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REISE 35<br />
Sennerin vom Geigelstein<br />
Foto: dpa<br />
Maria Wiesbeck war die „Oberkaser-Mare“. Eine Bergwandertour auf ihren Spuren<br />
Eine kleine Kapelle und drei,<br />
vier niedrige Almhütten, die<br />
verstreut am Rand einer<br />
großen Wiese stehen: Die<br />
Riesenalm auf 1400 Meter<br />
Höhe ist eine kleine Ansiedlung<br />
oberhalb von Hohenaschau<br />
im Chiemgau, die<br />
Jahrhunderte lang nur im<br />
Sommer bewohnt war. Noch<br />
bis in die 1970er Jahre lebten<br />
hier Sennerinnen und Senner.<br />
Sie kümmerten sich um<br />
Vieh, stellten Käse her und<br />
bewirteten die Wanderer,<br />
die im Laufe der Jahre immer<br />
zahlreicher wurden.<br />
Sennerin mit Leib und Seele<br />
war auch Maria Wiesbeck<br />
(1924-2017) von der Oberkaseralm,<br />
die am schönsten Berg<br />
der Chiemgauer Alpen liegt,<br />
dem Geigelstein, der wegen<br />
seiner Blütenpracht im Frühjahr<br />
und Sommer der Blumenberg<br />
genannt wird. Die Sennerin<br />
vom Geigelstein verbrachte<br />
fast ihr gesamtes Leben dort<br />
oben. „So frei und dem Himmel<br />
so nah“, wie sie einmal sagte.<br />
Die Journalistin Christiane<br />
Tramitz hat ein Buch über das<br />
Leben der Sennerin geschrieben,<br />
die als 17-Jährige aus Liebeskummer<br />
ihren ersten Sommer<br />
am Geigelstein verbrachte.<br />
Wiesbeck erkannte, dass<br />
das einfache Leben im Rhythmus<br />
der Jahreszeiten ihre Bestimmung<br />
war.<br />
Was verbindet die Riesenalm<br />
und die Oberkaseralm? Beide<br />
liegen entlang einer viertägigen<br />
Hüttenwanderung auf den<br />
Spuren der „Oberkaser-Mare“<br />
durch den westlichen Teil der<br />
Chiemgauer Alpen. Hohenaschau<br />
ist der Startpunkt.<br />
Es geht über Wiesen und<br />
durch Wälder, mit Blick auf<br />
den Wilden Kaiser, den Zahmen<br />
Kaiser bis zu den schneebedeckten<br />
Gipfeln der österreichischen<br />
Alpen. Gut ausgestattete<br />
Alpenvereinshütten<br />
liegen auf der Rundtour, der<br />
Wanderweg verläuft meist auf<br />
einer Höhe zwischen 1200 und<br />
1500 Metern. Nach der Hälfte<br />
der Strecke muss das Tal der<br />
Prien bei Sachrang durchquert<br />
werden.<br />
Einer, der die Namen sämtlicher<br />
großer und auch der kleinen<br />
Gipfel kennt, ist Peter Birle.<br />
Wer Glück hat, trifft den<br />
Bergwanderführer aus Stephanskirchen<br />
in der Nähe von<br />
Rosenheim auf der Spitze des<br />
knapp 1600 Meter hohen<br />
Spitzsteins. Immer noch fesselt<br />
ihn der Blick von hier oben<br />
ins Inntal und zu den Gletschern<br />
am Großglockner.<br />
Birle erinnert sich an die eigenwillige<br />
Sennerin, die jeder<br />
kannte, der regelmäßig wandernd<br />
hier unterwegs war.<br />
„Ich kam vor einigen Jahren<br />
mit einer Gruppe von Schneeschuhwanderern<br />
im Winter<br />
vorbei, nachdem ihre Hütte<br />
von einer Lawine verschüttet<br />
worden war“, berichtet der<br />
Wanderführer. „Die schon<br />
hochbetagte Mare kletterte gerade<br />
aufs schneebedeckte<br />
Hausdach, um es mit einem<br />
Schäufelchen von seiner Last<br />
zu befreien. Das war schon<br />
sehr skurril.“<br />
Auch der Regisseur Werner<br />
Herzog, der als Kind in Sachrang<br />
am Fuß der Berge lebte,<br />
kannte die Sennerin und übernachtete<br />
öfters bei ihr auf der<br />
Alm im Heu. Später brachte er<br />
den britischen Schriftsteller<br />
Bruce Chatwin mit. Wiesbeck,<br />
die ihre Heimat nie verlassen<br />
hat, traf auf den Menschen, für<br />
den Heimat die ganze Welt bedeutete.<br />
Unterhalb der Oberkaser-<br />
Alm, die heute nicht mehr bewirtschaftet<br />
ist, steht eine<br />
schmucke Villa im alpenländischen<br />
Stil. Das Haus lässt erahnen,<br />
wie sich der Geigelstein in<br />
den letzten 50 Jahren verändert<br />
hat.<br />
Aber dennoch hat dieses<br />
Fleckchen Erde nichts von seiner<br />
Faszination eingebüßt: Bei<br />
Sonnenuntergang färbt sich der<br />
Horizont zart orange, die zackigen<br />
Spitzen des Wilden Kaisers<br />
zeichnen sich wie ein Scherenschnitt<br />
scharf gegen den<br />
Abendhimmel ab und die Almwiese<br />
mit dem Weiher und den<br />
verstreut stehenden Fichten<br />
verwandeln sich in ein Gemälde<br />
von Caspar David Friedrich.<br />
Seit 1991 ist das Gebiet um<br />
den zweithöchsten Berg der<br />
Chiemgauer Alpen weiträumig<br />
als Naturschutzgebiet ausgewiesen.<br />
Durch die jahrhundertelange<br />
Nutzung der Almen<br />
bildete sich eine landschaftliche<br />
Vielfalt aus, die viele selten<br />
gewordene Pflanzen und bedrohte<br />
Tiere als Lebensraum<br />
bevorzugen, darunter die<br />
scheuen Raufußhühner wie<br />
Auerhahn, Birkhuhn und Alpenschneehuhn.<br />
Doch immer weniger Kühe<br />
verbringen noch den Sommer<br />
auf den Almen. Um den ursprünglichen<br />
Charakter der Alpenlandschaft<br />
zu erhalten,<br />
wurde 2015 das Bergbauernmodell<br />
Sachrangaus der Taufe<br />
gehoben. Eine Gruppe von<br />
Bergbauern aus dem Ortsteil<br />
von Aschau, nicht weit vom<br />
Chiemsee entfernt,schlosssich<br />
zusammen, um die traditionelle<br />
Almbewirtschaftung fortzuführen<br />
und die Almen zu pflegen.<br />
Heute kommen die Besucher<br />
für einige Tage in die Chiemgauer<br />
Alpen, um Einkehr in<br />
den Bergen zu finden. Nach<br />
vier Tagen Ruhe -dem Himmel<br />
stets sehr nah -ist der Trubel<br />
an der Bergstation der<br />
Kampenwandbahn am Ziel der<br />
Wandertour sehr gewöhnungsbedürftig.<br />
Es braucht<br />
seine Zeit, wieder im Alltag anzukommen.<br />
Steffi Machnik, dpa<br />
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