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Berliner Zeitung 02.04.2019

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10 * <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 77 · D ienstag, 2. April 2019<br />

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Berlin<br />

Nichts geht mehr bei<br />

der BVG. Mitarbeiter<br />

demonstrieren vor einem<br />

geschlossenen<br />

Kundenbüro. Auch<br />

zum U-Bahnhof Alexanderplatz<br />

haben<br />

Fahrgäste keinen Zutritt.<br />

Busse und Straßenbahnen<br />

fahren<br />

nicht. Viele <strong>Berliner</strong><br />

lassen sich vom sonnigen<br />

Wetter animieren<br />

–und steigen<br />

auf das Fahrrad um.<br />

DPA/ KUMM, BLZ/WÄCHTER, OTTO<br />

Der Warnstreik bei den<br />

<strong>Berliner</strong> Verkehrsbetrieben<br />

(BVG), der bis<br />

Dienstagfrüh um 3Uhr<br />

dauerte, hätte vermieden werden<br />

können. „Wir haben der Arbeitgeberseite<br />

gesagt: Wenn sie bis Sonntagabend<br />

ein verhandlungsfähiges<br />

neues Angebot vorlegt, kann man<br />

den Warnstreik auch absagen“, sagte<br />

Jeremy Arndt von der Gewerkschaft<br />

Verdi am Montagmorgen während<br />

einer Kundgebung vor dem Busbetriebshof<br />

Müllerstraße in Wedding.<br />

Verdi sei in der Lage, kurzfristig<br />

Arbeitsniederlegungen zu organisieren<br />

–und sie auch wieder abzusagen,<br />

so Arndt. Allerdings liege erst<br />

seit kurzem eine Einladung zu einer<br />

weiteren Verhandlungsrunde vor.<br />

Am Donnerstag sollen die Gespräche<br />

über höhereLöhne und bessere<br />

Arbeitsbedingungen für die<br />

mehr als 14 500 Beschäftigten des<br />

Landesunternehmens und dessen<br />

Tochterfirma Berlin Transport weitergehen.<br />

Für 9Uhr sind die Gewerkschafter<br />

in die BVG-Hauptverwaltung<br />

in die Holzmarktstraße nach<br />

Mitte eingeladen. Es ist die fünfte<br />

Runde während des laufenden Tarifkonflikts.„Diesmal<br />

soll endlich open<br />

end, also ohne Zeitbegrenzung, verhandelt<br />

werden“, so Arndt. Er hoffe,<br />

dass es dann zu weiteren Fortschritten<br />

kommt. Bislang habe Verdikeine<br />

Urabstimmung für einen Erzwingungsstreik<br />

ins Auge gefasst. „Aber<br />

das kann sich ändern“, drohte er.<br />

„Un- und Halbwahrheiten“<br />

Der gereizte Ton zu Beginn des<br />

längsten Warnstreiks im laufenden<br />

Tarifstreit zeigt, wie sehr sich die<br />

Fronten verhärtet haben. Obwohl<br />

sich die Kontrahenten bei den bisherigen<br />

Runden annähern konnten,<br />

scheinen sie sich verhakt zu haben.<br />

Die Stadt fragt sich, wann sich die<br />

Verspannungen lösen –während der<br />

kommenden Verhandlungsrunde<br />

am Donnerstag oder erst danach?<br />

Der Kommunale Arbeitgeberverband<br />

Berlin und der BVG-Vorstand<br />

werden nicht müde zu betonen, dass<br />

sie ihr zuletzt vorgelegtes Angebot<br />

für sehr attraktiv halten. So soll jeder<br />

Beschäftigte im Schnitt 450 Euro<br />

brutto zusätzlich pro Monat erhalten,<br />

rückwirkend ab Januar.Alle Verbesserungen<br />

würden sich aufs Jahr<br />

gerechnet auf 90 Millionen Euro<br />

summieren. ZumVergleich: 2017 betrugen<br />

die Personalkosten 570 Millionen<br />

Euro. „Über solche Lohnaufschläge<br />

würden sich Beschäftigte in<br />

Der<br />

vermeidbare<br />

Warnstreik<br />

Während Busse und Bahnen<br />

stillstehen, bereiten sich Arbeitgeber und<br />

Gewerkschafter auf die nächste<br />

Verhandlungsrunde vor.<br />

Noch liegen sie weit auseinander,doch<br />

ein Kompromiss deutet sich an<br />

