Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
*<br />
Fashion Week Berlin<br />
70000 Besucher und<br />
Katie Holmes erwartet<br />
SEITE 16<br />
SEITE7<br />
BERLINER KURIER, Dienstag, 14. Januar 2020<br />
Berlins Digitalisierung<br />
Die Zukunft muss warten<br />
Die Einführung der E-Akte in den Amtsstuben liegt auf Eis<br />
Analog und digital: Dieses<br />
Bild soll bald der Vergangenheit<br />
angehören.<br />
Doch der Umbau stockt.<br />
Von<br />
ELMAR SCHÜTZE<br />
Es sollte das große Prestigeobjekt<br />
Berlins werden.<br />
Die Stadt wollte die erste<br />
bundesweit sein, die ihre Verwaltung<br />
komplett auf elektronische<br />
Akten umstellt. Eine<br />
dreistellige Millionen-Summe<br />
sollte die sogenannte E-Akte<br />
kosten. Doch jetzt ist klar, dass<br />
der Zeitplan unmöglich eingehalten<br />
werden kann. Ein Bieter,<br />
der bei der Vergabeentscheidung<br />
des Landes Berlin unterlegen<br />
war, hat eine Überprüfung<br />
veranlasst. Jetzt liegt das<br />
Verfahren auf Eis. Das könnte<br />
für den Senat weitreichende<br />
Folgen haben und die Steuerzahler<br />
mit weiteren Millionenkosten<br />
belasten.<br />
Gestern kamen die Karten auf<br />
den Tisch. Innen-Staatssekretärin<br />
Sabine Smentek (SPD),<br />
zuständig für Informationsund<br />
Kommunikationstechnik,<br />
musste vor dem Ausschuss für<br />
Kommunikationstechnologie<br />
und Datenschutz des Abgeordnetenhauses<br />
erklären, dass die<br />
Vergabekammer das Verfahren<br />
erneut prüft. Jetzt droht die<br />
Wiederholung der Ausschreibung<br />
.Fachleute gehen gegenüber<br />
dem <strong>Berliner</strong> KURIER inzwischen<br />
von einer Verzögerung<br />
von einem weiteren Jahr<br />
aus. Ursprünglich sollte die<br />
E-Akte am 1. Januar 2023 alleiniger<br />
Standard sein.<br />
Die Reaktionen auf Smenteks<br />
Eingeständnis fielen deutlich<br />
aus. „Ich halte den Termin für<br />
nicht haltbar“, sagte Sven Kohlmeier,<br />
netzpolitischer Sprecher<br />
der SPD-Fraktion, dem<br />
KURIER, „da muss man sich<br />
ehrlich machen“. Netzpolitiker<br />
Bernd Schlömer, von den Piraten<br />
zur FDP gewechselt, hält<br />
den Termin auch längst nicht<br />
mehr für realistisch. Viel wahrscheinlicher<br />
sei ein Zeitpunkt<br />
zwischen 2026 und 2030.<br />
Auch CDU-Innenpolitiker<br />
Stephan Lenz schaut skeptisch<br />
in die elektronische Zukunft.<br />
„Ich sehe mit großer Sorge,<br />
dass der Termin in Gefahr gerät“,<br />
sagte er dem KURIER. Für<br />
ihn „bahnt sich ein Führungs-<br />
versagen an“. IT-Staatssekretärin<br />
Sabine Smentek habe „per<br />
Gesetz alle Kompetenzen. Sie<br />
kann Standards festlegen –<br />
dann ist sie auch verantwortlich“,<br />
so Lenz. FDP-Mann<br />
Schlömer will nicht über Personen<br />
reden. Für ihn ist „der gesamte<br />
Senat in der Verantwortung.<br />
Er muss ein vergabekonformes<br />
Vergabeverfahren hinkriegen.<br />
Das ist ihm nicht<br />
gelungen“, sagte Schlömer dem<br />
<strong>Berliner</strong> KURIER.<br />
Die Verzögerung wirft ein bezeichnendes<br />
Licht auf den<br />
schleichenden Ausbau von IT-<br />
Infrastruktur und -Ausstattung<br />
in Deutschland. In Berlin ist die<br />
Lage offenbar besonders dramatisch.<br />
Nach Schätzungen<br />
von Fachleuten benutzen derzeit<br />
noch rund 30 Prozent aller<br />
PC-Anwender in Deutschland<br />
das veraltete Betriebssystem<br />
Windows 7. Doch dafür gibt es<br />
