BÜCHERFoto: Janine Machiedo38 ZETT. JUNI 2020
BÜCHERSCHÖNE GESCHICHTENFoto: Arne BickerLesen für umsonst: Dieses oft unterschätzte und doch stetsgreifbare Vergnügen bietet die Freiburger Stadtbibliothek mitihren vier Standorten am Münsterplatz 17, in der Staudingerschulein Haslach, in der Falkenbergstraße 21 in Mooswald undim Rieselfeld (Maria-von-Rudloff-Platz 2).Im Kulturmagazin ZETT. empfehlen Bibliothekarinnen und Bibliothekareneuere Bücher im Bestand der Freiburger Stadtbüchereials besonders lesenswert (in Klammern die Standnummer). UnserFoto zeigt Ludger Albrecht, Leiter der Filiale Haslach.www.stadtbibliothek.freiburg.deLudger Albrecht empfiehlt: „Kevin Kwan – Crazy Rich Asians“ (Zba Kwan)Kevin Kwan, Amerikaner, aber selbst Nachkomme asiatischer Vorfahren, schildert in diesem Buch die schillerndeWelt der Neu- und Superreichen in Singapur und China. Für einen unvoreingenommenen Leser wiemich war es erfrischend amüsant und ein stetes Staunen über eine faszinierende asiatische Parallelwelt, vonderen Existenz ich keinerlei Ahnung hatte. Dort braucht man natürlich für seinen Ferrari einen Auto-Aufzugbis in die Penthouse-Wohnung im 10. Stock und fliegt mit dem Privatjet mal eben einen Tag zum Einkaufenvon Luxusgütern aller Art nach Paris, London und New York. Das Innenleben dieser „Familien“ gibt jedochEinblick, wie menschlich die Protagonisten trotzdem sind. Konflikte, Streit, Eifersucht und Langeweile sindhier nicht weniger an der Tagesordnung als bei allen anderen Menschen. Geld alleine macht eben doch nichtglücklich! Flüssig und humoristisch geschrieben, aber ohne viel Tiefgang, eine Gesellschaftskritik, die wie einschlechter Nachgeschmack daher kommt, trotzdem auch mit dem zum Teil brillanten Witz einer Realsatire.Esther Kuschke-Rösch empfiehlt: „Wolfgang Joop – Die einzig mögliche Zeit“ (Ryk Joop)Auch wenn man mit Mode nichts am Hut hat, ist dieses Buch sehr lesenswert. Wolfgang Joop schreibt überseine Kindheit in Bornstedt bei Potsdam, damals in der Nachkriegszeit der DDR, auf einem Bauernhof, umringtvon Frauen. Sein Vater kam aus dem Krieg, als er acht Jahre alt war und hat ihn zur Begrüßung erst einmalmit einer Gardinenstange misshandelt. Die Familie zieht nach Braunschweig, für den Jungen die Vertreibungaus dem Paradies. Nun pendelt er räumlich und emotional zwischen Ost und West – die Sommerferien verbringter immer im Osten. Sehr offen beschreibt er seine Jugend, erste Erfahrungen, seine erste Liebe und seinjunges Familienleben in Hamburg. Über verschlungene Wege kommt er in die Modebranche, besucht Paris,lernt Karl Lagerfeld kennen und lebt jahrelang in New York. Nach dem Tod seiner Mutter kehrt er zurück nachBornstedt, in seine Heimat. Der Autor analysiert sich und sein Leben sehr ehrlich und bildreich, spannend undzutiefst menschlich. Ein außergewöhnliches Leben in einer deutsch-deutschen Zeit.Ann-Katrin Tuerke empfiehlt: „Fernando Aramburu – Langsame Jahre“ (Zba Aram)Der achtjährige Txiki verbringt seine Kindheit und Jugend bei der Familie seiner Tante im Arbeiterviertel SanSebastian. Eingebettet in die Jahre der Franco-Ära und den Kampf der ETA schildert der Ich-Erzähler in derRetrospektive seine Alltagsbeobachtungen dem Autor Fernando Aramburu. Dieser lebte selbst im Viertel, waraber zum Zeitpunkt der Erzählung noch sehr jung und verstand viele Zusammenhänge noch nicht. Zwischenden Berichten des Ich-Erzählers fügt der Autor Notate ein, in denen er Beobachtungen und Notizen einbringt,die später in den Roman einfließen sollen. Mich hat „Langsame Jahre“ auf zweifache Weise fasziniert: Einmaldie authentische, lebendige Schilderung baskischer Verhältnisse Ende der sechziger, Anfang der siebzigerJahre; zum anderen der kunstvolle Perspektivenwechsel zwischen Autor und Erzähler, das Spiel mit persönlichemErleben und ihrer Umsetzung in einen Roman.Ulrike Kraß empfiehlt: „Volker Weidermann – Das Duell“ (Pyk Gras)Der Literaturkritiker und Fernsehmoderator Volker Weidermann erzählt in einer Doppelbiographie dieGeschichte von Marcel Reich-Ranicki und Günter Grass, deren Jugend unterschiedlicher nicht hätte seinkönnen. Der eine als Jude verfolgt im Dritten Reich, der andere Mitglied der Waffen-SS. Der eine wird Autorund Nobelpreisträger, der andere der wichtigste Kritiker Deutschlands. „Zwei Tanker. Zwei Kämpfer. Machtbewusst.Selbstbewusst“ (S. 241). In diesem Spannungsfeld bleiben die beiden ihr Leben lang in Respekt undgleichzeitig enormer Rivalität intensiv verbunden. Was sie teilen, ist die gemeinsame Überzeugung von dergroßen Kraft der Literatur.ZETT. JUNI 202039