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12 * <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 18 · M ittwoch, 2 2. Januar 2020<br />
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Berlin<br />
Kaum ein Thema treibt die <strong>Berliner</strong> seit Jahren so um wie Mieten und Vermieten. WESTEND 61<br />
Klappt der Mietendeckel jetzt?<br />
Das umstrittene Gesetzesvorhaben der rot-rot-grünen Koalition soll am Mittwoch die vorletzte parlamentarische Hürde nehmen<br />
VonElmar Schütze<br />
Der Mietendeckel, eines<br />
der wichtigsten und umstrittensten<br />
Gesetzesvorhaben<br />
der rot-rotgrünen<br />
Koalition, steht nach fast anderthalb<br />
Jahren heftiger Diskussionen<br />
und Kontroversen kurz vor dem<br />
Abschluss.Gleichzeitig stellt sich die<br />
Frage,was die Arbeit der vielen politisch<br />
Beteiligten in Berlin eigentlich<br />
wert ist. Am Ende werden wohl Gerichte<br />
entscheiden müssen.<br />
Am Mittwoch befasst sich der<br />
Ausschuss für Stadtentwicklung mit<br />
den Änderungsanträgen der Fraktionen.<br />
Am Ende soll eine „Empfehlung<br />
zur Beschlussfassung“ stehen. Diese<br />
soll bei der nächsten Plenarsitzung<br />
des Parlaments am 30. Januar beschlossen<br />
und damit Gesetz werden<br />
–rückwirkend zum 18. Juni vorigen<br />
Jahres,als sich der Senat auf die Eckpunkte<br />
einigte.<br />
Und wenn es doch schiefgehen<br />
sollte? Wenn die eigentlich satte rotrot-grüne<br />
92:68-Mehrheit wackeln<br />
sollte? Die <strong>Berliner</strong> Verfassung sieht<br />
nur zwei Lesungen für ein Gesetz<br />
vor. Jedoch könnte der Senat eine<br />
weitere, dritte Lesung beantragen.<br />
Wie schwer sich die Koalitionäre<br />
bis zum allerletzten Tagmit dem Formulieren<br />
von Kompromissen taten,<br />
zeigte sich bei der SPD. Bis zum<br />
Dienstagabend brüteten die Sozialdemokraten<br />
über dem Papier. Zu<br />
kompliziertwar die Konsensfindung<br />
vorigen Herbst, als sich Teile der SPD<br />
und der Grünen damit zufrieden geben<br />
wollten, die Mieten fürWohnungen,<br />
die vor 2014 errichtet wurden,<br />
für fünf Jahreeinzufrieren. Am Ende<br />
setzten sich doch die radikaleren<br />
Vorstellungen der Linken und Teile<br />
der anderen beiden Koalitionspartner<br />
durch, die besonders hohe Mieten<br />
sogar reduzieren wollen.<br />
Tatsächlich stehen in der Debatte<br />
ganz grundsätzliche Themen auf<br />
dem Spiel. Eine der zentralen Fragen<br />
betrifft dieVerlässlichkeit vonPolitik.<br />
Ist esrichtig, dass der Gesetzgeber<br />
Regeln beschließt, die Gefahr laufen,<br />
vonGerichten zerpflückt zu werden?<br />
Kritik an Parlamenten<br />
Nun gehört eszum Wesen der Demokratie,<br />
dass staatliches Handeln<br />
vor unabhängigen Gerichten überprüft<br />
werden kann. Aber Verfassungsrechtler<br />
erkennen einen unguten<br />
Trend. Sie kritisieren, dass das<br />
Bundesverfassungsgericht zuletzt<br />
fast schon zu einer gesetzgebenden<br />
Institution geworden ist, einer Art<br />
Nebenparlament. Immer wieder gibt<br />
2014<br />
ist der Stichtag der 1.Januar.<br />
Alle älteren Wohnungen<br />
sind vomMietendeckel<br />
betroffen<br />
