Sehend Denken – Denkend Sehen < - Fachbereich Mathematik
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Fachhochschule Fulda / University of Applied Sciences<br />
<strong>Fachbereich</strong> Sozialwesen<br />
Studienschwerpunkt: Bildung-, Gemeinwesen und Kulturarbeit<br />
> <strong><strong>Sehen</strong>d</strong> <strong>Denken</strong> <strong>–</strong> <strong>Denken</strong>d <strong>Sehen</strong> <<br />
Kann ein Medium zu einer politischen Thematik<br />
‘Annäherung an das Fremde’<br />
kommunikative und bewußtseinsbildende Prozesse auslösen?<br />
Ein Medienkunstprojekt von Bärbel Kopp<br />
Prüfungsleistung für den Studienabschluss<br />
als Dipl.-Sozialpädagogin (FH)<br />
bei Prof. G. Lowien und Prof. Dr. P. Krahulec<br />
Sommersemester 1996<br />
1
„Was nicht von dem Menschen selbst gewählt, worin er auch nur<br />
eingeschränkt und geleitet wird, das geht nicht in sein Wesen über,<br />
das bleibt ihm ewig fremd, das verrichtet er nicht eigentlich mit menschlicher<br />
Kraft, sondern mit mechanischer Fertigkeit.“<br />
1. EINLEITUNG<br />
2<br />
W. v. Humboldt<br />
Das von mir geschaffene Modell eines Raumobjekts zur Thematik<br />
„Annäherung an das Fremde“, stelle ich zum öffentlichen Diskurs.<br />
Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Fulda, religiöse Gruppen,<br />
Interessenverbände sowie politische Institutionen äußern in<br />
Einzelgesprächen ihre individuelle und ganz subjektive Meinung.<br />
Die geäußerten freien Assoziationen und Interpretationen sind sehr<br />
bedeutsam um möglichst vielseitige und pluralistische<br />
Auseinandersetzungen zu diesem Raumobjekt und dessen Thematik zu<br />
erhalten. Aus der Sicht der Pädagogik stellt sich die Frage, ob ein<br />
Medium, das eine ganz spezielle gesellschaftspolitische Problematik<br />
beinhaltet, den Betrachter zu einer Auseinandersetzung anregt.<br />
„Die einzige revolutionäre Kraft, ist die Kraft der menschlichen Kreativität [...]<br />
die einzige revolutionäre Kraft ist die Kunst. [...] wo der Mensch sich als primär<br />
geistiges Wesen erfährt und seine primären Produkte (Kunstwerke), sein<br />
tätiges <strong>Denken</strong>, sein tätiges Fühlen, sein tätiges Wollen und die höheren<br />
Formen davon, beobachtet werden als plastische Produktionsweisen.“ 1<br />
1 RAPPMANN-SCHATA, R (1976): Soziale Plastik. Achberg. Seite 59.
Kerngedanke ist „Jeder Mensch ist ein Künstler“, daß jeder Mensch sein<br />
kreatives Potential für sich und die Gesellschaft nutzbar machen soll.<br />
Das heißt, nur aus der Kreativität des Menschen heraus, können sich<br />
Verhältnisse ändern.<br />
Kunst wird hier begriffen als Zusammenwirken aller gestalterischen Kräfte<br />
einer Gesellschaft, die auf der optimalen Entfaltung der Fähigkeiten jedes<br />
Einzelnen basiert. Das ganze Leben, das <strong>Denken</strong>, das Sprechen,<br />
überhaupt jeder Lebensvorgang, wird somit zu einem plastischen Prozeß,<br />
im Sinne der sozialen Plastik nach Beuys.<br />
Weiterhin stellt sich die Frage, ob das Kunstwerk Denk- und<br />
kommunikative Prozesse auslöst. Der Betrachter hat die Möglichkeit,<br />
das Modell nach seinen eigenen Vorstellungen weiter- oder<br />
umzugestalten. Aus der Summe aller Betrachtungs- und<br />
Veränderungsmöglichkeiten soll ein Raumobjekt entstehen,<br />
das von vielen Persönlichkeiten unserer Gesellschaft getragen wird.<br />
„[…] je höher die Kreativität der Menschen ist, um so höher ist das<br />
Volksvermögen, um so höher ist die Fähigkeit, die Dinge zu regeln, daß sie im<br />
höchstmöglichem Maß produktiv und effektiv werden im Sinne aller.“ 2<br />
Mein Werk soll das Medium sein, um die gesellschaftspolitische Thematik<br />
der Fremdenfeindlichkeit zu transferieren. Es appelliert an die Einsicht<br />
und Eigeninitiative des Betrachters, bei sich selbst anzufangen, und nicht<br />
mit dem Finger auf andere zu zeigen. Das Medium muß den Menschen<br />
erkennen lassen, daß das Problem nicht die Mauer ist, vor der sie<br />
resignieren. Das Problem sind wir selbst. Das Problem ist,<br />
daß unser Bewußtsein versteinert ist. Wer etwas verändern will,<br />
muß das Bewußtsein der Menschen erreichen.<br />
2 RAPPMANN-SCHATA, R (1976): Soziale Plastik. Achberg. Seite 59.<br />
3
Mit dieser empirischen Untersuchung und schriftlichen Ausarbeitung für<br />
meine Prüfungsleistung möchte ich die gesellschaftliche Relevanz von<br />
Pädagogik, Kunst und Politikwissenschaften verdeutlichen.<br />
„[...] diese Materie, das heißt, was man mal ‘Politik’ genannt hat ...<br />
umzuwandeln in Begriffe, wo jeder sich als Glied der Gesellschaft empfindet -<br />
wo einer schöpferisch daran mitarbeiten kann. Also in dieser Weise wird eine<br />
zukünftige Politik ja eher zu einer Kunst. Und das Menschen kennenlernen,<br />
daß diese Begriffe hier eminent - menschlich, künstlerisch sind, so daß es<br />
interessant und spannend ist, sich mit der Materie zu befassen, d. h. mit<br />
Fragen der Ökonomie, mit Fragen des Rechts, mit Fragen des Schulwesens,<br />
mit Fragen der Kunst, Wissenschaft usw.“ 3<br />
3 BODENMANN-RITTER, C. (1972): Jeder Mensch ein Künstler. Berlin. Seite 79 f.<br />
4
2. DIE BEDEUTUNG DES MEDIUMS<br />
IN DER SOZIALPÄDAGOGISCHEN ARBEIT<br />
2.1 Sozialpädagogische Medien: Sinn und Funktion<br />
2.1.1 Ambivalenz des Medienbegriffs<br />
Der Medienbegriff weist eine besonders erstaunliche Bedeutungsvielfalt<br />
auf. Im Alltagsverständnis werden Hörfunk, Fernsehen, Zeitung und<br />
Zeitschriften (die Presse) und ihre jeweiligen Vergegenständlichungen als<br />
Medien bezeichnet: Das Radiogerät, das Fernsehgerät, das Zeitungs- und<br />
das Zeitschriftenexemplar. Darüber hinaus kursieren Videotext/Teletext<br />
und Videorecorder als Medien, wie auch Videospiele und Computer,<br />
Telefon und Buch, Sprache, Schrift, Druck, Kino, Funk und Film sowie<br />
Geld, Werbeanzeigen oder Bestellkataloge von Kaufhäusern.<br />
Da diese Liste keinesfalls Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, ist sie<br />
augdifferenzierbar. Zwar ist die konturlose und damit sinnentleerende<br />
Bedeutungsvielfalt eines Begriffes in der Alltagssprache nicht<br />
notwendigerweise maßgebend für seine Verwendung im<br />
wissenschaftlichen Kontext, aber auch in der Medienwissenschaft wird der<br />
Medienbegriff nur bedingt als problematisch gesehen und gewinnt kaum<br />
an Trennschärfe.<br />
In der Wissenschaft geht man vieldeutig mit dem Medienbegriff um:<br />
Für die Medienwissenschaft gilt, daß sie Begriff und Gegenstandsbereich<br />
Medien nur begrenzt vom Alltagsverständnis unterscheidet.<br />
Ein engeres Verständnis - Medien als die klassischen Massenmedien<br />
Hörfunk, Fernsehen und Presse wird im allgemeinen nur durch die<br />
Nennung konkreter Gegenstände erreicht. Mein Medium ist ein Modell<br />
eines „Raumobjektes“ zum Thema „Annäherung an das Fremde“.<br />
5
Mein mediales Gegenstandsfeld ordne ich zum Medium Bild ein.<br />
Das Raumobjekt ist ein dreidimensionales Bild. Den Bildbegriff fasse ich<br />
so weit, daß sich unterschiedliche Erscheinungsformen von Bildern<br />
erschließen lassen. Es fällt nicht schwer, Werke der bildenden Kunst als<br />
Bilder zu verstehen, doch schon das breite Spektrum in diesem speziellen<br />
Bereich führt zu der Einsicht „Bild ist mehr als zweidimensionale<br />
Darstellung“ 4 Neben Zeichnungen und Aquarellen stellen Künstler auch<br />
Reliefs, Plastiken, Skulpturen her. Altare, Rathäuser, Gärten, u.s.w.<br />
zeigen ebenso frühe Formen eines direkten Eingriffs in die Umwelt zur<br />
kulturellen Umgestaltung.<br />
Aber auch in Aktion, Performance und Initiierungen fortgesetzt.<br />
Die Weiterentwicklung der bildenden Künste durch das Element der<br />
Bewegung, Kinetik, oder durch die Verwendung von neuen Technologien,<br />
ist ein weiterer Aspekt. „Bild ist nicht nur statisch“ 5<br />
Selbstverständlich auch in Anbetracht vor und außerhalb der bildenden<br />
Kunst entstehen Bilder im Prozeß. Einem Prozeß, der Anschauung<br />
und Begriffsbildung, daß Wahrnehmung, <strong>Denken</strong>, Deuten auf<br />
charakteristische Weise verbindet.<br />
Wer den Umgang mit Bildern in der sozialpädagogischen Bildungs-<br />
Gemeinwesen- und Kulturarbeit für kulturelle Bildung fruchtbar machen<br />
will, sollte wissen: „daß man den klarsten Einblick in eine Kultur gewinnt,<br />
indem man ihre Werkzeuge zum kommunikativen Austausch untersucht“ 6<br />
Bedingt kann man davon ausgehen, daß das, was für eine Bildsorte gilt<br />
und im Umgang mit ihr zu erfahren ist, auch für alle anderen<br />
Gültigkeit hat. Unterschiede durch Material, Herstellungsverfahren prägen<br />
die individuelle Erscheinungsform der Bilder und ihre kommunikativen<br />
Möglichkeiten. Doch über den Medienbegriff sind Merkmale von Bildern<br />
deutlich geworden, die ich für wesentlich halte.<br />
4 OTTO, G. (1974): Didaktik der ästhetischen Erziehung. Braunschweig.<br />
5 OTTO, G. (1974): Didaktik der ästhetischen Erziehung. Braunschweig.<br />
6 POSTMANN, N. (1983): Wir amüsieren uns zu Tode. Frankfurt/M. Seite 18.<br />
6
I. Medium heißt Mittel<br />
II. Medium heißt Mitte<br />
2.1.2 Medium heißt Mittel<br />
„Medium heißt Mittel. Als Mittel dienen Bilder der Aufbewahrung<br />
und dem Transport von Ansichten, Einsichten, Absichten. Bilder machen<br />
Wahrnehmungsangebote und modifizieren die Wahrnehmung.“ 7<br />
Danach wird die Bildungsarbeit der Sozialpädagogen als soziales<br />
Geschehen aufgefaßt, indem die behandelten Gegenstände (Medien)<br />
in ihrer Bedeutung für Menschen diskutiert werden. Der ’Gegenstand’<br />
ganz wörtlich: Ein ’Gegenstand’ ist, was einem entgegensteht, was als<br />
Gegenüber durch eigenes Handeln hervorgebracht wird, was man sich<br />
gegenüberstellt, oder was einem gegenübergestellt wird.<br />
Seine Form ist abhängig von den Absichten, die mit ihm verfolgt werden,<br />
sowie den Funktionen, die er erfüllen soll, und immer ist ein Gegenstand<br />
das Ergebnis sowohl körperlicher als auch geistiger Arbeit.<br />
Zu bedenken im Umgang mit den Medien ist es, daß der Sozialarbeiter<br />
über Methoden verfügt, die das Gestalten und Verstehen von „in diesem<br />
Falle Bildern“ schrittweise erlebbar machen. Erst dadurch wird der<br />
Gebrauch von Bildern erschlossen. Die Funktion wiederum hat<br />
unmittelbar zu tun mit den Bedürfnissen/Motiven derer, die Bilder<br />
herstellen, machen lassen und betrachten.<br />
7 Vgl. OTTO, G. (1974): Didaktik der ästhetischen Erziehung. Braunschweig.<br />
7
2.1.3 Medium heißt Mitte<br />
„Medium heißt aber auch Mitte und in der Tat ist Bild immer ein merkwürdiges<br />
Zwischen. Es steht zwischen Gegenwart und Vergangenheit oder Zukunft,<br />
zwischen dem Abgebildeten und dem Betrachter, zwischen dem Betrachter<br />
und dem Hersteller.“ 8<br />
Ich gehe auf diese Funktion der Mitte tiefer in dem<br />
Kapitel 4.3 „Formen der Kommunikation mit Kunst“ ein. Da Bilder als<br />
kommunikative Gegenstände nicht zuletzt zwischenmenschliche<br />
Bedeutung haben, ist soziale Kompetenz des Sozialpädagogen in der<br />
Bildungs- Gemeinwesen- und Kulturarbeit schon von der Sache her<br />
erforderlich. Wichtig ist es, „Gegenstandsorientierung“ (Mittel) und<br />
„Zielgruppenorientierung“ (Mitte) beider Prinzipien aufeinander zu<br />
beziehen, und die unverzichtbare Bestimmung des Inhalts im Hinblick<br />
auf Erfahrungen, das Abstraktionsvermögen und die<br />
Handlungsmöglichkeit der Zielgruppe vorzunehmen.<br />
Somit ist das Medium in der abstrakten elementaren Struktur eines<br />
Bildungs-Gemeinwesen- und Kulturarbeit Projekt neben Ziele, Inhalte,<br />
Methoden, Organisationsformen, die konstitutive Mitte.<br />
Sie sind das „dritte“ vermittelnde Glied im Bildungsprozeß, weil sie<br />
Ziele und Inhalte (Was!) auf der einen und Methoden und<br />
Organisationsformen (Wie!) auf der anderen Seite vermitteln.<br />
Unter dem Aspekt der „Vermittlung“ soll die Kategorie<br />
’Medium Mittel’ als Träger von Inhalten und ’Medium Mitte’ als<br />
Interaktionsfeld vom Betrachter zum Kunstwerk und in Kommunikation<br />
darüber mit dem Sozialpädagogen erörtert werden.<br />
8 Vgl. OTTO, G. (1974): Didaktik der ästhetischen Erziehung. Braunschweig.<br />
8
Medien in der Bildungs-, Gemeinwesen- und Kulturarbeit sind sprachliche<br />
und materielle; didaktisch-kommunikative Einheiten,<br />
die die Sozialpädagogen-Zielgruppe Interaktion tragen,<br />
unterstützen, verstärken oder auch korrigieren.<br />
In der sozialpädagogischen Praxis der Bildungs-, Gemeinwesen- und<br />
Kulturarbeit muß das Interesse am Bild erheblich über technische und<br />
formale Fragen hinausgehen und auf Bezüge zu Menschen ausgerichtet<br />
sein, die mit Bildern umgehen. Nicht zuletzt deshalb spricht man von<br />
visuell vermittelnden Botschaften.<br />
2.2 Joseph Beuys Theorie des erweiterten Kunstbegriffs und seine<br />
Realisationsmöglichkeit durch die soziale Plastik<br />
„Er wird also verstehen, daß bei dieser gigantischen Aufgabe, die ja nicht die<br />
Aufgabe ist, ein Bild zu malen, die ja nicht die Aufgabe ist, eine Architektur zu<br />
errichten, sondern die sich zur Aufgabe gestellt hat, einen sozialen Stoff, d. h.<br />
quasi eine Liebessubstanz zum gewaltigen Bau zu bringen, da wird er sehen,<br />
daß es also der soziale Kunstbegriff ist, der gerade erweiternd wirken muß<br />
und gegenüber den Künsten, die wir kennen, wie ein Kind an der Schwelle<br />
von dem, was aus der Sphäre der Vergangenheit, also aus der Tradition in die<br />
Zukunft übergeht, erscheint, in uns Menschen lebt, zu einer kräftigen<br />
Entwicklung gebracht werden kann, damit auf diesem sozialen Feld die<br />
soziale Frage der Menschen gelöst und zu ihrer allergrößten Schönheit<br />
gebracht wird. Es ist also nicht so, als wäre ein solcher Kunstbegriff,<br />
der sich der sozialen Umgestaltung bemächtigt, etwa einer,<br />
der sich jenseits ästhetischer Kategorien bewegen würde.<br />
9
Er hat zu seiner Methode allerdings etwas sich anzueignen,<br />
was auf sehr anderen Grundlagen beruht, als auf vielen Grundlagen,<br />
die die Großleistungen, die Großtaten der Kunst in der Vergangenheit auf der<br />
gemütsmäßigen Ebene hervorgebracht haben.<br />
D. h. der soziale Künstler wird sich mehr als jeder andere Tätige auf einen<br />
Stand oberhalb des Gemüts in dem vollen Bewußtseinsfelde begeben<br />
müssen, in dem Gedankengänge in logischen Schritten immer unter jeweils<br />
klarer Kontrolle gegangen werden müssen, um den richtigen Begriff zu finden,<br />
um ihn im <strong>Denken</strong> schon bereits zu einer geistigen Wirklichkeit zu bringen, um<br />
ihn dann in die Tat zu überführen […] der soziale Künstler ist zunächst<br />
Erbauer assoziativer, gesamtgesellschaftlicher Einheiten.“ 9<br />
2.2.1 Joseph Beuys<br />
Joseph Beuys ist deutscher Plastiker, Zeichner und Aktionskünstler. In der<br />
BRD ist er der umstrittendste Künstler, der jedoch international ein hohes<br />
Ansehen genießt. Die öffentlichen Streitgespräche über seine Person und<br />
seine Kunstwerke halten bis heute an. Es gibt viele Publikationen, die<br />
seine Person, seine künstlerischen und politischen Darlegungen<br />
charakterisieren.<br />
Da Beuys das Gespräch, die Kommunikation, als einen essentiellen,<br />
künstlerischen, plastischen Prozeß definiert, gibt es unzählige Interviews,<br />
wo sich Beuys bemüht, seine Gedankengänge und Begrifflichkeiten offen<br />
zu erklären. Nicht nur das Gespräch, sondern auch die Worte eingefügt in<br />
Objekten und Aktionen, waren für ihn ein Mittel, um dem<br />
Kommunikationspartner Zusammenhänge zu verdeutlichen.<br />
Um den Vorstellungen von Beuys über Kunst und Gesellschaft<br />
näherzukommen, ist es wichtig, seine Zeichensysteme (ob Wort, Werk,<br />
Symbole ...) zu analysieren.<br />
9<br />
BEUYS, J. (1987): Ein kurzes konkretes Bild von dem Wirkungsfeld der Sozialen Kunst.<br />
Argental. Seite 9.<br />
