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Berliner Kurier 03.09.2019

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WAHL SPEZIAL 7<br />

In Hirschfeld geht’srechts ab –<br />

Besuch in der AfD-Hochburg<br />

In dem kleinen OrtimSüden Brandenburgs haben mehr als 50 Prozent die AfD<br />

gewählt.Reden will man nicht so richtig darüber,schon garnicht mit Fremden<br />

VonKATRIN BISCHOFF<br />

Der Weg von Plessa<br />

nach Hirschfeld im<br />

Süden Brandenburgs<br />

führt über eine<br />

schattige Allee. Auf den Wiesen<br />

weiden Kühe. Der Kirchturm<br />

der 1240 Einwohner<br />

zählenden Gemeinde<br />

ist schon<br />

von Weitem zu sehen.<br />

Am Dorfeingangwirbt<br />

die Landfleischerei<br />

Hirschfeld<br />

mit Produkten<br />

„aus eigener Aufzucht<br />

undHaltung“.<br />

Vor dem frisch verputzten<br />

Haus an der<br />

Grödener Ecke Feldstraße<br />

steht an diesem<br />

Montagmittag ein älterer<br />

Mann hinter seinem<br />

Gartenzaun.<br />

Ein Hund liegt träge in<br />

der Sonne. „Klarhabe ich<br />

die AfD gewählt“,sagt der<br />

Mann, der seinen Namen<br />

nicht nennen will und<br />

auch nicht fotografiert<br />

werden möchte. Er denke,<br />

dass die AfD endlich mal<br />

wieder etwas „für uns Deutsche“<br />

tun werde. Auf die<br />

Frage, ob es ihm denn persönlich<br />

schlecht gehe, winkt<br />

er nur ab und sagt: „Für das<br />

Haus habe ich vom Staat<br />

nicht einen Cent bekommen.<br />

Wenn ich Ausländer wäre,<br />

wäredas anders gewesen.“<br />

Widerspruch lässt er nicht<br />

zu, er verschwindet in seinem<br />

Haus.<br />

Einer der wenigen Ausländer in Hirschfeld: Der Kurde Ali in seinem Dönerladen.<br />

