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Berliner Zeitung 18.03.2019

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22 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 64 · M ontag, 18. März 2019<br />

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Feuilleton<br />

Gerempel im Gerümpel<br />

Auch der Regisseur bleibt fremd: „Der letzte Gast“ von Árpád Schilling im <strong>Berliner</strong> Ensemble<br />

VonUlrich Seidler<br />

Árpád Schilling ist ein ungarischer<br />

Regisseur, der nicht<br />

mehr in seinem Land arbeiten<br />

kann. Erst haben die Fidesz-Leute<br />

dem Mittvierziger und<br />

seiner freien, 1995 gegründeten Theatergruppe<br />

Krétakör (Kreidekreis) die<br />

Mittel zusammengestrichen. Dann<br />

wurden im September 2017 Schilling<br />

und der Krétakör-Mitbegründer<br />

Márton Gulyás persönlich vom Ausschuss<br />

für nationale Sicherheit des<br />

ungarischen Parlaments zu „potenziellen<br />

Vorbereitern staatsfeindlicher<br />

Aktivitäten“ erklärt. Schilling war gewillt,<br />

diese Brandmarkung als Fidesz-<br />

Orden hinzunehmen; und in der<br />

westlichen Welt funktioniert das<br />

„Staatsfeind“-Branding tatsächlich<br />

auch als Aufmerksamkeitsgenerator,<br />

allerdings musste Schilling dann, so<br />

sagte er im Stadtmagazin Zitty, feststellen,<br />

wie auch liberal eingestellte<br />

Kollegen und Intendanten in Ungarn<br />

vonihm abrückten.<br />

DerStachel im Herzen<br />

Das gab für ihn den Ausschlag, sein<br />

Land zu verlassen, in Frankreich zu<br />

leben und vondortaus zu arbeiten. Er<br />

hat gut zu tun, inszeniertOpern, entwickelt<br />

Theaterstücke, wird im Betrieb<br />

herumgereicht. Das Theater<br />

Krétakör –mit bis zu 40 Mitarbeitern<br />

–existiert als Ensemble nicht mehr.<br />

Wasfür ein intensives, körperliches,<br />

schmerzbereitesTheater das war!Wer<br />

einst Schillings „Arbeiterzirkus W.“<br />

nach Büchners „Woyzeck“ mit eingegittertem<br />

Publikum (2001) und<br />

seine minimalistisch erzählerische<br />

„Möwe“ (2003) erlebt hat, kriegt den<br />

tief eingehakten Kreidekreis-Stachel<br />

nicht mehr aus dem Herzen gerissen.<br />

Inka Friedrich und Sascha Nathan spielen ein Unterschichtspaar,erkennbar an Dosenbier,Grillwurst und sehr schlechtem Sex.<br />