10
Da jedes Zeichen eine materielle, wahrnehmbare Seite hat, den<br />
Zeichenkörper (Semiotik) und eine Inhaltsseite (Semantik),<br />
sind diese beiden Seiten heranzuziehen, um sich dem Beuys’schen Werk<br />
nähern zu können.<br />
2.2.2 Der Erweiterte Kunstbegriff<br />
Joseph Beuys entwickelte seinen „Erweiterten Kunstbegriff“ aus der Frage<br />
heraus: „Wie kann jeder lebende Mensch auf der Erde, ein Gestalter,<br />
ein Plastiker, ein Former, am sozialen Organismus werden?“ 10<br />
Daraus läßt sich das Muster für eine Umstrukturierung des<br />
gesellschaftlichen Ganzen im Sinne Beuys ablesen, dessen Kerngedanke<br />
ist, daß jeder Mensch sein Kreativitätspotential für sich und die<br />
Gesellschaft nutzbar machen soll. Die Kraft der menschlichen Kreativität<br />
ist für Beuys Kunst, und in ihr sieht er „die einzige revolutionäre Kraft“ 11<br />
die zur Veränderung der gesellschaftlichen Bedingungen eingesetzt<br />
werden soll. Der hier angesprochene erweiterte Kunstbegriff wird von<br />
einer anderen These begleitet: „Jeder Mensch ist ein Künstler.“<br />
„[...] daß der Mensch ein kreatives Wesen ist,<br />
daß er als Kreator produzieren kann, und zwar sehr vielfältig.<br />
Es ist mir im Prinzip gleichgültig, ob die Produktion von einem Maler<br />
oder Bildhauer stammt oder von einem Physiker.“ 12<br />
„Jeder Mensch ist ein Künstler!<br />
Von einem Kunstbegriff gesprochen, der sich nicht erschöpft in der alleinigen<br />
Herstellung von formalen Innovationen im speziellen Tun des Malers,<br />
Bildhauers, Tänzers usw., sondern hier ist ein Kunstbegriff angesprochen,<br />
den man die ‘Soziale Kunst’ nennen könnte...“ 13<br />
10<br />
RAPPMANN-SCHATA, R (1976): Soziale Plastik. Achberg. Seite 58.<br />
11<br />
RAPPMANN-SCHATA, R (1976): Soziale Plastik. Achberg. Seite 59.<br />
12<br />
RAPPMANN-SCHATA, R (1976): Soziale Plastik. Achberg. Seite 162.<br />
13<br />
BEUYS, J. (1987): Ein kurzes konkretes Bild von dem Wirkungsfeld der Sozialen<br />
Kunst. Argental. Seite 17.<br />
11
Demzufolge ist Kunst in jeder Sphäre des menschlichen Wahrnehmens<br />
und Handelns möglich. Beuys optimistisches Menschenbild dient als<br />
Grundvoraussetzung, um das Ziel der sozialen Plastik realistisch<br />
verwirklichen zu können. Beuys hat deswegen auch für die Überzeugung<br />
gekämpft, das die Ausbildungsstätten, Kunstakademien, die primäre<br />
Funktion haben sollen, Menschen zu befähigen, ihre Kreativität in welchen<br />
Gebieten auch immer, zur Entfaltung zu bringen. Das Erweiternde des<br />
Kunstbegriffs besteht darin, daß Kreativitätsentwicklung nicht begrenzt auf<br />
den Bereich der Bildenden Künste eingeschränkt bleibt, sondern daß sich<br />
das Kreativitätspotential des Menschen, auf allen Gebieten des<br />
Gemeinwesens tätig wird. Er fordert, daß die Kreativität zum<br />
Lebensprinzip werden muß.<br />
„Die Akademie hat zunächst einmal nicht die Aufgabe, Funktion für die<br />
Gesellschaft zu sein, sondern für den Menschen.<br />
Das muß man trennen, denn die Mißverständnisse treten gerade auf,<br />
weil man diese Dinge immer durcheinander wirft. Also für mich ist der Mensch<br />
erst einmal ein Naturwesen, zweitens ein Gesellschaftswesen und drittens ein<br />
Freier, das heißt schöpferisch Kreativer. Aus dem Komplex heraus, wo er frei<br />
und schöpferisch ist, muß er Modelle erarbeiten für das Gebiet, wo er immer<br />
gebunden sein muß, nämlich im Gesellschaftlichen […]<br />
Aber um brauchbare Modelle zu entwickeln für den Teil, wo er<br />
Gesellschaftswesen ist, dazu brauchen wir vor allen Dingen die Stätten, wo<br />
der Mensch als Freier angesprochen wird, wo er als Kreativer angesprochen<br />
ist […] Der Mensch selbst muß im Mittelpunkt stehen.“ 14<br />
Die Gesellschaft schreibt dem Künstler die Fähigkeit zu, dem zukünftigen<br />
Aussehen der Welt Ausdruck und Stil geben zu können. Die materielle,<br />
praktisch erfahrbare Seite der Kunst, Kunst als ästhetische Form, Kunst<br />
als Äußerlichkeit, Schmuck verstanden ist Beuys zu wenig.<br />
14 RAPPMANN-SCHATA, R (1976): Soziale Plastik. Achberg. Seite 44.<br />
12
Er möchte die Kunst durch eine gesellschaftsrelevante Inhaltsseite<br />
bereichern und der Kunst Bedeutung und Sinnhaftigkeit zusprechen.<br />
„... es sind keine Kunstwerke entstanden und kein Kunstbegriff,<br />
der fähig gewesen wäre, beispielsweise Katastrophen in der Welt zu<br />
verhindern, geschweige denn ein Kulturbegriff, der in der Lage gewesen wäre,<br />
aus seiner Organisationskraft oder aus seiner Inhaltlichkeit den Sozialkörper<br />
umzugestalten. Das ist eine Sache, die müssen wir erst leisten!“ 15<br />
Kunst wird begriffen als das Zusammenwirken aller gestalterischen Kräfte<br />
einer Gesellschaft, die auf der optimalen Entfaltung der Fähigkeiten jedes<br />
einzelnen basiert.<br />
„Ich habe nichts mit Politik zu tun - ich kenne nur Kunst.“ 16<br />
Beuys hat dies sehr ernst gemeint. Er befolgte damit die von ihm selbst<br />
gesetzten Theorie des „Erweiterten Kunstbegriffs“, die darauf<br />
hinauslaufen, daß unser Sein und unser Tun in erster Linie durch<br />
die Kunst bestimmt sind. Auch Politik ist in diesem Sinne Kunst - nicht die<br />
Kunst des Möglichen, sondern die Freisetzung aller kreativen Kräfte.<br />
Im „Erweiterten Kunstbegriff“ formuliert Beuys Aussagen darüber,<br />
was sein soll. Seine Ziele. Durch seine formulierte Theorie möchte Beuys<br />
aufklären und an Verständnis appellieren. Seine praktische Umsetzung<br />
erfährt die Theorie des „Erweiterten Kunstbegriffs“ in der Sozialen Plastik.<br />
Die Soziale Plastik beschreibt Bedingungen und beobachtbare, praktische<br />
Kunstereignisse. „Ist-Zustände.“ Für Beuys umfaßt der Begriff Plastik das<br />
ganze Leben. Das <strong>Denken</strong>, das Sprechen, jeder Lebensvorgang, wird<br />
somit zu einem plastischen Prozeß.<br />
15 BEUYS, J. (1977): documente Nr. 1. Argental.<br />
16 STACHELHAUS, H. (1987): Joseph Beuys. Düsseldorf. Seite 135.<br />
13
2.2.3 Die Soziale Plastik<br />
Soziale Plastik beinhaltet das placieren und wirksam werden lassen<br />
individueller Fähigkeiten in der Gesellschaft.<br />
Meine Objekte müssen als Anregung zur Umsetzung der Idee des Plastischen<br />
verstanden werden. Sie wollen Gedanken darüber provozieren, was Plastik<br />
sein kann und wie das Konzept der Plastik auf die unsichtbaren Substanzen<br />
ausgedehnt und von jedem verwendet werden kann:<br />
Gedankenformen Wie wir unsere Gedanken brechen<br />
Sprachformen Wie wir unsere Gedanken in Worte umgestalten<br />
Soziale Plastik Wie wir die Welt, in der wir leben, formen und<br />
gestalten: Plastik ist ein evolutionärer Prozeß, jeder<br />
Mensch ein Künstler. Deswegen ist was ich<br />
plastisch gestalte, nicht festgelegt und vollendet.<br />
Die Prozesse setzen sich fort: chemische Reaktion,<br />
Farbwandlung, Fäulnis, Austrocknung. Alles<br />
wandelt sich.<br />
All seine Tätigkeiten, Handlungsmodelle versteht Joseph Beuys<br />
ausdrücklich als Kunstwerke, die seinen „Erweiterten Kunstbegriff“<br />
thematisieren. Angesichts dessen, daß Beuys Bildhauer ist, entwickelte er<br />
seinen Begriff aus der Plastik. Er definiert sich als Plastiker, der die<br />
Öffentlichkeit formt. An der „Sozialen Plastik“ sollen alle Menschen aktiv<br />
teilnehmen, und zwar unter Entfaltung ihrer individuellen Fähigkeiten.<br />
Beuys schlußfolgert daraus, daß jeder Schöpfungsprozeß Kunst ist, und<br />
jeder kreativ tätige Mensch demnach ein Künstler, - Kunst ist somit<br />
unendlich.<br />
14
„Auf jeden Fall war mir klar, daß mit dem herkömmlichen Kunstbegriff gar<br />
nichts zu machen ist, weil der Begriff nichts beinhaltet. Er wird einfach<br />
traditionell genommen. Man meint, was Kunst ist, das weiß man. […]<br />
Man muß wissen, daß es eben eine aus der Geschichte stammende<br />
Kunstentwicklung gibt, die aber durchaus nicht weiterkommt,<br />
wenn man nicht darüber hinausdenkt... .“ 17<br />
Mit der Theorie des „Erweiterten Kunstbegriff“ und dessen Umsetzung<br />
in die Soziale Plastik setzte Beuys weltweite Kunstdiskussionen in<br />
Bewegung. Zusammenfassend würde ich die folgende Feststellung<br />
treffen: Für Beuys ist Kunst nicht nur durch optische, oberflächliche<br />
Sinneseindrücke bestimmt - „Kunst als Gegenstand“, sondern vielmehr<br />
wird nun jeder Lebensprozeß als Kunstprozeß verstanden,<br />
der hinter dem Gegenstand die Bedeutsamkeit nachvollzieht,<br />
und die Idee versteht. Resümierend halte ich fest, daß diese Theorie<br />
vom „Erweiterten Kunstbegriff“ sein Ziel und die Praxis der „Sozialen<br />
Plastik“ nur erreicht werden kann, wenn der Mensch sich auf einen<br />
Gestaltungsprozeß „durch sich und mit sich“ einläßt.<br />
17 RAPPMANN-SCHATA, R (1976): Soziale Plastik. Achberg. Seite 19.<br />
15
2.3 Beuys pädagogische Intention<br />
„Ästhetische Erziehung als die Erziehung durch Kunst“<br />
„Nächstdem sprach ich, vergleiche dir unsere Natur in Bezug auf Bildungsund<br />
Umbildung folgenden Zustand. Sieh nämlich Menschen wie in einer<br />
unterirdischen höhlenartigen Wohnung, die einen gegen das Licht geöffneten<br />
Zugang längs der ganzen Höhle hat. In dieser seien sie von Kindheit an<br />
gefesselt an Hals und Schenkeln, so daß sie auf demselben Fleck bleiben<br />
und auch nur nach vorne hin sehen, den Kopf aber herumzudrehen der<br />
Fesseln wegen nicht vermögend sind. Licht aber haben sie von einem Feuer,<br />
welches von oben und von der Ferne her hinter ihnen brennt. Zwischen dem<br />
Feuer und dem Gefangenen geht oben her ein Weg, längs diesem sich eine<br />
Mauer aufgeführt, wie die Schranken , welche die Gaukler vor den<br />
Zuschauern sich erbauen, über welche herüber sie ihre Kunststücke zeigen.<br />
Sieh nur längs dieser Mauer Menschen allerlei Gefäße tragen, die über die<br />
Mauer herüberragen und Bildsäulen und andere steinerne und hölzerne Bilder<br />
von allerlei Arbeit. Einige, wie natürlich, reden dabei, andere schweigen.<br />
‘Ein gar wunderliches Bild, sprach er, stellst du dar und wunderliche<br />
Gefangene’ ‘Uns ganz ähnlich’, entgegnete ich. ‘Denn zuerst, meinest du<br />
wohl, daß dergleichen Menschen von sich selbst und von einander etwas<br />
anderes zu sehen bekommen, als die Schatten, welche das Feuer auf die ihn<br />
gegenüberstehende Wand der Höhle wirft?“ 18<br />
18 PLATON (1991): Politeia. VII Buch. Fankfurt/M. Kapitel : 3.4.2.3.<br />
16
2.3.1 Der einmalige Mensch<br />
„Diese modernste Kunstdisziplin Soziale Plastik, Soziale Architektur, wird erst<br />
dann in vollkommener Weise in Erscheinung treten, wenn der jetzt lebende<br />
Mensch auf dieser Erde zu einem Mitgestalter, einem Plastiker oder<br />
Architekten am sozialen Organismus geworden ist. […]<br />
Nur ein so revolutionierter Kunstbegriff kann zu einer politischen<br />
Produktionskraft werden, die durch jeden einzelnen Menschen hindurch sich<br />
vollzieht und Geschichte macht.“ 19<br />
Picasso sagte einmal, daß es lange dauere, bis man jung werde.<br />
In diesem Satz liegt die Einsicht:<br />
„Es existiert eine Kompetenz in uns Menschen, über die wir als Kinder noch<br />
verfügen, die in den Industriegesellschaften vorherrschenden Ausbildungen<br />
nur zum Teil angesprochen werden.“ 20<br />
Das experimentelle, durch spekulative und kreative Selbst in uns hat nicht<br />
den ihm gebührenden Platz. Wir brauchen neue Ansätze, die über das<br />
rational-technologische <strong>Denken</strong> des industriellen Zeitalters hinausführen.<br />
Die Wissenschaft, allen voran die Physik, hat diesen Vorgang oft als<br />
Paradigmenwechsel bezeichnet und weitgehend eingeleitet.<br />
Viele Menschen beschäftigen sich immer mehr mit der Frage, die über<br />
das rein Rationale hinausgeht, wie die immer stärkere Hinwendung zu<br />
esotherischem <strong>Denken</strong> zeigt. Die Institutionen von Industrie, Pädagogik,<br />
Kultur und Politik, halten sich ängstlich an Methoden fest, die in der<br />
Vergangenheit nützlich waren, heute aber überholt sind.<br />
19 RAPPMANN-SCHATA, R (1976): Soziale Plastik. Achberg. Seite 121.<br />
20 HUHN, G. (1990): Kreativität und Schule. Berlin. Seite 2.<br />
17
Der Bewusstseinswandel, der notwendig ist, wenn wir unsere vielfältigen<br />
Kompetenzen stärker nutzen wollen, wird damit aus Bereichen<br />
herausgehalten, wo er dringend gebraucht würde.<br />
Besonders durch unser Erziehungssystem wurde festgesetzt, daß<br />
kognitive Leistungen belohnt und Leistungen wie Kunst, Musik und Tanz<br />
vernachlässigt werden. Beuys, wie auch eine Vielzahl moderner<br />
Bildungstheorethiker, fordern ein Erziehungskonzept, das potentiell alle<br />
Fähigkeiten der Menschen in ganzer Breite umfassen soll, - die im<br />
Ganzheitlichen ihren Schwerpunkt sehen.<br />
Als Organ des „Erweiterten Kunstbegriffs“ für die „Soziale Plastik“ hat<br />
Joseph Beuys die Freie Internationale Universität (FIU) gegründet.<br />
Beuys möchte in der Verfolgung seines Konzeptes der Sozialen Plastik<br />
zunächst Erkennisse in Gang bringen, die dem Menschen durch<br />
eingleisige, naturwissenschaftliche Denkweise verlorengegangen sind.<br />
Während die traditionelle Pädagogik nur im Zusammenhang<br />
unterrichtlicher Prozesse gesehen wird und unter traditionellen<br />
Rahmenbedingungen stattfindet, leitet Beuys eine Auflösung instutioneller<br />
Lernprozesse ein. Joseph Beuys beanstandet, daß Lerninhalte aus ihren<br />
lebenspraktischen Zusammenhängen gelöst vermittelt werden.<br />
Er möchte, daß Pädagogik in der wirklichen „Lebenswelt“ aufgeht.<br />
Seine Werke, seine künstlerischen Aktionen, seine Dialoge, all seine<br />
Handlungen, sind stets im Verhältnis gesamtgesellschaftlicher<br />
Überlegungen zu verstehen. Seine Aktionen haben zum Ziel,<br />
Begrifflichkeiten in Frage zu stellen und neu zu schöpfen, um in einem<br />
aktiven Prozeß beim Betrachter neue Erkenntnisse und verändertes<br />
Bewußtsein entstehen zu lassen. In diesen Aktivitäten verbindet sich in<br />
der Persönlichkeit von Joseph Beuys der Künstler mit dem Pädagogen.<br />
18
BEUYS PÄDAGOGISCHE IDEEN RICHTEN SICH AUF DIE<br />
ENTWICKLUNG DES BEWUßTSEINS IM EINZELNEN MENSCHEN,<br />
UM ÜBER DAS INDIVIDUUM VERMITTELT, GRUNDLEGENDE<br />
VERÄNDERUNGEN DER GESELLSCHAFTLICHEN STRUKTUR ZU<br />
ERREICHEN.<br />
„Plastik ist heute mit Erfolg ein Begriff, der nicht tief genug gefaßt wird.[…]<br />
Die ästhetische Seite ist dann ganz fehl am Platz, wenn sie nur so platt<br />
interpretiert wird, daß man ihren schmückenden und dekorativen Charakter<br />
betont […] Die Plastik hat nur dann einen Wert, wenn sie an der Entwicklung<br />
des menschlichen Bewußtseins arbeitet.<br />
Ich möchte sagen, daß die Entwicklung des menschlichen Bewußtseins selbst<br />
schon ein plastischer Vorgang ist […] So elementar müßte man heute den<br />
plastischen Begriff fassen, um wieder zu einer fruchtbaren Vorstellung von<br />
Plastik zu gelangen.“ 21<br />
Grundlegend ist das humanistische Menschenbild, das durch Imanuel<br />
Kant 1783 im Zeitalter der Aufklärung klassisch definiert wurde.<br />
„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten<br />
Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes<br />
ohne Leitung eines anderen zu bedienen.“<br />
Aufklärung ist also bestimmt durch den Gebrauch der Vernunft und die<br />
eigenständige Leistung des denkenden Individuums. Charakteristisch für<br />
die Aufklärung ist somit eine Distanz zu Tradition und Autorität, die<br />
Hochschätzung der Freiheit und die positive Bewertung der Fähigkeit zu<br />
einer vernünftigen Lösung aller Fragen.<br />
21 BEUYS, J. (1985): Jeder Mensch ein Künstler. Audiointerview.<br />
Livemitschnitt einer Diskussion, Wangen.<br />
19
Im Laufe der Geschichte hat der Mensch durch die Entwicklung des<br />
Bewußtseins die Freiheit errungen, an der Neugestaltung seiner Umwelt<br />
produktiv und eigenverantwortlich mitzuwirken. Ausgangspunkt sieht<br />
