impulse08Tagungsbericht - Lebenshilfe Berlin
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Viele Fragen und neue Antworten – zusammenfassung und abschließende Gedanken zur heutigen tagung<br />
martin schützhoff: Ich habe zunächst eine Frage an Herrn Speicher,<br />
die mich angesichts seiner Ausführungen ganz persönlich als Resümee<br />
interessiert. Warum sind Sie eigentlich in die Geschäftsführung der<br />
<strong>Lebenshilfe</strong> Worms gewechselt? Die Zeiten sind für Unternehmen der<br />
Behindertenhilfe angesichts der von Ihnen aufgezeigten Perspektiven<br />
ja nicht einfach.<br />
Joachim speicher: Ich habe ja mit allem gerechnet, nur nicht damit,<br />
dass Sie mich so etwas fragen. Aber eigentlich ist es eine ganz einfache<br />
Sache. Eine Variante hat uns Frau Sellin aus Bethel heute gezeigt.<br />
Es muss einen interessieren, wie ich meine Firma am Leben erhalte.<br />
Das meine ich nicht nur wirtschaftlich, sondern besonders auch Aspekte,<br />
wie kann ich das, wovon ich überzeugt bin – und damit meine ich die<br />
Qualität unserer Erfahrung – für Weiterentwicklungen nutzen.<br />
Ich habe gesehen und gelernt, dass wir mit dem persönlichen Budget<br />
auch kein schlechtes Geld zur Umsetzung unseres Auftrags verdienen.<br />
Das ist ein wichtiger Punkt. Es gab mal eine Aussage eines<br />
Kollegen von mir, der etwas bösartig aus der klassischen Trägerperspektive<br />
formuliert hatte, dass er das Geld, das die Leute im Persönlichen<br />
Budget jetzt selbst haben, wiederhaben möchte. Es ist die<br />
Frage, wie man das macht, aber es ist ein neues Geschäftsfeld und<br />
es muss einen Geschäftsführer interessieren.<br />
martin schützhoff: Für mich hat sich der Kreis heute geschlossen.<br />
Frau Schmidt hat gesagt, wer trotzdem in ein Heim ziehen wolle,<br />
solle es doch bitte auch weiterhin tun. Sozusagen das Heim als etwas,<br />
wozu es viele Alternativen gibt. Und ich finde, Sie haben heute<br />
die Alternativen auf der anderen Seite des Spektrums sehr plakativ in<br />
ihrer Wirkung aufgezeigt.<br />
Bezogen auf <strong>Berlin</strong> muss man jedoch wissen, dass es andere Strukturen<br />
als in Hamburg oder Bayern gibt. Im Land <strong>Berlin</strong> leben bereits<br />
50% der Menschen mit Behinderung, die Leistungen im Rahmen<br />
unterstützten Wohnens erhalten, in ambulanten Strukturen. Der Anteil<br />
innerhalb der Angebote der <strong>Lebenshilfe</strong> <strong>Berlin</strong> beträgt hier sogar<br />
zwei Drittel. Wir haben in <strong>Berlin</strong> eine durchschnittliche Stundenzahl<br />
im ambulant unterstützen Einzelwohnen von neun Stunden und<br />
in den ambulant betreuten Wohngemeinschaften ergeben sich im<br />
Martin Schützhoff (am Mikro) ist verantwortlich für Produkt und Konzeptentwicklung<br />
und Ute Schünemann (rechts daneben) ist Regionalleiterin West bei der <strong>Lebenshilfe</strong> <strong>Berlin</strong><br />
rESüMEE<br />
Viele Fragen und neue Antworten – Zusammenfassung<br />
und abschließende Gedanken zur heutigen Tagung von Martin Schützhoff und Ute Schünemann<br />
Durchschnitt anteilig ca. 12 Stunden pro Woche und Assistenznehmer.<br />
Alle diese Möglichkeiten haben wir hier bereits. Insofern ist der<br />
Handlungsdruck, den es manchmal auch ein wenig für weitere Entwicklung<br />
braucht, bei uns in <strong>Berlin</strong> programmatisch vielleicht nicht<br />
ganz so hoch, wie woanders, wo er sehr viel offensiver formuliert<br />
wird.<br />
Trotzdem tun wir gut daran auch unsere stationären Angebote weiter<br />
zu entwickeln, wir werden sie auf absehbare Zeit, in geeigneter,<br />
individualisierter Form, – wie auch immer sie dann heißen mögen, – mit<br />
ihrer umfänglichen Verlässlichkeit auch teilweise weiter brauchen.<br />
Das hat heute auch Frau Baikers Beitrag gezeigt. Wir sollten die stationären<br />
Angebote umsichtig modernisieren und uns die Frage stellen,<br />
wen wir daran wie beteiligen.<br />
Damit möchte ich zu Frau Schünemann überleiten, die mir gesagt hat,<br />
sie habe sich gerade kurzfristig vorgenommen zu versuchen, die Perspektive<br />
von Assistenznehmern einzunehmen und soweit möglich aus<br />
dieser Perspektive heraus zu berichten.<br />
ute schünemann: In die Erfahrungswelt eines anderen zu schlüpfen,<br />
ist immer wieder ein Wagnis. Im heutigen Tagungsverlauf stellte<br />
ich mir zuweilen vor, ein Mensch mit Behinderung, der alle Zeiten<br />
durchlebt hätte, hätte uns zugehört. Ein Mensch mit dem Wissen<br />
um die historischen und aktuellen Lebensumstände von Menschen<br />
mit geistiger Behinderung in unserer Gesellschaft, ein Mensch, der<br />
aufmerksam zugehört hat.<br />
Wäre dieser Mensch heute dabei gewesen, der in früheren Zeiten<br />
als Dorftrottel herhalten musste, von der Medizin als Idiot, als nicht<br />
lernfähig abgestempelt wurde, der in Anstalten als Insasse, Pflegling,<br />
Zögling behandelt, verwaltet und verwahrt sowie häufig medikamentös<br />
ruhig gestellt wurde. Ein Mensch, der Zeiten erlebt hat,<br />
die nahezu unvorstellbar sind, der als unwertes Leben deklariert vergast<br />
oder medizinischen Versuchen zugeführt wurde. Ein Mensch,<br />
der nach diesem Wahnsinn über den Normalisierungsgedanken,<br />
die Integrationsbestrebungen einen Teil seiner gesellschaftlichen<br />
Rehabilitation erfuhr, der heute als gleichberechtigter Bürger in der<br />
Gesellschaft verstanden sein will. Wäre dieser Mensch heute dabei<br />
gewesen, hätte er sich wahrscheinlich gewundert, von uns modern<br />
<strong>impulse08Tagungsbericht</strong> _ 48