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Berliner Zeitung 22.01.2020

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22 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 18 · M ittwoch, 2 2. Januar 2020<br />

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Feuilleton<br />

UweKowski: „Wald“, 2015, Öl auf Leinwand (l.) und „Selbst mit Himmel“, 2018, Öl auf Leinwand VG BILDKUNST BONN 2020/ UWE WALTER BERLIN/ COURTESY GAL. EIGEN+ART LEIPZIG/BERLIN (2)<br />

Explodierendes Vokabular<br />

Das Malerische selbst ist die Botschaft: Die Bilder des Wahlberliners Uwe Kowski in der Kunsthalle Rostock<br />

VonIngeborg Ruthe<br />

Sehen“. Das Schlichte des<br />

Ausstellungstitels täuscht.<br />

Mit der simplen Aufforderung<br />

„Sehen“ verbindet dieser<br />

Maler seinen Anspruch an den<br />

kostbaren Augen-Sinn, der in einer<br />

Welt der digitalen Bilderflut- und<br />

Verwurstung dauerstrapaziert wird.<br />

So sehr, dass viele Leute eigentlich<br />

gar nichts mehr sehen. Der Titel<br />

steht für den Anspruch des Malers<br />

UweKowski an sich selbst und an die<br />

Betrachter –der Landschaften, der<br />

Ein- und Ausdrucksmotive für Geschautes,Gelesenens,Empfundenes<br />

–und für die Selbstporträts.Die hängen<br />

an der Wand hinter eine Gruppe<br />

von Bronzebüsten aus der Sammlung<br />

der Kunsthalle Rostock.<br />

Die stehen jetzt im neugebauten<br />

großzügigen Schaudepot des Moderne-Museums<br />

und lassen sich<br />

nicht lange bitten. Kowski, dieser in<br />

Berlin lebende Leipziger – einst<br />

lernte er an der Kunsthochschule<br />

seiner Geburtsstadt das Handwerk<br />

bei Malern wie Dietrich Burger und<br />

Bernhard Heisig –hat die Bilder des<br />

letzten Jahrzehnts ausgebreitet:<br />

kleine und große Hoch- und auch etliche<br />

Querformate,die nichts mit der<br />

neoromantischen oder surrealen<br />

Bildsprache der damaligen Leipziger<br />

Mal-Gefährten zu tun haben. Auch<br />

versagen bei diesen Arbeiten Attribute<br />

wie „abstrakt“ oder „gegenständlich“.<br />

Diese einst – ideologischen<br />

– Schubladen der Kunstgeschichte<br />

des Jahrhunderts der Moderne<br />

sind für Kowski seit gut 30<br />

Jahren obsolet.<br />

Willkür und Form<br />

Er hat sich stattdessen beizeiten<br />

Maßstäbe und Zuspruch bei Altvorderen<br />

geholt. Unübersehbar etwa<br />

bei Delacroix und dessen Ratschlag,<br />

das Vokabular der Natur und der<br />

Umwelt unbeirrtineine eigene Sprache<br />

zu „übersetzen“. Undwohl auch<br />

bei Matisse, der sagte, man müsse<br />

vonAnfang an eine klareVorstellung<br />

vom Ganzen haben. In der Weise:<br />

„... ich schreite fort, angespornt von<br />

einer Idee, die ich erst kennenlerne<br />

dadurch, dass sie nach und nach in<br />

meinem Bild Gestalt annimmt“.<br />

Also malt Kowski nach dem Prinzip,<br />

Anschauung und Willkür in eine<br />

Form zu bringen. Sanft zwingt er uns<br />

Betrachter, die Augen zwischen<br />

Oberfläche und Tiefenstrukturen<br />

des Bildes hin- und herwandern zu<br />

lassen, die weichen und die harten<br />

Formungen, das heftig Gestrichelte,<br />

das Splitternde, das Schwellende,<br />

sich Ineinanderschiebende,die bunten<br />

Konfettis,die sich zu einem Kopf,<br />

einer vagen Form ballen. Nurandeutungsweise<br />

nimmt man Gebilde in<br />

den Schichten wahr. Sind es Farbtöne<br />

für Stimmungen, heitere, melancholische,<br />

angstvolle, ungeduldige,<br />

elegische? Für Einnerungen?<br />

DIE AUSSTELLUNG „SEHEN“<br />

Der Maler Uwe Kowski, geboren 1963 in Leipzig,gelernter Schriftmaler,studierte an der<br />

Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst, zählte mit seinem eigenwilligen nichtfigurativenund<br />

nicht erzählenden Stil zu den jungen Protagonisten der um 2000 Furore machenden<br />

„NewLeipzig School“. Er zog um nach Berlin und setzte sich vondem Label ab,umdie unerschöpfliche<br />

Vielseitigkeit des Malens zu ergründen und auszuloten.<br />

Kunsthalle Rostock: „Sehen“, Hamburger Str.40, kuratiertvon Leonie Pfennig,bis 15. März,<br />

Di–So 11–18 Uhr.Katalog (MMKoehn), 28 Euro. Infos: www.kunsthallerostock.de<br />

Für Tagund Nacht, für die Jahreszeiten<br />

und den gnadenlosen Fluss der<br />

Zeit? Nach dem ersten Rundgang in<br />

der weitläufigen Halle weiß ich: Ich<br />

muss diese Bilder komplex sehen:<br />

Schicht für Schicht, Struktur für<br />

Struktur.Ich muss darin mit den Augen<br />

herumwandern, während vom<br />

Maler eigentlich nichts erzählt,<br />

nichts erklärtwird.<br />

Die Deutungen liegen bei mir als<br />

Betrachtende selbst. Titel wie<br />

„Wald“, „Vor einer Mauer“, „Holz“<br />

„Die Dinge“, „Regennasse Scheibe“,<br />

„Im Gras“ oder „Freischwimmer“<br />

helfen ein bisschen, treiben die Assoziationen<br />

aber viel weiter,weil das,<br />

was man sieht, auch etwas ganz anderes<br />

sein kann. Solche Bild-Wahrnehmung<br />

ist anstrengend. Und sie<br />

ist befreiend. Anfangs,meint Kowski,<br />

seien da die einzelnen Sujets, die<br />

würden genährtdurch seine alltägliche<br />

Weltanschauung. „Aber es geht<br />

ja nicht um das Was, sonder ums<br />

Wie.“Ermalt nicht nach dem klassischen<br />

Vorbild mit Vorder- und Hintergrund,<br />

mit „Goldendem Schnitt“,<br />

Tiefenperspektiveoder Fluchtpunkt.<br />

Wie Wald nach einem Sturm<br />

Manche Motive scheinen aus Farboder<br />

Filmschnipseln zu bestehen,<br />

lassen entfernt an Monets Seerosen<br />

denken, andere an einen Wäscheplatz<br />

oder eine Sommerwiese, ein<br />

nächstes Bild hat etwas von einem<br />

Eissee, über den der Wind fegt oder<br />

einem Wald nach einem Wirbelsturm.<br />

Alles sind farbige Erinnerungsfetzen,<br />

vielleicht auch Ausschnitte<br />

aus einem größeren oder<br />

auch ganz banalem (Welt-)Geschehen.<br />

Ereignisse, die sich unscharf<br />

über die Leinwände ziehen: ein azurblauer<br />

Bildgrund, darauf ein rotgelbbraunlilaweißer<br />

Kopf, aber ohne<br />

Physiognomie. Das wie aus dem<br />

Blau auftauchende Porträt „Selbst<br />

mit Himmel“, ein offenkundig gutgelauntes<br />

Konterfei des Malers an einem<br />

Sommertag. Kowskis Bilderfindungen<br />

haben immer auch mit Licht<br />

zu tun, da ist er den Impressionisten,<br />

ihrer atmosphärischen Kunst nahe.<br />

Dann wieder haben das Stakkato der<br />

heftigen Pinselstriche,die Wuchtder<br />

Farbmassen etwas Expressives.<br />

Die Stil-Schublade aber ist Kowski<br />

sounwichtig wie die Unterscheidung<br />

abstrakt oder gegenständlich.<br />

Er sagt entschieden: „Ich bin kein<br />

abstrakter Maler!“ Er will ungebändigte<br />

Lebensdynamik erfassen, dramatisch<br />

oder verspielt und poetisch,<br />

Farbe scheint zu explodieren, als<br />

wolle sie aus dem Bildraum hinaus,<br />

aber sie fügt sich und gerinnt dann<br />

doch zu etwas, dem Vokabular, das<br />

zum Großen und Ganzen gehört.<br />

Ingeborg Ruthe erlebte<br />

die Rostocker Schau als<br />

Schule des Sehens.<br />

Eine Ruinenlandschaft, in der fetzenhafte Stimmen wehen<br />

Burial alias William Bevan, der prominenteste Vertreter der britischen Clubmusik, legt ein erstaunliches Album vor<br />

