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WAHL SPEZIAL 7<br />
In Hirschfeld geht’srechts ab –<br />
Besuch in der AfD-Hochburg<br />
In dem kleinen OrtimSüden Brandenburgs haben mehr als 50 Prozent die AfD<br />
gewählt.Reden will man nicht so richtig darüber,schon garnicht mit Fremden<br />
VonKATRIN BISCHOFF<br />
Der Weg von Plessa<br />
nach Hirschfeld im<br />
Süden Brandenburgs<br />
führt über eine<br />
schattige Allee. Auf den Wiesen<br />
weiden Kühe. Der Kirchturm<br />
der 1240 Einwohner<br />
zählenden Gemeinde<br />
ist schon<br />
von Weitem zu sehen.<br />
Am Dorfeingangwirbt<br />
die Landfleischerei<br />
Hirschfeld<br />
mit Produkten<br />
„aus eigener Aufzucht<br />
undHaltung“.<br />
Vor dem frisch verputzten<br />
Haus an der<br />
Grödener Ecke Feldstraße<br />
steht an diesem<br />
Montagmittag ein älterer<br />
Mann hinter seinem<br />
Gartenzaun.<br />
Ein Hund liegt träge in<br />
der Sonne. „Klarhabe ich<br />
die AfD gewählt“,sagt der<br />
Mann, der seinen Namen<br />
nicht nennen will und<br />
auch nicht fotografiert<br />
werden möchte. Er denke,<br />
dass die AfD endlich mal<br />
wieder etwas „für uns Deutsche“<br />
tun werde. Auf die<br />
Frage, ob es ihm denn persönlich<br />
schlecht gehe, winkt<br />
er nur ab und sagt: „Für das<br />
Haus habe ich vom Staat<br />
nicht einen Cent bekommen.<br />
Wenn ich Ausländer wäre,<br />
wäredas anders gewesen.“<br />
Widerspruch lässt er nicht<br />
zu, er verschwindet in seinem<br />
Haus.<br />
Einer der wenigen Ausländer in Hirschfeld: Der Kurde Ali in seinem Dönerladen.<br />
Er bleibt trotz der Stimmen für die AfD.<br />
HirschfeldimSchradenliegt<br />
an der Grenze zu Sachsen.<br />
Nicht ein Flüchtling lebt hier.<br />
An diesem Montag, einen Tag<br />
nach den Landtagswahlen in<br />
Brandenburg und Sachsen, ist<br />
das Dorf viel besucht. Das<br />
ZDF ist mit einem Kamerateam<br />
da, der RBB auch, die<br />
„Bild“-Zeitung hat zwei Redakteure<br />
geschickt. Der<br />
Grund: Jeder Zweite in der<br />
Gemeindehat dierechtspopulistische<br />
AfD gewählt – Rekord<br />
bei einer Landtagswahl<br />
in Brandenburg. Undnun wollen<br />
die Journalisten wissen,<br />
warum das so ist.<br />
Die Erklärung, dass die Abgehängten<br />
und Enttäuschten<br />
die AfD wählen, kann hier<br />
nicht stimmen. Die Häuser im<br />
Ort sind herausgeputzt, die<br />
Vorgärten gepflegt. Es gibt eine<br />
Grundschule, eine Kita,<br />
Gaststätten, einen Getränkemarkt,zweiBäcker,<br />
ein Ärztehaus,<br />
eine Bank, Handwerksbetriebe,<br />
ein Autohaus, einen<br />
Fußballplatz.<br />
Das heißt offenbar nicht,<br />
dass alle hier zufrieden sind.<br />
Denn sonstwären am Sonntag<br />
nicht 307 der 607 gültigen<br />
Stimmen auf die AfD entfallen,<br />
die auf Plakaten mit Slogans<br />
warb wie „Vollende die<br />
Wende“, „Hol’ Dir Dein Land<br />
zurück“ oder „Der Ostensteht<br />
auf“.<br />
Hirschfeld wirkt an diesem<br />
Mittag ein wenig wie ausgestorben.<br />
Die Einwohner sind<br />
gewarnt: Über ihre Facebookgruppe<br />
hat sie die Nachricht,<br />
dass Reporter im Ort sind,<br />
schnell verbreitet.<br />
Nico Kaubisch kommt mit<br />
seinem Fahrrad die Hauptstraße<br />
entlang. Kaubischist 21<br />
Jahre alt und, wenn man so<br />
will, ein völlig untypischer<br />
Hirschfelder. Er ist hier geboren<br />
und aufgewachsen. Er hat<br />
die Grünen gewählt, die auf<br />
gerade einmal 3,8 Prozent bei<br />
den Zweitstimmen gekommen<br />
sind. Dabei ist die Gegend<br />
landwirtschaftlich geprägt,<br />
und esgibt auch Einwohner,<br />
die Solaranlagen auf<br />
ihren Dächern haben. Alles<br />
Themen, mit denen die Grünen<br />
hätten punkten können.<br />