VonPeter Neumann<br />

vielen anderen Branchen freuen“,<br />

sagte BVG-Sprecherin PetraNelken.<br />

Doch die Gewerkschaft hält derlei<br />

Verlautbarungen für „Stimmungsmache“,<br />

bekräftigte sie. Die<br />

Arbeitgeberseite verbreite „Un- und<br />

Halbwahrheiten“ in der Öffentlichkeit:<br />

Verdi-Mann Arndt erneuerte<br />

während der Kundgebung in Wedding<br />

diesen Vorwurf. Natürlich hörten<br />

sich die Zahlen, mit denen die<br />

BVG indie Öffentlichkeit gegangen<br />

ist, „erstmal spannend“ an. Dieproklamierte<br />

Erhöhung der Lohn- und<br />

Gehaltssumme umfasse aber auch<br />

die Arbeitgeberanteile für die Sozialversicherung.<br />

„Ein Teil des Geldes<br />

käme nicht bei den Mitarbeitern<br />

an“, so der Gewerkschafter. Zudem<br />

soll ein großer Teil der Belegschaft<br />

deutlich niedrigere Aufschläge<br />

beim monatlichen Bruttolohn erhalten<br />

–inder Regel 300 Euro.<br />

Verdi-Mann Frank Kulicke bestätigte<br />

das.„Natürlich ist das Angebot<br />

für die Fahrer okay“, so der Straßenbahner.Sie<br />

sollen laut Arbeitgeber je<br />

nach Dauer der Betriebszugehörigkeit<br />

bis zu 520 Euro mehr bekommen.<br />

„Aber für viele Berufsgruppen<br />

soll es bei 300 Euro bleiben“ –Kulicke<br />

sprach vonrund 4500 Beschäftigen.<br />

„Eine solche Spaltung lehnen<br />

wir ab.“ Jahrelang seien die Löhne<br />

nur sehr moderat gestiegen, sagte<br />

ein BVG-Mitarbeiter,der am Montag<br />

in Wedding mitdemonstrierte. „Es<br />

wurde gespart, damit in der Bilanz<br />

eine schwarze Null steht“ –und Mitglieder<br />

des BVG-Vorstands Tantiemen<br />

einstreichen können. „Wir wollen<br />

arbeiten und nicht streiken“,<br />

sagte der Technik-Mitarbeiter vom<br />

Busbetriebshof Müllerstraße. Doch<br />

viele Kollegen würden einen großen<br />

„Schluck aus der Pulle“ erwarten.<br />

Notfahrplan nicht praktikabel<br />

BVG-Sprecherin Petra Nelken wies<br />

den Vorwurf, die Arbeitgeberseite<br />

wolle die Belegschaft spalten, erneut<br />

mit Nachdruck zurück. „Die<br />

Ungleichbehandlung ist von Verdi<br />

verlangt worden“, sagte sie. Die Gewerkschaft<br />

habe selbst gefordert,<br />

bestimmte Berufsgruppen durch<br />

höhereLohnaufschläge zu bevorzugen,<br />

um diese Berufe attraktiver zu<br />

machen. Nelken bekräftigte auch,<br />

dass die Verdi-Forderungen wirtschaftlich<br />

untragbar seien. „Unterm<br />

Strich würden sie unsere Personalkosten<br />

um rund 120 Millionen Euro<br />

pro Jahr steigern.“ Inklusive Arbeitgeberbeiträge<br />

zur Sozialversicherung<br />

wären das sogar 160 Millionen<br />

Esist kurz nach 7Uhr morgens.<br />

Diane Etoka steht ratlos vordem<br />

vergitterten U-Bahn-Tunnel am Alexanderplatz.<br />

Die 28-Jährige wird zu<br />

spät zur Arbeit kommen. Siehat nicht<br />

mitgekriegt, dass die BVG andiesem<br />

Montag wieder streikt. Von Springpfuhl<br />

ist sie mit der von der Deutschen<br />

Bahn betriebenen S-Bahn<br />

noch gut weggekommen. Jetzt aber<br />

geht es für sie nur zu Fuß weiter. Die<br />

Kommunikation der BVG verärgert<br />

sie: „Wer keine <strong>Zeitung</strong> liest, erfährt<br />

gar nichts vom Streik“, sagt sie.<br />

„Warum hängen die nicht Zettel in<br />

den Haltestellen aus,warum machen<br />

die am Tag vorher keine Durchsagen?“<br />

DerBVG-Streik an diesem Montag<br />

ist bereits der dritte in der aktuellen<br />

Tarifauseinandersetzung. Weder<br />

Busse noch Bahnen fuhren –und dieses<br />

Mal für 24 Stunden lang. Doch<br />

Berlin blieb immer noch erstaunlich<br />