VonMarkus Schneider<br />

Komm doch runter zu uns“ –<br />

Come Down to Us –heißt einer<br />

der erstaunlichsten Tracks auf dieser<br />

Sammlung des britischen Clubproduzenten<br />

Burial. Über 13 Minuten<br />

schleppt er sich in einem schleichenden<br />

Downbeat-Trabdurch Gewölbekeller.„Excuse<br />

me,I’m lost“ hörtman<br />

eine Stimme im Vorbeigehen, während<br />

aus labyrinthischen Seitengängen<br />

verschlungene, kaum entzifferbare<br />

Gesänge wehen und sich wieder<br />

verlieren. In der Fernespielt eine<br />

gläserne, anschmiegsame Melodie,<br />

vielleicht voneiner einsamen hohen<br />

Orgelpfeife. Dann setzt die Musik<br />

aus, es knirscht, brummt und<br />

knackt, falsch abgebogen.<br />

Eine Ansage krackelt: „Don’t be<br />

afraid to step in the unknown!“ Und<br />

wirklich: Die Melodie wird wieder<br />

lauter, dichter, bis wir durch einen<br />

Raum gehen, dessen Weite nur zu<br />

ahnen ist, weil die Sounds zu einem<br />

hallenden jubilierenden Lied anschwellen.„You<br />

arenot alone“. In die<br />

Auslaufstille spricht eine Stimme:<br />

„Diese Welt, die wir uns hier vorstellen,<br />

die öffnet uns Türen in andere<br />

Räume, andere Welten, von denen<br />

wir bisher nie geahnt haben.“<br />

Erstaunlich ist das Stück nicht nur<br />

wegen der emotionalen Wärme, die<br />

Burial mit seinen Samples und Maschinen<br />

hier konstruiert; oder der<br />

wunderbaren Architektur der Klänge.<br />

Sondern auch, weil William Bevan,<br />

der Künstler hinter dem Künstlernamen,<br />

seiner Musik explizit einen politischen<br />

Boden einzieht: Wir hören<br />

Auszüge einer Preisrede,die die„Matrix“-Regisseurin<br />

Lana Wachowski<br />

2014 für die LGBTQ-Human-Rights-<br />

Kampagne über den schmerzvollen<br />

Wegzur Transition als Frau hielt. Bevan<br />

ist seit seinen ersten beiden Alben<br />

„Burial“ (2006) und „Untrue“<br />

(2007) einerseits der prominenteste<br />

Vertreter der britischen Clubmusik.<br />

Dennoch ist es ihm gelungen, sich<br />

als Person bis heute der Prominenz<br />

so zu entziehen wie er seine Beats<br />

unter Layern aus Vinylkratzen, Industrierauschen<br />

und Regen vernebelt<br />

– praktisch keine Interviews,<br />

keine Auftritte,keine Promotion.<br />

Burial: Ein Star,der hinter seiner Musik verschwindet.<br />

BURIAL/PROMO<br />

trale der Dubstep-Szene in den Nullerjahren.<br />

In Burials frühen Tracks<br />

wurden die kathedralischen Katakomben<br />

dieser durch Hall und Subbässe<br />

verräumlichten Musik zu einer<br />

düsteren Ruinenlandschaft, in der<br />

nur mehr fetzenhafte, zweifelhaft<br />

humanoide Stimmen wehten.<br />

Wiedas Label hat sich auch Burial<br />

in der letzten Dekade stilistisch<br />

gründlich erweitert. Durch die hier<br />

