08.04.2019 Aufrufe

Berliner Kurier 07.04.2019

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

15<br />

haben eine Botschaft.<br />

Ich äußere mich politisch,<br />

weil ich es für notwendig halte,<br />

dass aus der Mitte unserer Gesellschaft<br />

heraus etwas passiert.<br />

Ob das eine Sammelbewegung<br />

ist oder eine Partei –von<br />

dem, was gerade politisch angeboten<br />

wird, halte ich nicht sehr<br />

viel, wenn es darum geht, die<br />

Probleme, die vor uns liegen, zu<br />

bewältigen und Deutschland so<br />

aufzustellen, dass wir auch in<br />

zwanzig Jahren noch eine<br />

wichtige Rolle spielen.<br />

Die AfD hält auch nichts von<br />

den etablierten Parteien ...<br />

Die heißen zwar Alternative,<br />

aber sie sind keine. Mein Punkt<br />

ist: Welche Begründung kann<br />

es geben –entschuldigen Sie,<br />

dass ich noch mal darauf zurückkomme<br />

–dass es fünfzehn<br />

Jahre dauern soll, bis diese Brücke<br />

fertig wird? Da wundert es<br />

einen nicht, dass Leute frustriert<br />

sind und aus Protest Sachen<br />

wählen, die gar nicht in ihrem<br />

Interesse sind. Es ist ja<br />

nicht so, dass die sogenannten<br />

Sozialprogramme der AfD die<br />

kleinen Leute irgendwie unterstützen<br />

würden. Die pragmatische,<br />

offene Gesellschaft der<br />

Mitte in Deutschland wird von<br />

keinem repräsentiert.<br />

Auch nicht von der großen<br />

Koalition?<br />

Nö. Sehe ich überhaupt nicht!<br />

Wir haben da eine Frau Merkel,<br />

die gefühlt seit hundert Jahren<br />

Kanzlerin ist und von irgendwelchen<br />

digitalen Initiativen<br />

Wichtig ist,<br />

dass die<br />

Motivation<br />

stimmt.<br />

spricht. Geht’s noch? Oder da<br />

sitzt ein Peter Altmaier im<br />

Fernsehen und faselt etwas von<br />

5G! Ich bin ja schon froh, wenn<br />

ich in Berlin lückenlos telefonieren<br />

kann! Wir hängen hinterher,<br />

und zwar massiv.<br />

Von den Zahlen her geht es<br />

Deutschland ausgezeichnet.<br />

Die Wirtschaft brummt, die<br />

Arbeitslosenzahlen sind so<br />

niedrig wie zuletzt 1991.<br />

Ich rede nicht von der Statistik,<br />

ich rede von der gefühlten<br />

Wahrnehmung von uns allen.<br />

Klar sagt die Statistik, es gibt<br />

weniger Kriminalität. Aber<br />

wenn ich auf der Straße langlaufe<br />

und mir kommt eine<br />

Truppe von Jungs entgegen,<br />

und ich fühle mich nicht wohl,<br />

dann bringt es nichts, wenn ich<br />

die Statistik raushole und sage:<br />

Statistisch gesehen passiert mir<br />

hier nichts. Die Politiker haben<br />

eine Verantwortung dafür, dass<br />

die Bürger, die sie gewählt<br />

haben, sich auch sicher fühlen.<br />

Das klingt nach einer gewissen<br />

Entfremdung von der Politik.<br />

Vor zehn Jahren sind<br />

Sie noch mit Ihrer Hymne<br />

„Ich weiß garnicht,<br />

ob ich so besondere<br />

Ossi-Sachen an mir<br />

habe“, sagt Paul<br />

vanDyk,hier bei<br />

einem Besuch in<br />

Eisenhüttenstadt,<br />

seiner Heimatstadt.<br />

„We are one“ bei der Feier<br />

zum 20. Jahrestag des Falls<br />

der <strong>Berliner</strong> Mauer am Brandenburger<br />

Tor aufgetreten.<br />

Würden Siedas heute wieder<br />

machen?<br />

Bisher gab es noch keine Anfragen.<br />

Politische Entfremdung<br />

ist aber nicht richtig, eher im<br />

Gegenteil: Es ist ja politisches<br />

Engagement, von dem ich spreche.<br />

Zumindest ist es eine Entfremdung<br />

von dem politischen<br />

Personal.<br />

Nehmen wir mal den Auftritt<br />

von Andrea Nahles beim SPD-<br />

Konvent kürzlich. Sie fordert<br />

alles Mögliche, aber nichts davon<br />

löst auch nur ein Problem<br />

von Familien in Treptow. Sie<br />

verspricht viel, setzt das aber<br />

nicht konsequent um. Das muss<br />

man SPD und CDU vorwerfen.<br />

Welcher Partei fühlen Sie<br />

sich nahe?<br />

Ich fühle mich dem Gedanken<br />

der Sozialdemokratie am<br />

nächsten. Das war aber auch zu<br />

einer Zeit, in der die Sozialdemokratie<br />

geguckt hat, wie können<br />

wir die Gesellschaft fairer<br />

machen. Trotz all der Mängel,<br />

die die Hartz-Reformen hatten,<br />

sind durch Schröder und Fischer<br />

Weichen gestellt worden,<br />

von denen wir heute noch zehren.<br />

Es wäre sinnvoller gewesen,<br />

das Hartz-IV-System zu<br />

modernisieren, anstatt es zu<br />

verteufeln. Die SPD ist mir heute<br />

zu ideologisch. Ich bin Pragmatiker,<br />

ich sehe ein Problem<br />

