Berliner Zeitung 18.07.2019
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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 164 · D onnerstag, 18. Juli 2019 3 *<br />
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Report<br />
„Wir haben jetzt mit<br />
der Annegret<br />
keine Verlegenheitslösung.“<br />
Horst Seehofer, Bundesinnenminister (CSU)<br />
„Sie hatte im Saarland sehr viel mit der Bundeswehr<br />
zu tun. Sie war die erste Innenministerin<br />
eines Landes. Insofern: Sie kennt sich aus.“<br />
Julia Klöckner, Bundeslandwirtschaftsministerin (CDU)<br />
DPA (4)<br />
„Zügig einige<br />
Baustellen<br />
aufräumen“<br />
Wehrbeauftragter spricht<br />
über den Personalwechsel<br />
Hans-Peter Bartels, Wehrbeauftragter<br />
des Bundestages,erklärt<br />
im Interview, welche Aufgaben die<br />
neue Bundesverteidigungsministerin<br />
Annegret Kramp-Karrenbauer in<br />
ihrem Amt dringend wird angehen<br />
müssen –und wie viel Geld dafür gebraucht<br />
wird.<br />
Hand in Hand: Annegret Kramp-Karrenbauer,die neue Verteidigungsministerin, und Ursula von der Leyen, die Vorgängerin, die nun nach Brüssel geht.<br />
Vor dem sonnenbeschienenen<br />
<strong>Berliner</strong> Bendlerblock<br />
schmettert das Heeresmusikkorps<br />
heitere Marschmusik.<br />
Seite an Seite blicken die zwei<br />
Frauen, denen die Pauken- und<br />
Trompetenklänge an diesem Mittwochvormittag<br />
gelten, zu den Musikern<br />
inUniform herüber. Daatmet<br />
eine vonbeiden sichtlich bewegt auf.<br />
Ursula von der Leyen scheint ergriffen<br />
von dem Moment ihres Abschieds<br />
von der Truppe. Die künftige<br />
EU-Kommissionspräsidentin dreht<br />
sich zu Annegret Kramp-Karrenbauer,<br />
ihr Blick strahlt Wehmut aus. Kramp-<br />
Karrenbauer lächelt. Ihre Hand nähert<br />
sich der vonder Leyens,umklammert<br />
sie. Hand in Hand stehen sie da: die<br />
scheidende und die neue Bundesverteidigungsministerin.<br />
Es ist eine Geste,<br />
die Zuneigung und Dankbarkeit ausstrahlt.<br />
Kramp-Karrenbauer sendet<br />
aber auch die Botschaft aus: Seht her,<br />
ich habe die Dinge im Griff.<br />
Leben und Tod<br />
Plötzlich „IBuK“. So lautet in der an<br />
Abkürzungen reichen Sprache der<br />
Bundeswehr die Kurzform für den<br />
„Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt“.<br />
Es ist einer der verantwortungsvollsten<br />
Posten, den die<br />
Bundesrepublik zu vergeben hat.<br />
Werihn innehat, bestimmt über ein<br />
Ministerium mit sehr hohem Budget.<br />
Über Männer und Frauen, die in<br />
Kriege ziehen. Unddamit auch über<br />
Leben und Tod. Fortan füllt diesen<br />
Posten Annegret Kramp-Karrenbauer<br />
aus. CDU-Vorsitzende, einstige<br />
saarländische Ministerpräsidentin,<br />
Politologin, dreifache Mutter.<br />
Kann sie das?<br />
Dienstagabend, kurz nach 20<br />
Uhr. Ursula von der Leyen hat die<br />
Wahl zur EU-Kommissionspräsidentin<br />
im europäischen Parlament<br />
knapp gewonnen. Ihr Wechsel von<br />
Berlin nach Brüssel steht fest. Ein<br />
Nachfolger von der Leyens scheint<br />
auch gefunden: Bundesgesundheitsminister<br />
Jens Spahn soll es machen,<br />
so vermeldet es unter anderem<br />
dessen Biograf auf Twitter. Eine Bestätigung<br />
aber gibt es nicht.<br />
Die Mitglieder des CDU-Präsidiums<br />
erhoffen sich Aufklärung in einer<br />
Telefonschaltkonferenz, die die<br />