Beuys in jedem Individuum, in dem er ein schöpferisches,<br />
gestaltungsfähiges Wesen sieht.<br />
„Kunst wird in diesem Sinne begriffen als Kreativität des Menschen<br />
schlechthin - als die Schöpferkraft die in der Freiheit und Selbstbestimmung<br />
der menschlichen Individualität wesensmäßig gründet.“ 22<br />
Und das immer wieder komprimiert mit dem Satz:<br />
„Jeder Mensch ist ein Künstler.“<br />
Kreativität in diesem Zusammenhang meint die von Menschen selbsttätig<br />
zu erarbeitende Bewußtseinsveränderung.<br />
Durch die Arbeit, die produktive und ideelle Auseinandersetzung mit der<br />
Umwelt, kann sich der Mensch entwickeln. Kunst ist so auf allen Gebieten<br />
möglich, existenziell überall dort, wo der Mensch gestaltend mit seiner<br />
Umwelt in einen Austausch tritt. Beuys definiert den Menschen als ein<br />
sich entwickelndes Wesen. In diesem Zusammenhang stellt Beuys<br />
immer in den Mittelpunkt, daß das eigentliche Kapital des Menschen<br />
dessen Fähigkeiten sind.<br />
Das erst der Mensch, der sich erkennt als ein geistiges Wesen, in einem<br />
höheren Zusammenhang geeignet ist, die sozialen Aufgaben zu lösen,<br />
begründet Beuys: „Das heißt, daß sich alles durch das Individuum<br />
vollzieht.“ 23 Das Individuum, sein Fühlen, <strong>Denken</strong>, Handeln, ist die allein<br />
entscheidende schöpferische, politische Kraft.<br />
22 STÜTTGEN, J. (1992): Freie Internationale Universität. Wangen. Seite 7.<br />
23 BODENMANN -RITTER, C. (19972): Jeder Mensch ein Künstler. Berlin. Seite 61 f.<br />
20
Nur wenn das Individuum sich eigenverantwortlich, kreativ, aufgeklärt<br />
zu seiner kulturellen und sozialen Umwelt verhält, lassen sich<br />
gesellschaftliche Wandlungen im Sinne der Sozialen Plastik bewirken.<br />
„[…] nur der Mensch wird sich erheben zu seiner Selbstbestimmung und wird<br />
nach einem Weg suchen, das im Bereich des Politischen zu verwirklichen,<br />
der erkannt hat […] daß also die Selbstbestimmung heute die Kraft ist,<br />
mit der die Zukunft weitergeht.“ 24<br />
Nicht nur der individuelle Mensch muß von der Pädagogik ins Blickfeld<br />
treten, sondern auch die Öffentlichkeit. Subjektive Interessen jedes<br />
Einzelnen an Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung - und objektive<br />
Anforderungen, die sich aus einer human gestaltenden Entwicklung der<br />
Gesellschaft ergeben, müssen sich zu einer Einheit verbinden, und<br />
Grundlage der pädagogischen Bestrebung sein.<br />
Individuen sind nicht ohne die Einbeziehung der jeweiligen Kultur<br />
begründet. Die Aufgabe der Erziehungswissenschaft muß demnach<br />
folgen, die Beziehung zwischen dem Erziehungssystem und der<br />
Gesellschaft nicht unberücksichtigt zu lassen, denn gesellschaftliches<br />
Handeln erfordert die Fähigkeit zu komplexem, koordiniertem <strong>Denken</strong>.<br />
„[…] einen sozialen Organismus, also ein soziales Ganzes so zu gestalten,<br />
daß in ihm ein gedeihliches Leben für den Menschen möglich ist, ein<br />
gedeihliches Leben dadurch, daß die Fähigkeiten der Menschen sich weiter<br />
entfalten können, zu Produktivität aufgerufen sind, das Äußerste, was den<br />
Menschen in ihrer Entwicklung zu tun aufgegeben ist, auch zu erreichen,<br />
einerseits - damit verbunden aber auch das Leben der Natur auf einen<br />
Höchststand ihrer Entwicklung im Zusammenhang mit der menschlichen<br />
Arbeit zu bringen.<br />
24 BODENMANN -RITTER, C. (19972): Jeder Mensch ein Künstler. Berlin. Seite 63.<br />
21
Also diese andere Ebene ist eine Dialogform. Schon diese andere Ebene<br />
erfordert ein Offensein für die jeweilige andere Meinung und ein sich<br />
bereitstellen für eine permanente Konferenz, die die verschiedenen<br />
Meinungen an einen Tisch bringt, die die verschiedenen Meinungen<br />
zusammenführt und im Vergleich feststellt, welcher der jeweils wichtigste<br />
Schritt im Erreichen des notwendigen zu Erreichen sei, also möglichst<br />
- jetzt sage ich einmal - auf einem logisch durchdachten Weg die rationalen<br />
Gründe zu finden für die Prioritätsfrage ... d.h. Not der Zeit.“ 25<br />
2.3.2 Ästhetische Erziehung als die Erziehung durch Kunst<br />
Strukturierung des Lernprozesses<br />
„Unter dem Begriff der ästhetischen Erziehung werden alle Einflüsse des<br />
Schönen und der Kunst auf die Bildung des Menschen zusammengefaßt.<br />
Im Mittelpunkt steht dabei die charakterliche oder moralische Erziehung des<br />
Individuums zur Mündigkeit, sowie - durch die Emanzipation des Individuums<br />
vermittelt - die Auswirkungen der Kunst auf die Entwicklung der Gesellschaft<br />
und des Staates.“ 26<br />
Ästhetische Erziehung grenzt sich einerseits von der künstlerischen<br />
Erziehung insofern ab, weil diese in erster Linie die Ausbildung von<br />
technisch-handwerklichen Fähigkeiten und Fertigkeiten ermöglicht.<br />
Die ästhetische Erziehung erweitert das Spektrum „[…] darüber hinaus<br />
auf den ganzen Menschen, auf seine Persönlichkeit in ihren<br />
gesellschaftlichen Bezügen.“ 27<br />
25<br />
BEUYS, J. (1987): Ein kurzes konkretes Bild von dem Wirkungsfeld der Sozialen<br />
Kunst. Argental. Seite 12.<br />
26<br />
HECKMANN, W. ( Hg.)(1992): Lexikon der Ästhetik. München. Seite 54.<br />
27<br />
HECKMANN, W. ( Hg.)(1992): Lexikon der Ästhetik. München. Seite 54.<br />
22
Andererseits grenzt sich die ästhetische Erziehung von der visuellen<br />
Kommunikation ab, „[…] die sich vor allem mit den visuellen Phänomenen<br />
der Massenmedien (Film, Werbung, Plakat, Comic) beschäftigt,<br />
ihre manipulativen Tendenzen aufdeckt und damit ein unmittelbar<br />
kritisches und politisch aufklärendes Interesse verfolgt.“ 28<br />
Mit den Mitteln der Kunst möchte der Künstler beim Betrachter auf<br />
verschiedenen Ebenen - fühlen, denken, handeln - vielfältige<br />
Lernprozesse in Gang setzen. Durch die Konfrontation mit dem<br />
Ästhetischen soll zunächst Interesse beim gegenwärtigen Bewußtsein des<br />
Kunstbetrachters erweckt werden und das dieses Interesse in Bezug auf<br />
eine Gesamtsicht des Menschen übertragen wird. Der Betrachter eines<br />
Beuys’schen Kunstwerkes steht oftmals ratlos vor dem Werk. In<br />
Konfrontation mit dem ästhetischen Gegenstand kann der Zuschauer<br />
abweisend, verständnislos reagieren oder beteiligt in eine<br />
Auseinandersetzung mit dem Werk treten.<br />
Der Zuschauer Wille bestimmt, ob er eine bewußt geführte Analyse oder<br />
einen begrifflichen Zusammenhang erarbeiten möchte. Nähert sich der<br />
Kunstbetrachter aufmerksam dem Gegenstand, so sind diese zuerst zu<br />
beschreiben, auch wenn diese vorerst nicht in allen ihren Ausmaßen<br />
begriffen werden. Der Betrachter muß Fragen stellen! Sie entstehen,<br />
wenn er Zusammenhänge sucht zwischen einzelnen Elementen des<br />
Werks. Diese Einzelelemente sind im allgemeinen aus der Erfahrung<br />
bereits begrifflich definiert. Die Irration, die entsteht aus der ungewohnten<br />
Koordination von Einzelelementen, verbunden mit dem Ziel eine<br />
Übereinstimmung mit bereits Erfahrenem herzustellen, soll das Bedürfnis<br />
entstehen lassen, die noch isoliert wahrgenommenen Elemente<br />
zusammenzufügen.<br />
28 HECKMANN, W. ( Hg.)(1992): Lexikon der Ästhetik. München. Seite 56.<br />
23
Ein Prozeß entwickelt sich, bei dem die herkömmlichen Begriffe durch<br />
einen neuen andersartigen, zunächst unklaren Zusammenhang<br />
erhellenden Begriff ersetzt, wobei dieser neue Begriff aufgrund seiner<br />
fehlenden Vorgeprägtheit offen machen soll für neue Erkenntnisbereiche.<br />
Aus der Wahrnehmung des Außergewöhnlichen, aus der Erkenntnis der<br />
Verbindung unkonventioneller, fremdartiger Zusammenhänge, sollen<br />
Denkprozesse ausgelöst werden. Joseph Beuys möchte diese feste<br />
Bindung von Begriff und Wirklichkeit aufbrechen. Unter dem<br />
Gesichtspunkt, daß wir in einer Freizeitgesellschaft leben, wo die Arbeit<br />
hauptsächlich zum Erwerb des Lebensunterhaltes dient und die Freizeit<br />
gleich Freiheit bedeutet, wird Lebensqualität zunehmend durch die<br />
Entfaltung des Freizeitpotentials definiert. Freizeit wird bestimmt durch die<br />
Regeneration von der Arbeit oder als Kompensation von der Arbeit.<br />
Beuys beklagt, daß die Aktivitäten des Menschen, die seine kreative<br />
und autonome Entfaltung fördern könnten und ihn gleichzeitig in<br />
Wechselbeziehung zu seinen Mitmenschen versetzt, mehr und mehr<br />
verlorengegangen sind. Eine Bildung in der Bildungs-, Gemeinwesenund<br />
Kulturarbeit sollte sich den oben beschriebenen Faktoren für die<br />
ästhetische Erziehung annehmen.<br />
Diese Grundlage wäre eine notwendige Voraussetzung, um die<br />
schöpferischen Fähigkeiten aller Menschen in gang zu bringen.<br />
Abschließend müßte man wohl den Anspruch an die Gesellschaft stellen,<br />
neue Strukturen zu schaffen, innerhalb derer sich Bildung in diesem Sinne<br />
entfalten könnte.<br />
24
3. VOM DENKMAL ZUM RAUMOBJEKT<br />
„DENKMAL - DENK-MAL“<br />
Gehörten Denkmäler in früheren Zeiten auch in Deutschland zu einer<br />
selbstverständlichen Form des Erinnerns an berühmte Leute<br />
(fast immer Männer), Krieger, Helden, als Einzelperson oder in Form von<br />
Gruppendenkmälern, so ist diese idealisiert Darstellung aus<br />
verständlichen Gründen in der Nachkriegszeit weitgehend verschwunden.<br />
Denkmäler sind selten auf ein „Kunstbedürfnis“ zurückzuführen, sondern<br />
eher auf geschichtliche „Gedenk-Anlässe“<br />
von besonderer gesellschaftlicher Relevanz.<br />
Bei mir bleiben generell Bedenken gegen Mahnmale, die eher verklären<br />
als erklären und eigenständiges Nachdenken durch ihre platte, zu direkte<br />
Bildhaftigkeit eher behindern als fördern. Ich will mich deshalb an dieser<br />
Stelle aus der öffentlichen Gesinnungs- und Monumentaldebatte<br />
zurückziehen und kollektive Standardisierungen von Gedenken durch<br />
individuelles Bedenken ersetzen. Hier geht es um ein „Denkmal“ nicht im<br />
traditionellen sondern mit einem erweiterten Konzept, für das der<br />
amerikanische Historiker James E. Young folgende Kriterien nennt:<br />
„Wandel und Vergänglichkeit des Kunstwerkes statt physischer Haltbarkeit;<br />
Provokation der Wirkung statt Trost; Interaktionen statt Mission; Aggression<br />
oder Ablehnung statt gleichgültigem Vorbeischauen.“ 29<br />
29 ENDLICH, S. (1992/2): Denkmäler? Denk-Orte?<br />
Textauszug aus Kunst -und Unterricht. Seelze-Velber.<br />
25
Dieser Ansatz wie auch der von Jochen Gerz:<br />
„Die verschüttete und durch Erlebnisschocks neu zu gewinnende Kreativität<br />
eines jeden Menschen führt allein zu komplexen Handlungen und Einsichten,<br />
deren Produkt sich gleichnishaft und tatsächlich zu einer politischen ‘Sozialen<br />
Plastik’ summieren.“ 30<br />
Die Lichterketten gegen Fremdenfeindlichkeit, Gedenkmärsche, bei denen<br />
z. B. der Todesmärsche der KZ-Häftlinge gedacht wurde, spontane<br />
Schutzwachen vor Asylbewerberheimen und weitere Aktionen kommen<br />
diesem Anspruch nahe. Gerade in einer Zeit, in der sich rechtsradikale<br />
Übergriffe mehren, bedarf es nicht nur Stein gewordenen Zeichen der<br />
Besinnung. Es bedarf Vergewisserung und Vergegenwärtigung.<br />
„Gedenken“<br />
Gedenken heißt bei mir in Bezug auf das Modell des Raumobjektes<br />
nachdenken, zurückdenken und vorausdenken. Gedenken heißt für den<br />
Betrachter, sich das zu vergegenwärtigen, worauf die Objekte verweisen.<br />
Auf welche Begriffe es sich bezieht. Vergegenwärtigen kann ich mir<br />
Ereignisse und Schicksale durch Nachdenken, durch Bilder, Gespräche,<br />
Lesen. Dessen, was zu vergegenwärtigen ist, begegne ich in der Kunst in<br />
Bedeutung tragender Form. Die Form gibt die Spur für den<br />
Vergegenwärtigungsprozess vor.<br />
In Bezug auf das Modell des Raumobjekts „Annäherung an das Fremde“<br />
möchte ich den Betrachter herausfordern dieses Medium zu durchdenken.<br />
Der Auslegungsprozeß des Betrachters in Bezug<br />
auf das Modell ist signifikant. Gedenken, vergewissern, erinnern,<br />
vergegenwärtigen, einer politischen Thematik durch ein Kunstobjekt<br />
bedürfen der Sprache.<br />
30 LEINZ, G. (1990): Neue Raumkonzepte. Fontana. Seite 4.<br />
26
Worte, weil man sagen muß, was man wahrnimmt und fühlt, weil man<br />
hören muß, was die oder der Andere wahrnimmt oder fühlt.<br />
Darum ist Auslegung immer Auseinandersetzung mit einem Objekt,<br />
mit sich selbst und anderen. Wenn ich den Betrachter nach seiner ganz<br />
individuellen, ganz subjektiven Meinung, seinen freien Assoziationen und<br />
Interpretationen befrage, dann um möglichst mannigfache, pluralistische<br />
Aussagen zu diesem Objekt zu erhalten. Zum einen ist der individuelle<br />
Kommentar des Betrachters in Konfrontation mit dem thematischen Werk<br />
für sich schon essentiell, doch auch die eigene Sichtweise im Vergleich zu<br />
parallelen Betrachtungsweisen anderer Betrachter auf das „Denkmal“<br />
sollen einen vielfältigen Gedankenaustausch zu dem Thema „Annäherung<br />
an das Fremde“ offenbaren.<br />
„<strong><strong>Sehen</strong>d</strong> denken - denkend sehen“<br />
Über das Medium, ein Modell des Raumobjektes „Annäherung an das<br />
Fremde“ soll durch Gespräche ermitteln und darlegen, wie in der<br />
Wahrnehmung schon <strong>Denken</strong> und wie im <strong>Denken</strong> noch Wahrnehmung<br />
steckt. <strong>Denken</strong> und Wahrnehmen zu integrieren, ist Funktion des<br />
Mediums. Wahrnehmung eines Kunstwerks „Denkmal“ als Basis für<br />
kognitive Vorgänge zu machen, dafür soll dieses Arbeitsvorhaben<br />
Lehrbeispiel sein und eine Brückenfunktion für die Verknüpfung von<br />
Produktion und Reflektion einnehmen.<br />
Die Kernfrage stellt sich: Ob ein Kunstwerk mit einer politischen Thematik<br />
im Betrachter bewußtseinsbildende und kommunikative Prozesse auslöst.<br />
27
4. FUNKTION DER GEGENWÄRTIGEN KUNST<br />
4.1 Historische Betrachtung der Kunst im Dienste Sozialer Prozesse,<br />
und die Funktion gegenwärtiger Kunst.<br />
4.1.1 Kunst im Dienste Sozialer Prozesse<br />
Zu allen Zeiten unserer Geschichtsentwicklung stand die Kunst im Dienste<br />
sozialer Prozesse. Kunst entwickelt sich in der Gesellschaft,<br />
wird durch sie bestimmt, auch wenn sie sich scheinbar in Opposition zu<br />
den zeitgenössischen Haltungen der Öffentlichkeit befindet. Kunst wird<br />
in jeweils neuen Aufgabenzusammenhängen jeweils anders genutzt und<br />
gesehen. Die sakrale Kunst des Mittelalters beinhaltete ihre religiöse<br />
Bestimmung und sollte den Gläubigen die Glaubensinhalte anschaulich<br />
vermitteln. Der weitaus größte Teil der überlieferten Kunst ist kirchlich<br />
bestimmt, außer der religiösen Funktion haben Kunstwerke vielfach eine<br />
politische Bedeutung. Die politische Funktion der Kunst dient der<br />
Herrschaftsbestätigung und zur Herrschaftssicherung. Im 16. Jahrhundert<br />
wird Kunst auch um ihrer selbst Willen geschätzt, sie dient aber weiterhin<br />
bestimmten Absichten. Seit der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts mit<br />
abnehmenden Bindungen an festgefügte religiöse, politische und soziale<br />
Strukturen erhält die Kunst einen neuen Raum.<br />
Während Künstler zuvor von Hof und Kirche beauftragt wurden, ihre<br />
Kunstbedürfnisse zu idealisieren, war der Kunstschaffende im 18.<br />
Jahrhundert durch den Zerfall der absolutistischen Rahmenbedingungen<br />
frei. Der Künstler brauchte sich nicht auf ein verbindliches, vorbestimmtes<br />
Ideal zu berufen. Diese Entwicklung wurde begleitet und gefördert durch<br />
Konzepte, Menschen durch die praktische Ausübung der Künste zu<br />
bilden. Persönlichkeiten, wie Rousseau, Herder, Goethe, Schiller,<br />
Humboldt, haben dies in ihren Schriften erörtert.<br />
28
Die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen war eine Epoche des<br />
wissenschaftlichen und technischen Fortschritts: Funk, Film, Fernsehen,<br />