Er bleibt trotz der Stimmen für die AfD.<br />

HirschfeldimSchradenliegt<br />

an der Grenze zu Sachsen.<br />

Nicht ein Flüchtling lebt hier.<br />

An diesem Montag, einen Tag<br />

nach den Landtagswahlen in<br />

Brandenburg und Sachsen, ist<br />

das Dorf viel besucht. Das<br />

ZDF ist mit einem Kamerateam<br />

da, der RBB auch, die<br />

„Bild“-Zeitung hat zwei Redakteure<br />

geschickt. Der<br />

Grund: Jeder Zweite in der<br />

Gemeindehat dierechtspopulistische<br />

AfD gewählt – Rekord<br />

bei einer Landtagswahl<br />

in Brandenburg. Undnun wollen<br />

die Journalisten wissen,<br />

warum das so ist.<br />

Die Erklärung, dass die Abgehängten<br />

und Enttäuschten<br />

die AfD wählen, kann hier<br />

nicht stimmen. Die Häuser im<br />

Ort sind herausgeputzt, die<br />

Vorgärten gepflegt. Es gibt eine<br />

Grundschule, eine Kita,<br />

Gaststätten, einen Getränkemarkt,zweiBäcker,<br />

ein Ärztehaus,<br />

eine Bank, Handwerksbetriebe,<br />

ein Autohaus, einen<br />

Fußballplatz.<br />

Das heißt offenbar nicht,<br />

dass alle hier zufrieden sind.<br />

Denn sonstwären am Sonntag<br />

nicht 307 der 607 gültigen<br />

Stimmen auf die AfD entfallen,<br />

die auf Plakaten mit Slogans<br />

warb wie „Vollende die<br />

Wende“, „Hol’ Dir Dein Land<br />

zurück“ oder „Der Ostensteht<br />

auf“.<br />

Hirschfeld wirkt an diesem<br />

Mittag ein wenig wie ausgestorben.<br />

Die Einwohner sind<br />

gewarnt: Über ihre Facebookgruppe<br />

hat sie die Nachricht,<br />

dass Reporter im Ort sind,<br />

schnell verbreitet.<br />

Nico Kaubisch kommt mit<br />

seinem Fahrrad die Hauptstraße<br />

entlang. Kaubischist 21<br />

Jahre alt und, wenn man so<br />

will, ein völlig untypischer<br />

Hirschfelder. Er ist hier geboren<br />

und aufgewachsen. Er hat<br />

die Grünen gewählt, die auf<br />

gerade einmal 3,8 Prozent bei<br />

den Zweitstimmen gekommen<br />

sind. Dabei ist die Gegend<br />

landwirtschaftlich geprägt,<br />

und esgibt auch Einwohner,<br />

die Solaranlagen auf<br />

ihren Dächern haben. Alles<br />

Themen, mit denen die Grünen<br />

hätten punkten können.<br />

„Aber die Grünen-Prominenz<br />

hat es nicht zu uns geschafft,<br />

nicht mal im Wahlkampf.“<br />

Kaubisch erklärt, ersei auf<br />

das Wahlergebnis vorbereitet<br />

gewesen. Denn die Menschen<br />

in Hirschfeld würden schon<br />

seit langen so extrem rechts<br />

wählen.<br />

Vor 15 Jahren brachte es das<br />

Dorf schon einmal in die<br />

Schlagzeilen, als die DVU im<br />

Ort bei den Landtagswahlen<br />

mit 26 Prozent punktete.<br />

Auch das sei damals ein Rekordwert<br />

gewesen, erzählt<br />

der Student.<br />

Bei der letzten Landtagswahl<br />

sei die AfD im Ort auf<br />

fast 40 Prozent gekommen,<br />

bei der Europawahl habe sie<br />

noch drei Prozentpunkte zugelegt.<br />

Aber nach dieser Wahl<br />

musste Kaubisch schon schlucken.<br />

Als er das Wahlergebnis<br />

im Internet sah. „50,6 Prozent,<br />

das ist schon der Hammer“,<br />

sagt der Student.<br />

Kaubischstudiert in Cottbus<br />

Betriebswirtschaftslehre. Er<br />

sagt, er könne sich nicht erklären,warumdie<br />

AfD hier so gute<br />

Ergebnisse erzielt habe.<br />

„Die Hirschfelder haben eigentlich<br />

alles, was sie brauchen“,<br />

sagt er. Es lebe sich<br />

hier fast wie in einer Stadt.<br />

Aber das Schradenland habe<br />

früher zu Sachsen gehört. „Es<br />

Ministerpräsident Dietmar Woidke(SPD) konnte mit seiner Partei in<br />

Hirschfeld keinen Blumentopf gewinnen. 50,6 Prozent wählten die AfD.<br />

ist eine sehr konservative Gegend“,<br />

so Kaubisch.<br />

Ein Mann ist kurzen Hosen<br />

und T-Shirt schaut neugierig<br />

hinter ein paar Sonnenblumen<br />

hervor, die in seinem Garten<br />

wachsen. Er sei kein AfD-<br />

Wähler, sagt er. Er sei Lkw-<br />

Fahrer. Und zur Wahl habe er<br />

es nicht geschafft. Warum die<br />

Menschen die AfD bevorzugen,<br />

beantwortet er nicht<br />

mehr. Als ein Kamerateamauf<br />

ihn aufmerksam wird und seine<br />

Antwort drehen will, verschwindet<br />

er in seinem Haus.<br />

Valentine Siemon war Spitzenkandidatin<br />

der Grünen für<br />

den Wahlkreis. Die 63-jährige<br />

Sozialpädagogin errang bei<br />

den Erststimmen in Hirschfeld<br />

3,6 Prozent. Sie sagt, sie<br />

kann nicht für den Ort sprechen.<br />

Hirschfeld scheint von<br />

außen gesehen ganz beschaulich<br />

zusein. „Aber wir wissen<br />

nicht, wie es in denWohnzimmernaussieht“,sagt<br />

Siemon.<br />

Nach ihrer Meinung ist die<br />

AfD von Menschen gewählt<br />

worden, die so ihren Unmut<br />

kundtun wollten, weil die Lebensverhältnisse<br />

30 Jahre<br />

nach dem Fall der Mauernoch<br />

immer nicht angeglichenworden<br />

seien. Aber die Rechtspopulisten<br />

seien auch von Menschen,<br />

gewählt worden, die<br />

per se eine rechte Haltung<br />

hätten. „Und ich bin schockiert,<br />

wie viele eine solche<br />

Haltung haben“, sagt sie.<br />

Die Grünen-Politikerin erzählt,<br />

dass sie in ihrem Wahlkreis,<br />

zu dem Hirschfeld gehört,<br />

beim Plakatieren bedroht,<br />

beschimpft und attackiert<br />

worden sei. Eine alte<br />

Frau habe sogar denHund auf<br />

sie gehetzt.<br />

Die Hirschfelder verstehen<br />

das Entsetzen über das Wahlergebnis<br />

nicht. „Was ist daran<br />

so schlimm?“,fragt ein 68-jähriger<br />

Mann, der seine Frau<br />

zum Arzt gefahren hat und<br />

nun im Auto wartet. Die da<br />

oben hätten doch stets gemacht,<br />

was sie wollten. Mit<br />

Scheuklappen hätten sie<br />

agiert. Er spricht von einer<br />

Denkzettelwahl.<br />

Der Student Nico Kaubisch<br />

sagt, dass es nach diesem<br />

Wahlergebnis in Hirschfeld<br />

Demokratieprojekte geben<br />

müsse. „Wir müssen aus dem<br />

Wahlergebnislernen“, sagt er.<br />

Er will jetzt bei den Grünen<br />

Mitglied werden.

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