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Berliner Zeitung 02.04.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 77 · D ienstag, 2. April 2019 3· ·<br />

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Seite 3<br />

Die Heimsuchung<br />

Zeltlager für Heimatlose in Beira. Die Hafenstadt ist zu 90 Prozent zerstörtworden.<br />

JOHANNES DIETERICH<br />

Julia Assane wachte auf, als das Dach ihrer<br />

Hütte wegflog. Danach gaben die<br />

aus Holz und Lehm gebauten Wände<br />

nach. Zusammen mit ihrem Großvater,<br />

ihrem Onkel und ihrem Bruder flüchtete sie<br />

hinter einen mächtigen Baum am Rand ihres<br />

Dorfs.Der Baum hielt dem Zyklon wie durch<br />

ein Wunder stand. Aneinandergekauert verbrachten<br />

sie die Nacht in der Deckung des<br />

hölzernen Riesen. Als der Wind am nächsten<br />

Tagetwas nachließ, gingen sie zum Haus des<br />

Onkels, von dem wenigstens noch die Mauernstanden.<br />

Zwei Tage später kam die Flut. Morgens<br />

trat das Wasser über das Ufer des Buzi-Flusses,<br />

mittags hatte es bereits das 500 Meter<br />

vom Strom entfernte Dorf Mutchenessa erreicht.<br />

Erneut blieb Julia und ihrer Familie<br />

nichts anderes übrig, als die Flucht zu ergreifen.<br />

Die23-Jährige musste vonihrem Bruder<br />

gestützt werden, weil ihr linkes Bein durch<br />

eine Krankheit geschwächt ist.<br />

Drei Tage lang stieg die Flut unaufhaltsam<br />

an. Zuweilen reichte Julia das Wasser fast bis<br />

zu den Schultern. Die Nächte verbrachte sie<br />

gemeinsam mit den Verwandten auf kleinen<br />

Anhöhen sitzend im Schlamm, tagsüber<br />

hielten sie nach besserem Schutz Ausschau.<br />

Zu essen hatten sie nichts. Erst am dritten<br />

Tagtauchte ein Helikopter auf, der mit Proteinen<br />

und Vitaminen angereicherte Kekse<br />

abwarf. Sie habe nicht gedacht, dass sie das<br />

alles überleben werde, sagt Julia, während<br />

sich in ihren Augen Tränen sammeln. Soldaten<br />

aus einem fremden Land brachten sie<br />

schließlich mit einem Motorboot nach Beira.<br />

Seitdem sitzt die junge Frau in einem Zeltlager<br />

in der Nähe des Flughafens der Hafenstadt.<br />

Nie wieder werde sie nach Mutchenessa<br />

zurückkehren, sagt sie leise.„Werkann<br />

sagen, dass das nicht wieder passiert?“<br />

Nichts ist vomDorfgeblieben<br />

Mit mehr als 170 Stundenkilometern fegte<br />

Zyklon Idai am Donnerstag, den 14. März,<br />

über die mosambikanische Küste.InBeira,<br />

vor allem aber im südwestlich angrenzenden<br />

Buzi-Distrikt blieb kaum ein Haus und<br />

schon gar keine Hütte verschont. Dann kamen<br />

aus der anderen Richtung die Fluten<br />

und verwandelten den Distrikt in einen<br />

See von der Größe Luxemburgs. Mehr als<br />

500 Mosambikaner fanden in den Wassermassen<br />

den Tod, in den Nachbarstaaten<br />

Simbabwe und Malawi starben weitere250<br />

Menschen. Fast zwei Millionen Mosambikaner<br />

wurden durch den Sturmobdachlos.<br />

Rund 100 000 Häuser und Hütten wurden<br />

zerstört oder beschädigt, fast 700 000<br />

Hektar Felder ruiniert.<br />

Inzwischen hat sich dasWetter wieder beruhigt.<br />

Das braune Wasser des Buzi fließt in<br />

der Morgensonne, ein kleines Geschwader<br />

Kormorane fliegt Formationen, von einem<br />

ramponierten Baum am Ufer aus verfolgt ein<br />

Erst kam der Sturm, dann die Flut.<br />

Zwei Millionen Menschen wurden vor gut drei Wochen obdachlos<br />

in Mosambik, einem der ärmsten Länder der Welt. Hunderte starben.<br />

Jetzt breitet sich die Cholera aus. Und die nächste Katastrophe<br />

kommt garantiert, der Klimawandel sorgt dafür<br />

VonJohannes Dieterich, Beira<br />

SAMBIA<br />

MOSAMBIK<br />

SÜDAFRIKA<br />

200 km<br />

Chimanimani<br />

Maputo<br />

MALAWI<br />

Beira<br />

Straße von<br />

Mosambik<br />

Distrikt Buzi<br />

Tropenzyklon Idai<br />

Am stärksten<br />

betroffene Provinzen<br />

BLZ/REEG; QUELLE: AFP<br />

Luis Inacio besucht das Städtchen Buzi, in dem er<br />

