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6 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 18 · M ittwoch, 2 2. Januar 2020<br />
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Hauptstadt<br />
Arbeit und Soziales<br />
Inneres, Bau und Heimat<br />
Justiz und Verbraucherschutz<br />
Gesundheit<br />
Auswärtiges Amt<br />
Finanzen<br />
Petitionen nach<br />
Ressort 2018<br />
2087<br />
Verkehr und digitale<br />
Infrastruktur<br />
Wirtschaft<br />
und Energie<br />
1925<br />
Umwelt,<br />
Naturschutz,<br />
nukleare<br />
Sicherheit<br />
Deutscher<br />
Bundestag<br />
356<br />
271<br />
1119<br />
1485 Verteidigung Bildung,<br />
Forschung<br />
Bundespräsidialamt<br />
Bundesrat<br />
1694<br />
Familie,<br />
Ernährung<br />
Bundeskanzleramschaft<br />
Frauen, 198 185 Wirtschaftliche<br />
Landwirt-<br />
Senioren,<br />
Jugend<br />
Zusammenarbeit<br />
232<br />
und Entwicklung<br />
256<br />
1005<br />
34 15 2<br />
718<br />
538<br />
500<br />
Petitionen in Deutschland<br />
auf eine Million der Bevölkerung des jeweilien Bundeslandes, 2018<br />
bis 120<br />
121 -140<br />
141 -160<br />
161 -180<br />
über 180<br />
Zahl der Petitionen im zeitlichen Verlauf<br />
25 000<br />
20 000<br />
Bremen<br />
113<br />
Niedersachsen 171<br />
Nordrhein-<br />
Westfalen 129<br />
Hessen<br />
Rheinland-<br />
Pfalz<br />
Saarland 173<br />
117<br />
Baden-Württemberg 119<br />
Schleswig-<br />
Holstein 171<br />
Hamburg<br />
151<br />
128<br />
Sachsen-Anhalt 144<br />
128<br />
133<br />
Mecklenburg-<br />
152 Vorpommern<br />
280<br />
Bayern<br />
199<br />
Thüringen<br />
Brandenburg<br />
194<br />
Berlin<br />
Sachsen<br />
23 960<br />
Direkter Draht<br />
Über den Petitionsausschuss kann sich jeder ohne Umwege an den<br />
Bundestag wenden. Und bekommt auch eine Antwort<br />
VonTanja Brandes, Eric Beltermann und Isabella Galanty<br />
Wann hat man als Bürger mit dem Deutschen Bundestag<br />
schon ganz konkret zu tun? „Bei den Wahlen alle<br />
vier Jahre oder wenn man vielleicht mal von einem<br />
Abgeordneten eingeladen wird“, sagt Marian Wendt.<br />
„Und eben über das Petitionsrecht. Durch die Petitionen, die bei<br />
uns eingehen, sehe ich, was die Menschen bewegt und wo im Alltag<br />
Probleme liegen.“<br />
Seit fast zwei Jahren ist Wendt Vorsitzender des Petitionsausschuss<br />
im Bundestag. In dieser Zeit hat der CDU-Politiker einen<br />
ziemlich guten Einblick in die Probleme der Menschen bekommen,<br />
die sich an den Ausschuss wenden. Es gibt Ärger mit einer<br />
Behörde.Die Sanierung einer Schule ist überfällig. DieÄnderung<br />
des Waffenrechts wird gefordert oder mehr Engagement fürs<br />
Klima. Undhin und wieder erlebt der 34-Jährige auch, dass nicht<br />
nur alltägliche Dinge die Bürger umtreiben. Vorwenigen Wochen<br />
forderte ein Petent,die Oblast Kaliningrad solle das 17. deutsche<br />
Bundesland werden: Neu-Ostpreußen. Und regelmäßig landet<br />
auf Wendts Schreibtisch eine Petition, deren Verfasser darauf<br />
drängt, Deutschland möge die Besiedelung eines anderen Planeten<br />
vorbereiten –umgewappnet zu sein, wenn der Todessterndie<br />
Erde zerstört. Absurdoder nicht –auch bei diesen Petitionen gibt<br />
es ein reguläres Verfahren. „Staats- und völkerrechtlich wäreesja<br />
theoretisch möglich, dass Russland sagt: ‚Ihr könnt Kaliningrad<br />
haben, wir haben daran kein Interesse mehr, nennt es, wie ihr<br />