fast komplett versammelten Hyper-<br />

Daher ist auch „Tunes 2011–19“<br />

kein herkömmliches Best-of geworden:<br />

Burial hat seit den beiden Alben<br />

seine Tracks nur noch einzeln oder<br />

auf EP-Maxis veröffentlicht, auch<br />

wenn diese, wie im Falle von „Rival<br />

Dealer“, von dem das eingangs vorgestellte<br />

Stück stammt, gern mal<br />

eine halbe Stunde dauern. Einen Anlass<br />

für „Tunes“ gab der 15. Geburtstag<br />

von Steve Goodmans wegweisendem<br />

Hyperdub-Label, der Zendub-Stücke<br />

(es fehlen ein paar Gemeinschaftsarbeiten<br />

und anderswo<br />

verstreute Tracks) geistern all die jeweils<br />

aufgeregt ausgerufenen Subgenres,die<br />

sich aus den hinkend vertrackten<br />

Rhythmen von Jungle, UK<br />

Garage, Two Step verzweigt haben.<br />

Umso mehr erkennt man nun im<br />

Fluss dieser 150 Minuten das ästhetische<br />

Programm und die Perspektive<br />

des Künstlers: Er schaut wesentlich<br />

vondraußen, als lägen die Stimmen,<br />

Körper, Beats schon als futurisische<br />

Entwürfe in der Vergangenheit.<br />

Durchaus sinnvoll ordnet er die<br />

Stücke grob absteigend chronologisch.<br />

Er beginnt mit beinah ambient-artigen<br />

Stücken der letzten beiden<br />

Jahre, mulmenden, geräuschbelegten<br />

Synthieschwaden, durch die<br />

nur mühsam ein paar Nebelhornsigale<br />

dringen. Vondortbewegt er sich<br />

durch immer dichter rhythmisierte<br />

und melodisierte Tracks, bis er am<br />

Ende mit einer sanft entkörperlichten<br />

Heliumstimme in der industrialisierten<br />

Landschaft von„NYC“ landet.<br />

Dazwischen streift er melancholisch<br />

durch die ständig sich verändernden<br />

Szenen, wobei auch ein<br />

später Track wie „Claustro“ von2019<br />

in die mittlere Clubbanger-Phase<br />

sortiert wird. Allerdings verliert er<br />

sich auch in solchen eher gradlinig<br />

orientierten Stücken nicht in der Unmittelbarkeit<br />

und zeitverlustigen Euphorie<br />

des Raves. Noch Stimmen,<br />

die aus munterem Europop oder<br />

seelenvollem R&B zu stammen<br />

scheinen, verformt er unter den aufgeregt<br />

knirschenden, zischenden<br />

und buckelnden Beats und düster<br />

warmen Harmonien zu verwischten,<br />

schmerzlichen Seufzern der Erinnerung<br />

an Extase und Lust.<br />

Burials Musik erzählt vom Nachhall<br />

der Nacht und der Flüchtigkeit<br />

des gemeinschaftlichen Grooves.<br />

Seine Tunes halten die Echos des<br />

Bewusstseins im Beginn des Morgens<br />

fest, Momente des Glücks und<br />

der Hoffnung, die sonst, um es mit<br />

den Worten eines berühmten Philosophen<br />

der Erinnerung zu sagen, in<br />

der Zeit verloren wären wie Tränen<br />

im Regen.<br />

Burial: Tunes2011–19, Hyperclub/Cargo

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