Umso größer, vielleicht auch<br />

folgerichtig die Enttäuschung darüber,<br />

was Schilling am Freitag mit<br />

den Mitgliedern des zumindest<br />

schauspielerisch viel gelobten Oliver-Reese’schen<br />

<strong>Berliner</strong> Ensembles<br />

ablieferte.„Derletzte Gast“ hat Schilling<br />

zusammen mit Éva Zabezsinszkij<br />

auf Ungarisch geschrieben, die<br />

Dialoge, in die auch Schauspieler-<br />

Improvisationen eingeflossen sind,<br />

wurden vonAnna Lengyel übersetzt.<br />

Herausgekommen ist ein kaum sortiertes,<br />

klapperdürres Dialoggerüst,<br />

das sich auf einem Konfliktsammelsurium<br />

aufstapelt. Das Spiel ignoriert<br />

Schamgrenzen und jegliche<br />

sonstigen Widerstände.Wenn die Situationen<br />

nicht hinhauen, retten<br />

sich die Spieler nach der Methode<br />

„Augen zu und durch!“ mit Routinegriffen<br />

in den Mittelwerkzeugkasten<br />

des Boulevardtheaters: mit Kunstpausen,<br />

Requisitenspiel, Knatterchargen<br />

oder auf Pointe eingebauten<br />

Verzweiflungstönen.<br />

Nicht nur ästhetische und spielerischeTheaterklischees<br />

werden ausgepackt,<br />

auch auf inhaltlicher Ebene<br />

gibt es nur Abziehbilder zu sehen.<br />

Eine in den Siebzigern aus der DDR<br />

ausgereiste und zu Erfolg gekommene<br />

Opern-Diva (Corinna Kirchhoff)<br />

pflegt ihren dementen Mann,<br />

einen geisteswissenschaftlichen Akademiker<br />

(Wolfgang Michael), den sie<br />

aber nie geliebt, sondern eigentlich<br />

nur benutzt hat, um sich ein Kind<br />

(Bettina Hoppe) machen zu lassen<br />

und auf Familienzusammenführungsticket<br />

in den Westen zu kommen.<br />

Die Institutssekretärin (Judith<br />

Engel) ist viele Jahre lang eingesprungen,<br />

um des Gatten sexuellen<br />

Wünsche zu erfüllen („Erdurfte alles<br />

bei mir.Weil ich das auch wollte!“).<br />

Das Strindberg’sche Idyll einer<br />

am Lebensabend in ohnmächtigen<br />

Hass umschlagenden Ehe wird aufgemischt<br />

durch einen Fremden<br />

(Nico Holonics), der „geheimnisvoll“<br />

JULIAN RÖDER<br />

sein soll, aber dessen Ungewöhnlichkeit<br />

einzig darin besteht, dass er,<br />

wiewohl er nichts kann, sehr anstellig<br />

ist. Und dass er – oh, Klassenschranken<br />

brechende Wunderkraft<br />

der Kunst! –bei einer Opernarie Tränen<br />

vergießt. Er fährt die Diva im<br />

Taxi nach Hause, gewinnt ihre Zuneigung,<br />

darf Laub auf ihrem Anwesen<br />

zusammenfegen (nicht einmal<br />

das kriegt er hin) und mit seinem<br />

Bielefelder Kumpel (Sascha Nathan)<br />

und dessen derzeitiger Flamme<br />

(Inka Friedrich) das nebenan gelegene<br />

Zweithaus renovieren. Hier<br />

trinkt die frustrierte, gealterte Oberschicht<br />

grünen Tee, da gibt es Staub<br />

und Bier aus Dosen. Getrennt sind<br />

die Sphären nur notdürftig durch<br />

eine Plane.Eskommt zu einer Reihe<br />

von über Kreuz gebrochenen libidinösen<br />

Verirrungen – Erektionsstörungen<br />

hier,verfrühter Samenerguss<br />

da –die die Spieler in so expliziten<br />

wie hektischen Rempeleien ausagieren.<br />

Antagonismen zwischen Ost<br />

und West, Mann und Frau, Heimat<br />

und Fremde sowie zwischen Oberund<br />

Unterschicht werden behauptet<br />

und durcheinandergewürfelt.<br />

Dramatisches Sperrholz<br />

Das Bühnenbild (Ausstattung:<br />

Márton Ágh) illustriert diese dramatische<br />

Sperrmüllsammlung mit Polstermöbeln,<br />

die willkürlich und beziehungslos<br />

auf der leeren Bühne<br />

herumstehen wie auf die Schnelle<br />

für die Improvisationsproben herbeigeschafft.<br />

Offenbar ist man über<br />

die natürlich auch auf der Kostümebene<br />

bediente klischeehafte Ausgangsgemengelage<br />

nicht hinausgekommen.<br />

Wasvon den Spielern vorgeführt<br />

wird, ist in jedem Fall das<br />

Erste, was einem zu den jeweiligen<br />

Typen-Rubriken einfallen würde.<br />

Und weil man schnell durch ist,<br />

wenn man Chargen hinstellt, die<br />

keine Entwicklung zulassen, gibt es<br />

einen Schnitt, die Bühne dreht sich<br />

zu kraftvoller Musik, um das nächste<br />

Setzkastenbild abzuhaken.<br />

Es scheint, als inszeniereSchilling<br />

den Erwartungen des hiesigen Publikums<br />

und den Anforderungen des<br />

Betriebs hinterher. Das könnte das<br />

wahre Verlorenheitsdrama dieses<br />

bitter gescheiterten Abends sein.<br />

Derletzte Gast 20., 29.März; 5., 14., 26. April,<br />

jeweils 19.30Uhr,<strong>Berliner</strong>Ensemble, Karten unter<br />

Tel.: 28408115 oder:berliner-ensemble.de<br />

Im Kern des Mensch-Seins<br />

Vor90Jahren wurde Christa Wolf geboren, im Literaturhaus gibt es eine Ausstellung ihr zu Ehren<br />