es deswegen Appelle an Abgeordnete<br />
im Bund und in den Ländern,<br />
sorgfältiger und konsensorientierter<br />
zu arbeiten und möglichst rechtssichereGesetzezubeschließen.<br />
Dabei geht es jedoch nicht immer<br />
um Schlampigkeit. Viel öfter<br />
mangelt es am Willen zum Kompromiss.<br />
Beim Mietendeckel zum Beispiel<br />
sieht Rot-Rot-Grün einen Mieten-Notstand.<br />
Dieser müsse behoben<br />
werden, gegen alle Widerstände.<br />
So könnte auch der Mietendeckel<br />
am Ende in Karlsruhe landen –und<br />
jeder in der <strong>Berliner</strong> Politik weiß das.<br />
Nicht umsonst wiederholen Vertreter<br />
der Koalition immer und überall,<br />
MIETE ZU HOCH<br />
340 000<br />
<strong>Berliner</strong> Haushalte zahlen<br />
eine so hohe Miete, dass sie<br />
durch den Mietendeckel gekürzt<br />
werden könnte<br />
2,5<br />
Milliarden Euro<br />
soll die<br />
Entlastung der Mieter<br />
insgesamt betragen<br />
dass man „Neuland“ betrete. Soll<br />
heißen: DerDeckel wackelt.<br />
Bei der ersten Deckel-Lesung im<br />
Abgeordnetenhaus, einer Experten-<br />
Anhörung in der zweiten Dezember-<br />
Woche, waren die rechtlichen<br />
Knackpunkte noch einmal deutlich<br />
zu Tage getreten. Zwei Fragen standen<br />
im Mittelpunkt: Darf das Land<br />
Berlin überhaupt mit einem eigenen<br />
Gesetz die Mieten für fünf Jahreeinfrieren?<br />
Oder steht die Kompetenz<br />
dafür dem Land nicht zu, weil Mietengesetzgebung<br />
Bundessache ist?<br />
Vonsechs eingeladenen Juristen<br />
erklärten drei, dass sie das Land Berlin<br />
für zuständig halten, den Anstieg<br />
der Mieten mit einem eigenen Gesetz<br />
weiter zu beschränken, drei widersprachen<br />
dieser Auffassung.<br />
Nun ging es aber nicht um einen<br />
akademischen Streit von Gutachter,<br />
sondern umknallharte Politik. Natürlich<br />
fühlten sich beide Lager –Opposition<br />
hier, Koalition dort –durch<br />
die Anhörung in ihrer Haltung bestätigt.<br />
CDU-FraktionsvizeStefan Evers<br />
sah den Senat in Erklärungsnot. Dieser<br />
könne sich keineswegs sicher<br />
sein, dass er in diesem Fall tatsächlich<br />
Gesetzgebungskompetenz hat.<br />
FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja<br />
verwies darauf, dass der Eingriff in<br />
Eigentumsrechte von Juristen problematisch<br />
gesehen werde. AfD-<br />
Mann Harald Laatsch sah den Senat<br />
in eine „peinliche Niederlage“ vor<br />
dem Bundesverfassungsgericht stolpern.<br />
Es drohe schwerer Schaden.<br />
SPD, Linke und Grüne dagegen<br />
verteidigten den Deckel ganz<br />
grundsätzlich. SPD-Abgeordnete<br />
Iris Spranger erinnerte daran, dass<br />
es darum gehe, den „Mietenwahnsinn“<br />
zu stoppen. DieLinken-Abgeordnete<br />
Gaby Gottwald verwies auf<br />
die steigende Mietbelastung der<br />
<strong>Berliner</strong>, das sei schlecht für die<br />
Stadt. „Höher, schneller, weiter –so<br />
geht es nicht mehr“, sagte die Grünen-Abgeordnete<br />
Katrin Schmidberger.<br />
Deutschlands oberster Mieter-<br />
Lobbyist Lukas Siebenkotten sieht<br />
den Senat dabei auf dem richtigen<br />
Weg. Die Debatte über den Mietendeckel<br />
sei doch „eine Reaktion auf<br />