Verhaltensforschung. Als Folge dessen mußten sich die Menschen neu<br />
orientieren. Aufgrund der Schul- und Hochschulreform war eine Chance<br />
für eine veränderte soziale Struktur geebnet. Auch die Künstler wollten<br />
das Leben durch ihre Arbeit neu gestalten. Auf die unruhigen und<br />
beunruhigenden gesellschaftlichen und politischen Zustände mußte<br />
die bildende Kunst reagieren. Unmittelbares politisches Engagement<br />
der Künstler, bildnerische Sozialkritik war eine der möglichen Reaktionen<br />
auf die politische und gesellschaftliche Situation nach 1918.<br />
Erwähnt seien hier die Dadaisten. Sie stellten die etablierten, moralischen,<br />
ästhetischen und gesellschaftlichen Wertbegriffe insgesamt in Zweifel. Die<br />
politischen und gesellschaftlichen Zeitereignisse Krieg, Revolution,<br />
Restauration, Massenelend, Straßendemonstrationen, sind daher zwar<br />
Hintergrund und Kulisse für die Aktionen der Dadaisten, aber nicht nur<br />
das, sie sind das Panorama einer Katastrophe, auf die Dada<br />
spiegelbildlich reagiert und liefern den Fundus der Darstellungsformen,<br />
aus dem Dada Anregungen für seine Auftritte schöpft.<br />
„Dadaismus - Mit Witz, Licht und Gurke <strong>–</strong><br />
war eine Revolte der von vielen Seiten bedrängten Persönlichkeit.<br />
Es war der Aufstand gegen die drohende Vermassung, Verdummung,<br />
Zerstörung.“ 31<br />
„Die Weltordnungen und Staatsaktionen widerlegen, indem man sie in einen<br />
Satzteil oder einen Pinselstrich verwandelt.“ 32<br />
31 HUELSENBECK, R. (1992): Auf den Spuren der Dadaisten. Hamburg. Seite 79.<br />
32 KORTE, H. (1994): Die Dadaisten. Tristan Tzara. Hamburg. Seite 40.<br />
29
Die neue Zeit wurde aber auch durch die dekorative formale Gestaltung<br />
des Jugendstils geprägt.<br />
Die Zwanziger Jahre wurden entscheident geprägt durch das Bauhaus, Le<br />
Corbusier, Mendelsson, Mies van der Rohe, Schwitter, Grosz, Max Ernst.<br />
Wie kaum jemals zuvor in der Geschichte, glaubten die Künstler zur<br />
Bewältigung der politischen und sozialen Probleme der Zeit beisteuern zu<br />
müssen und zu können. Der Mensch im Mittelpunkt einer neuen Welt<br />
sollte für einen neuen, fortschrittlich denkenden Menschen konstruiert<br />
werden und auf eine soziale Realität bezogen sein. Kunst als unmittelbare<br />
Gestaltung des Lebens.<br />
In dieser Epoche des Aufbruchs wurde die künstlerische Arbeit neben der<br />
politischen und ökonomischen Arbeit zur Organisation der<br />
gesellschaftlichen Wirklichkeit anerkannt und hochgeschätzt. Kritisch<br />
bemerkte man damals schon, daß eine Umgestaltung der Gesellschaft<br />
durch das Medium Kunst möglich sein wird, wenn die Künstler aufhören,<br />
das Leben zu dekorieren oder abzubilden und beginnen, es zu gestalten.<br />
Durch den 2. Weltkrieg und durch ein neues industrielles Zeitalter wurden<br />
diese Forderungen, Kunst und Leben miteinander zu vereinen, nicht<br />
erfüllt. Die nationalsozialistische Kunstpolitik zensierte die freie Kunst.<br />
So werden Gemälde und Plastiken moderner Meister aus deutschen<br />
Museen beschlagnahmt, wie Braque, Chagall, Gaugain, van Gogh,<br />
Beckmann, Matisse, Picasso, Nolde, Klee, Kokoschka, Kirchner, Grosz,<br />
Macke, Corinth, Barlach, Marcks. Adolf Hitler vernichtete die Kunst. Nach<br />
den Richtlinien des Reichsministers Rust vom 2. 8. 37 lautete die offizielle<br />
Negativbestimmung „Entartete Kunst“. Zu dem zugehörig zählten Werke,<br />
die entweder das deutsche Gefühl beleidigten, die natürliche Form<br />
zerstörten oder verzerrten, oder wo der Mangel gegenüber handwerklich<br />
künstlerischen Könnens des Künstlers wahrgenommen wurde.<br />
30
Die Zersetzung der Handwerklichkeit wurde angeklagt. Beschlagnahmt<br />
wurden Bilder, die zu Anarchie, Klassenkampf und Bolschewismus<br />
aufriefen, und die Staatssymbole, Krieg, Ordenszeichen, schlecht<br />
machten. Erlaubt waren nur monumentale Kunstwerke, die das Ideal des<br />
Nationalsozialismus symbolisierten, anschaulich, eindeutig darstellten.<br />
Auf die künstlerische Nachkriegszeit bezieht sich die Kritik von Günter<br />
Grass, der die Ära wie folgt erörtert:<br />
„Als ich im Januar 1953 als junger Bildhauer nach Berlin kam, liefen die<br />
Künste Gefahr, ins Unverbindliche abzudriften. Wenn in der Lieteratur<br />
herkömmliches Gräserbewispern preiswürdig war, und Autoren wie Wolfgang<br />
Koeppen und Arno Schmidt im Abseits blieben, stand in der Bildenden Kunst<br />
die Moderne ganz vorn; freilich nur dann, wenn sie sich gegenstandslos<br />
anbot. Von all dem Häßlichen, das man glücklich hinter sich zu haben meinte,<br />
sollte möglichst nichts zu erkennen sein. Chiffren, ja.- Ornamente, gewiß.-<br />
Auch Materialien, Strukturen, die Menge, die reine Form. Nur Überdeutliches<br />
nicht, nichts, das als Bild schmerzte. Kein Dix, kein Kirchner, kein Beckmann,<br />
zwang das erlebte Grauen ins Bild. Der heftige, bis in den Künstlerbund<br />
hineingetragene Streit zwischen dem ‘gegenständlichen’ Maler Carl Holger<br />
und Will Grohmann, dem Apologeten der ‘Gegenstandslosigkeit’, bedeutete<br />
Mitte der fünfziger Jahre mehr als im Kunstbereich übliche Polemik: Es ging<br />
auch um das Wahrnehmen oder Übersehen der Wirklichkeit in einem Land,<br />
das geschlagen, geteilt war, dessen zu verwantwortende Last Völkermord<br />
hieß, und das dennoch oder deshalb im Begriff war, alles zu verdrängen, ich<br />
sage, gegenstandslos zu machen, was die Vergangenheit heraufbeschwören<br />
und die Flucht nach vorne behindern konnte.“ 33<br />
33 GRASS, G. (1987): Essays, Reden, Briefe, Kommentare. Neuwied.<br />
Rede zum 8. Mai 1985 in der Hochschule der Bildenden Künste Berlin. Seite 156.<br />
31
4.1.2 Gegenwärtige Kunst und ihre Funktion<br />
Unsere gegenwärtige Kunst, die sogenannte Avantgarde, bricht Tabus,<br />
schockiert das Publikum und nimmt dafür Kritik in Kauf. Es bemächtigt<br />
sich der Künstler einer Ausdrucksweise jenseits der traditionellen Malerei<br />
und Bildhauerei, und schuf ein breites Spektrum nebeneinander<br />
existierender vielfältiger Ansätze. Durch die geistige Atmosphäre der<br />
68er-Generation entwickelte sich auch in der zeitgenössischen<br />
künstlerischen Haltung Politisierung und kritische Theorien.<br />
Die zeitgenössische Kunstszene ist sehr komplex, doch ich meine, daß<br />
sie sich wie eh und jeh zwischen den Extrempolen von Form und Inhalt<br />
bewegt.<br />
FORM INHALT<br />
Kunst als dekoratives<br />
Kunst als Medium mit<br />
abbildhaftes Element<br />
inhaltlichem Sinngehalt<br />
In den Bereichen der Kunst kann jeder Mensch lernen,<br />
daß Rationalität und Emotionalität miteinander zu versöhnen sind.<br />
Die Maler lehren, daß das Eine das Andere nicht ausschließt; das<br />
Ineinander von Bewußtem und Unbewußtem, Ratio und Emotion,<br />
Vernunft und Affekt, Absichtslosigkeit und Steuerung.<br />
32
Betrachtet man die Kunst im geschichtlichen Wandel unter dem Aspekt<br />
von Kunst und Gesellschaft „Sozialer Kunst“, so wird in diesem Prozeß<br />
deutlich, daß Kunstwerke dreierlei vermögen:<br />
(1) Wiederholung, Hervorbringung und Sie haben eine reproduktive<br />
Funktion, indem sie uns die Welt wie auch immer verändert und<br />
gedeutet vor Augen führen, indem sie auf das verweisen, was ist - egal<br />
ob sichtbar, für alle sichtbar ist oder nicht. Re-Produktion heißt hier mit<br />
den Mitteln der Kunst neu schaffen, um darauf aufmerksam<br />
zu machen.<br />
(2) Sie haben eine evokative Funktion, indem sie hervorrufen, aus<br />
sich, aus ihren materialen und geistigen Ordnungen hervorbringen,<br />
was ist, ohne daß es außerhalb der Kunst existierte. Evokation heißt<br />
hier, mit den Mitteln der Kunst hervorbringen, um auf die Seinsweise<br />
der Kunst und die Manifestation des Menschen in der Kunst und durch<br />
die Kunst aufmerksam zu machen.<br />
(3) Sie haben eine inszenatorische Funktion, indem sie<br />
Sehgewohnheiten und Wahrnehmungsweisen verändern oder<br />
Wahrgenommenes verändert darstellen, damit die<br />
Wahrnehmungsprozesse analysierend. Inszenierung heißt hier<br />
bewußte Veränderung der beobachtbaren Gegebenheiten und der<br />
sinnlichen Reaktion darauf. Veränderung sind drei Weisen der Kunst,<br />
auf Welt zu reagieren, oder anders: sind drei Weisen des Menschen<br />
durch das Medium der Kunst auf Welt zu reagieren.<br />
33
4.2 Die Funktion des Prozesses in der ästhetischen Erziehung<br />
4.2.1 Ästhetische Erziehung als Prozeß<br />
Die Gesellschaft überprüft die Kunstformen ihrer Umgebung.<br />
Aus einem Unverständnis heraus kann der Betrachter der gegenwärtigen<br />
modernen Kunst Vorwürfe machen, das zu eigenartig und gegensätzlich<br />
zur Alltagsästhetik steht. Ungewöhnlich empfinden einige Zuschauer die<br />
abweichenden Körperlichkeiten, Proportionen, Stofflichkeiten und das<br />
Banales als Kunstobjekte deklariert werden.<br />
Verunsichert ist der Kunstbetrachter über das Fehlen oder die reduziert<br />
erkennbaren Bildinhalte. Meistens ist vorrangig zu hören, daß die Kunst,<br />
der Marktwert des Bildes, in keinem Verhältnis zur konkret<br />
nachvollziehbaren Arbeit der Bildherstellung steht. Das Verhältnis von<br />
Bildender Kunst und den möglichen Verhaltensweisen des Menschen und<br />
der Gesellschaft gegenüber der Bildenden Kunst ist distanziert und nicht<br />
urteilsfrei. Das Publikum ist in Bezug auf künstlerische Sachverhalte nicht<br />
homogen. Es gibt eine Spannweite ,von dem Extrem der aggressiven<br />
Reaktion auf Kunst einerseits und andererseits einer nicht weniger<br />
bedenklichen hemmungslosen, unkritischen Akzeptanz all dessen,<br />
was sich als Kunst anbietet.<br />
Auf die sozialpädagogische Arbeit wirken gesellschaftliche Fakten ein.<br />
Der Mangel an Konsens in der Reaktion auf Kunst und der Mangel an<br />
Aktionsmöglichkeiten in diesem Bereich erschweren das Ingangsetzen<br />
bildnerische Prozesse. Findet die Einlassung auf einen bildnerischen<br />
Prozeß in der sozialpädagogischen Arbeit statt, so sollten folgende<br />
Verhaltensweisen in ihm erzielt werden:<br />
34
� bildnerisches Handeln<br />
� ästhetische Objektanalyse.<br />
Der Prozeß im Umgang mit Ästhetischen Medien, mit der Kunst beinhaltet<br />
das bildnerische Handeln und die ästhetische Analyse. Was Otto für den<br />
Kunstunterricht als bildnerische Prozesse definiert, gilt auch für die<br />
sozialpädagogische Arbeit mit Medien: Gegenstand des Kunstunterrichtes<br />
sind bildnerische Prozesse und die in ihnen entstehenden ästhetischen<br />
Objekte. Bildnerisches Handeln und die Analyse ästhetischer 34 Objekte<br />
(unterschiedlichster Herkunft) sind die im Kunstunterricht vorrangigen<br />
Verhaltensweisen.<br />
Die im Kunstunterricht benutzten bildnerischen Mittel und Verfahren, die<br />
gestellten Probleme und die Wege auf denen die Prinzipien, mit deren<br />
Hilfe sie gelöst werden, stehen in einem approximativen Verhältnis zur<br />
Bildenden Kunst (beim bildnerischen Handeln) und zur Kunstwissenschaft<br />
(bei der Analyse ästhetischer Objekte). 35<br />
34 Der Begriff „ästhetisch“ wird zum einen im engsten Wortsinn, also wertfrei bezogen auf<br />
die Wahrnehmung visueller und haptischer Phänomene verstanden, zum anderen mit<br />
der erklärten Tendenz, über den traditionell begrenzten Bereich der Bilden Kunst z.B. in<br />
Richtung Design, Werbung und Film hinauszuweisen.<br />
35 OTTO, G. (1964): Kunst als Prozeß im Unterricht. Braunschweig.<br />
35
Handelnde Auseinandersetzung<br />
mit bildnerischen Mitteln,<br />
Verfahren, Problemen<br />
und/ oder Prinzipien:<br />
Praktischer Aspekt<br />
Bildnerischer Prozeß<br />
36<br />
Analysierende und/ oder<br />
einfühlende Auseinandersetzung<br />
mit Werken:<br />
Theoretischer Aspekt<br />
Doch bildnerische Prozesse in der sozialpädagogischen Arbeit müssen<br />
gegenüber den institutionellen bildnerischen Prozessen erweitert werden.<br />
Sozialpädagogische Erziehung im Umgang mit Kunst/Medien strebt mehr<br />
an als nur den Kunstgegenstand zu betrachten und den Transfer-Akt.<br />
Neben „Analyse“ einerseits auf die Kunst als Struktur, muß diese auch auf<br />
Kunst/Medien als sozialen Prozeß gerichtet sein.<br />
Kunst/Medien in der sozialpädagogischen Arbeit<br />
müssen als sozialer Prozeß verstanden werden.<br />
Sozialer Prozeß differenziert sich in meinem Arbeitsvorhaben.<br />
� Kommunikation � Information<br />
praktischer Aspekt theoretischer Aspekt
4.3 Die Funktion der Kommunikation mit Kunst/Medien<br />
Die Funktion der Kommunikation ist der Ästhetik gewissermaßen<br />
wesensmäßig zugeschrieben, denn erst die Wertbeständigkeit der<br />
Vermittlung macht aus dem Gegenstand ein ästhetisches Objekt.<br />
Aus dem Papier mit Farbe ein Bild.<br />
Kommunikation in der ästhetischen Erziehung muß nicht bewußte<br />
Intention sein, sie ergibt sich alleine aus der Situation vom Betrachter<br />
zum Werk. Aus der Anschauung einen produktiven, kreativen<br />
Rezeptionsprozeß einzugehen. Zielgruppenspezifisch kann angestrebt<br />
werden, daß die Kommunikation Inhalte, Gefühle, Atmosphäre trägt.<br />
Die Kommunikation kann den Wert von informativ, aufklärend,<br />
animierend, kritisch, überzeugend, provokativ, präsentativ, unterhaltend,<br />
schmückend u. a. m. sein.<br />
Untersucht man den Gegenstand der Kommunikation näher, so ist es der<br />
Austausch von KOGNITION - EMOTION - MOTIVATION.<br />
Das Element der Kommunikation ist das Zeichen. Das Zeichen ist ein<br />
materieller Gegenstand, dieser ist vom Betrachter her die wahrnehmbare<br />
äußerliche Seite. Der Körper ist aufgrund seiner konkreten Existenz beim<br />
Kunstbetrachter wahrnehmbar und hat eine appelierende Wirkung.<br />
Das Zeichen wird zum Zeichen im Prozeß der Kommunikation und im<br />
Rahmen der von dem Kunstbetrachter angenommenen Bildmitteilung.<br />
Das Zeichen kann über die Wirklichkeit vermitteln, über die äußere Welt<br />
oder über das Innenleben.Zeichen verweisen auf die Welt, auf Sachen,<br />
Konzepte, Verhaltensweisen, Personen.<br />
37
Gehe ich in eine Kunstausstellung von Beuys, so kann ich als<br />
Zeichenkörper ein Stück Butter wahrnehmen.<<br />
Da die Kommunikation mit Kunst kein reiner Austausch<br />
von Informationen ist, bei dem das Zeichen das Gemeinte transportiert,<br />
reicht der Zeichenkörper in der Kunst nicht aus, um das Kunstwerk<br />
ganzheitlich zu erschließen. Neben dem Zeichenkörper existiert noch die<br />
Bedeutungsebene. Diese verweist auf die theoretische Sinnhaftigkeit,<br />
auf den Inhalt. Beuys Butterblock wäre in diesem Falle ein Symbol für<br />
Energie, Wärmeträger. Wahrnehmungsinhalte werden dem<br />
Kunstbetrachter von außen gegeben (Butter), Gedankeninhalte müssen<br />
von innen erschlossen werden (Energie, Wärmeträger).<br />
Was die Beobachtung für die Wahrnehmung ist, ist die Intuition für das<br />
<strong>Denken</strong>, und beides ist für den Kommunikationsprozeß mit der Kunst sehr<br />
entscheidend. Über diese zwei Seiten hinaus hat die Kommunikation nach<br />
außen einen Inhaltsaspekt und einen Beziehungsaspekt.<br />
Im Inhaltsaspekt sind Informationen, Daten, Fakten verankert, im<br />
Beziehungsaspekt ist die Beziehung Sender - Empfänger maßgeblich.<br />
Kommunikation und Kunst veranschaulicht im folgenden Modell.<br />
Kommunikation mit und durch Kunst darf nicht die Funktion als Vermittler<br />
herrschender Ideologie sein, sondern Instrument zur Reaktion auf die<br />
gesellschaftliche Wirklichkeit.<br />
38
4.4 Die Funktion der möglichen Informationsvermittlung<br />
und der Verhaltensbeeinflussung durch Kunst<br />
An die Kunst/Medien stellt sich die Funktionsfrage, inwiefern sie der<br />
Informationsvermittlung gerecht wird und ob sie bei dem Kunstbetrachter<br />
eine Verhaltensänderung verursacht. Kunst kann zum gesellschaftlichen<br />
Konsumgut beitragen, kann durch schöne Bilder soziale Konflikte<br />