Parteivorsitzende Kramp-Karrenbauer<br />
kurzfristig einberuft. Bundesminister,Ministerpräsidenten,<br />
Fraktionschefs<br />
–sie wählen sich um 21<br />
Uhr indie Konferenz ein; auch jene,<br />
die im Urlaub sind. 18 Präsidiumsmitglieder<br />
sind in der Leitung, nur<br />
eines fehlt. Bei der Einwahl der<br />
Kanzlerin gibt es offenbar technische<br />
Probleme.Dann stößt auch Angela<br />
Merkel in die Runde.<br />
Kramp-Karrenbauer ergreift das<br />
Wort, spricht von einem „historischer<br />
Tagfür Europa und die Union“.<br />
Man beglückwünscht einander zum<br />
Sieg von der Leyens in Straßburg.<br />
Knapp sei es gewesen, da sind sich<br />
alle einig. Eine dunkle Bassstimme<br />
warnt: „Wir können jetzt nicht einfach<br />
zur Tagesordnung übergehen.“<br />
Es ist Hessens Ministerpräsident<br />
Volker Bouffier. Das Verhalten der<br />
deutschen Sozialdemokraten sei<br />
„schlicht inakzeptabel“. Auch hier:<br />
Zustimmung. Nächstes Thema.<br />
Kramp-Karrenbauer ergreift das<br />
Wort. Sie habe der Runde zur Nachfolge<br />
von der Leyens im Verteidigungsministerium<br />
„eine wichtige<br />
Entscheidung“ mitzuteilen. Sie<br />
selbst werde Verteidigungsministerin.<br />
Das sei mit Merkel so abgestimmt.<br />
Stille in der Leitung.<br />
„Das war für alle eine Überraschung“,<br />
sagt einer,der dabei war.Es<br />
vergeht ein Moment, ehe Zustimmung<br />
und Gratulationen folgen. „Ist<br />
Spahn noch da?“, fragt einer. „Ja“,<br />
Spahn ist noch in der Leitung. Er versichert,<br />
dass die Entscheidung in<br />
Ordnung sei und er seinen Job im<br />
Gesundheitsministerium ja gerne<br />
mache. Dann endet die etwa halbstündige<br />
Telefonschalte.Die Überraschungsnachricht<br />
vom Wechsel<br />
Kramp-Karrenbauers ins Verteidigungsministerium<br />
ist schnell in der<br />
Welt. Und mit ihr auch die Frage:<br />
Warum? Was hat AKK zu diesem<br />
Schritt bewogen?<br />
Das Erstaunen über die Entscheidung<br />
Kramp-Karrenbauers speist sich<br />
Angetreten<br />
Annegret Kramp-Karrenbauer wollte CDU-Chefin sein,<br />
nichts weiter.Nun ist sie obendrein<br />
Verteidigungsministerin. Warum?<br />
VonMarina Kormbaki<br />
aus vier Gründen, mindestens. Erstens:<br />
Die 56-jährige Saarländerin verfügt<br />
bisher weder über ein scharfes außen-<br />
noch über ein sicherheitspolitisches<br />
Profil. DieWelt der Militärs,ihre<br />
Dienstgrade und Codes sind Kramp-<br />
Karrenbauer unbekannt. UnddasVerteidigungsministerium<br />
ist nicht gerade<br />
ein Ressort, das seinem Chef oder<br />
seiner Chefin eine Phase entspannter<br />
Einarbeitung böte.<br />
„Ich gehe mit<br />
vollem Herzen und<br />
voller Überzeugung<br />
mein Amt als Bundesverteidigungsministerin<br />
an.“<br />
Annegret Kramp-Karrenbauer<br />
Zweitens: Dieses Haus birgt allerhand<br />
politische Risiken. Das bürokratisch-verwinkelte<br />
Beschaffungswesen<br />
mit der schwelenden „Berater-Affäre“,<br />
dazu chronische Materialmängel,<br />
ewige Personalnöte,<br />
umstrittene Auslandsmandate und<br />
rechte Umtriebe in der Truppe: Es<br />
wimmelt in diesem Ressort nur so<br />
von Fallen, die einer Politikerin<br />
schnell zum Verhängnis werden<br />
können. Zumal einer Politikerin mit<br />
höheren Ambitionen. Kramp-Karrenbauer<br />
läuft sich ja für eine Kanzlerkandidatur<br />
warm.<br />
Dass sie sich dennoch für dasVerteidigungsressort<br />
entschied, ist –<br />