die Untätigkeit des Bundes“, sagte<br />
der Präsident des Deutschen Mieterbundes<br />
(DMB) am Dienstag in Berlin.<br />
Der DMB ist ein bundesweiter<br />
Dachverband für zahlreiche Verbände<br />
und Vereine. Auch der <strong>Berliner</strong><br />
Mieterverein mit seinen 170 000<br />
Mitgliederngehörtdem DMB an.<br />
„Viel Glück“ vomLobbyisten<br />
Nach Siebenkottens Worten stimme<br />
die Aussage immer noch, dass die<br />
Wohnungsfrage die soziale Frage unserer<br />
Zeit sei. Das zwinge zum Handeln<br />
–und genau dies habe der Bund<br />
trotz seiner mietengesetzgeberischen<br />
Kompetenz seit den 90er-Jahren<br />
fahrlässigerweise unterlassen.<br />
Vorallem habe sich der Bund nicht<br />
ausreichend um die Begrenzung der<br />
Bestandsmieten gekümmert. Ergo:<br />
„Wir wünschen dem Mietendeckel<br />
viel Glück!“<br />
Elmar Schütze<br />
ärgert, dass so viele Gesetze<br />
in Karlsruhe landen.<br />
Die grüne Wagenburg<br />
Der umstrittene Kreuzberger Baustadtrat Florian Schmidt erhält Rückendeckung von Bezirksbürgermeisterin Monika Hermann und dem Landeschef der Grünen, Werner Graf<br />
VonAnnika Leister<br />
Lückenlose Aufklärung –das fordernzurzeit<br />
alle in der Causa Florian<br />
Schmidt (Grüne). Dabei, so sehen<br />
es der Regierende Bürgermeister<br />
und die Opposition, stünden zuerst<br />
das grünregierte Bezirksamt und<br />
Schmidts Chefin, Bürgermeisterin<br />
Monika Hermann, in der Pflicht, in<br />
zweiter Instanz auch der Landesverband<br />
der Grünen selbst. Am Dienstag<br />
sagte Hermann der <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong>,<br />
Baustadtrat Schmidt habe<br />
nach jetziger Überprüfung keine Akten<br />
manipuliert: „Das Rechtsamt hat<br />
mir heute noch einmal bestätigt,<br />
dass er nicht eigenhändig in Akten<br />
rumgewühlt, Seiten rausgenommen<br />
oder reingelegt hat“, so Hermann.<br />
Schmidt wirdvon der Opposition<br />
und dem eigenen Koalitionspartner<br />
auf Bezirksebene, der SPD, vorgeworfen,<br />
Akten vor der Opposition<br />
bewusst zurückgehalten zu haben.<br />
Unter Umständen, so ein weiterer<br />
Vorwurf, soll Schmidt die Akten sogar<br />
manipuliert haben. Schmidt hat<br />
bei der Aktenausgabe bereits zwei<br />
„formale Fehler“ eingestanden. Er<br />
habe die Akten aber nicht aus politischer<br />
Motivation zurückgehalten,<br />
teilte er am Montag mit, sondern lediglich<br />
in einer internen Sitzung gesagt,<br />
dass das seine Motivation sei.<br />
Im Bezirksamt Friedrichshain-<br />
Kreuzberg herrscht seit Tagen Ausnahmezustand.<br />
Man habe die Vorgänge<br />
in den vergangenen Tagen untersucht<br />
und mit den für die Bereitstellung<br />
der Akten zuständigen<br />
Mitarbeitern gesprochen, sagt Monika<br />
Hermann. DieVorstellung, dass<br />
Schmidt als politisch Verantwortlicher<br />
die Akten selbst bereitstelle, sei<br />
„naiv“, so Hermann. In der Regel sei<br />
das nicht der Fall, sondern viele Akteure<br />
in eine Akteneinsicht eingebunden<br />
–auch Justiziare.<br />
Um „formale Fehler“ wie jene,die<br />
Schmidt angeblich unterliefen, in<br />
Zukunft zu vermeiden, arbeite das<br />