verharmlosen und zum unreflektierten Genuß beeinflussen.<br />
Die Funktion der Kunst kann aber immer auch für Wahrnehmungen<br />
sensibilisieren, kann Umweltbedingungen, Öffentlichkeit, die Welt<br />
transparent machen, zu ihrer Gestaltung und Erneuerung animieren.<br />
Ob der Kunst die Funktion der Anpassung oder der Veränderung dient,<br />
liegt nicht alleine in ihrer Struktur begründet, sondern vom kritischen<br />
Bewußtsein, von den Intentionen, mit denen der Sozialpädagoge<br />
künstlerische Medien und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen<br />
zu hinterfragen und zu verstehen anstrebt. Kunst ist Inbegriff von<br />
menschlichem Bewußtsein und für das menschliche Bewußtsein<br />
erarbeitet. Je mehr Bedeutungsebenen durch ein Kunstwerk gelegt<br />
werden können, desto stärker ist dessen Substanz.<br />
Inwieweit die Kunst ihrer Funktion gerecht werden kann, hängt<br />
entscheidend von der Einstellung des Kunstbetrachters ab.<br />
Seine Offenheit gegenüber der Kunst, sein Wille zur Auseinandersetzung<br />
mit Kunst, die kognitive Fähigkeit Fragen zu stellen, sind Bedingungen<br />
dafür, daß die Kunst ihrer Aufgabe gerecht werden kann.<br />
39
Mit der ästhetischen Fragestellung vermischt sich immer auch ein sozialer<br />
Aspekt. Dieser soziale Aspekt fordert den Kunstbetrachter durch<br />
widerlegen, durchdenken, akzeptieren Argumente zu finden.<br />
Die Kunst appelliert an das Publikum, seine Welt durch das Medium<br />
hindurch wahrzunehmen, zu reflektieren und seine individuelle Realität zu<br />
diskutieren, nicht um etwas schulisch faktisch zu lernen, was man dann in<br />
der Politik gebrauchen kann. Im Zusammenhang mit und durch die Kunst<br />
soll der Mensch etwas erfahren und erkennen, und diese Fähigkeiten und<br />
Kenntnisse produktiv in die Tat umsetzen für das Gemeinwesen.<br />
Wie z. B. Integrationsfähigkeit, Experimentierfähigkeit, Toleranz,<br />
Kritikfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit. Kunst kann das Einüben<br />
dieser Grundhaltungen begünstigen und sollte deswegen mit der<br />
gesellschaftlichen Realität stärker verbunden sein.<br />
Sollte die Kunst die Funktion haben der Informationsvermittlung und der<br />
Verhaltensänderung, so muß der Sozialpädagoge, mit dieser Intention<br />
etwas zu verändern, das Bewußtsein der Menschen erreichen.<br />
40
5. DAS ARBEITSVORHABEN<br />
Kann ein Medium der Thematik: „Annäherung an das Fremde“<br />
kommunikative und bewusstseinsbildende Prozesse auslösen?<br />
5. 1 DAS THEMA DES ARBEITSVORHABENS<br />
„Wenn ich könnte, gäbe ich jedem Kind eine Weltkarte ...<br />
Und wenn möglich, einen Leuchtglobus, in der Hoffnung, den Blick des<br />
Kindes auf’s Äußerste zu weiten, und in ihm Interesse und Zuneigung<br />
zu wecken für alle Völker, alle Rassen, alle Sprachen, alle Religionen -<br />
an allen Orten!“<br />
Die Prämisse, die Adorno in seinem Aufsatz:<br />
„Erziehung nach Ausschwitz“ jeder pädagogischen Arbeit voranstellt;<br />
„Jede Debatte über Erziehungsideale ist nichtig und gleichgültig diesem<br />
einen gegenüber, daß Ausschwitz sich nicht wiederhole,“ 36<br />
läßt viele Fragen hinsichtlich der Umsetzung in der Pädagogik offen.<br />
Sie zielt - in Adornos Sinne - nicht nur darauf, daß sich Geschichtsbewußtsein<br />
bildet, sondern auch darauf, daß Entwicklungen zur<br />
Autonomie, zur Selbstbestimmung des Individuums angeleitet werden.<br />
Die Sozialarbeit ist in diesem Zusammenhang zweifach gefordert:<br />
zum einen sollen auf die Persönlichkeitsentwicklung zielende<br />
Entwicklungen zur Autonomie angelegt werden, die durch kreatives Tun<br />
gefördert werden können, zum anderen soll die Gedenkthematik<br />
einbezogen werden und damit eine Auseinandersetzung mit einer<br />
öffentlichkeitsrelevanten Kunstform, des Raumobjektes zur Thematik<br />
„Annäherung an das Fremde“ geführt werden.<br />
36 ADORNO, Th. W. (1969): Kritische Modelle. Frankfurt.<br />
Vgl. auch: ADORNO, Th. W. (1971): Erziehung zur Mündigkeit. Frankfurt/M. Seite 88.<br />
41
Fühlen, indem die Person in der Kunstbetrachtung ihre<br />
Sinneseindrücke erspürt und im Gespräch artikuliert.<br />
<strong>Denken</strong>, in Reflektion mit dem Thema „Annäherung an das<br />
Fremde“. Der Betrachter soll herausgefordert werden, das Werk,<br />
seine Symbolik, seine Begrifflichkeiten, seine Form zu hinterfragen<br />
und diese Gedankengänge zu formulieren.<br />
Handeln, als das das Modell als Ausgangspunkt für eigene,<br />
individuelle Umgestaltungsmöglichkeiten genutzt wird.<br />
Der Betrachter darf gestalterisch, erfinderisch, ideenreich,<br />
phantasievoll, richtungsweisend das Modell weiterentwickeln.<br />
Drei Verhaltensweisen:<br />
Fühlen als Daseinserfüllung, denken als Daseinserhellung und<br />
handeln/ wollen als Daseinsbewältigung. Es ist wünschenswert, daß der<br />
Kunstbetrachter in eine ganzheitliche Kommunikation mit dem Medium tritt<br />
und sich darüberhinaus ein bewußtseinsbildender Prozeß entwickelt.<br />
In einer Gesellschaft, wo in vielen Lebensbereichen das<br />
Auseinanderfallen von Alltagspraxis und überlieferter Kultur wahrnehmbar<br />
ist, wo repräsentative Hochkultur wir Oper, Theater, Museen, Bildende<br />
Kunst, kein Teil der „Lebenswelt“ von allen ist. Unter dem Alltagsdruck z.<br />
B. von Existenzsicherung, neuen Medien und politischen Spannungen,<br />
werden die Möglichkeiten zur kreativen Entfaltung und ganzheitlichem<br />
Erleben als defizitär erlebt.<br />
Für den Sozialpädagogen geht es in der Kulturarbeit darum,<br />
Gegenstandsbereiche, Lern- und Erfahrungsräume so zu organisieren<br />
und verfügbar zu machen, daß darin offene Lernprozesse stattfinden,<br />
deren allgemeine Zielrichtung mit Emanzipation umschreibbar ist.<br />
42
Emanzipation - als die Fähigkeit sich allein und mit anderen zusammen<br />
seines eigenen Verstandes zu bedienen, tendenziell aufgeklärt zu<br />
handeln.Es geht nicht um Bevormundung, sondern um die Etablierung<br />
von Selbstbestimmung.<br />
In meinem Arbeitsvorhaben soll ein Beispiel gegeben werden, wie man<br />
mit kreativen Medien nicht „pädagogisiert“, sondern ein attraktives,<br />
motivierendes „Lernmilieu“ bereitstellt, in denen selbstbestimmtes<br />
Handeln nicht nur möglich sondern notwendig ist.<br />
Ob im Ausblick für eine solche Art von Bildungs-, Gemeinwesen- und<br />
Kulturarbeit Geld vorhanden ist oder nicht, ist auch eine Frage von<br />
Einsicht, vor allem eine Frage nach den politisch gewollten Prioritäten.<br />
Es scheint mir, als ob solche Entscheidungen nicht vom Bedarf her<br />
getroffen werden, sondern basieren auf der Bedeutung, die man einer<br />
Sache zumißt. Angesichts des Kulturetats ist es natürlich schwer, neue<br />
Bereiche, auch neue Formen außerinstitutioneller künstlerischer<br />
Vermittlungstätigkeit zu entwickeln. Einsicht wäre am ehesten durch<br />
überzeugende und öffentlichkeitswirksame Beispiele zu erreichen.<br />
Vielleicht ist dieses Arbeitsvorhaben ein Vorbild.<br />
Fazit: Die Mittel sind nicht da, weil die Wichtigkeit der vielfältigen Formen<br />
von kultureller Praxis in unserer Gesellschaft, weil die Bedeutung und<br />
Funktion der Beschäftigung und Auseinandersetzung mit Kunst im<br />
weitesten Sinne nicht erkannt ist. Darum gilt es zu beweisen: Daß ein<br />
kreatives Medium mit der Thematik „Annäherung an das Fremde“<br />
kommunikative und bewußtseinsbildende Prozesse auslöst!<br />
43
„Fremd-sein - der Blick auf das Fremde - die Annäherung an das Fremde - die<br />
Angst vor dem Fremden - der Reiz des Fremden - die Furcht vor dem<br />
Fremden in mir […] Fremdheitsgefühle sind vielfältig. Erlebnisse von<br />
Fremdheit im eigenen Land unterscheiden sich von Gefühlen der Fremdheit in<br />
anderen Staaten und Kulturen. Das Fremde macht neugierig und erzeugt<br />
Angst. Annäherung und Furcht liegen nahe beieinander. Überwindung von<br />
Fremdheit bedeutet Arbeit.“ 37<br />
Die Annäherung an das Fremde erfordert die Andersartigkeit auszuhalten,<br />
sich selbst in der Interaktion mit dem Fremden zu thematisieren,<br />
Kontroversen gewaltfrei auszutragen.<br />
„Zum <strong>Sehen</strong> muß Erfahrung hinzukommen,<br />
der Distanz muß Annäherung folgen.“ 38<br />
Was nicht verstanden wird, wird vorsorglich abgewehrt und abgewertet,<br />
um es so „in den Griff“ zu bekommen. Diese Reaktionen sind Signale<br />
und müssen ernst genommen werden. Demokratische, sachgerechte<br />
Formen müssen erfahren, gelernt und geübt werden. Die Begegnung mit<br />
Fremdheit braucht Ermutigung. Ermutigung daran zu arbeiten, Fremdheit<br />
nicht sofort mit Angst zu begegnen, einen Prozeß in Gang zu setzen, an<br />
dessen Ende Fremdheit nicht mehr als Bedrohung des eigenen Ich erlebt<br />
wird. Neugier kontra Ablehnung.<br />
37<br />
HÖHMANN K.;STANZKAU, R. (1994): Schwerpunkt.<br />
Kunst und Unterricht. Frankfurt/M.<br />
38<br />
BUDZINSKI, M.; BICK, P. (Hg.)(1988): Alle Menschen sind Ausländer fast überall.<br />
Göttingen.<br />
44
Das Fremde<br />
In das Thema Fremde fließen ethnologische und religiöse Aspekte<br />
ebenso ein wie biographische, soziologische, psychologische, politische<br />
und geschichtliche Momente. Entsprechend vielschichtig sind die<br />
interpretatorischen Möglichkeiten, sich in der Bildungsarbeit mit diesem<br />
Thema auseinandersetzen.<br />
Differenzen, Distanz, Widersprüche, Ambivalenzen und Abwehr sollen<br />
nicht vermieden oder harmonisiert, sondern bewußt thematisiert und zum<br />
Zentrum des sozialpädagogischen Geschehens gemacht werden.<br />
Das individuelle Befremden, Ängste, Abwehr, werden zum eigentlichen<br />
Thema. Distanz abzubauen, zu Konfliktlösungen beizutragen, indem das<br />
Thema offen bedacht wird, soll Fernziel dieses Arbeitsvorhabens sein. Die<br />
Zugangsmöglichkeiten zu dem Thema sind dabei sehr unterschiedlich.<br />
Man kann sich dem Thema durch ethnologische Gesichtspunkte nähern,<br />
ebenso aber auch gesellschaftspolitische Ausgangspunkte wählen.<br />
Ich lege den Wert auf den Prozeß der Auseinandersetzung, der während<br />
den Gesprächen vom Betrachter zum Kunstobjekt stattfindet.<br />
Wirkliche Annäherung braucht Geduld und Zeit.<br />
„Fremdenfeindlichkeit wird überflüssig, wenn wir uns selbst besser verstehen<br />
und auch unsere eigenen Entwürfe, Entwicklungswege, Wirtschaftsund<br />
Politikkonzepte zu relativieren gelehrt haben. Erst wenn wir den<br />
unbedingten Respekt vor der Andersartigkeit des Anderen und vor der<br />
Fremdheit des Fremden.“ 39<br />
39 GROENEMEYER, H. (1992): Fremdenfeindlichkeit.<br />
In Arbeitshilfen für den Unterricht und Bildungsarbeit. Dritte Welt Haus Bielefeld. Seite<br />
10.<br />
45
Wenn wir uns mit der Vielfalt der Entwürfe und Lebensversuche<br />
tatsächlich ernsthaft auseinandersetzen und auch bereit sind, uns von<br />
anderen „befremden“ zu lassen, gibt es eine Chance eines friedlichen<br />
Miteinanders. Als Studentin des Sozialwesens mit dem Schwerpunkt<br />
Bildungs-, Gemeinwesen- und Kulturarbeit möchte ich zur Verwirklichung<br />
dieser Utopie durch mein Arbeitsvorhaben beitragen.<br />
5.2 DER PERSONENKREIS<br />
Aus dem politischen Bewußtsein heraus, daß wir in einer pluralistischen<br />
Gesellschaft leben wo es keine letzten, absoluten Wahrheiten geben darf<br />
und sich alles im Fluß bewegt, ist es wichtig, wenn hier über Kunst im<br />
öffentlichen Raum diskutiert werden soll und Vertretern unterschiedlicher<br />
Interessenverbände, seien es Gewerkschaften, Vereine, Fraktionen,<br />
Glaubensgemeinschaften, schon in der Kunstentwicklung Mitspracherecht<br />
zu geben. Die gesellschaftliche Vielfalt in der Gewißheit, daß es keine<br />
einheitliche, für alle verbindliche, religiöse und weltanschauliche<br />
Grundlage der Gesellschaft gibt, stellt uns immer wieder vor die Aufgabe,<br />
Wahrheiten zu widerlegen, Theorien zu überdenken, ob sie wahr sind.<br />
Auch aus dem Bewußtsein heraus, daß jede Gruppe - gleich welcher Art -<br />
sich in Konkurrenz zu anderen Gruppen sieht.<br />
Vertreter der unterschiedlichsten Glaubensgemeinschaften, Fraktionen,<br />
Vereinen ... wurden angeschrieben, um sich nicht als Amtsträger sondern<br />
als individuelle Persönlichkeit subjektiv zum Medium zu äußern. Freie<br />
Assoziationen und Interpretationen zum Modell „Annäherung an das<br />
Fremde“ zu formulieren.<br />
46
Aus der Anfrage zum Diskurs haben sich folgende Personen beteidigt:<br />
Magistrat der Stadt Fulda<br />
* Oberbürgermeister Dr. W. H.<br />
* Kulturamtsleitung Dr. K., vertreten durch A. G.<br />
* Ausländerbeauftragter Herr W.- Angefragt/ Abgesagt<br />
* Frauenbeauftragte Frau H. H.- Angefragt/ Abgesagt<br />
Fraktionsvorsitzende<br />
* CDU - Angefragt/ Abgesagt<br />
* SPD - Angefragt/ Abgesagt<br />
* Bündnis 90/Die Grünen, Frau U. R.<br />
Glaubensgemeinschaften<br />
* Katholischer Bischof Dr. Dr. D. - Angefragt/ Abgesagt<br />
* Evangelischer Dekan R.K., vertreten durch Studienpfarrer K.<br />
* Jüdische Gemeinde, Frau L. W.<br />
* Islamische Gemeinde, S. Ö.<br />
* Evangelische Freikirche, Herr G. R.<br />
Wohlfahrtspflege<br />
Angefragt/ keine Antwort<br />
Gewerkschaften<br />
Angefragt/ keine Antwort<br />
47
Vereine<br />
Angefragt/ keine Antwort<br />
Fachhochschule Fulda<br />
* Rektor Herr Professor A. O.<br />
* ASTA FH - Fulda - Angefragt/ Abgesagt<br />
* Dekan des <strong>Fachbereich</strong>s SK, Prof. R. S.<br />
Sonstige<br />
* Kulturscheune Wehrda, Herr K.<br />
* Spielwiese e.V., Frau S. F.<br />
* Kunstprofessor(inn)en in Kassel, - Angefragt/ Abgesagt<br />
* Kunstprofessorinder Gesamthochschule Kassel D.vW.<br />
* Kunstprofessor(inn)en der Uni Frankfurt/M., - Angefragt/ keine Antwort<br />
* Studenten der Uni Kassel, u.a. W. P.<br />
* Studenten der FH Fulda, u.a. A. S.<br />
* Schülerin aus Fulda, E.<br />
48
Da zu Beginn des Arbeitsvorhabens unklar war, ob sich die Personen des<br />
öffentlichen Lebens auf solch ein Gespräch einlassen, habe ich auch<br />
parallel mit Studenten über das Modell „Annäherung an das Fremde“<br />
gesprochen. Diese Gespräche habe ich allerdings in dieser Ausarbeitung<br />
nicht mit einbezogen, sondern nur zwei Gespräche exemplarisch<br />
ausgewählt.<br />
5.3 DIE ZIELE<br />
Das Medium, ein Modell eines Raumobjektes zum Thema<br />
„Annäherung an das Fremde“, möchte Begrifflichkeiten in Frage stellen<br />
und neu gestalten, um in einem aktiven, kommunikativen Prozeß beim<br />
Betrachter neue Erkenntnisse und verändertes Bewußtsein entstehen<br />
zu lassen. Die Soziale Plastik hat nur dann einen Wert, wenn sie an der<br />
Entwicklung des menschlichen Bewußtseins arbeitet.<br />
Meine pädagogischen Ziele richten sich auf die Entwicklung des<br />
Bewußtseins einzelner Menschen, um über das Individuum vermittelt,<br />
grundlegende Veränderungen der gesellschaftlichen Struktur zu<br />
erreichen. Mit Hilfe der ästhetischen Erziehung möchte ich einen Beitrag<br />
leisten, dem Menschen in seinem Ziel zur Autonomie und<br />
Selbstverwirklichung unterstützend und fördernd zur Seite zu stehen.<br />
Dieses Arbeitsvorhaben beabsichtigt folgendes Grobziel:<br />
Durch die Gegenüberstellung des Kunstbetrachters zum Medium -<br />
einem Modell eines Raumobjektes zum Thema:<br />
„Annäherung an das Fremde“ - sollen kommunikative und<br />
bewußtseinsbildende Prozesse entwickelt werden.<br />
49
Untergliedert folgere ich die Feinziele:<br />
Wahrnehmungsfähigkeit<br />
Wahrnehmungsfähigkeit<br />
Kommunikationsfähigkeit<br />
Jede kognitive Entwicklung hat ihr Fundament in der Wahrnehmung.<br />
Wahrnehmung ist ein komplexer, geistiger Vorgang und hat seine<br />
Elemente in der Sinnesempfindung und in dem Lernen durch die<br />
Erfahrung. Wahrnehmung ist mehr als die passive Aufnahme von<br />
Sinnesreizen der Umwelt, sie ist vielmehr ein aktiver Prozeß der geistigen<br />
Verarbeitung von Informationen, die über die Sinnesreize dem Menschen<br />
geliefert werden.<br />