wollt.‘ Politisch ist das natürlich völlig abwegig.“ Trotzdem bekommt<br />
auch dieser Petent ein Schreiben mit der Erklärung,<br />
warum seine Forderungnicht umsetzbar ist. Solange es keine Bedrohung<br />
oder Beleidigung sei, werde jede Petition ernstgenommen,<br />
sagt Wendt. „Egal wie absurd.“<br />
Mehr als 13 000 Petitionen erreichen den Bundestagsausschuss<br />
jedes Jahr. Die meisten davon sind Einzelpetitionen. Undobnun<br />
eine Schule saniertoder ein fremder Planet besiedelt werden soll –<br />
jede bekommt Aufmerksamkeit. „Das Petitionsrecht ist ein Jedermannsrecht“,<br />
sagt Marian Wendt. „Jeder kann eine Petition einreichen,<br />
unabhängig vom Alter oder der Staatsangehörigkeit –und<br />
22 144<br />
für alle gelten die gleichen Kriterien. Wirunterscheiden da nicht.“<br />
Die Petition muss allerdings auf Deutsch abgefasst, verständlich<br />
und unterschrieben sein –und mit einer Adresse versehen. BeiÄrger<br />
mit Behörden reiche oft eine Stellungnahme des zuständigen<br />
Bundesministeriums,damit ein Sachverhalt erneut geprüft werde.<br />
Außerdem wird die Petition vom Ausschuss bewertet und geht<br />
dann an mindestens zwei zuständige Abgeordnete –jeweils einen<br />
vonder Koalition und der Opposition. Es ist eine aufwendige Prozedur,<br />
die auch Wendt oft zu lange dauert. Etwa, wenn die Abstimmung<br />
im Parlament ansteht, bevor die vierwöchige Mitzeichnungsfrist<br />
einer Petition abgelaufen ist. Manarbeite daran,<br />
die Abläufe zu beschleunigen, sagt Wendt.<br />
Fast alle der rund 800 Petitionen, die zurVeröffentlichung beantragt<br />
werden, würden übrigens freigeschaltet. „Nur in manchen<br />
Fällen muss manabwägen:Wann geht es einfach darum, inhaltlich<br />
unterschiedliche Positionen zu diskutieren und wann ist die Diskussion<br />
an sich schon schädlich?“ Eine Petition, in der gefordert<br />
wurde,die Verwendung vonHakenkreuzen nicht mehr strafrechtlich<br />
zu verfolgen, war so ein Fall. „Mit der Veröffentlichung einer<br />
solchen Petition auf der Seite des Bundestages würde man eine<br />
Grenze überschreiten, die wir ziehen müssen –gerade aufgrund<br />
unserer Geschichte.“ Diemeisten Anliegen sind weit weniger heikel.<br />
Etwa 15 Prozent der Petitionen fallen in den Bereich Arbeit und<br />
Soziales,bei fast ebensovielen geht es um Innenpolitik.<br />
Zu Petitionen, die innerhalb von vier Wochen mindestens<br />
50 000 Unterstützern finden, gibt es öffentliche Sitzungen des<br />
Ausschusses. Die Petenten können dort ihr Anliegen vor der<br />
Presse und Zuschauern vortragen. Das garantiert einer Petition<br />
mehr Aufmerksamkeit –was nicht heißt, dass sie auch mehr Aussicht<br />
auf Erfolg hat. „Für uns als Ausschuss spielt es keine Rolle,<br />
ob ein Verein eine Petition einreicht oder Herr Müller,obsie von<br />
einer Person unterzeichnet wurde oder von50000. DerAufwand<br />
ist der gleiche.“ Es wird eben jede Petition ernstgenommen.<br />
Selbst, wenn das angesichts der Forderungen hier und da sicher<br />
auch mal schwerfällt.<br />
15 000<br />
10 735<br />
10 992<br />
10 000<br />
1980 ’85 ’90 ’92<br />
’95 ’00<br />
’05 ’10 ’15 2018<br />
13 832<br />
11 236<br />
13 189<br />
QUELLE: BUNDESTAG<br />
PLATZ DER REPUBLIK<br />
Abgeordnete<br />
und Abstinenz<br />
Christine Dankbar<br />
freut sich auf die Fastenzeit.<br />
Esgibt ein Thema, über das sich<br />
alle Parteien einig sind. Das<br />