ab heute keinen kostenlosen<br />
Support mehr durch den Anbieter<br />
Microsoft. Dieser hatte das<br />
Betriebssystem vor elf Jahren<br />
auf den Markt gebracht. „Wer<br />
weiterhin Windows 7einsetzt,<br />
Die Verwaltung wurde<br />
schon mehrfach Ziel von<br />
Hacker-Angriffen<br />
muss mit gravierenden Folgen<br />
für die Sicherheit seiner Daten<br />
beziehungsweise seines Unternehmens<br />
rechnen“, sagt Thomas<br />
Uhlemann vom IT-Sicherheitsunternehmen<br />
ESET der<br />
Nachrichtenagentur dpa. Datendiebe<br />
oder Hacker hätten<br />
leichtes Spiel. Zu den öffentlichen<br />
Einrichtungen in<br />
Deutschland, die den Umstieg<br />
auf ein moderneres Betriebssystem<br />
bisher noch nicht komplett<br />
geschafft haben, gehört<br />
auch die <strong>Berliner</strong> Verwaltung.<br />
Dort waren im Dezember vergangenen<br />
Jahres erst knapp<br />
zwei Drittel aller Arbeitsplätze<br />
auf Windows 10 umgestellt<br />
worden. Experten gehen jetzt<br />
davon aus, dass das Land Berlin<br />
eine sechsstellige Summe für<br />
einen gesonderten Support-<br />
Vertrag ausgeben muss, um die<br />
noch nicht umgestellten Arbeitsplätze<br />
überhaupt am Laufen<br />
zu halten.<br />
Tatsächlich entsprechen<br />
noch viel zu wenige <strong>Berliner</strong><br />
Dienstrechner auch nur den<br />
derzeit gesetzlich geltenden Sicherheitsbestimmungen.<br />
Wie<br />
der RBB berichtet, arbeiten in<br />
der <strong>Berliner</strong> Verwaltung immer<br />
noch mehr als 20000 Computer<br />
mit Windows 7. Von den aktuell<br />
82000 Rechnern in Senats-<br />
und Bezirksverwaltungen,<br />
bei Polizei, Feuerwehr,<br />
Justiz und Bürgerämtern seien<br />
erst 70 bis 75 Prozent auf Windows<br />
10 umgestellt.<br />
Die <strong>Berliner</strong> Landesverwaltung<br />
ist bereits mehrfach Ziel<br />
von Hacker-Angriffen geworden.<br />
Zuletzt waren das Kammergericht<br />
und Rechner der<br />
Humboldt-Universität von<br />
Trojanern infiziert. Fatale Folgen<br />
hatte voriges Jahr eine Sicherheitspanne<br />
beim <strong>Berliner</strong><br />
Kammergericht. Dort hatte<br />
sich ein Virus eingenistet. Das<br />
bedeutete, dass die Mitarbeiter<br />
wochenlang ohne Computer<br />
auskommen mussten – ein<br />
Rückfall ins 20. Jahrhundert.<br />
Wie sehr die Umstellung der<br />
Verwaltung auf rein elektronische<br />
Akten den eigenen Zielen<br />
hinterherhinkt, beweist schon<br />
der zeitliche Ablauf des Umstellungsverfahrens<br />
bis heute.<br />
Das E-Government-Gesetz<br />
wurde im Mai 2016, noch zu<br />
Zeiten der rot-schwarzen Koalition,<br />
beschlossen. Damals war<br />
von einem rund sechseinhalbjährigen<br />
Verfahren die Rede.<br />
Am Ende, am 31. Dezember<br />
2022, sollten <strong>Berliner</strong> Amtsstuben<br />
ausschließlich noch mit E-<br />
Akte arbeiten.<br />
Im Jahr 2018, zweieinhalb<br />
Jahre nach Verabschiedung des<br />
Gesetzes, veröffentlichte der<br />
Senat eine Ausschreibung. Gesucht<br />
wurde ein Softwarelieferant<br />
und Realisierungsdienstleister,<br />
der die Verwaltung<br />
„nach dem Stand der Technik“<br />
fit für das 21. Jahrhundert, aber<br />
auch rechtssicher vor möglichen<br />
Einsprüchen von Datenschützern<br />
machen sollte.<br />
Sicher ist jetzt schon, dass ein<br />
Zielpunkt des Verfahrens bereits<br />
verfehlt wurde. So ist in<br />
der Ausschreibung der Start<br />
des Vertrages mit dem 21. Oktober<br />
2019 angegeben.