Förderung bewußtseinsbildender Prozesse heißt also u. a.<br />
Wahrnehmungstraining im Zusammenhang mit Sinnesschulung.<br />
Sinneserfahrung als Selbsterfahrung bedingt die Differenzierung von sich<br />
zur Umwelt, zwischen Ich und nicht-Ich. Die Selbsterfahrung bietet<br />
gleichzeitig ein Gegengewicht zur einseitigen, kognitiven Entwicklung und<br />
ist in diesem Sinne Persönlichkeitsbildung.<br />
50
Visuelles Wahrnehmen<br />
Der Kunstbetrachter soll das Modell des Raumobjektes sehen<br />
er soll Merkmale vom Objekt erkennen, unterscheiden, benennen<br />
er soll Formen, Farben, Symbole assoziieren der Kunstbetrachter<br />
soll ästhetische Sensibilität und persöndlichen Geschmack<br />
entwickeln.<br />
Kommunikationsfähigkeit<br />
Der Kunstbetrachter soll sich auf eine zwischenmenschliche<br />
Verständigung- in diesem Falle Kunstbetrachter zu mir - in Bezug<br />
auf das Medium „Annäherung an das Fremde“ einlassen.<br />
<strong>Denken</strong> ist gleichsam eine „innere“ Sprache, da denken mit<br />
Sprache identisch ist. Der Kunstbetrachter soll in der Konfrontation<br />
mit dem ästhetischen Gegenstand seine Kognitionen, Emotionen<br />
und Motivationen in Worte aussagen.<br />
Reflektionsvermögen<br />
Der Betrachter soll sich über das Modell eines Raumobjektes<br />
unterhalten können er soll Impulse, Anregungen aufnehmen<br />
und sprachlich formulieren er soll eine thematische Vorgabe<br />
emotional, rational reflektieren.<br />
Interpretationsfähigkeit<br />
Der Kunstbetrachter soll eigene Auslegungen vom Medium<br />
„Annäherung an das Fremde“ kommentieren<br />
er soll Begrifflichkeiten, Symbole enträtseln<br />
er soll Begrifflichkeiten deuten, beurteilen, begründen<br />
51
Kritik/Urteilsfähigkeit<br />
Der Kunstbetrachter soll eigene ästhetische Vorstellungen und<br />
Bedürfnisse erkennen und formulieren. er soll seine eigene<br />
Meinung äußern, aber auch sich selbst hinterfragen bzw.<br />
hinterfragen lassen er soll über das Modell eines Raumobjektes<br />
„Annäherung an das Fremde“ Kritik äußern.<br />
5.4 DAS MEDIUM: Ein Modell des Raumobjektes zum Thema<br />
„Annäherung an das Fremde“<br />
5.4.1 Die Form des Mediums<br />
- äußerliche Gestalt -<br />
Das Modell aus Hartschaumtafel , Papier und Alufolie ist 43,0 cm lang und<br />
36 cm hoch. In einem royalblauen Gerüst, das in drei Ebenen unterteilt ist,<br />
sitzen oben auf der ersten Ebene und unten auf der dritten Ebene jeweils<br />
fünf Spiegelrahmen (alle gleich groß: 3,5 cm x 3,5 cm),<br />
die sich drehen können. In der mittleren Ebene ist im Zentrum ein etwas<br />
größerer Spiegel (6 cm x 3,5 cm), fest verankert und unbeweglich. Rechts<br />
und links sind nocheinmal bewegliche Spiegelrahmen wie auf der oberen<br />
und unteren Ebene. Alle Rahmen sind mit Begrifflichkeiten beschriftet.<br />
Die Begriffe auf der oberen Ebene nennen die Kontinente und ihre<br />
charakteristischen Erzeugnisse, die untere Ebene bezeichnet<br />
Eigenschaftsbegriffe. Der große Spiegel im Mittelpunkt des Objektes ist<br />
mit dem Satz „Fremde die Herausforderung des anderen“ beschriftet.<br />
Rechts von diesem Rahmen ist ein Spiegel mit Ansicht „Europa“ und links<br />
der Spiegelrahmen mit den Zeitbegriffen. Die nachfolgenden Skizzen<br />
verdeutlichen die Gestaltung des Mediums:<br />
52
5.4.2 Die Symbolik des Mediums - inhaltliche Bedeutung -<br />
Die Wissenschaft will das Fremde erforschen, Religion will dem<br />
Unerklärlichen einen Sinn geben. Ästhetische Prozesse in der Kunst<br />
machen Fremdes vertraut und Vertrautes fremd. Kultur ist das Produkt,<br />
das durch die Auseinandersetzung mit dem Fremden resultiert.<br />
Es ist das Ergebnis aus der Wandlung des Eigenen durch die Aufnahme<br />
des Andersartigen.<br />
Mein Medium soll den Weg zur Annäherung an das Fremde ebnen und<br />
erleichtern, daß Fremdes im gesellschaftlich-kulturellen Leben durch<br />
innere, tolerante Einstellungen der Menschen sich ausbreiten und<br />
bewußtseinsbildende Prozesse vollzogen werden können.<br />
Den Anderen erkennen und verstehen, soll kein Faktum des Wissens<br />
sein, sondern der eigenverantwortlichen Handlung. Das Medium bezweckt<br />
keine Wissensvermittlung, oder dient dazu, möglichst viele Kulturen<br />
wahrzunehmen, sondern es möchte einen Raum schaffen, Zeit eröffnen,<br />
daß sich der Mensch und die Gesellschaft selbst im Spiegel fremder<br />
Menschen erkennt und in Beziehung mit anderen erleben kann.<br />
Die beweglichen Spiegelrahmen mit den Begriffen der Kontinente:<br />
Asien, Australien, Afrika, Amerika, Europa<br />
und ihren charakteristischen Erzeugnissen.<br />
(BEGREIF-, GREIF- UND SICHTBARES AUS ANDEREN KULTUREN:)<br />
53
Die beschrifteten Spiegel der ersten Ebene Asien, Australien, Afrika,<br />
Amerika und Europa stellen die Frage auf, inwieweit die Fülle an Fremden<br />
auf unserer Welt eine Chance zur kulturellen Bereicherung sein kann und<br />
auch interkulturelle Verständigung fördert.<br />
Die Spiegel der 1. Ebene mit den Kontinenten und Europa mit ihren<br />
charakteristischen Gütern zeigt die Vielfalt unserer Konsumkultur,<br />
die laufend Neues aufnimmt und durch die Internationalisierung des<br />
Warenverkehrs verknüpft ist. Ein Mechanismus ist in Gang gesetzt,<br />
der durch globale Kommunikationssysteme und Mobilität den Erdball<br />
kleiner und die Entfernung verringern läßt. Doch die Erdteile mit ihren<br />
Gütern sollen symbolisieren und verdeutlichen, daß viele ganz<br />
gewöhnliche Dinge, ob Reis, Baumwolle oder Zucker ..., die uns lieb und<br />
teuer sind, mit denen wir uns täglich umgeben und die wir nutzen, früher<br />
wie heute aus fernen Ländern und fremden Kulturen kommen.<br />
Über das Medium soll der Kunstbetrachter seine Wahrnehmung auf die<br />
Kontinente richten und für eine andere Art der Ansicht des Alltags<br />
sensibilisiert werden.<br />
Die Spiegel, beschriftet mit den Kontinenten, stehen für das Fremde<br />
vor Ort, für das Fremde in unserer Lebensumwelt, für Begreif-, Greifund<br />
Sichtbares aus anderen Kulturen.<br />
Die Produkte aus vielfach verworrenen Strängen von mehr oder weniger<br />
angepaßten Fremdeinflüssen stelle ich dar, weil ich verdeutlichen möchte,<br />
daß über einen historischen Zeitraum Fremdes immer wieder abgelehnt,<br />
aufgenommen, integriert und gewandelt wurde. In unserem Alltag, in<br />
unserer Kultur sind prägende Einflüsse aus anderen Kulturen - heute<br />
mehr oder weniger - spürbar.<br />
54
Dies dem Kunstbetrachter bewußt zu machen und nachvollziehen zu<br />
lassen, ist Funktion dieser beschrifteten Spiegel.<br />
Die rotierenden Spiegel sollen den Wandel der Kultur symbolisieren.<br />
Kultur darf nicht als statische, sondern als dynamische Einheit betrachtet<br />
werden, die fortwährend aus anderen Kulturen in sich aufnimmt, integriert<br />
oder sich mit anderen Einheiten zu etwas Neuem entwickelt.<br />
Der Austausch von Menschen vielfältigster Nationen und ihrer Kultur<br />
beeinflußt sich untereinander, und wir verdanken diesen Einflüssen<br />
unseren wirtschaftlichen und auch kulturellen Aufschwung.<br />
Die Spiegel: ASIEN - AUSTRALIEN -- AFRIKA - AMERIKA - EUROPA<br />
sind Symbole von außergewöhnlichem Fremden im Eigenen, historisch<br />
Gewachsenem und Altvertrautem.<br />
DER FESTE; GROßE SPIEGEL IN DER MITTE MIT DER AUFSCHRIFT<br />
„FREMDE DIE HERAUSFORDERUNG DES ANDEREN“<br />
Das Spiegelfeld mit der Beschriftung „Fremde die Herausforderung des<br />
anderen“, appelliert an die Selbsterkenntnis. Wer sich mit dem Fremden<br />
auseinandersetzt, das Fremde beurteilt, sollte dies nicht einseitig<br />
versuchen. Das Fremde betrifft und berührt uns immer individuell und<br />
folglich hat es mit uns selbst zu tun. Das Fremde kann nicht verstanden<br />
werden beim gleichzeitigen „SICH AUßER ACHT LASSEN.“<br />
Der Spiegel im Mittelpunkt des Raumobjekts möchte den blinden Fleck im<br />
Kunstbetrachter bewußt machen, das der Fremde nicht ist, sondern das<br />
der Fremde gemacht wird. Der Fremde ist eine konstruierte Figur, von<br />
Individuen oder Gruppen und sagt mehr über die Person aus, der es<br />
entworfen hat, als über den, den es beschreiben soll. Nicht die Fremde,<br />
andere Person ist das Problem, sondern der Betrachter selbst.<br />
55
„Wenn einer nicht Schritt hält mit den anderen, so liegt es vielleicht daran, daß<br />
er auf einen anderen Trommler hört. Die Gesellschaft basiert auf der<br />
Voraussetzung, daß die Menschen sich anpassen. Menschen, die es<br />
ablehnen sich anzupassen, tun das, weil sie die Ziele der Gesellschaft nicht<br />
voll verstehen oder akzeptieren, oder sie akzeptieren die Ziele, aber beharren<br />
auf ihren eigenen Mitteln, diese zu erreichen.<br />
Rebellen, Kriminelle, Alkoholiker, Hippies, Einsiedler, Ausländer, kreative<br />
Künstler, wissenschaftliche Genies, Intellektuelle und Individualisten …etc.<br />
[…] jeder der irgendwann einmal den Menschen seiner Umgebung gegen den<br />
Strich geht.“ Bärensprung<br />
Wenn das Andere am anderen zur Herausforderung wird,<br />
begegnen wir dem Fremden.<br />
Der Spiegel in der Mitte soll die Perspektive des Betrachters umlenken zu<br />
einem Monolog mit seiner eigenen Identität - seines „Selbst“ - und öffnen<br />
für einen Dialog mit seiner Umgebung, als Sozialwesen.<br />
Sich im Blickpunkt der Verantwortung sehen für sich und für andere.<br />
Das Medium bezweckt die Annäherung an das Fremde und hält die<br />
Möglichkeit bereit, Identität als Fremdheit und Vertrautheit erleben zu<br />
dürfen.<br />
„Nichts ist ein für allemal fremd. Fremde ist nicht nur eine Frage der<br />
Entfernung. Fremde ist immer auch eine Frage der persönlichen, situativ<br />
festgelegten Einstellung. Fremde ist auch nichts Objektives. Wenn ich etwas<br />
als fremd bezeichne, dann heißt das immer: Es ist mir fremd. Fremde kann<br />
sich verschieben, verlagern, abschwächen und verflüchtigen. Im täglichen<br />
Umgang wird Fremdes selbstverständlich und auch vertraut.“ 40<br />
40 Gelesen im Museum für Völkerkunde, Frankfurt/M.<br />
56
DIE BEWEGLICHEN SPIEGELRAHMEN MIT DEN<br />
EIGENSCHAFTSBEGRIFFEN<br />
„………eigener Wert und „Un-Wert“ des anderen<br />
als Bestandteil des Selbst anzuerkennen.“<br />
Die mit Eigenschaften beschrifteten Spiegel, betrachten den einzelnen<br />
Menschen, der die jeweilige Kultur der Erde individuell und einzigartig<br />
prägt. Aufgeführte, spontan gewählte positive und negative<br />
Charaktereigenschaften sind bei allen Menschen auf der Welt mehr oder<br />
weniger ausgeprägt und entwicklungsfähig. Die dualistische Art der<br />
Begriffe möchte ich nicht in gut/böse; schön/häßlich; Natur/Kultur;<br />
innen/außen; eigen/fremd; Ratio/Gefühl abtrennen. Durch die Spiegelung<br />
der Begriffe untereinander ist das Ziel die Integration von Eigenschaften<br />
durch den Austausch, durch die Kommunikation; durch die<br />
Reflektionspunkte. Den eigenen Schatten durch das Kunstwerk im<br />
Betrachter zu beleuchten, weite Teile des Unbewußten bewußt zu<br />
machen und in die eigene Persönlichkeit zu integrieren, ist ein<br />
wünschenswertes Ziel. Jede Form der Zu- und Abwendung des<br />
Betrachters gegenüber einem Begriff wie: Toleranz, Verständnis,<br />
Vorurteil ... ist eine Auseinandersetzung mit sich selber, mit unserem<br />
Selbstbild und mit einer Dynamik, die zwischen dem sozial verfestigten<br />
und psychisch manifesten Bild ständig in uns Menschen arbeitet.<br />
Über die Provokation des Mediums im Betrachter möchte ich zeigen,<br />
daß wir den Anderen, die Reibung an seiner Gleichheit und<br />
Andersartigkeit brauchen und nutzen können, um das Gleiche und Andere<br />
an uns selbst zu erkennen. Die begrifflichen Eigenschaften auf den<br />
Spiegeln in Bewegung symbolisieren, daß es keinen absoluten Menschen<br />
gibt, jeder Mensch verkörpert positive und negative Eigenschaften, überall<br />
auf der Welt.<br />
57
Das Leben entzündet sich nur am Gegensatz: Ohne Wertschätzung,<br />
d. h. Integration des Anderen, des bislang Fremden, bleibt es bei einer<br />
leblosen, festgefahrenen Polarisierung des <strong>Denken</strong>s, Fühlens und<br />
Handelns.<br />
Veränderung findet dann statt, wenn man den eigenen Wert<br />
und „Un-Wert“ des anderen nicht übersieht, sondern als Selbst<br />
dazugehörig akzeptiert und integriert. Dies ist die Chance, sich zu<br />
entwickeln und die eigene Existenz mit Leben zu erfüllen.<br />
DER BEWEGLICHE SPEGELRAHMEN MIT DEM ZEITBEGRIFF<br />
„DU MUßT SEHR GEDULDIG SEIN“<br />
Der Spiegel mit der Zeit: Gegenwart und Zukunft, symbolisiert den Prozeß<br />
dieser Annäherung an das Fremde. Wenn man etwas Neues kennen<br />
lernen möchte, benötigt man Zeit, um zu lernen. Möchte man einen<br />
Menschen kennenlernen, benötigt man nicht nur Kentnisse über seine<br />
Lebensumstände, angefangen mit der Sprache, man braucht auch<br />
Regeln, Riten, Zeit. Man braucht aber auch Bereitschaft des Anderen,<br />
seine Offenheit, sich anderen Lebensverhältnissen gegenüber zu<br />
offenbaren. Es muß immer ein Prozeß der Gegenseitigkeit sein.<br />
„Die Menschen haben keine Zeit mehr, irgendetwas kennen zulernen.<br />
Sie kaufen sich alles fertig in Geschäften.“ 41<br />
41 SAINT EXUPÉRY, A. de (1989): der kleine Prinz. München.<br />
58
Saint Exupéry spricht vom „vertraut-machen“ und davon, daß man sich<br />
nur für das verantwortlich fühlen kann, was man sich letztlich vertraut<br />
gemacht hat.<br />
„Was muß ich da tun? fragt der kleine Prinz.<br />
Die Antwort lautet: „Du mußt sehr geduldig sein.“ 42<br />
6. PRÄSENTATION UND DISKUSSION<br />
IN DER ÖFFENTLICHKEIT<br />
6.1 Die methodische Umsetzung<br />
Nachdem ich nun meine Ziele und Inhalte näher beschrieben habe, stellt<br />
sich die Frage nach der Methode, nach der Umsetzbarkeit der Ziele in die<br />
Praxis. In meinem Fall ist das Medium auch Methode. Das Medium kann<br />
durch seinen Inhalts- und Methodenbezug, diese intensiver akzentuiert<br />
und mit mehr Abstand darstellen, als der Sozialpädagoge/-arbeiter in<br />
seiner Praxis. Das Medium ermöglicht es mir, ein Thema - in diesem Falle<br />
„Annäherung an das Fremde“ - unvoreingenommen, wertneutral und<br />
unparteiisch zur Diskussion zu stellen.<br />
Denn in der sozialpädagogischen Arbeit kommt es oft darauf an, wer<br />
etwas sagt. Wird eine Streitfrage, ein Kernproblem, Unannehmlichkeiten,<br />
Krisen, durch ein Medium verdeutlicht, ist die Zielgruppe eher bereit<br />
darüber nachzudenken, sich zu äußern, als wenn der Sozialpädagoge ein<br />
Gespräch zum Thema anbieten würde.<br />
42 SAINT EXUPÉRY, A. de (1989): der kleine Prinz. München.<br />
59
DIE VERFAHRENSWEISE<br />
� I Konzeption für ein „Raumobjekt“ das zur Toleranz aufruft.<br />
� II Bauen des Modells eines Raumobjektes zum Thema<br />
„Annäherung an das Fremde“.<br />
� III Festlegung der angesprochenen Zielgruppe<br />
„Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens“.<br />
� IV Formulierung des Anschreibens, durch das die Zielgruppe<br />
aufgefordert wird, sich an einem Diskurs über Kunst im<br />
öffentlichen Raum zu beteiligen.<br />
� V Festlegung der Gesprächstermine und der Gesprächsorte.<br />
� VI Präsentation und Diskussion des Modells.<br />
Aufzeichnung der Gespräche auf ein Diktiergerät.<br />
� VII Formulierung und Reflektion der Gespräche.<br />
� VIII Auswertung der Gespräche - Fazit.<br />
60
zu I<br />
DIE KONZEPTION FÜR EIN „RAUMOBJEKT“,<br />
DAS ZUR TOLERANZ AUFRUFT.<br />
Die Vorgeschichte<br />
„Die sogenannte freie Welt an ihrem eigenen Begriff zu messen, kritisch zu ihr<br />
sich zu verhalten und dennoch zu ihren Ideen zu stehen, sich gegen<br />
Faschismus, Hitlerscher, Stalinscher oder anderen Varianz zu verteidigen, ist<br />
Recht und Pflicht jedes <strong>Denken</strong>d.“ 43<br />
Als Kulturreferentin des ASTA habe ich im November 1995 eine<br />
Kulturveranstaltung „Jeder ruft mich Ziamele“ -ein Soloprogramm des<br />
