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Berliner Kurier 07.04.2019

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JOURNAL<br />

„Ich weiß nicht,<br />

mit welchem Teil<br />

meinesKopfes<br />

ich gerade rede...“<br />

Der weltbekannte DJ Paul vanDyk (47),inEisenhüttenstadt<br />

geboren, erlitt bei einem Sturzvon der Bühne vor drei Jahren<br />

schwerste Hirn- und Wirbelverletzungen. Über seinen harten<br />

Kampf zurück ins Leben hat er jetzt ein Buch geschrieben<br />

Esist Nachmittag, aber<br />

Paul van Dyk hat noch<br />

das Make-up vom<br />

Frühstücksfernsehen<br />

im Gesicht, als wir ihn in einem<br />

Hotelzimmer in Friedrichshain<br />

treffen. Vor dem Panoramafenster<br />

hängt der Himmel<br />

regenschwer über der<br />

Spree. Van Dyk gibt an diesem<br />

Tag ein Interview nach dem<br />

anderen; sein Buch „Im Leben<br />

bleiben“ (Benevento,20Euro)<br />

wird er am Abend noch im<br />

Frannz Club vorstellen. Früher<br />

wäre so ein Tag für den<br />

heute 47-Jährigen, der als DJ<br />

im Jahr 16-mal um die Welt<br />

flog, keine große Herausforderung<br />

gewesen. Aber vor drei<br />

Jahren änderte sich alles. Am<br />

27. Februar 2016 stürzte er bei<br />

einem Auftritt in Utrecht in<br />

den Niederlanden von der<br />

Bühne, sechs Meter tief. Er erlitt<br />

dabei ein schweres Schädel-Hirn-Trauma,<br />

seine Wirbelsäule<br />

war zweimal gebrochen.<br />

Er würde nie wieder gehen<br />

und sprechen können,<br />

befürchteten die Ärzte. Schon<br />

vier Monate später stand er<br />

wieder auf der Bühne und<br />

machte Musik.<br />

KURIER: Wie geht es Ihnen<br />

heute?<br />

Paul van Dyk: Gut.<br />

Ein Interview nach dem anderen<br />

zu geben, das klingt<br />

anstrengend, wenn man sich<br />

wie Sie von schwersten<br />

Hirnverletzungen erholt.<br />

Ist es auch. Es ist ja nicht irgendeine<br />

Geschichte, um die<br />

es geht, sondern meine Lebensrealität.<br />

Das hat eine andere<br />

Dynamik, als wenn ich<br />

über mein neues Album rede.<br />

Aber mir geht es so weit gut.<br />

Die permanenten Schmerzen,<br />

die sind da, das ist wie ein<br />

Grundsummen, manchmal ist<br />

es ein bisschen schlimmer.<br />

Aber ich lasse mich nicht so<br />

davon beeinflussen.<br />

Wenige Monate nach dem<br />

Unfall saßen Sie in der Sendung<br />

von Markus Lanz. Damals<br />

erzählten Sie, Ihre Füße<br />

würden brennen wie Feuer,<br />

während Ihre Beine sich<br />

anfühlten, als steckten sie in<br />

Eiswasser. Wie ist das heute?<br />

Das ist alles noch da. Die Ärzte<br />

sagen: Was nach zwei Jahren<br />

noch da ist, bleibt auch.<br />

Der Schmerz<br />

rückt immer<br />

weiter in den<br />

Hintergrund.<br />

Man kann über Therapien nur<br />

versuchen, eine Linderung zu<br />

erzielen. Aber man gewöhnt<br />

sich so weit daran, dass der<br />

Schmerz immer weiter in den<br />

Hintergrund der Wahrnehmung<br />

rückt.<br />

Was sind das für Therapien,<br />

die Sie machen?<br />

Was das Gefühl in den Beinen<br />

angeht, kann man gar<br />

nichts machen, das sind neurologische<br />

Probleme. Aber ich<br />

mache Logopädie für die Sprache<br />

und Gedächtnistraining,<br />

um das da oben alles auf Trab<br />

zu halten.<br />

Nachdem Sie aus dem Krankenhaus<br />

entlassen wurden,<br />

mussten Sie kleinste Alltagshandlungen<br />

neu lernen und<br />

ganz bewusst ausführen.<br />

Multitasking ging gar nicht.<br />

Wenn man in etwas Routine<br />

bekommt, hat das so eine Art<br />

Dominoeffekt, dann werden<br />

auch andere Sachen einfacher.<br />

Ich denke, wenn ich zum<br />

Kühlschrank gehe, um die<br />

Milch rauszuholen, mittlerweile<br />

nicht mehr darüber<br />

nach, welchen Muskel ich benutzen<br />

muss. Diese Routine ist<br />

wieder da, ich kippe mir nicht<br />

permanent die Milch über die<br />

Klamotten wie anfangs. Wenn<br />

man diese motorischen Fähigkeiten<br />

mal verloren hat, stellt<br />

man fest, was das Gehirn so alles<br />

„nebenbei“ macht. Das ist<br />

ein faszinierender Apparat.<br />

Faszinierend ist auch, dass<br />

dieser Apparat Fähigkeiten<br />

wieder erlernen kann, die,<br />

wie bei Ihnen, komplett verloren<br />

waren.<br />

Was man nur leider nicht<br />

machen kann, ist, die Zellen<br />

wieder herzustellen, die einmal<br />

zerstört wurden. Aber es<br />

gibt eben diese Gliazellen, das<br />

sind eigentlich nur Informationsdurchleiter,<br />

aber die kann<br />

man in der Tat trainieren und<br />

so das umliegende Gewebe anregen,<br />

Funktionen zu übernehmen,<br />

die das abgestorbene<br />

Gewebe vorher hatte. Bei mir<br />

war gerade an der Stelle, wo<br />

das Sprachzentrum sitzt, viel<br />

kaputt. Dass ich wieder halbwegs<br />

vernünftig reden kann,<br />

ist offensichtlich ein Zeichen<br />

dafür, dass das funktioniert.<br />

Ich weiß nicht, mit welchem

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