Berliner Kurier 13.11.2019
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DER WEISHEIT<br />
LETZTER SCHUSS<br />
SEITE25<br />
BERLINER KURIER, Mittwoch, 13. November 2019<br />
Fotos: Winter,imago images/WEREK<br />
Andreas Baingo<br />
Michael<br />
Jahn<br />
Jürgen Klinsmann (l.)<br />
jubelt mit Investor Lars<br />
Windhorst auf der Tribüne.<br />
Wassollsoll Jürgen<br />
Klinsmann bewegen?<br />
München 1997: Jürgen<br />
Klinsmann ist über seine<br />
Auswechslung so sauer,<br />
dasserein Loch in die<br />
Werbetonne tritt.<br />
Begeisterung und Elan wird der Ex-Stürmer<br />
bringen, Notnagel-Trainer wird er eher nicht<br />
W<br />
er erinnert<br />
sich<br />
heute<br />
noch an<br />
den Diver?<br />
Jürgen<br />
Klinsmann zelebrierte<br />
seinen ganz speziellen Torjubel<br />
in den 90er-Jahren und<br />
wurde damit Kult bei den<br />
Tottenham Hotspurs im Londoner<br />
Norden. Der Weltklassestürmer<br />
breitete dabei seine<br />
Arme wie riesige Adlerschwingen<br />
aus und rutschte<br />
meterweit bäuchlings über<br />
den Rasen. Die Fans tobten<br />
und gaben ihm den Beinamen<br />
„Diver“, der Taucher. Jetzt<br />
tauchte Klinsmann (55) wieder<br />
auf –inBerlin. Seit einigen<br />
Tagen hat er einen Sitz im<br />
Aufsichtsrat der Hertha BSC<br />
GmbH &Co. KGaA und gilt<br />
als der Bevollmächtigte des<br />
Großinvestors Lars Windhorst.<br />
Wenn ich an den Profi<br />
Klinsmann denke,<br />
den Welt- und Europameister,<br />
der 108 Länderspiele<br />
bestritt, habe ich<br />
einige Bilder sofort im<br />
Kopf. 1990 bei der WM in<br />
Italien raste er wie ein Irrwisch<br />
durch die Abwehr der<br />
Holländer und besiegte diese<br />
beinahe im Alleingang. Oder:<br />
1996 nahm er als Kapitän der<br />
Nationalmannschaft aus den<br />
Händen von Queen Elizabeth<br />
II. die Trophäe für den Sieg<br />
bei der Europameisterschaft<br />
entgegen. Damals war ich in<br />
Wembley dabei, konnte die<br />
emotionalen Anführer Klinsmann<br />
und Matthias Sammer<br />
interviewen. Als Reporter habe<br />
ich Klinsmann auch zuvor<br />
hautnah erlebt –fast vier Wochen<br />
lang bei der Weltmeisterschaft<br />
1994 in den USA. Im<br />
Februar 1995 bekam ich die<br />
Chance, ihn in London auf<br />
dem Trainingsgelände von<br />
Tottenham zu besuchen. Der<br />
„Diver“ befand sich gerade<br />
auf dem Höhepunkt seiner<br />
Popularität und erwies sich<br />
als eloquenter und charmanter<br />
Interviewpartner.<br />
Auch den wütenden Klinsmann<br />
sehe ich vor mir. Als<br />
ihn der berühmte Trainer<br />
Giovanni Trapattoni beim FC<br />
Bayern 1997 einmal entgegen<br />
seinem Willen auswechselte,<br />
trat der Stürmer heftig ein<br />
Loch in eine Werbetonne.<br />
Und noch eine Szene hat sich<br />
bei mir eingebrannt: eine Sequenz<br />
aus dem Dokumentarfilm<br />
von Sönke Wortmann<br />
„Deutschland. Ein Sommermärchen“.<br />
Sie zeigt, wie<br />
Klinsmann als DFB-Teamchef<br />
in der Kabine eine hochemotionale<br />
Ansprache an seine<br />
Spieler hält und mit Händen<br />
und Füßen gestikuliert.<br />
Nicht alles aber ist Klinsmann,<br />
einem der Protagonisten<br />
des „Sommermärchens“,<br />
gelungen. Als Trainer des FC<br />
Bayern München scheiterte<br />
er ziemlich krachend und<br />
schnell. Und als Nationaltrainer<br />
der USA erlebte er in fünf<br />
Jahren Amtszeit einige Höhen,<br />
aber zuletzt noch mehr<br />
Tiefen.<br />
Die neue Aufgabe bei Hertha<br />
BSC, die auf ausdrücklichen<br />
Wunsch von Lars Windhorst<br />
zustande kam, soll ihn<br />
emotional sehr gepackt<br />
haben. Dennoch stelle ich mir<br />
die Frage: Was soll Klinsmann<br />
in Berlin eigentlich<br />
bewirken? Zumal<br />
er weiter in Kalifornien<br />
lebt. Nur ein wenig<br />
Glanz und Glamour in<br />
den Verein bringen, dem die<br />
überregionale Strahlkraft<br />
fehlt? Der Aufsichtsrat der<br />
KGaA von Hertha besitzt wenig<br />
Einfluss –schon gar nicht<br />
auf das operative Geschäft.<br />
Mit Klinsmann aber –das ist<br />
der eigentliche Coup –wird<br />
sich Windhorst künftig in<br />
sehr vielen Fragen beraten.<br />
Hertha will partizipieren<br />
vom riesigen Netzwerk<br />
Klinsmanns, der in den USA,<br />
aber auch in vielen europäischen<br />
Ländern glänzende<br />
Kontakte unterhält. Aus seinem<br />
direkten Umfeld heißt<br />
es, dass Klinsmann nicht nur<br />
die Mannschaft von Hertha<br />
voranbringen will, sondern<br />
den gesamten Verein. Stichwort:<br />
Internationalisierung.<br />
Er wird Begeisterung und<br />
Elan in den Klub bringen,<br />
kündigte mir ein Vertrauter<br />
des polyglotten Klinsmann<br />
an. Das kann auf keinen Fall<br />
schaden.<br />
Auf der Mitgliederversammlung<br />
habe ich mich umgehört<br />
und gefragt, ob sich die Herthaner<br />
ineiner Notlage auch<br />
den Hertha-Trainer Klinsmann<br />
vorstellen könnten? Die<br />
Mehrheit sagte „Nein!“. Sollte<br />
der sehr engagierte Ante Covic<br />
den sportlichen Turnaround<br />
doch nicht schaffen, hat das<br />
Gros der Mitglieder nur einen<br />
Wunschkandidaten: Niko Kovac!<br />
MichaelJahn