Künstlers Dieter Rupp -organisiert. Durch szenische Aufbereitung von<br />
Texten jüdischer Autoren konfrontierte uns das Programm mit sozialer<br />
und menschlicher Tragik. Das Bühnenstück legte Zeugnis ab von Juden,<br />
die dem Nazi-Regim ausgeliefert waren. Durch diese Kulturveranstaltung<br />
erhoffte ich, daß durch die Erinnerung an diese grausame Vergangenheit<br />
die Konsequenzen für die Gegenwart und Zukunft gezogen werden, und<br />
das wir die daraus resultierende Verantwortung zu übernehmen bereit<br />
sind. Gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz, Gewalt, Haß.<br />
Leider war die Veranstaltung sehr schwach besucht. Aufgrund der<br />
Politikverdrossenheit der Studenten erfuhr die Veranstaltung trotz guter<br />
Öffentlichkeitsarbeit nicht die gewünschte Beachtung. Als ich diese<br />
Enttäuschung Professor Krahulec mitteilte, erwähnte er, daß er sich eine<br />
Skulptur auf dem Campus wünscht, die sich dieser Problematik annimmt.<br />
43 HORKHEIMER, M. (1938-1944): Gesammelte Schriften. Frankfurt /M.<br />
61
Ich fühlte mich von dieser Idee angesprochen und konzipierte erste<br />
Entwürfe. Durch die Entfaltung des optischen Gegenstandes entwickelte<br />
sich auch parallel die inhaltliche Thematik „Annäherung an das Fremde“.<br />
Da ein solcher kreativer Prozeß sehr irrational, chaotisch ist, verzichte ich<br />
hier in der Ausführung auf detaillierte Schilderung.<br />
zu II<br />
BAUEN DES MODELLS EINES RAUMOBJEKTES<br />
ZUM THEMA„ANNÄHERUNG AN DAS FREMDE“<br />
zu III<br />
- SIEHE 4.4 „DAS MEDIUM“ -<br />
FESTLEGUNG DER ANGESPROCHENEN ZIELGRUPPE<br />
„PERSÖNLICHKEITEN DES ÖFFENTLICHEN LEBENS“<br />
zu III<br />
- siehe ergänzend 4.2 Personenkreis<br />
KUNST IM ÖFFENTLICHEN RAUM<br />
„sehend denken - denkend sehen“<br />
Personen des öffentlichen Lebens, welche am Diskurs beteiligt sind:<br />
62
MAGISTRAT DER STADT FULDA<br />
*Oberbürgermeister<br />
*Kulturamtsleitung<br />
*Ausländerbeauftragter<br />
* Frauenbeauftragte<br />
FRATKTIONSVORSITZENDE<br />
* CDU<br />
* SPD<br />
* Bündnis 90 / Die Grünen<br />
* FDP<br />
GLAUBENSGEMEINSCHAFTEN<br />
* Katholischer Bischof<br />
* Evangelischer Dekan<br />
* Jüdische Gemeinde<br />
* Islamische Gemeinde<br />
* Evangelische Freikirche<br />
* Neuapostolische Kirche<br />
WOHLFAHRTSPFLEGE<br />
* Caritas-Verband,<br />
* Arbeiter-Wohlfahrt<br />
63
GEWERKSCHAFTEN<br />
* Erziehung und Wissenschaften<br />
* IG Medien<br />
VEREINE<br />
* antifa<br />
* amnesty-international<br />
FACHHOCHSCHULE FULDA<br />
* Rektor<br />
* ASTA FH - Fulda<br />
* Dekan der <strong>Fachbereich</strong>e<br />
zu IV<br />
FORMULIERUNG EINES ANSCHREIBENS<br />
DURCH DAS DIE ZIELGRUPPE AUFGEFORDERT WIRD,<br />
SICH AN EINEM DISKURS ÜBER KUNST IM ÖFFENTLICHEN RAUM<br />
ZU BETEILIGEN.<br />
Das Anschreiben habe ich vorformuliert und mit Frau Prof. Lowien und<br />
Herrn Professor Krahulec durchgesprochen und wie folgt formuliert:<br />
64
Sehr geehrte<br />
Betr.: KUNST IM ÖFFENTLICHEN RAUM<br />
“ SEHEND DENKEN - DENKEND SEHEN“<br />
Bitte um einen Gesprächs-Termin<br />
65<br />
Bärbel Kopp<br />
Nikolausstraße 253<br />
36037 Fulda<br />
Tel.: 0661 - 26507<br />
An der Fachhochschule Fulda studiere ich im <strong>Fachbereich</strong> Sozialwesen<br />
den Schwerpunkt Bildungs-, Gemeinwesen- und Kulturarbeit. Für meine<br />
Abschlußprüfung bei Frau Professorin Lowien und Herrn Professor<br />
Krahulec habe ich ein Modell eines Raumobjektes entworfen. Dieses<br />
Modell nimmt die Thematik „Annäherung an das Fremde“ auf.<br />
Ihre individuelle, ganz subjektive Meinung, Ihre freien Assoziationen<br />
und Interpretationen sind sehr bedeutsam, um möglichst vielseitige,<br />
pluralistische Aussagen zu diesem Raumobjekt zu erhalten und um die<br />
Gelegenheit zu nutzen, Kunst in der Öffentlichkeit zu reflektieren.<br />
Ich würde mich sehr freuen, Ihnen das Objekt vorzustellen und mit Ihnen<br />
ein Gespräch darüber zu führen. Da meine Zeit der Ausarbeitung<br />
begrenzt ist, muß ich leider die Befragung bis zum 01. Juni 1996<br />
durchführen. Bitte teilen Sie mir mit, ob Sie Interesse haben und wann,<br />
wo ich mit Ihnen das Gespräch durchführen darf.<br />
Für weitere Fragen stehe ich sehr gerne zur Verfügung.<br />
ANHANG<br />
Mit freundlichen Grüßen
zu V<br />
FESTLEGUNG DER GESPRÄCHSTERMINE<br />
UND DER GESPRÄCHSORTE<br />
Die Antworten von den Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens auf<br />
meinen Brief erhielt ich umgehend und konnte so für den Monat Mai<br />
Termine für ein Gespräch festlegen. Da von dem Brief eine hohe<br />
Motivation ausgeht, hätte ich noch weitaus mehr Personen befragen<br />
können.<br />
Ebenso erhielt ich begründete und leider auch unbegründete Antworten<br />
der Gesprächsablehnung.<br />
( siehe Anhang )<br />
zu VI<br />
PRÄSENTATION UND DISKUSSION DES MODELLS<br />
Zu Beginn des Gesprächs wurde der Gesprächspartner befragt, ob er<br />
damit einverstanden ist, wenn ich das Gespräch auf ein Diktiergerät<br />
aufzeichne. Fast alle Personen stimmten dem zu.<br />
Nach der am häufigsten angewendeten Methode in der empirischen<br />
Sozialforschung führe ich mündliche Befragungen durch.<br />
66
Die mündliche Befragung in Anlehnung an folgende Kategorien:<br />
Standardisierung: halbstrukturiert<br />
Autoritätsanspruch des Interviews: neutral<br />
die Art des Kontaktes: direkt<br />
Anzahl der befragten Personen: Einzelinterview<br />
Funktion: ermittelnd 44<br />
GESPRÄCHSPHASEN<br />
Das Gespräch gliedert sich in folgende Phasen:<br />
I Darstellung von Sinn und Zweck des Arbeitsvorhabens<br />
Ich erkläre dem Gesprächspartner die Bedeutung des<br />
Arbeitsvorhabens (Sinn und Zweck)<br />
II Festlegung der Aufgabenstellung<br />
Ich erkläre die Aufgabenstellung und beantworte Verständnisfragen<br />
des Gesprächspartners<br />
III Repräsentation des Modells<br />
eines Raumobjektes zum Thema „Annäherung an das Fremde“<br />
IV Raumobjektanalyse<br />
des Kunstbetrachters<br />
44 BORTZ, J.; DÖRING, N. (1995): Forschungsmethoden und Evaluation. Berlin.<br />
67
V Erörterung - Diskussion<br />
Ich beantworte die Fragen des Kunstbetrachters.<br />
Auslegung meiner Symbolik, Konzept, ...<br />
VI Sonstiges<br />
OBJEKTANALYSE<br />
Der Kunstbetrachter nimmt zu folgenden Fragen Stellung<br />
? Was instruiert das Medium, das Modell eines Raumobjektes<br />
zum Thema „Annäherung an das Fremde?<br />
(Was führt es vor, wozu leitet es an?<br />
? Was und worüber informiert das Medium?<br />
? Was interpretiert der Kunstbetrachter aus dem Medium?<br />
Insbesondere zum Thema „Annäherung an das Fremde“ und den<br />
Symbolgehalt des Spiegels.<br />
? Welche Kritik, welches Urteil formuliert der Betrachter über das<br />
Medium? Insbesondere Veränderungsmöglichkeiten.<br />
? Wo würde der Kunstbetrachter das Raumobjekt in Fulda<br />
aufstellen?<br />
68
zu VII<br />
? Was prognostiziert der Kunstbetrachter:<br />
Hat das Kunstwerk auch noch in 10 Jahren seine Lebendigkeit,<br />
thematische Aktualität, Fastzination?<br />
? Fazit des Betrachters.<br />
FORMULIERUNG UND REFLEKTION DER GESPRÄCHE<br />
Umsetzung der Gesprächsdialoge von der Diktierkasette<br />
in die Schriftsprache.<br />
zu VIII<br />
FAZIT AUSWERTUNG DER GESPRÄCHE<br />
siehe Resümee VIII.<br />
69
7. DIE KUNSTBETRACHTUNG<br />
Kunst im öffentlichen Raum<br />
„sehend denken - denkend sehen“<br />
Ergebnisse der Kunstbetrachtung<br />
Kann ein Medium zu einer politischen Thematik<br />
‘Annäherung an das Fremde’<br />
kommunikative und bewußtseinsbildende Prozesse auslösen?<br />
70
Inhaltsverzeichnis<br />
1. Am Diskurs beteiligte Personen des öffentlichen Lebens<br />
1.1 MAGISTRAT DER STADT FULDA<br />
1.1.1 Herr Dr.W.H., Oberbürgermeister der Stadt Fulda......................... 80<br />
1.1.2 Herr A.G., Kulturamtsmitarbeiter.................................................. ..82<br />
1.1.3 Frau G.H, Frauenbeauftragte, in Diskussion mit Herrn Wenig,<br />
Ausländerbeauftragter..................................................................... 85<br />
1.2 FRAKTIONEN<br />
Frau U. R., Bündnis 90 / Die Grünen ....................................................... 92<br />
1.3 GLAUBENSGEMEINSCHAFTEN<br />
1.3.1 Herr E. K., Evangelischer Studentenpfarrer................................... 93<br />
1.3.2 Frau L. W., Jüdische Gemeinde..................................................... 95<br />
1.3.3 Herr S. Ö., Islamische Gemeinde .................................................. 96<br />
1.3.4 Herr G. R., Evangelische Freikirche............................................. 100<br />
1.4 FACHHOCHSCHULE FULDA<br />
1.4.1 Herr Prof. A. O., Rektor................................................................ 102<br />
1.4.2 Herr Prof. R. S., Dekan des <strong>Fachbereich</strong>s Sozial- und Kulturwissenschaften..............................................................................<br />
105<br />
1.5 SONSTIGE<br />
1.5.1 Herr K., Kulturscheune Werde ..................................................... 109<br />
1.5.2 FrauS. F., Spielwiese e. V............................................................ 112<br />
1.5.3 Frau Prof. D.vW., Kunstprofessorin an der Gesamthochschule<br />
Kassel............................................................................................ 114<br />
1.5.4 Herr W. P., Student, Uni Kassel................................................... 118<br />
1.5.5 Herr A. S., Student, FH Fulda ...................................................... 120<br />
1.5.6 Frau E., Schülerin ........................................................................ 121<br />
71
8. RESÜMEE DES DISKURSES<br />
DIE PERSÖNLICHE AUSWERTUNG DER GESPRÄCHE<br />
Das hier von mir vorgestellte Arbeitsvorhaben zur Thematik „Annäherung<br />
an das Fremde“ stellt einen Prozeß auf verschiedenen Ebenen dar.<br />
Wenn ich nun eine Gesprächsauswertung formuliere, so zeigt das Projekt,<br />
wie durch ein Medium mit einer politischen Thematik in der Bildungs-,<br />
Gemeinwesen- und Kulturarbeit einer Annäherung an das Fremde auf<br />
verschiedenen Ebenen verwirklicht werden kann.<br />
Da ist zum einen die thematische, inhaltliche Ebene. ( 8.1 ))<br />
Das Thema erwies sich bei allen Gesprächspartnern als reizvoll, da sich<br />
unter dieser Überschrift unterschiedlichste Aspekte erörtern ließen.<br />
Zum anderen die zwischenmenschliche Ebene( 8.3 ) die Kommunikation<br />
vom Medienbetrachter zu mir.<br />
8.1 INHALTLICHER ASPEKT DES MEDIUMS<br />
„ANNÄHERUNG AN DAS FREMDE“<br />
Am Anfang des Projekts war es sehr ungewiß, ob ein<br />
Gedankenaustausch über das Medium zum Thema „Annäherung an das<br />
Fremde“ - Fremdheit - angeregt wird. Es standen viele Fragen offen, wie<br />
z. B.: Was interessiert den Betrachter am Thema? Welche Aspekte des<br />
Fremden behandeln sie? Drei Interessensbereiche kristallisierten sich bei<br />
den ersten gemeinsamen Gesprächen heraus Das Gespräch gliederte<br />
sich auf in eine erste Phase, wo der Zuschauer des Mediums seine<br />
Wahrnehmung offenbart, in der zweiten Phase seine Denkprozesse<br />
zum Thema erläutert und in der dritten Phase sich eigene Anregungen<br />
zur Gestaltung ausdenkt.<br />
72
I. Phase : Auswertung der Wahrnehmungsprozesse<br />
Alle Betrachter waren zuersteinmal sehr neugierig darüber, was sie<br />
erwartet. Für sie war ebenso wie für mich die Situation nicht berechenbar.<br />
Als sie dann mit dem Modell in Berührung kamen, haben die meisten<br />
Personen sich zuerst einmal das Modell ruhig und konzentriert betrachtet<br />
und viele fingen dann gleich an, alle Spriegelattrappen zu drehen und die<br />
Begrifflichkeiten zu lesen. Die meisten Persönlichkeiten reagierten zuerst<br />
auf die Farbe. Der überwiegende Teil der Befragten fand das Blau sehr<br />
ansprechend. Ist die Form auch nicht das Ausschlaggebende, so ist doch<br />
unbestritten, daß das Gesamtwerk unterschiedliche ästhetische<br />
Empfindungen hervorruft.<br />
Einerseits:<br />
„Es ist einfach zu symmetrisch, es ist auch keine Kunst im Sinne<br />
von Ästhetik!“ (U. R./ Die Grünen)<br />
Andererseits:<br />
„Dieses Ding, was so raum- und zeitunabhängig ist, ist mir einfach<br />
zu wenig.“ (D.vW./ Kunstprofessorin)<br />
„... es ist sehr populär gemacht ...“ (P. S. /Prof. FH- Fulda)<br />
„Das hier ist eine gute Idee - und es sieht super aus.“<br />
(E., Schülerin)<br />
73
Die Idee des Spiegels und dessen Bewegungsmöglichkeit im Wind<br />
beurteilten fast alle Gesprächsteilnehmer als außergewöhnlich<br />
beeindruckend. Niemand war darüber aufgebracht, sich so vielen<br />
Spiegeln ausgesetzt zu sehen. Kein Gesprächspartner hatte das<br />
Bestreben, die Spiegel konsequent zu beseitigen.<br />
„Das mit den Spiegeln im Wind gefällt mir, es vermittelt Offenheit,<br />
Aufrecht sein, aber im Grund fest geerdet einen Standpunkt zu<br />
haben.“ (K. / Studentenpfarrer)<br />
Da es in meinem Arbeitsvorhaben primär um die Frage geht, ob das<br />
Medium kommunikative und bewußtseinsbildende Prozesse in Gang<br />
setzt, möchte ich der Wahrnehmung der einzelnen Persönlichkeiten in der<br />
schriftlichen Auswertung nicht so viel Bedeutung zumessen und gehe auf<br />
die Auswertung der Denkprozesse ein. Aufgrund der starken Motivation,<br />
die das Medium auslöste, ist die Form dennoch , das Fundament, die<br />
Grundlage, um hintergründige Denkprozesse bei dem Betrachter<br />
anzuregen.<br />
„Also, es ist primär, glaube ich, ein aufmerksamkeitsorientiertes<br />
Wahrnehmungs-element mit Auslösemechanismus zum<br />
Nachdenken.“ (O./ Rektor FH Fulda)<br />
74
II. Phase: Denkprozesse zum Thema<br />
8.1.1 „sich selber fremd sein“<br />
8.1.2 „der fremde Mensch“<br />
8.1.3 „die fremde Umwelt, Kultur“<br />
8.1.1 „sich selber fremd sein“<br />
Bewundernswert empfinde ich die Offenheit der Gesprächsteilnehmer,<br />
daß sie Ihre Aussagen nicht nur an sichtbaren, äußeren Realitäten<br />
verankerten, sondern einen Abstieg in die Tiefe ihrer menschlichen Seele<br />
unternommen haben. Die Entdeckung des Unbewußten und deren<br />
Darlegung ist ein beachtliches Ergebnis, welches nicht absehbar war,<br />
und diese Ausarbeitung sehr bereichert. Diese aufeinanderfolgenden<br />
Entdeckungen des Betrachters, Fremdheit als Suche nach Identität,<br />
ist richtungsweisend für einen bewußtseinsbildenden Prozeß.<br />
„Der Blick in den Spiegel macht mein Antlitz fremd.“<br />
Wer in den Spiegel blickt, sieht sich und das verfremdete Gesicht.<br />
„Welche Identität habe ich?“<br />
„Man wird aufgerüttelt zu einer gewissen Wahrhaftigkeit. Wie steht<br />
es denn mit Dir?“ (O. / Rektor FH Fulda)<br />
„Ich kann mir - egal wo ich hinblicke - bei diesem Kunstwerk nicht<br />
ausweichen, der Spiegel wirft mir ständig mein Bild wieder zurück.“<br />
(W. P. / Student GH Kassel)<br />
„Überall sehe ich mich drin.“ (A. S. / Student FH Fulda)<br />
75
Der Betrachter hat durch das Medium, seine Neigung wahrgenommen,<br />
einen zweifachen Blick auf sich selbst zu werfenden einen in den Spiegel,<br />
den anderen auf das Innere seines Körpers, eine Art Blick mit<br />
verschlossenen Augen, die durch das Sichtbare hindurch nach dem<br />
Unsichtbaren sucht.<br />
8.1.2 „der fremde Mensch“<br />
Einige Gedankengänge beschäftigen sich mit Menschen aus anderen<br />
Ländern, „Ausländer“, „Asylsuchende“, „Anderen“. Das Thema bot den<br />
Anlaß, sich mit Orten und Situationen von Menschen der Welt<br />
auseinanderzusetzen.<br />
„Eigenheiten, Tradidionen spüren und von diesen Stränge ziehen,<br />
Brücken bauen.“ (E. K./ Studentenpfarrer)<br />
„Die Integration heute ist ja weniger eine Offenheit oder Toleranz,<br />
sondern daß Menschen, die in das Land kommen, so werden<br />
müssen, wie wir und dann sind sie integriert. Fremde in<br />
Konfrontation mit Toleranz und Zukunft, ja es ist nicht abzusehen,<br />
daß es in 10 Jahren keinen Haß mehr gibt, von daher wirkt es.“<br />