drittens –verwunderlich angesichts<br />
GETTY IMAGES/SEAN OMER MESSINGER<br />
der Lage in der CDU. Mitnichten hat<br />
die Partei ihre herben Verluste bei<br />
der Bundestagswahl 2017 verwunden.<br />
Und der Ausgang der Europawahl<br />
im Mai war gewiss nicht dazu<br />
angetan, Hoffnungen auf eine<br />
Trendwende zu nähren. Die CDU<br />
verliertWähler an Grüne und an AfD.<br />
Ein Dilemma, aus dem Kramp-Karrenbauer<br />
einen programmatischen<br />
Ausweg weisen will. Allerdings<br />
dürfte ihreEinarbeitung insVerteidigungsressort<br />
sowie die vielen Auslandsreisen<br />
und Truppenbesuche<br />
kaum viel Zeit für die Erneuerung<br />
der CDU lassen. Und der junge<br />
CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak<br />
hat bisher nicht den Eindruck erweckt,<br />
dass er das Konrad-Adenauer-Haus<br />
im Alleingang neu aufstellen<br />
könnte.<br />
Doch der gewichtigste Grund dafür,<br />
dass Kramp-Karrenbauers Verkündung<br />
am Dienstagabend in der<br />
CDU-Präsidiumsschalte und in der<br />
Öffentlichkeit Überraschung hervorrief,<br />
sind ihre eigenen Worte. Immer<br />
wieder hatte sie versichert, ihr Platz<br />
sei in der CDU-Parteizentrale und<br />
nicht am Kabinettstisch von Angela<br />
Merkel. Im Parteiamt wolle sie sich<br />
bundespolitisch profilieren – nicht<br />
im Regierungsamt, wo sie ja das<br />
triste Erscheinungsbild der GroKo<br />
mitzuverantworten hätte.<br />
Zwei Wochen erst ist es her, da<br />
fragt sie die Bild-<strong>Zeitung</strong>, ob sie nach<br />
einem Wechsel von der Leyens nach<br />
Brüssel ins Kabinett gehen würde.<br />
„Ich habe mich bewusst entschieden,<br />
aus einem Staatsamt in ein Parteiamt<br />
zu wechseln“, antwortet<br />
Kramp-Karrenbauer. „Es gibt in der<br />
CDU viel zu tun.“ Noch am Dienstagabend,<br />
wenige Minuten vor der<br />
Telefonschalte mit ihren Parteikollegen,<br />
deutet Kramp-Karrrenbauer in<br />
einem „Tagesthemen“-Interview ihren<br />
Schritt mit keinem Wort an. Auf<br />
die Frage, obSpahn Verteidigungsminister<br />
wird, spricht sie von anstehenden<br />
„Beratungen“ und „Entscheidungen“<br />
der Partei und der<br />
Kanzlerin. DasInterview wurde ausgestrahlt,<br />
als Kramp-Karrenbauers<br />
Wechsel in den Bendlerblock schon<br />
bekannt war. Esdürfte als eines der<br />
sonderbarsten Politiker-Interviews<br />
in die Geschichte des öffentlichrechtlichenRundfunks<br />
eingehen.<br />
Dass Kramp-Karrenbauer im Widerspruch<br />
zu vorherigen Zusicherungen<br />
gehandelt hat, wirft einen<br />
Schatten auf ihren Start inder Bundesregierung.<br />
Kramp-Karrenbauers<br />
Glaubwürdigkeit ist angekratzt. Dabei<br />
muss sie jetzt um das Vertrauen<br />
der Soldaten werben. DieStimmung<br />
in der Truppe ist ohnehin mies, seit<br />
von der Leyen nach rechtsextremistischen<br />
Vorfällen der Bundeswehr<br />
pauschal ein Haltungsproblem attestierte.<br />
Der Wunsch nach einem<br />
männlichen Nachfolger von der<br />
Leyens, am besten einem, der gedient<br />
hat, war groß in der Armee.<br />
Dementsprechend ist nun die Enttäuschung<br />
einiger Militärs. Man<br />
diene bloß als Sprungbrett für Höheres,<br />
heißt es. Manch einer sieht wiederum<br />
die harte Bewährungsprobe,<br />
unter der die neue Ministerin nun<br />
steht, als Chance für die Truppe:<br />
Kramp-Karrenbauer muss liefern –<br />
andernfalls kann sie etwaige Kanzlerschaftsambitionen<br />
