<br />

Nachspielzeit könnte sich tatsächlich<br />

bei jedem Torschönheitswettbewerb<br />

sehen lassen. Wie der Ballstreichler<br />

Sancho die Passlücke fand,<br />

in der Marco Reus umringt von fünf<br />

Gegenspielern trotzdem die Ruhe<br />

besaß, den Ball optimal zu treffen –<br />

das war schon bewundernswert.<br />

Dardai nannte die Dortmunder<br />

Spieler „Raketen, da fehlte uns die<br />

Schnelligkeit“. Undletztlich auch die<br />

Kraft, die Räume zu verschließen,<br />

früher in die Zweikämpfe zu kommen.<br />

„Ich habe auch noch mal zu<br />

meinen Mitspielern gesagt“, sagte<br />

Lazaro, „dass Dortmunds Flügelspieler<br />

sehr schnell sind und wer<br />

noch keine Gelbe Karte hat, soll bei<br />

der Ballannahme schauen, dass sie<br />

da sind und den Gegner energisch<br />

stören sollen.“<br />

Für einen emotionalen Fußballer<br />

wieVedadIbisevic muss die Gefühlslage<br />

eine verheerende gewesen sein<br />

nach dem Gegentor. Und als Bürki<br />

die letzten Sekunden mit Zeitspiel<br />

verbringen wollte, warf erdem Torwart<br />

den Ball an den Kopf. „Komisch“,<br />

sagte Pal Dardai, „dass der<br />

Schiedsrichter sich diese Szene angeguckt<br />

hat.“ Nach Auswertung der<br />

Bilder gab es Rotfür Ibisevic.Herthas<br />

Kapitän war der letzte Täter des<br />

Abends.Die Strafe wirdfolgen.<br />

Paul Linke<br />

ist ein Freund straffreier<br />

Monstergrätschen.<br />

Keine<br />

Panik auf<br />

der Titanic<br />

Der FC Bayern schießt sich<br />

beim 6:0 Frust von der Seele<br />

VonMaik Rosner,München<br />

Als sich der Regen zu Beginn der<br />

zweiten Halbzeit über die<br />

Münchner Arena legte, intonierten<br />

die Bayern-Fans ein selbstironisches<br />

Lied, das sie schon zum Abschluss<br />

der Herbstkrise aufgeführt hatten.<br />

„Wieder alles im Griff, auf dem sinkenden<br />

Schiff, keine Panik, auf der<br />

Titanic, Land in Sicht, wir sterben<br />

nicht“, sang der Anhang des deutschen<br />

Meisters, der vier Tage zuvor<br />

im Achtelfinale der Champions<br />

League bei der 1:3-Niederlage gegen<br />

den FC Liverpool Schiffbruch erlitten<br />

hatte und erstmals seit 2011 so<br />

früh ausgeschieden war.<br />

Vergessen machen konnte der 6:0<br />

(3:0)-Ligasieg gegen den FSV Mainz<br />

05 am Sonntagabend den Absturz<br />

aus Europas Establishment zwar<br />

nicht. Aber der schwungvolleVortrag<br />

gegen überforderte Mainzer war ein<br />

ähnliches Ausrufezeichen wie das<br />

5:1 gegen Benfica Lissabon in der<br />

Gruppenphase der Champions<br />

League, das die Herbstkrise beendet<br />

hatte.„Wirhaben gezeigt, dass wir es<br />

können“, sagte Trainer Niko Kovac.<br />

Zumindest national dürfen sich<br />

die Münchner derzeit nach ihren<br />

drei hohen Siegen in Gladbach (5:1),<br />

gegen Wolfsburg (6:0) und Mainz<br />

wieder als Branchenführer fühlen.<br />

„Inden letzten drei Bundesliga-Spielen<br />

haben wir eine Duftmarke gesetzt“,<br />

sagte Thomas Müller. Aufgebessert<br />

haben die Bayern ihren Vorsprung<br />

auf den punktgleichen Tabellenzweiten<br />

Dortmund auf sieben<br />

Tore. „Wir spielen zumindest in der<br />

Bundesliga sehr gut“, sagte Präsident<br />

Uli Hoeneß, gab aber zu, das<br />

AusinEuropa noch nicht verdaut zu<br />

haben. Die Generalkritik danach<br />

habe er nicht verstanden. „Daraus<br />

gleich abzuleiten, der FC Bayern sei<br />

international nicht konkurrenzfähig,<br />

ist mir viel zu weit hergeholt.“<br />

Den größten Anteil am Erfolg gegen<br />

Mainz hatte James Rodríguez,<br />

der dreimal traf (33./51./55.). Die<br />

weiteren Tore erzielten Robert Lewandowski<br />

(3.), Kingsley Coman<br />

(39.) und Alphonso Davies, 18, mit<br />

seinem ersten Pflichtspieltreffer für<br />

die Münchner (70.). Der Kanadier<br />

war für zehn Millionen Euro ausVancouver<br />

verpflichtet worden, ist seit<br />

Anfang des Jahres spielberechtigt<br />

und soll eine wichtige Figur in Münchens<br />

Team der Zukunft werden.<br />

Dass die Bayern das Spiel nutzen<br />

wollten, um sich den Frust von der<br />

Seele zu schießen, war sofort zubeobachten.<br />

Schon nach einer Viertelstunde<br />

hatten die Münchner sechs<br />

Torschüsse angehäuft, so viele wie<br />

im gesamten Rückspiel am Mittwoch<br />

gegen Liverpool. Sechs Tore<br />

fielen. Unddie Fans? Sangen ein Lied<br />

des Tabellenzweiten aus Dortmund:<br />

„Wer wird deutscher Meister? BVB<br />

Borussia. Wer wird deutscher Meister?<br />

Borussia BVB.“Die Bayern-Spielerhüpften<br />

dazu auf dem Rasen.<br />

Ihm gelingen gleich drei Tore gegen<br />

Mainz: James Rodríguez<br />

AP/TARANTINO

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