„Aber die Grünen-Prominenz<br />
hat es nicht zu uns geschafft,<br />
nicht mal im Wahlkampf.“<br />
Kaubisch erklärt, ersei auf<br />
das Wahlergebnis vorbereitet<br />
gewesen. Denn die Menschen<br />
in Hirschfeld würden schon<br />
seit langen so extrem rechts<br />
wählen.<br />
Vor 15 Jahren brachte es das<br />
Dorf schon einmal in die<br />
Schlagzeilen, als die DVU im<br />
Ort bei den Landtagswahlen<br />
mit 26 Prozent punktete.<br />
Auch das sei damals ein Rekordwert<br />
gewesen, erzählt<br />
der Student.<br />
Bei der letzten Landtagswahl<br />
sei die AfD im Ort auf<br />
fast 40 Prozent gekommen,<br />
bei der Europawahl habe sie<br />
noch drei Prozentpunkte zugelegt.<br />
Aber nach dieser Wahl<br />
musste Kaubisch schon schlucken.<br />
Als er das Wahlergebnis<br />
im Internet sah. „50,6 Prozent,<br />
das ist schon der Hammer“,<br />
sagt der Student.<br />
Kaubischstudiert in Cottbus<br />
Betriebswirtschaftslehre. Er<br />
sagt, er könne sich nicht erklären,warumdie<br />
AfD hier so gute<br />
Ergebnisse erzielt habe.<br />
„Die Hirschfelder haben eigentlich<br />
alles, was sie brauchen“,<br />
sagt er. Es lebe sich<br />
hier fast wie in einer Stadt.<br />
Aber das Schradenland habe<br />
früher zu Sachsen gehört. „Es<br />
Ministerpräsident Dietmar Woidke(SPD) konnte mit seiner Partei in<br />
Hirschfeld keinen Blumentopf gewinnen. 50,6 Prozent wählten die AfD.<br />
ist eine sehr konservative Gegend“,<br />
so Kaubisch.<br />
Ein Mann ist kurzen Hosen<br />
und T-Shirt schaut neugierig<br />
hinter ein paar Sonnenblumen<br />
hervor, die in seinem Garten<br />
wachsen. Er sei kein AfD-<br />
Wähler, sagt er. Er sei Lkw-<br />
Fahrer. Und zur Wahl habe er<br />
es nicht geschafft. Warum die<br />
Menschen die AfD bevorzugen,<br />
beantwortet er nicht<br />
mehr. Als ein Kamerateamauf<br />
ihn aufmerksam wird und seine<br />
Antwort drehen will, verschwindet<br />
er in seinem Haus.<br />
Valentine Siemon war Spitzenkandidatin<br />
der Grünen für<br />
den Wahlkreis. Die 63-jährige<br />
Sozialpädagogin errang bei<br />
den Erststimmen in Hirschfeld<br />
3,6 Prozent. Sie sagt, sie<br />
kann nicht für den Ort sprechen.<br />
Hirschfeld scheint von<br />
außen gesehen ganz beschaulich<br />
zusein. „Aber wir wissen<br />
nicht, wie es in denWohnzimmernaussieht“,sagt<br />
Siemon.<br />
Nach ihrer Meinung ist die<br />
AfD von Menschen gewählt<br />
worden, die so ihren Unmut<br />
kundtun wollten, weil die Lebensverhältnisse<br />
30 Jahre<br />
nach dem Fall der Mauernoch<br />
immer nicht angeglichenworden<br />
seien. Aber die Rechtspopulisten<br />
seien auch von Menschen,<br />
gewählt worden, die<br />
per se eine rechte Haltung<br />
hätten. „Und ich bin schockiert,<br />
wie viele eine solche<br />
Haltung haben“, sagt sie.<br />
Die Grünen-Politikerin erzählt,<br />
dass sie in ihrem Wahlkreis,<br />
zu dem Hirschfeld gehört,<br />
beim Plakatieren bedroht,<br />
beschimpft und attackiert<br />
worden sei. Eine alte<br />
Frau habe sogar denHund auf<br />
sie gehetzt.<br />
Die Hirschfelder verstehen<br />
das Entsetzen über das Wahlergebnis<br />
nicht. „Was ist daran<br />
so schlimm?“,fragt ein 68-jähriger<br />
Mann, der seine Frau<br />
zum Arzt gefahren hat und<br />
nun im Auto wartet. Die da<br />
oben hätten doch stets gemacht,<br />
was sie wollten. Mit<br />
Scheuklappen hätten sie<br />
agiert. Er spricht von einer<br />
Denkzettelwahl.<br />
Der Student Nico Kaubisch<br />
sagt, dass es nach diesem<br />
Wahlergebnis in Hirschfeld<br />
Demokratieprojekte geben<br />
müsse. „Wir müssen aus dem<br />
Wahlergebnislernen“, sagt er.<br />
Er will jetzt bei den Grünen<br />
Mitglied werden.