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Eine Augenweide ist dieses Mohnblumenfeld<br />
am Rande des Wassers im Oderbruch.<br />
Bienen &Co. laben sich an Fleckchen Erde<br />
wie diesen.<br />
Fotos: Götz Behrendt<br />
Kinder<br />
sollen<br />
eine<br />
Gemeinschaft<br />
erleben<br />
Villen vorbeiruderte. „Hier<br />
wird gebaut und gebaut, die<br />
Grundstückspreise sind so gestiegen,<br />
dass sich kaum einer<br />
aus dem Dorf das leisten kann.<br />
Die Bürgermeister denken immer<br />
noch, dass es darum ginge,<br />
Kapital anzulocken. Aber was<br />
bringt Kapital, wenn die Leute<br />
mit dem Ort nichts zu tun<br />
haben? Die wollen ein Wassergrundstück<br />
und ihre Ruhe.“<br />
Er unterstütze eine Initiative,<br />
die sich dafür einsetze, dass wenigstens<br />
ein Streifen am Wasser<br />
für die Allgemeinheit zugänglich<br />
bleibe. Dort sei der alte<br />
Treidelweg, auf dem er früher<br />
spazieren gegangen sei –oder<br />
zum Baden. Doch engagiert<br />
hätten sich nur zwei Leute.<br />
Kaum einer habe geholfen beim<br />
Aufstellen der Holzkreuze, die<br />
aussehen wie die X-tausendmal-quer-Kreuze<br />
im Wendland.<br />
Die Kreuze von Trebatsch<br />
sind blau und tragen den Slogan:<br />
„Ufer frei!“ Die Verwaltung<br />
habe ihnen mitgeteilt, dass<br />
man erst einmal prüfen müsse,<br />
ob ein öffentliches Interesse an<br />
dem Weg bestehe. Außerdem<br />
sei der Weg mit Instandhaltungskosten<br />
verbunden.<br />
Als der Trebatscher erfuhr,<br />
dass ich aus Berlin komme, sagte<br />
er: „Da wären die Leute bestimmt<br />
auf die Straße gegangen!“<br />
Und dann, als ich ihm<br />
schon den Rücken zukehrte:<br />
„Der Marx war nicht dumm.<br />
Der hat so was vorausgesehen.“<br />
Das Geld und die Großspurigkeit,<br />
die Ungleichheit und das<br />
Nichternstgenommenfühlen –<br />
das waren die Vokabeln, die in<br />
fast allen Gesprächen auf dieser<br />
Tour fielen. Vielleicht lag das<br />
daran, dass ich allein unterwegs<br />
war, eine schmale Frau in einem<br />
schmalen Boot. Vielleicht<br />
strahlte ich auch diese Einsamkeit<br />
aus.<br />
Über die Wahl redete niemand.<br />
Nicht einmal im Spreewaldhotel<br />
Matschke in Werder,<br />
am schönsten Abschnitt der<br />
Spree, wo sich eine Gruppe<br />
Männer lautstark zuprostete<br />
mit dem Spruch: „Auf die Merkel,<br />
die uns das eingebrockt<br />
hat!“ Ich fragte, ob das ironisch<br />
gemeint sei.<br />
Wo ich denn entlaufen sei,<br />
fragten sie. Immerhin fragen sie<br />
nicht: Kommst du aus dem<br />
Westen, das war seit der Sache<br />
mit dem Bild so die Angst, die<br />
ich zuvor nie hatte. Zum Glück<br />
war ich aus Berlin, Berlin konnte<br />
beides heißen.<br />
Na, dann kannst du ja immer<br />
deinen Spaß haben, rief einer.<br />
Und wollte mich auf ein Bier<br />
einladen. „Danke, ich muss<br />
noch paddeln“, sagte ich, und<br />
das stimmte, denn die Paddler-<br />
Zeltwiese in Werder liegt ein<br />
bisschen außerhalb, das Hotel<br />
Matschke war die einzige Nahrungsquelle<br />
weit und breit, Läden<br />