VonCornelia Geißler<br />

Ein kleiner Text sollte hier stehen,<br />

um an Christa Wolf zu erinnern,<br />

die an diesem Montag 90 Jahrealt geworden<br />

wäre. Aber es ist unmöglich,<br />

ein paar Sätzenur über sie zu schreiben,<br />

sobald man nur ein Buch in die<br />

Hand nimmt. So lebendig sind ihre<br />

Texte.Dasind„Kassandra“ und„Medea“,<br />

1983 und 1996 erschienen, die<br />

Bücher, mit denen Christa Wolf sich<br />

durch die griechische Mythologie<br />

bewegt. Sienimmt die vonMännern<br />

erzählten Helden- und Täterin-Legenden<br />

auseinander, indem sie die<br />

Perspektive wechselt und nicht nur<br />

anders auf die Geschichte, sondern<br />

auch auf die Gegenwart schauen<br />

lässt. Da ist Karoline vonGünderode,<br />

die in „Kein Ort. Nirgends“ Kleist begegnet,<br />

mit ihm Gedanken teilt und<br />

das Unbehagen an der damaligen<br />

Gegenwart. Oder da ist Christa T.<br />

(1968), die an den Punkt kommt, da<br />

sie den Forderungen nach Strebsamkeit<br />

für die Gesellschaft entsagt, was<br />

die Erzählerin ergründen will.<br />

Christa Wolf (1929–2011).<br />

IMAGO<br />

Der Roman entstand nach dem<br />

11. Plenum des ZK der SED, jeder<br />

mächtigen Partei-Veranstaltung<br />

1965, die das Verdikt über etliche<br />

Filme fällte und den Autor Werner<br />

Bräunig in seiner schriftstellerischen<br />

Existenz vernichtete. Christa Wolf<br />

war die Einzige, die Widerspruch<br />

wagte. Später sagte sie: „Ich wusste,<br />

dass ich nicht mehr schreiben<br />

könnte, wenn ich hier schweigen<br />

würde.“ Liest man Christa Wolf<br />

heute wieder,klingt ihreenttäuschte<br />

Hoffnung, dass die DDR das ver-<br />

nünftigereDeutschland sein könnte,<br />

so oft mit. In ihrem letzten Roman<br />

„Stadt der Engel“ ergründet sie die<br />

Geschichte deutschen Denkens und<br />

die „Zeitschichten“, durch die sie<br />

selbst gegangen ist: Christa Wolfs<br />

Werk entstand in fünfzig Jahren, ihr<br />

Denken und Forschen richtete sich<br />

tief in die Jahrhunderte und den Kern<br />

des Mensch-Seins. Man kann Buch<br />

für Buch zurückgehen oder hin- und<br />

herlesen –immer wieder hält der Text<br />

den Leser fest. Eine Ausstellung, die<br />

heute im Literaturhaus eröffnet<br />

wird, schaut auf das „Kindheitsmuster<br />

als Text-Gewebe“, Wolfs erste<br />

Sätze, ihre Briefe. Birgit Dahlke hat<br />

sie mit Studenten der Arbeits-und-<br />

Forschungsstelle Privatbibliothek<br />

Christa und Gerhard Wolf an der<br />

Humboldt-Universität entwickelt.<br />

Lesung,Gespräch, Ausstellungseröffnung Es<br />

lesenChristoph Hein,Judith Schalansky,Ingo<br />

Schulze 18.3., 19.30Uhr,Literaturhaus.<br />

Therese Hörnigk stelltdie Tagebücher vor BarbaraSchnitzler<br />

liest. 18.3., 19.30 Uhr,Kammerspiele<br />

DT.Für beides nur Restkarten<br />

Bunte Ostern im Harz<br />

Festtagsprogramm im nationalpark<br />

Leserreisen<br />

Beratung &Buchung<br />

0941 -297 08 13<br />

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©Jürgen Meusel<br />

19.04. –22.04.2019<br />

ab € 449,–<br />

Preis p. P. im DZ<br />

im Preis enthaltene Leistungen:<br />

·Fahrt imkomfortablen Reisebus ab/bis Berlin-Südkreuz<br />

·3Übernachtungen im Maritim Berghotel Braunlage<br />

·Reichhaltiges Maritim Frühstücksbuffet mit Sekt<br />

·Osternest im Zimmer<br />

·Geführter Ortsrundgang durch Braunlage<br />

·1x3Gang-Fischmenü am Karfreitag<br />

·Tagesausflug mit Besuch von Schierke, Wernigerode mit<br />

Bimmelbahnfahrt zum Schloss, Altstadtrundgang und Besuch<br />

eines Brockenbauern mit Verkostung<br />

·Oster-Galabuffet mit Live-Musik und Tanz<br />

·Tagesausflug mit Stadtführung Quedlinburg, Besuch des<br />

Hexentanzplatzes und des Köhlerei-Museums<br />

·Festliches Oster-Menü am Ostersonntag<br />

·Naturspaziergang mit dem Nationalpark-Ranger<br />

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Wie wäre esüber die Ostertage mit einem schönen Rahmenprogramm<br />

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Sie beschwingte Tage in fröhlicher Gesellschaft<br />

und verbringen Sie das Feiertagswochenende mit einem<br />

Ausflug in den „wilden“ Harz. Ausgedehnte Wälder im<br />

Wandel zur Wildnis, bizarre Felsen, jahrtausendealte<br />

Moore, ursprüngliche Bachläufe und der majestätische<br />

Brocken. In dieser sagenumwobenen Bergwildnis fühlen<br />

sich nicht nur Luchs und Wildkatze zuhause, sondern<br />

zahlreiche große und kleine Naturwunder und Fachwerkstätte<br />

warten auf aufmerksame Entdecker. Eingebettet<br />

in märchenhafte Bergwälder und romantische Flusstäler<br />

liegt hier das familiär geführte Maritim Berghotel Braunlage<br />

im Nationalpark Harz.<br />

©Harzer Tourismusverband

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