einen Laden hat.<br />

JOHANNES DIETERICH<br />

Affe das Motorboot, das seine Ruhe stört.<br />

„Dort drüben wurde ich geboren“, sagt Luis<br />

Inacio und zeigt nach links. „Das Dorf hieß<br />

Mutchenessa. Übriggeblieben ist nichts davon.“<br />

Wenig später taucht am rechten Uferrand<br />

das Städtchen Buzi auf, dort hat Inacio<br />

einen Laden. DerGeschäftsmann konnte ihn<br />

bisher von Beira aus mit dem Wagen erreichen.<br />

Doch seit die Flut die Straße und ihre<br />

Brücken zerstörthat, ist er auf den Flussweg<br />

angewiesen. Es ist das zweite Mal nach dem<br />

Sturm, dass Inacio, 64Jahre alt, nach Buzi<br />

kommt. Das erste Mal stand das Städtchen<br />

noch knietief unter Wasser, der Geschäftsmann<br />

musste unverrichteter Dinge nach<br />

Hause zurückkehren.<br />

Heute sind Buzis ungeteerte Straßen<br />

schon wieder befahrbar. Aber es gibt keine<br />

Fahrzeuge, die funktionieren. Die Stadt sei<br />

nicht wiederzuerkennen, sagt Inacio beim<br />

Rundgang durch dieTrümmer.„Mein Herz tut<br />

weh, wenn ich das sehe.“ Kaum ein Haus hat<br />

noch ein Dach, viele Hütten sind spurlos verschwunden,<br />

ein uralter Baobab-Baum ist auf<br />

mehrere Hütten gestürzt. An den Hauswänden<br />

zeigen braune Streifen, wie hoch das<br />

Wasser noch vorwenigen Tagen stand. In den<br />

meisten Fällen befinden sie sich auf Fensterhöhe.Buzis<br />

Bewohner haben ihreMatratzen,<br />

Möbel und Kleider ins Freie geschleift, um sie<br />

in der Sonne zu trocknen; manche sind auch<br />

schon mit demWiederaufbau ihrer ruinierten<br />

Hütten beschäftigt.<br />

DerZyklon hat eine Satellitenschüssel wie<br />

einen Taco in der Mitte gefaltet, die Räder eines<br />

Rollstuhls ragen aus dem Matsch, das<br />

Schwimmbad des örtlichen Hotels sieht wie<br />

mit Gülle gefüllt aus. Fließendes Wasser gibt<br />

es genauso wenig wie Strom, ein Mobilfunksignal<br />

oder funktionierende Elektro- und<br />

Dieselmotoren. Ob Inacios Tiefkühltruhen<br />

zerstört sind oder nach dem Trocknen wieder<br />

in Gang gebracht werden können, wird<br />

sich herausstellen, wenn es in Buzi wieder<br />

Stromgibt. Wann das sein wird, weiß keiner.<br />

Inacios Managerin Muanausane Aly war<br />

am Abend der Heimsuchung mit ihren drei<br />

Enkeln zu Hause. Als der Zyklon Buzi erreichte,<br />

sah sie als Erstes das Blechdach des<br />

Nachbarhauses durch ihren Vorgarten fliegen.<br />

Dann flog ihr eigenes Zinkdach. Ihr<br />

jüngster Enkel, neun Jahre alt, fing an zu<br />

schreien. Er sollte sich die ganzeNacht nicht<br />

wieder beruhigen. Als dann die Flut kam,<br />

suchte die Familie Zuflucht auf dem Betondach<br />

der nahe gelegenen Moschee. Dort<br />

harrte sie gemeinsam mit mehreren Dutzend<br />

anderen Stadtbewohnern vier Tage<br />

lang aus. Ihre Notdurft mussten sie im Wasser<br />

verrichten; einer ihrer Enkel ist krank geworden.<br />

Buzis Krankenhaus ist in Betrieb, verschont<br />

geblieben ist es nicht. Teile des Daches<br />

sind notdürftig repariert worden, an<br />

manchen Stellen fehlt es ganz. Von den<br />

zwanzig Patienten leiden einige unter wässrigem<br />

Durchfall. Im mosambikanischen Katastrophengebiet<br />

sind bereits 270 Fälle von<br />

Cholera bekannt. Der Cholera-Bazillus ist<br />

hier ohnehin heimisch. Fachleute rechneten<br />

fest damit, dass es wegen der Vermischung<br />

des Grund- und Abwassers zu Cholera- oder<br />

Typhus-Epidemien kommen wird. Schon<br />

sind Logistiker der Ärzte ohne Grenzen in<br />

Buzi eingetroffen, um neben dem Krankenhaus<br />

eine Seuchen-Station aufzubauen. Insgesamt<br />

will die Hilfsorganisation mindestens<br />

sechs solcher Stationen im Katastrophengebiet<br />

errichten. Im Prinzip sei Cholera<br />

leicht zu kurieren, sagt eine Ärztin, die schon<br />

vorOrt ist. „Kranke kommen morgens auf allen<br />

Vieren in die Klinik gekrochen und gehen<br />

schon abends wieder aufrecht nach Hause.“<br />