vergessen.<br />
Viel Verantwortung<br />
Kramp-Karrenbauer ist jetzt darum<br />
bemüht, dieZweifelanihrer Eignung<br />
auszuräumen. „Ich gehe mit vollem<br />
Herzen und auch voller Überzeugung<br />
mein Amt als Bundesverteidigungsministerin<br />
an“, sagt sie am<br />
Mittwochvormittag bei ihrem Antrittsbesuch<br />
im Verteidigungsministerium.<br />
Sie würdigt die Soldaten im<br />
Auslandseinsatz, dieimNotfall auch<br />
kämpfen müssten,umdie Sicherheit<br />
Deutschlands zu verteidigen. „Das<br />
ist eine hohe Verantwortung“, sagt<br />
die neue Verteidigungsministerin.<br />
Gemeint ist die Verantwortung der<br />
Soldaten. Gemeint ist aber auch die<br />
Verantwortungihrer neuenChefin.<br />
Marina Kormbaki dachte,<br />
Spahn würdeder nächste<br />
Verteidigungsminister.<br />
Herr Bartels, was erwarten Sie von<br />
der neuen Verteidigungsministerin?<br />
Die neue Ministerin sollte zügig<br />
einige Baustellen aufräumen, die<br />
brachliegen. Ursula von der Leyen<br />
wollte das Beschaffungsmanagement<br />
reformieren, das steht bisher<br />
aus. Die Reform sollte nun wirklich<br />
noch in diesem Jahr kommen. Und<br />
ein paar überfällige Rüstungsentscheidungen<br />
wären jetzt zu treffen,<br />
Stichworte: Nachfolge des Jagdbombers<br />
Tornado, Fregatte MKS 180,<br />
Luftverteidigungssystem, schwerer<br />
Transporthubschrauber. Zudem<br />
muss die innere Bundeswehrstruktur<br />
verbessert werden. Das ist alles<br />
andereals ein Nebenjob.<br />
Wasmeinen Siegenau?<br />
Die Bundeswehr ist strukturell<br />
dysfunktional für ihre heutigen Aufgaben<br />
aufgestellt.<br />
Anstelle<br />
der Zentralisierung<br />
aus der Zeit<br />
des Schrumpfens<br />
sollte Verantwortung<br />
und<br />
Regelungskompetenz<br />
jetzt stärker<br />
auf die Ebene Hans-Peter<br />
der Bataillone Bartels<br />
verlagert werden<br />
–vom Personal über Instandsetzung<br />
des Materials bis zur Infrastruktur.<br />
Diese Maßnahmen kosten kein<br />
Geld. Aber für die Effektivität des<br />
Dienstes und der Motivation wäre<br />
das Gold.<br />
DPA<br />
Sehen Sie auch Aufgaben, die Geld<br />
kosten und erledigt werden müssen?<br />
Klar! Die Bundeswehr könnte ein<br />
„Sofortprogramm persönliche Ausstattung“<br />
brauchen, um in zwei bis<br />
drei Jahren dieses Thema endlich<br />
mal komplett abgehakt zu haben.<br />
Das umfasst Kampfbekleidung,<br />
Schutzwesten, Nachtsichtgeräte und<br />
dergleichen. Die Bundeswehr<br />
braucht dafür kurzfristig vielleicht<br />
zwei Milliarden Euro. Das müsste<br />
mit dem durchaus bundeswehrfreundlichen<br />
Parlament machbar<br />
sein.<br />
Frau Kramp-Karrenbauer hat angekündigt,<br />
für das Zwei-Prozent-Ziel<br />
der Nato kämpfen zu wollen. Ist das<br />
richtig?<br />
Zunächst ist es wichtig, dass bis<br />
zum Jahr 2024 die in der Koalition<br />
vereinbarte 1,5-Prozent-Marke erreicht<br />
wird. Damit ließen sich viele<br />
Lücken bei Personal und Material<br />
schließen.<br />
Trauen Sie Annegret Kramp-Karrenbauer<br />
zu, diese Aufgabe zu lösen?<br />
Ja, wenn sie sich auf die Sache<br />
konzentriert. Die Truppe hätte verständlicherweise<br />
gern eine Verteidigungsministerin,<br />
die sich mit voller<br />
Kraft umdie Bundeswehr kümmert.<br />
Dafür hätte sie dann alle Unterstützung,<br />
die sie sich nur wünschen<br />
kann.<br />
DasGespräch führte<br />
Gordon Repinski.