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Familienchronik - auf der überarbeiteten Webseite der ...

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de, segelten wir nach Pillau. Ich als Ostpreuße mußte die Richtung angeben. Ich<br />

hatte mir, bevor es dunkel wurde, genau gemerkt, an welchen Lichtzeichen ich<br />

Pillau erkennen konnte.<br />

In Pillau wurden wir uns klar, daß es für uns keinen Sinn hatte, dort zu bleiben.<br />

Nur Zivilisten und Verwundete hatten die Chance, in Pillau <strong>auf</strong> ein westwärts fahrendes<br />

Schiff zu kommen. Wir mußten <strong>auf</strong> die an<strong>der</strong>e Seite des Tiefs nach Neutief<br />

und <strong>auf</strong> die Frische Nehrung. Alle an<strong>der</strong>en unserer Division fuhren mit <strong>der</strong><br />

Fähre hinüber.<br />

Ich als jüngster Offizier bekam den Auftrag, einen Schwimmwagen für den General<br />

und den Transport von Divisionsmaterial <strong>auf</strong> die Nehrung zu bringen. Von<br />

einem Landschul<strong>auf</strong>enthalt im Jahre 1939 wußte ich, daß es in Pillau und Neutief<br />

Betonschrägen für Wasserflugzeuge an <strong>der</strong> Haffseite <strong>der</strong> Nehrung gab. Es<br />

gelang meinem Fahrer und mir, diese Schrägen in Pillau für die Abfahrt in das<br />

Wasser und in Neutief für die Auffahrt an Land zu finden. Das gelang, obwohl wir<br />

in <strong>der</strong> Dunkelheit viele russische Boote neben uns erkannten und ihnen ausweichen<br />

mußten.<br />

Am 25. April wurde Pillau von Russen besetzt. Jetzt war eindeutig. Es gab nur<br />

noch eine eventuelle Fluchtmöglichkeit: <strong>auf</strong> <strong>der</strong> Frischen Nehrung westwärts,<br />

auch wenn <strong>der</strong> Weg über Danzig westwärts seit dem 23.3. durch russische<br />

Besetzung versperrt war. Wir marschierten trotzdem westwärts, nur manchmal<br />

von Russen gehin<strong>der</strong>t.<br />

Auf diesem Weg sprach mich ein Mann an, den ich als Soldat noch nie gesehen<br />

hatte. Er sprach mich zunächst mit »Herr Leutnant« und dann mit meinem Vornamen<br />

an, Willi Ubert aus Mohrungen. Er fragte: »Darf ich Dein Mel<strong>der</strong> sein? Ich<br />

kann nach einem Lazarett<strong>auf</strong>enthalt meine Einheit nicht wie<strong>der</strong>finden. Wenn ich<br />

so <strong>auf</strong>gegriffen werde, besteht die Gefahr, daß ich wegen Fahnenflucht erschossen<br />

werde.« Diese Gefahr noch 14 Tage vor Kriegsende, in einem Kessel mehr<br />

als 500 km von zusammenhängenden Frontlinien deutscher Soldaten entfernt?!<br />

Willi ist dann mit uns gemeinsam westwärts gel<strong>auf</strong>en, über Kahlberg, Stutthof und<br />

Steegen. Wir waren jetzt nur knapp 50 km von meinem Heimatort Mothalen entfernt.<br />

Und immer wie<strong>der</strong> die Frage, welche Möglichkeit gibt es, dem Russen zu entkommen?<br />

Und dann – nicht zu fassen – am 29. 4. entdeckten wir einen Fährpram,<br />

ein selbstgebasteltes Floß mit Außenbordmotor, mit dem gelangten wir <strong>auf</strong><br />

die Halbinsel Hela. Dort bekamen wir ein Schiff. Die Hendrik Visser V brachte uns<br />

am 1. Mai nach Kiel.<br />

Binnen 24 Stunden waren aus verängstigten Kreaturen Menschen geworden, die<br />

wie<strong>der</strong> Mut faßten. Wir konnten unser Glück nicht fassen! Von unseren 20 000<br />

Mann von zwei Divisionen waren 130 mit dem Schiff entkommen. Von hun<strong>der</strong>t<br />

weniger als einer. Wir hatten unsere Heimat verloren, aber nicht unser Leben.<br />

Warum war ich am Leben geblieben? Zum zweiten Mal war mir mein Leben<br />

geschenkt worden, ein unbegreifliches Gottesgeschenk! Es begann für mich, wie<br />

für viele an<strong>der</strong>e, ein ganz neuer Lebensabschnitt, fern <strong>der</strong> Heimat, ohne Krieg.<br />

Von Prof. Dr. Heinz Vetter<br />

früher Mothalen bei Alt-Christburg,<br />

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