entspannt. Kaum Schlangen, kaum<br />

Gemotze, eher kleine Beschwerden.<br />

Für manchen Anbieter alternativer<br />

Beförderungsmittel wird so jeder<br />

Streiktag zu einem Segen. Nextbike<br />

zum Beispiel, ein Anbieter von Leihfahrrädern,<br />

verzeichnete am Montag<br />

bis 12 Uhrbereits so viele Fahrten wie<br />

sonst am ganzen Tag. Beim letzten<br />

Bus- und Bahnstreik am 15. Februar<br />

waren es am Ende des Tages dreimal<br />

so viele Kunden wie an einem normalen<br />

Werktag – und da dauerte der<br />

Streik nur halb so lang. Besonders<br />

schnell weg: die Fahrräder am Hauptbahnhof.<br />

Straßen sind früh dicht<br />

Auch die Berlkönig-Sammeltaxis<br />

konnten am Montag fahren. DieWagen<br />

gehören nicht der BVG, deswegen<br />

wurden die schwarzenVans und<br />

Fünfsitzer von den Streikenden von<br />

den BVG-Betriebshöfen gelassen.<br />

„Jede Menge los“, sagt ein junger<br />

Berlkönig-Fahrer.„Aber auf den Straßen<br />

ist zu viel Verkehr,zuviel Stau, es<br />

dauert zulange.“ An vielen Punkten<br />

in dem ohnehin kleinen Betriebsgebiet<br />

zeigte die Berlkönig-App Kunden<br />

Die Suche nach Taxis,<br />

Leihrädern und einem<br />

Platz im Berlkönig<br />

Die Tarifauseinandersetzung der BVG ist für die einen<br />

ein Problem, für andere dagegen ein gutes Geschäft<br />

VonAnnika Leister und Christian Gehrke<br />

denn auch an: „Sorry, gerade ist sehr<br />

viel los! Leider haben wir im Moment<br />

keinen Platz für dich frei.“<br />

Ganz ähnlich ging es den Taxifahrern:<br />

5000 Taxis waren laut <strong>Berliner</strong><br />

Taxigewerbe unterwegs. „Jeder Kollege,den<br />

ich kenne,ist heute im Einsatz“,<br />

sagte Taxifahrer Mustafa Firat<br />

am Zoologischen Garten. Die Nachfrage<br />

überstieg aber noch das Angebot:<br />

An den großen Ständen, wo sonst<br />

ein Taxi nach dem anderen wartet,<br />

war kein einziges Fahrzeug zu sehen,<br />

Fahrgäste reihten sich in Warteschlangen<br />

ein.WerperTelefon bestellen<br />

wollte, hörte unter vielen Nummernlediglich<br />

ein Besetzzeichen.<br />

DieFahrer brachten nicht nur normale<br />

Angestellte in Hosenanzug oder<br />

Handwerker-Klamotten zur Arbeit,<br />

sie kümmerten sich auch um überforderte<br />

Touristen. Das müsse sein,<br />

meinte Mustafa Firat. „Die BVGmuss<br />

endlich begreifen, dass sie das Geld<br />

besser aufteilen solle.“<br />

Ein Segen also für die Taxibranche?<br />

Naja. DasProblem mit dem Stau<br />

hatten auch sie. Abdem frühen Vormittag<br />

waren viele Straßen dicht.<br />

Auf den Gleisen am Bahnhof Zoo<br />

dagegen war die Lage entspannt.<br />

Christine Tiemann, die in orangefarbener<br />

Weste und roter Mütze Fahrgäste<br />

berät, sagt:„Viele haben sich auf<br />

den Streik eingestellt, arbeiten vonzu<br />

Hause aus.“ Nur für die S1 und S5<br />

wurde der Takt erhöht. DieZüge allerdings<br />

wurden nicht verlängert. „Am<br />

Bahnhof Zooreicht der Bahnsteig nur<br />

für acht Wagen. Mehr geht nicht“,<br />

sagt Tiemann.<br />

„Das schadet den Bürgern“<br />

Nicht ganz so entspannt ist der 31-<br />

jährige Ramy. Ersteht um 9Uhr am<br />

Bahnhof Jungfernheide und versucht<br />

verzweifelt, mit seinem Handy ein<br />

Uber-Auto zu bestellen. „Grade kein<br />

Wagen in der Nähe“, sagt er enttäuscht.<br />

Der Kreuzberger hat an diesem<br />

Montag seinen ersten Arbeitstag,<br />

er soll als Teamleiter bei einer Firma<br />

am Siemensdamm starten. Zum<br />

Glück ist er früh genug gestartet, noch

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