Doch wer nicht rechtzeitig Hilfe bekommt,<br />

kann innerhalb weniger Stunden sterben.<br />

Beira, zwei Wochen nach dem Sturm. In<br />

den Schulen sind Tausende Flüchtlinge einquartiert,<br />

nachts schlafen Hunderte Heimatlose<br />

auf den Bürgersteigen. Tagsüber schaffen<br />

Arbeiter Berge von Ästen und ganze<br />

Bäume fort. Brennholz immerhin gibt es<br />

reichlich in den kommenden Wochen.<br />

Auf dem Flughafen herrscht Hochbetrieb.<br />

Voninternationalen Hilfsorganisationen gecharterte<br />

Maschinen fliegen tonnenweise<br />

Nahrungsmittel und Zelte, Anlagen zur Wasserreinigung<br />

und Medikamente ein. Die vielen<br />

Helfer, die gekommen sind, lindern die<br />

Not. Ihre Anwesenheit trägt aber dazu bei,<br />

dass die Preise in der Stadt massiv gestiegen<br />

sind. „Wenn sich die Lage der Einheimischen<br />

nicht bald verbessert, könnte die Stimmung<br />

umschlagen“, sagt ein Mosambikaner.<br />

Präsident Filipe Nyusi zeigt sich optimistisch.<br />

Beim ersten Besuch im Katastrophengebiet<br />

habe er nur Wasser gesehen, jetzt<br />

schaue er schon wieder in lachende Gesichter,<br />

sagt der Staatschef in Beiras schickstem<br />

Hotel, wo er voneiner Phalanx ausländischer<br />

Hilfsmanager und Militärs empfangen wird.<br />

Zumindest habe der Zyklon nicht auch die<br />

legendären Garnelen der Stadt vernichtet,<br />

merkt er an. Und der UN-Nothilfekoordinator<br />

Sebastian Rhodes Stampa versichert:<br />

„Kein Staatschef dieser Welt kann mit einer<br />

derartigen Herausforderung alleine fertig<br />

werden. Wirbleiben solange hier,wie Siedas<br />

wünschen.“<br />

Nach der Rettungsphase sei nun die<br />

Etappe des Wiederaufbaus gekommen, fährt<br />

Präsident Nyusi fort. Dieinternationale Solidarität<br />

zeige, dass es „weltweit ein Bewusstsein<br />

für die Folgen des Klimawandels“ gebe.<br />

DieFrage,was getan werden müsse,umderartige<br />

Katastrophen in Zukunft zu verhindern,<br />

kann dem Präsidenten indessen nicht<br />

gestellt werden. Er verliest lediglich ein<br />

Statement.<br />

DerWohlstand der anderen<br />

Luis Inacio, der Ladenbesitzer, sagt, er habe<br />

in den Fluten mindestens 10 000 US-Dollar<br />

verloren. So viel setzte er mit seinem Laden<br />

in Buzi in einem halben Jahr nicht um. Seine<br />

Managerin Aly hat das Geschäft bereits wieder<br />

auf Vordermann gebracht. Ordentlich<br />

stehen die von der Flut verschonten Waren<br />

im Regal, an denWänden ist die brauneWasserstandslinie<br />

nicht mehr zu sehen. Größere<br />

Sorgen als um seinen unmittelbaren Verlust<br />

macht sich Inacio um die Zukunft des Ladens.<br />

„Inzwischen können sich die Leute<br />

hier überhaupt nichts mehr leisten.“ Viele<br />

Bewohner des Bezirks kehrten gar nicht<br />

mehr zurück. Unddas sei auch kein Wunder,<br />

in den vergangenen zwei Jahrzehntenseinen<br />

immer häufiger Zyklone gekommen. Undsie<br />

würden immer stärker.Experten machen für<br />

diesen besorgniserregenden Trend den Klimawandel<br />

verantwortlich.<br />

Nein, zornig sei er nicht, sagt Luis Inacio.<br />

Schließlich könne man auf die Natur nicht<br />

zornig sein. Auch Gott sei für das Unheil nicht<br />

verantwortlich zu machen, sinniert der gläubige<br />

Katholik. Vielmehr müsse es sich um das<br />

Werk von hinter Gottes Rücken agierenden<br />

Dämonen handeln. Dazu könne man durchaus<br />

die Bewohner der Industrie-Nationen<br />

zählen. Sie hätten mit ihrem Lebensstil die<br />

ganzeWelt durcheinandergebracht, während<br />

die Afrikaner jetzt zum zweiten Malnach dem<br />

Kolonialismus die Zeche für den Wohlstand<br />

anderer zahlen müssten. Noch immer nicht<br />

genug Gründe zum Zornigsein? Jetzthüllt sich<br />

Inacio in Schweigen.<br />

Johannes Dieterich fuhr mit dem<br />

Schnellboot nach Buzi. Die kurzen Flusswellen<br />

machten das Sitzen zurTortur.

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