Militaer_Aktuell_1_2020
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0 5 0 s c h l u s s p u n k t<br />
coronavirus:<br />
ein schock mit folgen<br />
Das Coronavirus gefährdet nicht nur die Gesundheit von Millionen Menschen in China und auf der<br />
ganzen Welt, sondern könnte für die politische Führung in Peking auch ungeahnte gesellschaftliche<br />
Nebenwirkungen haben. Eine Analyse von Brigadier Walter Feichtinger, Leiter des Instituts<br />
für Friedensforschung und Konfliktmanagement an der Landesverteidigungsakademie, der in<br />
Zukunft an dieser Stelle immer aktuelle Konflikt- und Sicherheitsthemen eingehend beleuchten wird.<br />
mehr als 2.500 tote, geschlossene<br />
Fabriken, sinkende Aktienkurse,<br />
abgeriegelte Großstädte und<br />
millionen menschen unter Quarantäne:<br />
das coronavirus ist ein drastisches Beispiel<br />
dafür, welch unglaubliche Wirkungen einzelne<br />
ereignisse auf politik, Wirtschaft und<br />
Gesellschaft haben können und wie sie<br />
auch eine autoritäre regierung, die den<br />
gesamten medienbereich zu kontrollieren<br />
vermag, rasch in Bedrängnis bringen<br />
kann. Wer den Anspruch erhebt, die<br />
Bevölkerung zu schützen und deshalb<br />
individuelle rechte einschränkt, kommt<br />
zwangsläufig in die defensive, wenn<br />
genau das nicht passiert. es ist erwiesen,<br />
dass sich das Virus deshalb so stark verbreiten<br />
konnte, weil die ersten Warnungen<br />
amtlicherseits als „schädliche Gerüchte“<br />
eingestuft und unterdrückt wurden. schon<br />
2003 hatte peking beim ersten Auftreten<br />
von sArs mit dieser Vertuschungsstrategie<br />
reagiert. das untergräbt aber die<br />
Glaubwürdigkeit und Autorität jeder regierung<br />
und ruft misstrauen hervor – bei<br />
der eigenen Bevölkerung wie im Ausland.<br />
trotz aller folgenden, außergewöhnlichen<br />
kraftakte der regierung in peking wird<br />
wohl eine gewisse skepsis bleiben. manche<br />
meinen sogar, dass china gerade ein<br />
politisches erdbeben erlebe. extreme<br />
Folgen werden auch im ökonomischen<br />
Bereich erwartet. so könnte der schaden<br />
allein für china auf bis zu 300 milliarden<br />
euro ansteigen, in Österreich geht man<br />
von 1,1 miliarden euro aus. dabei ist es laut<br />
Who noch gar nicht möglich, den weiteren<br />
Verlauf der epidemie vorauszusagen.<br />
somit sind auch die tatsächlichen schäden<br />
und langzeitfolgen aktuell nur zum teil<br />
abschätzbar.<br />
Auf internationaler ebene war eine gewisse<br />
routine zu erkennen, da man ähnliche<br />
Virus- erfahrungen ja schon bei der Bekämpfung<br />
von sArs 2003 und ebola 2014<br />
„resilienz wird<br />
zukünftig vonnöten<br />
sein, denn schocks<br />
werden vermehrt<br />
auftreten.“<br />
sammeln konnte. diesmal traf es jedoch<br />
nicht uganda oder die demokratische republik<br />
kongo, sondern zum zweiten mal<br />
den politischen und wirtschaftlichen riesen<br />
china, der sich erstens nicht in die karten<br />
schauen lassen möchte und zweitens<br />
über einen internationalen Austausch von<br />
unvorstellbarem Ausmaß verfügt. somit<br />
stufte die Who das coronavirus als<br />
„public enemy number 1“ ein und rief<br />
eine „gesundheitliche notlage von<br />
internationaler tragweite“ aus.<br />
das coronavirus wird noch lange nachwirken,<br />
schon jetzt stellt sich aber die drängende<br />
Frage, ob es Ausnahmefall bleiben<br />
oder zum „normalfall“ werden könnte.<br />
Ähnlich der sogenannten „jahrhunderthochwasser“,<br />
die wir in Österreich und<br />
andernorts schon alle paar jahre erleben.<br />
Bereits evident ist, dass die Gefahr der<br />
Verbreitung von krankheiten infolge des<br />
zunehmenden internationalen reiseverkehrs<br />
enorm gestiegen ist und nur ein<br />
weltweites Warn- und kontrollsystem eine<br />
ungehinderte Ausbreitung verhindern<br />
kann. „message-control à la peking“ ist<br />
dabei doppelt gefährlich – denn es verhindert<br />
einerseits eine rasche, fokussierte<br />
Bekämpfung und andererseits riskiert damit<br />
jede regierung ihre Glaubwürdigkeit<br />
und den rückhalt in der Bevölkerung.<br />
damit sind wir beim letzten und wichtigsten<br />
punkt – der resilienz des politischen,<br />
wirtschaftlichen und sozialen systems. so<br />
fordert Österreichs Gesundheitsminister<br />
Anschober bereits eine pharmastrategie<br />
der eu, weil medikamentenversorgung<br />
auch eine sicherheitspolitische Frage sei.<br />
sogenannte schockereignisse erfordern<br />
nämlich entsprechende Vorkehrungen<br />
und größte entschlossenheit, Führungsfähigkeit<br />
und Flexibilität. entscheidend<br />
ist dabei auch der umgang mit und die<br />
nutzung von medien, um infos gezielt<br />
zu verbreiten und panik zu vermeiden. resilienz<br />
wird zukünftig vonnöten sein, denn<br />
schocks werden vermehrt auftreten, sei es<br />
infolge des klimawandels, von cyberattacken,<br />
eines Blackouts oder eines neuen<br />
Virus. die tatsächliche stärke eines politischen<br />
systems wird sich daran messen<br />
lassen, wie es damit umzugehen vermag.<br />
Foto s : A pA p i c t u r e d e s k , n A d j A m e i st e r<br />
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