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„Ich sehe mich<br />
als Weltbürgerin“,<br />
sagt Cornelia<br />
Funke(60).<br />
Ihr neues Buch<br />
„Das Labyrinth<br />
des Fauns“ ist der<br />
erste Roman, den<br />
sie auf Englisch<br />
schrieb.<br />
ges Buch auf Englisch ist. Sie<br />
solltemir meineGermanismen<br />
austreiben.<br />
Wie haben Sie den Wechsel<br />
zum Englischschreiben erlebt?<br />
Ich hatte schon ein paar Kurzgeschichten<br />
auf Englisch geschrieben.<br />
Aberesist doch etwas<br />
anderes, 250 Seiten zu schreiben.<br />
Es ging sehr gut, und ich muss sagen,<br />
eshat mir große Lust am<br />
Schreiben aufEnglisch gemacht.<br />
Ich konnte mich ganz auf die<br />
Sprache konzentrieren, was natürlich<br />
auch geholfen hat.<br />
Auch das ist ungewöhnlich.<br />
Die wenigsten Schriftsteller<br />
schreiben in einer anderen<br />
Sprache als ihrer Muttersprache.<br />
Ich liebees, in zwei Sprachen<br />
zu leben, denn ich glaube,<br />
dass man dadurch jede<br />
Sprache mehr wertschätzt.<br />
Man sieht permanent,<br />
das kann<br />
man im Deutschen<br />
nicht, das geht im<br />
Englischen besser<br />
und umgekehrt. Ich<br />
musste mich aber auch zum<br />
ersten Mal damit abfinden, dass<br />
ich übersetzt werde. Trotzdem<br />
saß ich natürlich noch sechs<br />
Wochen an dieser Übersetzung,<br />
bestimmte Dinge kann<br />
halt nur der Autor entscheiden.<br />
Es ist<br />
aber<br />
schön,<br />
zu hören,<br />
dass die Leser<br />
auch im Englischen<br />
meine eigene<br />
Stimme wiederfinden.<br />
Wie unterscheidet sich die<br />
Kinderbuch-Kultur inAmerika<br />
und Deutschland?<br />
Sowohl in England als in Amerika<br />
gibt es eine andere Wertschätzung<br />
fürs Kinderbuch,<br />
ebensowie fürs fantastischeKinderbuch.<br />
Die Deutschen haben<br />
einsehr gestörtes Verhältnis zur<br />
Fantasy. Meine Theorie ist: Dadurch,<br />
dass der Faschismus so<br />
sehr mit unseren Mythen und<br />
dem Irrationalen gearbeitet<br />
hat, haben wiruns von diesem<br />
literarischen Erbe<br />
entfremdet. Wir hatten<br />
mal eine ganz starke<br />
fantastische Erzähltradition,die<br />
dann<br />
abrupt abbrach.<br />
Danach war es<br />
fast verteufelt, Fantasy<br />
zu schreiben. Das<br />
findet man in anderen Ländern<br />
nicht so. Der Respekt vor dem<br />
Kinderbuch ist einfach anders.<br />
Niemand würde in Amerika sagen,<br />
Huckleberry Finn ist Kinderliteratur.<br />
Man sagt, es ist<br />
Weltliteratur. Die Grenzen sind<br />
weniger strikt: Es gibt Diskussionsrunden,<br />
woSalman Rushdie<br />
neben J.K. Rowling sitzt.<br />
Sind Sie deshalb vor fast 15<br />
Jahren in die USA gezogen?<br />
Das intellektuelle Klima hat sichereine<br />
Rollegespielt. Ich hatte<br />
aberauchschon seit Teenagertagen<br />
eine Liebesaffäre mit der<br />
englischen Sprache. Und dann<br />
liebe ich es auch,ineinem Immigrationsland<br />
mit vielen verschiedenen<br />
Nationalitäten zu leben.<br />
Ich kennedas gar nicht mehr anders.<br />
Sehen Sie sich dennoch als<br />
deutsche Schriftstellerin, die<br />
in Amerika lebt?<br />
Nein, ich sehe mich als Weltbürgerin.<br />
Aber natürlich bin ich<br />
mir sehr bewusst, dass ich Deutsche<br />
bin. Das wird einem vielleicht<br />
noch bewusster, wenn<br />
man im Auslandlebt.InAmerika<br />
wirddas oftpositiv bewertet.<br />
Sind Sie mittlerweile US-<br />
Staatsbürgerin?<br />
Nein, ich muss erst einmalprüfen<br />
lassen, ob ich meinen deutschen<br />
Pass behalten darf. Das<br />
dauert.<br />
Aber eine Rückkehr kommt<br />
nicht infrage?<br />
Ich bin niemand, der zurückgeht.<br />
Ich könnte mir sogar eher<br />
vorstellen, noch mal nach Neuseeland<br />
zu ziehen.<br />
Sie werden weltweit gelesen,<br />
von Indien bis Hamburg. Würden<br />
Sie sagen, es gibt ein universelles<br />
Kinderbewusstsein?<br />
Das Verrückte ist, die Kinder<br />
auf der Welt sind gleichzeitig<br />
verschieden und gleich. In Jaipur<br />
in Indien standen mal Leute<br />
um die30vor mir, die sagten: Sie<br />
sindmeine Kindheit.Wie ist das<br />
möglich, fragt man sich,ich habe<br />
„Drachenreiter“, das Buch, um<br />
das es ging, in Hamburg in einem<br />
Dachbodenzimmer geschrieben,<br />
und die indische Realität ist so<br />
anders. Doch der Grundsatz des<br />
fantastischen Erzählensist auch,<br />
dass man darin universelle<br />
Wahrheiten adressiert. Und die<br />
großen Fragen sind überall und<br />
bei allen gleich: die Angst vor<br />
dem Verlust von geliebten Menschen,<br />
der Schutz, den man seinen<br />
Kindern angedeihen lassen<br />
will, die Sehnsucht nach Liebe.<br />
Allein die Regeln und Tabus sind<br />
andere.Tatsächlich habe ichden<br />
Eindruck, dassvor alleminLändern,<br />
wo die existenzielle Härte<br />
sehr deutlich ist, eine große<br />
Ernsthaftigkeit im Umgang mit<br />
Literatur besteht.<br />
Ist Lesen also wichtig für Kinder?<br />
Ich denke, Lesen ist wichtig,<br />
aber andere Dinge sind noch<br />
viel wichtiger. Kinder sollten<br />
sich nicht von der natürlichen<br />
Welt entfremden. Dadurch entgehen<br />
ihnen wichtige Erfahrungen:<br />
Was ist der Tod, was ist<br />
das Vergehen? All das, was die<br />
Natur uns sehr selbstverständlich<br />
über unsere Existenz erklärt,<br />
geht im Moment verloren.<br />
Wegen der sozialenMedien?<br />
Nein, ich mache mir nur Sorgen,<br />
dass Kinder viel zu viel zur<br />
Schule gehen. Das ist eine dramatischeFehlentscheidung.<br />
Kinder<br />
müssensich selbst ohneErwachsene<br />
entdecken können. Sie<br />
brauchen Freizeit.