Melange No9
Melange No9 - Das Magazin im Süden Bayerns
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KONSTANTIN<br />
WECKER<br />
AUF DER SUCHE NACH<br />
DEM WUNDERBAREN –<br />
POESIE IST WIDERSTAND<br />
Im großen Saal des Café Bellevue di Monaco in Münchens<br />
Glockenbachviertel ist es mucksmäuschenstill.<br />
Die heutige Lesung, deren Erlös komplett an das Bellevue und<br />
seine Hilfsprojekte für geflüchtete Menschen geht, ist bis auf den<br />
allerletzten Platz besetzt. Konstantin Wecker sitzt an einem Pult<br />
auf der Bühne, hält in der Hand sein neues Buch „Auf der Suche<br />
nach dem Wunderbaren – Poesie ist Widerstand“, und Gänsehaut<br />
breitet sich aus, als er spontan, a capella, zur Melodie von Beethovens<br />
Neunter zu singen beginnt:<br />
„NEIN, ICH HÖR NICHT AUF ZU TRÄUMEN<br />
VON DER HERRSCHAFTSFREIEN WELT,<br />
WO DER MENSCHEN MITEINANDER<br />
UNSER SEIN ZUSAM MENHÄLT.<br />
LASST UNS JETZT ZUSAM MENSTEHEN,<br />
ES BLEIBT NICHT MEHR SO VIEL ZEIT.<br />
LASST UNS LIEBEN UND BESIEGEN<br />
WIR DEN HASS DURCH ZÄRTLICHKEIT.“<br />
Poesie und Widerstand, so beginnt Wecker die Lesung, passen<br />
auf den ersten Blick vielleicht nicht zusammen. Gilt doch die<br />
Poesie allgemeinhin als etwas die Seele aufbauendes, Tröstendes,<br />
ausschließlich der Schönheit verpflichtetes. Wohingegen Widerstand<br />
gerne im Politischen verortet und skeptisch beäugt wird.<br />
Dabei sei Widerstand eine unerlässliche, immer wieder neu aufzufrischende<br />
Lebenshaltung, die hilft, sich nicht einfach allem<br />
zu beugen, was einem als selbstverständlich aufgetischt wird.<br />
Sein neues Buch ist eine wunderbare Sammlung aus eigenen<br />
Texten sowie Werken von Rainer Maria Rilke, Peter Härtling,<br />
Mascha Kaléko, Peter Rühmkorf, Herman van Veen und anderen<br />
großen Poeten. Eine Ode an die Menschlichkeit, an die Empathie,<br />
an den Mut, seinem Herzen zu folgen.<br />
Konstantin Wecker liest im Café Bellevue di Monaco.<br />
EIN KONZERTABEND IN DER<br />
MEISTERSINGERHALLE NÜRNBERG<br />
Zwei Wochen später sind wir nach Nürnberg eingeladen, um<br />
Konstantin Weckers Konzert zu besuchen und ihn am darauffolgenden<br />
Tag zum exklusiven Interview zu treffen.<br />
Der große Saal der imposanten Meistersingerhalle mit seinen<br />
2100 Sitzplätzen ist am Konzertabend ebenfalls restlos ausverkauft.<br />
Unser Platz auf dem vorderen Parkett bringt uns ganz<br />
nah ans Geschehen. Als Wecker das Konzert am Flügel eröffnet<br />
und seine Band mit Gitarre, Piano, Perkussion und Bass einsteigt,<br />
halten die Menschen den Atem an. Schnell spürt man,<br />
dass jeder der Anwesenden von der Musik mitgetragen wird;<br />
die Atmosphäre ist dicht und beinahe mit den Händen greifbar.<br />
Weckers Texte gehen auf direktem Weg unter die Haut und seine<br />
mutigen, das aktuelle Weltgeschehen betreffenden Botschaften<br />
ebenso. Bereits ab der Hälfte des beinahe dreistündigen Konzerts<br />
gibt es Standing Ovations, bald steht der ganze Saal, und nicht<br />
enden wollender Applaus fordert Zugabe um Zugabe.<br />
EIN MITTAGSGESPRÄCH UNTER FREUNDEN<br />
Am darauffolgenden Tag sind wir mit Konstantin Wecker zum<br />
Mittagessen verabredet. Trotz der bereits etwas kühleren Temperaturen<br />
entscheiden wir uns für ein Essen im Garten des<br />
Hotels, denn dort sind wir alleine, und mit Jacke lässt es sich<br />
wunderbar aushalten. Wir genießen die Herbstsonne.<br />
Es fühlt sich nicht an wie ein Interview, sondern vielmehr wie<br />
ein philosophisches Gespräch unter Freunden.<br />
Wer Konstantin heute, mit seinen 71 Jahren, begegnet, erlebt<br />
einen, wenn auch nach wie vor dem Widerstand verpflichteten,<br />
aber gleichzeitig sehr in sich ruhenden, präsenten Menschen.<br />
Foto: Bela Raba<br />
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