und mich interessiert: Wie<br />

kann ich es lösen?<br />

Das ist doch typisch ostdeutsch.<br />

Ja, vielleicht bin ich da der<br />

Ossi.<br />

Man hat dreißig Jahre nach<br />

dem Mauerfall den Eindruck,<br />

wenn über Ostdeutsche geredet<br />

wird, geht es schablonenhaft<br />

zu: Sie sind Opfer, Täter<br />

oder Zeitzeugen. In welche<br />

Kategorie passen Sie?<br />

Als ich nach der Wende freier<br />

Mitarbeiter beim SFB wurde<br />

(der heutige RBB, Anm. d. Red.),<br />

wurde man auf seine Stasi-<br />

Vergangenheit geprüft, auch<br />

ich, obwohl ich ja 1989 erst<br />

siebzehn war. Ich habe damals<br />

in meiner Akte gelesen, wer alles<br />

auf michangesetzt war. Ich<br />

war kein Täter, sondern eher<br />

ein schwarzes Schaf, aus Sicht<br />

des Regimes. Meine Mutter<br />

hatte 1989 einen Ausreiseantrag<br />

gestellt,von dem Moment<br />

an wurden wir schikaniert. Anfang<br />

November reisten wir<br />

nach Hamburg aus, eine Woche<br />

später fiel die Mauer.<br />

Wenn ich mir ansehe, wie die<br />

DDR heute in Filmen dargestellt<br />

wird, wirkt das doch sehr<br />

verharmlosend. Das System<br />

heute ist dem System damals<br />

überlegen, auch wenn nicht alles<br />

perfekt läuft.<br />

In den 90ern brauchten Sie<br />

ein paar Bierkisten und Plattenteller.<br />

Heute ist das<br />

Nachtleben ein wichtiger<br />

Wirtschaftsfaktor. Wie sehen<br />

Sie die Veränderung?<br />

Damals gabesdiverse Off-Locations,<br />

mit denen sich Berlin<br />

einen Ruf erarbeitet hat. Man<br />

konnte in eine Subkultur eintauchen,<br />

das machte das Nachtleben<br />

aus. Ich habe aber nichts<br />

gegen Professionalisierung.<br />

Wenn man an einen Sound<br />

glaubt, sollte man den so gut<br />

wie möglich präsentieren.<br />

Sie schreiben in Ihrem Buch,<br />

Berlin fehle der Coolness-<br />

Faktor. Was soll das heißen?<br />

Buenos Aires zum Beispiel ist<br />

saucool, dazu fehlt Berlin eine<br />

ganze Menge. Berlin ruht sich<br />

schon sehr auf dem aus, was bereits<br />

erreicht wurde, anstatt<br />

sich nach vorn zu entwickeln.<br />

Es ist eher so, dass Entwicklungen<br />

oft gemeinschaftlich unterbunden<br />

werden. Die Entwicklung<br />

einer Stadt hat auch damit<br />

zu tun, dass Neues entsteht. Das<br />

war etwas, das Berlin immer<br />

ausgezeichnet hat. Heute wird<br />

herumgestritten, wenn Leute<br />

ein brachliegendes Stück Land<br />

bebauen wollen. Nehmen Sie<br />

das Tempelhofer Feld. Wenn<br />

die Wohnungsnot so groß ist,<br />

wenn wir sogar bereit sind,<br />

sehr viel Geld in die Hand zu<br />

nehmen, um Wohnungsbaugesellschaften<br />

zu enteignen, warum<br />

können wir dann nicht dieses<br />

Land zumindest teilweise<br />

bebauen? Da fehlt es an pragmatischen<br />

Ansätzen. Der einzige<br />

Grund, warum das nicht gemacht<br />

wird, ist ein ideologischer.<br />

Muss jedes freie Grundstück<br />

denn einer Verwertungslogik<br />

preisgegeben werden?<br />

Stadt bedeutet für mich Entwicklung.<br />

In den 90er-Jahren<br />

ging es nie darum, dass man<br />

zwanzig Jahre in dieser einen<br />

Location bleibt. Irgendwas<br />

wurde aufgemacht, dann musste<br />

es nach einem Jahr wieder<br />

zumachen, dann ging es woanders<br />

weiter. Das wunderbare E-<br />

Werk hätte es nie gegeben,<br />

wenn das Planet nicht zugemacht<br />

hätte. Da hat keiner groß<br />

geschrien, sondern die Leute<br />

sind losgezogen und haben einen<br />

neuen Ort gesucht.<br />

Es gibt heute viele junge DJs,<br />

die wie Sie um die Welt jetten.<br />

Was würden Sie denen<br />

raten? Wie haben Sie das so<br />

lange durchgehalten?<br />

Wichtig ist, dass die Motivation<br />

stimmt. Als ich angefangen<br />

habe, war der DJ kein Star, sondern<br />

der Freak in der Ecke. Das<br />

hat mich geprägt. Mir ist es<br />

egal, wie viele Leute vor mir<br />

stehen. Es geht nicht um mich,<br />

sondern um die Musik, die die<br />

Leute euphorisch macht. Und<br />

Professionalität ist wichtig. Ich<br />

kann mich nicht am Donnerstag<br />

wegschießen, wenn ich<br />

weiß, ich habe noch drei Shows<br />

am Wochenende.<br />

Und irgendwann stehen Sie<br />

wie Mick Jagger mit siebzig<br />

noch auf der Bühne?<br />

Den Hüftschwung kriege ich<br />

leider nicht mehr hin.<br />

Das Interview führten<br />

Anne Lena Mösken<br />

und Sabine Rennefanz

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!