Bezirksamt gerade an einer Checkliste,sagt<br />
Hermann: Siesolle klarstellen,<br />
was von der Verwaltung bei der<br />
Akteneinsicht zu beachten sei. Der<br />
Die Opposition fordertseinen Rücktritt: Florian Schmidt<br />
GETTY/GALLUP<br />
waltung in Finanzfragen hatte am<br />
Montag angekündigt, dass es die<br />
Vorkäufe durch Florian Schmidt im<br />
Namen der umstrittenen Genossenschaft<br />
Diese EG noch in dieser<br />
Woche prüfen wolle und dabei auch<br />
darauf achte, dass die Akten vollständig<br />
seien. Hermann sagte, sie<br />
sehe das Problem, dass sie für Op-<br />
Leiter des Rechtsamts arbeite diese<br />
Liste aus.<br />
Damit sieht Hermann ihre eigenen<br />
Möglichkeiten zur Aufklärung<br />
ausgeschöpft. „Ich begrüße aber<br />
sehr, dass mit dem Landesrechnungshof<br />
eine neutrale Instanz den<br />
Vorgang überprüfen wird“, sagte<br />
sie. Das Kontrollgremium der Verposition<br />
und Öffentlichkeit als<br />
Grüne wenig glaubwürdig erscheine,<br />
den ebenfalls Grünen<br />
Schmidt zu entlasten. „Der Rechnungshof<br />
ist eine unbestechliche<br />
Instanz. Er wird sich den gesamten<br />
Vorgang vorlegen lassen. Mehr als er<br />
prüfen kann, können wir auch<br />
nicht“, sagte sie.<br />
Werner Graf, Vorsitzender des<br />
<strong>Berliner</strong> Landesverbands, sagt, er<br />
glaube Schmidt, dass er die Akten<br />
nicht aus politischer Motivation zurückgehalten<br />
habe.Ineiner internen<br />
Sitzung aber hat Schmidt davon gesprochen,<br />
durch das Zurückhalten<br />
eine politische Instrumentalisierung<br />
durch die Opposition und Berichterstattung<br />
durch den Tagesspiegel verhindern<br />
zuwollen. Der Landesvorsitzende<br />
folgt dabei Schmidts Argumentation,<br />
wie auch die Grünen im<br />
Bezirk und in der Fraktion: Schmidt<br />
habe seines Wissens nach lediglich<br />
behauptet, die Akten aus politischen<br />
Gründen zurückzuhalten –erhabe<br />
das aber nicht tatsächlich getan.<br />
Dennoch: „Diesen Satz überhaupt<br />
zu sagen, ist nicht akzeptabel“, so<br />
Graf. DasAkteneinsichtsrecht sei für<br />
die Grünen ein sehr hohes Gut. Dennoch<br />
stehe man hinter Schmidt, der<br />
„sehr,sehr gute Arbeit“ leiste.<br />
Ähnlich sieht es Wirtschaftssenatorin<br />
Ramona Pop(Grüne):Transparenz<br />
sei den Grünen wichtig. DasBezirksverwaltungsgesetz<br />
regele das<br />
Vorgehen bei Akteneinsicht. „Dieses<br />
gilt für alle Parteien“, sagte Pop der<br />
<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> am Montag.<br />
Mehr Klarheit –oder aber neue<br />
Fragen –wird vermutlich schon dieser<br />
Mittwoch bringen: Die FDP hat<br />
beantragt, Schmidt im für Finanzen<br />
zuständigen Hauptausschuss des<br />
Abgeordnetenhauses zu befragen.<br />
Schmidt sagte der <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong><br />
am Montag, er werde erscheinen.<br />
Hermann wie Graf erwarten das<br />
auch von ihrem Parteikollegen: „Er<br />
sagt, er habe sich nichts vorzuwerfen<br />
–also sollte er zu denVorwürfen Stellung<br />
beziehen“, so Graf. Gremien<br />
wie der Hauptausschuss seien dafür<br />
da, aufzuklären. „Und wir wollen<br />
Aufklärung, keine Verschleppung.“