kommt im politischen Berlin sehr<br />
selten vor. Es ist noch dazu eine politische<br />
Fragestellung, die ein gewisses<br />
selbstkritisches Element enthält: Nahezu<br />
alle Bundestagsabgeordneten<br />
(MdB) sind der Meinung, dass es zu<br />
viele vonihnen gibt.<br />
Das klingt jetzt ein bisschen so,<br />
als hätte der politikerfeindliche Populismus<br />
schon bei den Protagonisten<br />
selbst Einzug gehalten. Natürlich<br />
ist das nicht der Fall, jedenfalls nicht<br />
bei dieser Angelegenheit. An die 709<br />
Abgeordneten, die derzeit im Bundestag<br />
sitzen, hat man sich ja schon<br />
gewöhnt. Nach außen fällt das auch<br />
nicht so auf, weil ja selten alle im Plenum<br />
sitzen. Doch die Politiker aller<br />
Parteien fürchten sich vor den<br />
nächsten Bundestagswahlen –und<br />
wir reden hier jetzt mal nicht über<br />
die Umfragewerte der Parteien.<br />
Die sind zumindest für die ehemaligen<br />
Volksparteien CDU und<br />
SPD ernüchternd bis verheerend.<br />
Nach der jüngsten Umfrage mit der<br />
so genannten Sonntagsfrage (Wen<br />
würden Sie wählen, wenn am Sonntag<br />
Wahltag wäre?) läge die Union<br />
mit 27,5 Prozent zwar noch an der<br />
Spitze der Wählergunst. Die SPD<br />
kommt gerade mal auf 13 Prozent<br />
und liegt damit hinter den Grünen<br />
liegt (21 Prozent) und auch hinter<br />
der AfD (15 Prozent). Die Linke und<br />
die FDP finden sich bei 9,5 Prozent<br />
bzw.8,5 Prozent. Damit kann man sicher<br />
sagen, dass es auch im nächsten<br />
Bundestag wieder sechs Fraktionen<br />
geben wird. Wie viele Abgeordnete<br />
zur konstituierenden Sitzung auf<br />
den leuchtend blauen Stühlen Platz<br />
nehmen werden, kann man aus diesem<br />
Ergebnis nicht ablesen. DieTendenz<br />
ist allerdings klar:Stimmen die<br />
Deutschen wirklich so ab werde es<br />
mehr als 709 Abgeordnete werden.<br />
Damit würde der Bundestag seine eigene<br />
Rekordzahl weiter steigern.<br />
Vorden denWählernsieht man so<br />
natürlich ganz schlecht aus,weshalb<br />
jetzt, gewissermaßen auf den letzten<br />
Drücker, eine gewisse Betriebsamkeit<br />
hinter den Kulissen eingesetzt<br />
hat. Auch wenn die große Koalition<br />
halten sollte, wonach es bisher ja<br />
wieder aussieht, wird im nächsten<br />
Jahr gewählt. Für ein neues Wahlgesetz<br />
ist es jetzt also höchste Zeit.<br />
An dieser Stelle kann man sich<br />
den Bundestag ein bisschen vorstellen,<br />
wie einen Basar, aufdem lebhaft<br />
gefeilscht und geschimpft wird. Da<br />
das allen aber auch ein bisschen<br />
peinlich ist, versucht man die Debatte<br />
möglichst internzuführen.<br />
Das liegt aber auch an den Argumenten,<br />
die zum Teil leicht zu<br />
durchschauen sind. Die Union etwa<br />
möchte gerne jene Abgeordnetensitze<br />
einsparen, die an die Opposition<br />
gehen würden. So machte<br />
jüngst ein Vorschlag die Runde, der<br />
der Fraktion mit einem der schlechtesten<br />
Wahlergebnisse der Nachkriegszeit<br />
dennoch die absolute<br />
Mehrheit der Mandate einbringen<br />
würde. Selbstverständlich unannehmbar<br />
für die Opposition, die ihrerseits<br />
die Zahl der Direktmandate<br />
reduzieren möchte.Sie ahnen sicher,<br />
welche Seite besonders viele Direktmandate<br />
gewinnt.<br />
Doch bald ist ja Fastenzeit, da<br />
lässt sich ein gemeinsamer Verzicht<br />
vielleicht eher durchsetzen. Andernfalls<br />
müssen mehr leuchtend blaue<br />
Stühle bestellt werden.