hatte ich unterwegs nicht<br />
gefunden. Im Schwarzwald gab<br />
es auch keine Läden mehr auf<br />
den Dörfern. Aber es gab Gasthöfe,<br />
Dorfgemeinschaftshallen,<br />
Feste und Vereine. Vielleicht<br />
war es das Fehlen solcher Orte,<br />
das dieses Gefühl der Leere und<br />
Verlassenheit vermittelte, das<br />
mich an Sibirien erinnerte. Als<br />
Wanderpaddler ist einem Sibirien<br />
ganz recht, schließlich ist<br />
es die Sehnsucht nach Abenteuer,<br />
nach Zivilisationsflucht, die<br />
einen hinauszieht.<br />
Aber als ich an Land ging, war<br />
es sehr dunkel und sehr einsam,<br />
die Saison ging dem Ende entgegen.<br />
Überall hörte ich es knacken<br />
und rascheln –und stellte<br />
mir alle Horrorszenarien vor,<br />
die ich je im Sonntagabend-<br />
„Tatort“ gesehen hatte.<br />
Und so kehrte ich am nächsten<br />
Morgen um und fuhr zurück<br />
nach Beeskow, zurück zu<br />
meinem Kanuverein. Nach der<br />
Wende war der Verein geschrumpft,<br />
es fanden sich keine<br />
Ehrenamtlichen. Die meisten<br />
Mitglieder waren schon vor der<br />
Wende dabei, waren Leistungs-<br />
Paddler. Heute organisieren sie<br />
Wettbewerbe für Kinder, um<br />
sie „ein bisschen von Konsumdenken<br />
wegzubringen“. Die<br />
Kinder wüchsen in einer seltsamen<br />
Welt auf, nein, bemerkte<br />
ein Vater, er wolle heute nicht<br />
mehr jung sein. Zwischen den<br />
einzelnen Rennen verglichen<br />
die Jungen Turnschuh-Preise<br />
im Netz. „Einer aus meiner<br />
Klasse, der hat’s raus!“ sagte einer.<br />
„Der hat so ein limitiertes<br />
Modell gekauft und für 500 Euro<br />
auf Ebay versteigert!“<br />
Am Ende stand jeder von ihnen<br />
auf dem Treppchen –die<br />
Altersklassen waren so zusammengestellt,<br />
dass am Ende jeder<br />
einmal Sieger war. Es gehe<br />
mehr darum, dass die Kinder eine<br />
Gemeinschaft erleben, sagte<br />
der Trainer. Viele Jugendliche<br />
würden wegwollen von hier, –<br />
nein, nicht weg aus dem Osten,<br />
sondern weg vom Land.<br />
Hinter dem Siegerpodest<br />
stand eine Mutter und sagte:<br />
„In Beeskow sieht man jetzt<br />
viele verschleierte Frauen.“ Ich<br />
zuckte zusammen. Und dachte<br />
plötzlich wieder an die Wahl.<br />
Sie fuhr fort: „Die haben so viele<br />
Kinder. Wir könnten Kinder<br />
gebrauchen. Aber die kommen<br />
nicht zu uns.“<br />
Früher sei man quasi in eine<br />
Gemeinschaft reingezwungen<br />
worden, das habe schlechte,<br />
aber auch gute Seiten gehabt.<br />
Heute breche alles auseinander,<br />
was gemeinschaftsstiftend<br />
sein könnte. Dabei könne sich<br />
die Mitgliedschaft in einem<br />
Sportverein jeder leisten, ein<br />
Fitnessstudio könnten sich Familien<br />
mit mehreren Kindern<br />
nicht leisten. Außerdem trainiere<br />
da jeder für sich.<br />
Ich war schon fast wieder in<br />
Berlin, als ich das das Foto vom<br />
Sonnenaufgang über dem<br />
Bootssteg doch noch postete,<br />
dazu wir drei Paddler, der<br />
Brandenburger, der Westfale<br />
und ich. 40 Likes, drei Herzen.<br />
Der Brandenburger hatte<br />
recht: Sonnenaufgänge ziehen<br />
immer.