(S:F:/ Spielwiese e.V.)<br />
„Der Mensch in der Gesellschaft ist sehr komplex - rein gedanklich<br />
kann man ganz anders sein, man kann ganz anders denken.<br />
Allein durch diese Gedanken reicht es, daß man leicht Konflikte<br />
haben kann. Es ist eigentlich sehr wichtig, daß man sich selbst<br />
nicht sehr bedenken sollte, sondern mehr die Menschen bedenken<br />
soll.“ (S. Ö. / Islam. Gemeinde)<br />
76
8.1.3 „.......die fremde Umwelt und Kultur ...........“<br />
In den Konversationen haben sich die Personen mit ihrer eigenen<br />
Zivilisation ebenso auseinandergesetzt, wie mit anderen, fremden<br />
Kulturen. Das Verständnis von einer „kulturellen Identität“ in einer Gruppe,<br />
Nation oder einem Teil der Weltgesellschaft, wurde betrachtet.<br />
Zusammenhänge hinsichtlich vielfältiger Weltinterpretationen und<br />
politischen Umgestaltungsmöglichkeiten, vom „Fremden“ zum „Eigenen“<br />
wurde gesucht und gefunden. Das Medium als Ausgangspunkt bot einen<br />
Nährboden, auf dem sich Regeln, Normen entwickeln können, von<br />
Vorstellungen, was in einem sozialen Gemeinwohl sein soll.<br />
„Ich habe mich viel mit Astronomie beschäftigt.<br />
Wenn ich das nun sehe: blauer Himmel und Erde<br />
- ist an sich ein Land. Diese Aufteilung macht Grenzen und Länder<br />
unsinnig. Sie spiegeln sich in sich!“ (A.G. / Kulturamt Fulda)<br />
„Das Andere als Hersausforderung,<br />
damit es auch der Dümmste versteht.“ (L.W. / Rabbinerin)<br />
„Ich würde auf jeden Fall die Weltreligion mit einbringen,<br />
daß versinnbildlicht eher Konflikte und die Andersartigkeit,<br />
als die geographische Aufteilung.“ (U. R. / Die Grünen)<br />
77
III Phase : Auswertung der Anregungen zur Gestaltung<br />
8.2 Auswertung der Anregungen zur Getsaltung des Standorts<br />
STANDORTE : wo die Betrachter das Raumobjekt in Fulda für<br />
sinnvoll aufgestellt sehen!<br />
W.H.<br />
Oberbürgermeister<br />
A.G.<br />
Kulturamt Fulda<br />
H.<br />
Frauenbeauftragte<br />
W.<br />
Ausländerbeauftragter<br />
U.R.<br />
Die Grünen<br />
K.<br />
Studentenpfarrer<br />
L.W.<br />
Rabbinerin<br />
„ich könnte mir eher vorstellen, dieses<br />
Kunstwerk in einem geschlossenen Raum,<br />
in einem sicheren Raum zu haben, als im<br />
öffentlichen Straßenraum.“<br />
„Uni-Platz stellen“<br />
„an einen ruhigen Punkt.“<br />
„wo viele Menschen vorbeilaufen“<br />
„Karstadtplatz“<br />
„Fachhochschule“<br />
„Fachhochschule“<br />
78
S. Ö.<br />
Islam. Gemeinde<br />
O.<br />
Rektor<br />
S.<br />
Dekan Kulturwis.<br />
K.<br />
Kulturscheune Wehrda<br />
S.F.<br />
Spielwiese e.V.<br />
W.P.<br />
Student<br />
D.vW.<br />
Kunstprofessorin<br />
A.S.<br />
Student<br />
E.<br />
Schülerin<br />
„vor einer Hochschule, Gymnasium“<br />
„befristet auf dem Campus“<br />
„berühmt-berüchtigten Karstadtplatz“<br />
„Uniplatz“<br />
„wo es den Weg blockiert, Uniplatz“<br />
---<br />
---<br />
„Campus der FH Fulda“<br />
---<br />
79
Allen gemeinsam ist, daß sie Europa in der ersten Reihe neben den<br />
anderen Kontinenten sehen möchten. Die Frage ist oft gestellt worden,<br />
weshalb die Arktis bei den Kontinenten aufgeführt ist.<br />
Man könnte die Arktis weglassen! Der Spiegel mit der Gegenwart und<br />
Zukunft muß durch die Vergangenheit ergänzt werden!<br />
8.3 DIE ZWISCHENMENSCHLICHE EBENE<br />
Der Gesprächsteilnehmer, der sich mit mir über das Modell eines<br />
Raumobjektes unterhält, steht im Mittelpunkt. Da sich fast alle<br />
Gesprächsteilnehmer viel Zeit (in der Regel mindestens eine Stunde)<br />
für das Gespräch genommen haben und sehr motiviert, interessiert<br />
waren, konnte in einer vertraulichen Atmosphäre das Medium reflektiert<br />
werden. Da die Gespräche unabhängig von meinen persönlichen<br />
Wertvorstellungen geführt wurden und es für den Diskursteilnehmer kein<br />
richtig oder falsch gab, herrschte eine sehr aufgeschlossene Atmosphäre.<br />
Der Betrachter hatte somit einen großen Freiraum, sich offen und<br />
ungezwungen mit dem Kunstwerk durch Selbstinangriffnahme<br />
auseinanderzusetzen.<br />
Distanziert, ohne bestimmte Erwartungen nahm ich am<br />
Wahrnehmungsprozeß, Denkprozeß und kreativen Handlungsprozeß<br />
des Interviewpartners teil.<br />
Meine Rolle bestand alleine darin, in das Thema einzuführen und dem<br />
Betrachter unterstützende Fragen zu stellen, so daß er sich selbstbewußt<br />
und sicher mit dem Modell/der Kunst annähern konnte.<br />
80
Für den Befragten wie auch für mich als Fragenden ist die<br />
Gesprächssituation unberechenbar, sie erfordert von mir ein hohes Maß<br />
an Intuition und Flexibilität, sich auf die unterschiedlichsten<br />
Persönlichkeiten einzulassen. Generell waren alle Gespräche in sich sehr<br />
spannend, unbekümmert und jedes für sich hervorragend.<br />
Nennenswert empfand ich im positiven Sinne das Gespräch mit Frau L.W.<br />
Rabbinerin der Jüdischen Gemeinde Fulda, die während der<br />
Vorbereitungen zu einer Kulturveranstaltung zwischen Kaffee kochen<br />
und Tisch decken zu meinen Fragen Stellung nahm. Im Anschluß an mein<br />
Interview durfte ich noch den ganzen Nachmittag am Leben in der<br />
Jüdischen Gemeinde teilnehmen und unterhielt mich mit vielen<br />
Mitgliedern eindrucksvoll. U. a. mit E., einer 14jährigen Jüdin.<br />
Imponierend drückt Elina mit einfachen Worten ihre Wahrnehmungen<br />
und Gedanken zum Thema aus E. klare inhaltsreiche Ansichten mußte ich<br />
unbedingt mit in die Gesprächsauflistung einbeziehen, zumal sie eine<br />
andere, junge Generation vertritt. Ebenso beeindruckend war für mich<br />
das Gespräch in der islamischen Moschee, wo viele Personen sich<br />
anteilnehmend über meinen Besuch freuten und mich gastfreundlich<br />
aufnahmen. Jedes Gespräch hat seine Bedeutung, mit jedem Gespräch<br />
habe ich überraschende Erfahrungen gemacht, leider nicht nur positive.<br />
Im negativen Sinne hat mir das Gespräch mit U.R: (Die Grünen)<br />
die Geduld und Konzentration geraubt. Weniger war der Inhalt die<br />
Ursache, als das dort eher auf der Beziehungsebene kein Austausch<br />
möglich war.<br />
81
Sehr anstrengend war auch das Gespräch mit der Kasseler<br />
Kunstprofessorin D.vW. Erst einmal fand ich es beachtlich,<br />
daß ich D.vW. kurzfristig in Kassel an der Gesamthochschule besuchen<br />
konnte. Das Gespräch zwischen der Kunstprofessorin und mir zeigt auf,<br />
daß D.vW. meine Thematik, meine Ideen, den geistigen Hintergrund, so<br />
gut wie überhaupt nicht interessiert hat. Ihr Gesprächsinhalt, ihre heftige<br />
Kritik bezog sich allein auf Äußerlichkeiten, auf die Form.<br />
Frau D.vW. zeigte in der Diskussion, daß sie auf der Beziehungsebene<br />
einen persönlichen Machtkampf mit mir führt, und daß sie sich mit der<br />
inhaltlichen Thematik nicht auseinandersetzen wollte - oder konnte!.<br />
Das Gespräch empfand ich als sehr eintönig und beschwerlich, da es hier<br />
nicht um die Sache, die Thematik ging, sondern um steife, zeremonielle,<br />
stereotypische Nebensächlichkeiten.<br />
Es ist schon außergewöhnlich, daß in meinen Gesprächen mit<br />
Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ein Medium kommunikative<br />
und bewußtseinsbildende Prozesse auslöst und ich dies bei einer<br />
professionellen, kunsteingeweihten Professorin leider nicht erzielen<br />
konnte. Hätte ich die Kunstprofessorin D.vW. während meinen ersten<br />
Gesprächen befragt, so hätte sie mich bestimmt verunsichert und die<br />
Hoffnung und den Idealismus für dieses Arbeitsvorhaben zerstört.<br />
82
8.4 RESÜMEE<br />
Mein Bestreben ist es, Augenblicke der Kunstbetrachtung zu präsentieren,<br />
die einerseits das vom Betrachter unmittelbar Erlebte reflektieren und<br />
andererseits das vereinen, was eine Generation heute beschäftigt -<br />
beschäftigen soll!<br />
Dieses vom Betrachter Erlebte zeigt, daß es in Opposition zu den<br />
persönlichen Erfahrungen anderer Menschen stehen oder auch mit ihnen<br />
übereinstimmen kann, wobei es wichtig war, subjektiv, authentisch zu sein<br />
und eine individuelle Sichtweise wiederzugeben.<br />
Es geht nicht darum, ein komplettes Bild zu erstellen, das alle Aspekte in<br />
Betracht zöge, die einen Zeitgeist zum Thema „Annäherung an das<br />
Fremde“ empirisch bezeugen können. Durch die Hervorhebung der<br />
Subjektivität des Zuschauers war er vielmehr aufgefordert, Zwiegespräche<br />
zu führen, um neue Bedeutungen herauszustellen,<br />
eine neue Leseart zu ermöglichen und gemeinsame Anliegen zu<br />
definieren. Aber auch Aspekte wurden vermittelt, wo innere Widersprüche<br />
herausgearbeitet und ihre Spannungen offengelegt wurden.<br />
Durch die Dialoge der Betrachter über die Form und den Inhalt des<br />
Modells, soll der Leser dieser Arbeit sich bemühen, sie miteinander und<br />
untereinander sprechen zu lassen, um den Zeitgeist des Themas<br />
„Annäherung an das Fremde“ zu entdecken.<br />
83
Dem Zwiegespräch des Werkes ging meine persönliche<br />
Auseinandersetzung mit meinem alltäglich Erlebten und meiner<br />
existentiellen Realität voraus, auf die ich hier nicht weiter eingehen werde<br />
und meine Person distanziert zurückstelle.<br />
Das Arbeitsvorhaben ist ein Werk, das zeigt, wie es erlebt wird,<br />
empfunden wurde, und wie wir es nun dargestellt finden - in einem Werk,<br />
in dem der Mensch im Mittelpunkt der Debatte steht. Vielleicht auch die<br />
These. „Der Betrachter ist Teil des Kunstwerks/Mediums“.<br />
Als Subjekt und als Träger einer modernen Zivilisation, für die er<br />
verantwortlich ist. Doch erst der Blick auf das Gesamte erlaubt es,<br />
die tieferen Absichten herauszulösen.<br />
Die Thesen der einzelnen Gesprächspartner zeigen, daß sie ein globales<br />
Bewußtsein entwickelt haben, sei es politisch, wirtschaftlich oder kulturell.<br />
Das Medium zum Thema „Annäherung an das Fremde“<br />
ist das der Globalisierung des künstlerischen Zwiegesprächs, und diese<br />
Realität spiegelt sich in meinem Projekt wieder. Das Modell gibt keinen<br />
Endpunkt an und es blickt ebenso auf die Vergangenheit zurück, wie sich<br />
der Blick auf die Zukunft richtet. In den Gesprächen wurde immer wieder<br />
betont, daß die Welt zwar die Notwendigkeit erkannt hat, die Beziehungen<br />
zwischen allen Nationen der Erde aufzubauen, aber es hat die regionalen<br />
oder lokalen Konflikte leider nicht verhindern können.<br />
Das Thema „Annäherung an das Fremde“ wird seine Bedeutung weiterhin<br />
behalten. Insbesondere dem Sozialpadagogen /arbeiter für Bildungs-,<br />
Gemeinwesen- und Kulturarbeit sollte es gelingen, dem sozialen und<br />
politischen Sorge zu tragen und kritischer Zeitzeuge zu sein.<br />
In der Arbeit entschlossen zu handeln, der Masse voranzugehen und<br />
neue Wege aufzuzeigen für Toleranz und gegen Fremdenfeindlichkeit.<br />
84
Es sollte ermutigend sein, wenn man als Resümee dieses<br />
Arbeitsvorhabens abschließend sagen kann:<br />
Der Betrachter hat sich selber das notwendige Werkzeug geschaffen, um<br />
seine Gefühle angesichts eines Mediums auszudrücken und sich<br />
dokumentiert und reflektiert zu einer politischen Thematik zuäußern.<br />
Die Gespräche über das Modell „Annäherung an das Fremde“<br />
spiegeln die Aufnahmefähigkeit und die Sensibilität des Betrachters<br />
angesichts der Wirklichkeit wider. Ebenso bringt die Person in der<br />
Betrachtung seine schöpferische Vorstellungskraft ein und fixiert<br />
auf diese Weise persönliche Visionen, die in ihrer Gesamtheit unser<br />
kollektives Bild definieren.<br />
„Die Kunst, heiß es, wendet sich an den Menschen, und es ist einer<br />
ein Mensch, ob er alt oder jung, Kopfarbeiter oder Handarbeiter,<br />
gebildet oder ungebildet ist. Und es können deshalb alle Menschen ein<br />
Kunstwerk verstehen und genießen, weil alle Menschen etwas<br />
Künstlerisches in sich haben.“ 45<br />
45 BRECHT, B. (1967): Schriften zur Literatur und Kunst 2.Glückstadt.<br />
85
9. SCHLUß<br />
Mein Arbeitsvorhaben - dies wünsche ich mir <strong>–</strong><br />
darf durch diesen SCHLUß keineswegs beendet sein.<br />
Die vielen Gespräche von Mediumbetrachtern über das Modell eines<br />
Raumobjektes und zur Thematik „Annäherung an das Fremde“ erarbeitete<br />
ich in Anlehnung an die Beuys’schen Gedanken des Erweiterten<br />
Kunstbegriffs.<br />
Personen, unabhängig von Nationalität, Konfession ..usw. aus dem<br />
Inneren unserer Gesellschaft habe ich mit meinem Medium angesprochen<br />
um ihre kreativen Kräfte aufzuspüren und für das Gemeinwesen förderlich<br />
zu nutzen. Während dem Prozeß der Kunstbetrachtung hat der Zuschauer<br />
hinter dem sinnlich-physisch erfahrbaren Medium eine mit dieser<br />
verwobenen geistig-übersinnlichen Welt zu hinterfragen versucht.<br />
Daß das Bewußtsein des Menschen im Hinblick auf eine neue<br />
Gesellschaft durch die thematische Auseinandersetzung mit Kunst zu<br />
fördern ist, beweisen die Gesprächsprotokolle.<br />
„<strong>Denken</strong>d sehen - sehend denken“<br />
- wie im individuellen Wahrnehmen schon denken und im <strong>Denken</strong> noch<br />
Wahrnehmung steckt, machen die Gesprächsreaktionen so spannend,<br />
vielfältig und abwechslungsreich. Die Begegnung mit dem Medium<br />
„Annäherung an das Fremde“ kommunikativ auszudrücken und innere<br />
Beziehungen zu ihm zufrieden-positiv oder besorgt-negativ zu<br />
formulieren, aber auch parallel durch die persönliche Stellungnahme zu<br />
bestimmen, welche Bedeutung „meine“ Wahrnehmung für unsere<br />
geschichtliche Situation, der Menschen in dieser Gesellschaft zu dieser<br />
Welt haben - diese Integration von Individuum und Gesellschaft - ist die<br />
Zuversicht meines visuellen Denkanstoßes.<br />
86
Unser Leben fließt dahin, und die Medien der Künste, Politik und Kultur<br />
halten diese Momente von Heute fest und fixieren sie in die Bilder, die den<br />
kommenden Generationen vererbt werden.<br />
Ein Beitrag dafür kann das Raumobjekt „Annäherung an das Fremde“<br />
sein. Ein Zeichen, daß es sich lohnt, Vertrauen in die Zukunft zu haben!<br />
Dieses wünschenswerte Denkmal „Annäherung an das Fremde“<br />
in Fulda zu verwirklichen, das von vielen engagierten Personen des<br />
öffentlichen Lebens beratschlagt und entwickelt wurde, könnte sicherlich<br />
dynamische Diskussionen in Gang setzen und als ein Symbol für Toleranz<br />
und gegen Fremdenfeindlichkeit verstanden werden.<br />
Doch hört man auf die Worte des Bürgermeisters der Stadt Fulda:<br />
„Die Überlegung,ob man das Thema, um das es geht,„Fremdheit“,<br />
verschiedene Kulturen, und die Auseinandersetzung damit,<br />
Überwindung von Fremdheit und Unterschiedlichkeit,<br />
bis hin zur letzten Konsequenz der Verständigung,<br />
Aussöhnung und Partnerschaft nun aller Orte darstellen muß,<br />
ist eine ganz andere Frage......<br />
....................Aber es gibt sicherlich Plätze, auch vielleicht Städte,<br />
in denen so etwas in besonderer Weise interessant sein könnte.“<br />
... nur Fulda nicht? ... gerade Fulda nicht?<br />
Trotzdem,<br />
in der Idee leben, heißt das Unmögliche behandeln,<br />
als wenn es möglich wäre; und in diesem dadaistischen Sinne:<br />
„Ich möchte die festen Grenzen verwischen, die wir Menschen<br />
selbstsicher um alles uns Erreichbare zu ziehen geneigt sind.“<br />
Hannah Höch<br />
87
10. DANKSAGUNG<br />
Tausend Dank zuerst einmal an meine Professoren<br />
Frau Lowien und Herrn Krahulec, die meine spontane und<br />
außergewöhnliche Idee aufgriffen und mich zu dieser Umsetzung<br />
motivierten und unterstützten.<br />
Meinen herzlichsten Dank geht an alle Dadaisten des<br />
Fachhochschul-Wochenendseminars vom 19. bis 22.4.1996.<br />
Sie alle haben durch ihre Anerkennung und durch ihre aufrechte,<br />
motivierende und liebenswerte Unterstützung mir sehr viel Courage<br />
für das Arbeitsvorhaben gegeben.<br />
Ausdrücklichster Dank geht an alle Gesprächsteilnehmer,<br />
die sich offenherzig, lebhaft auf die ungewöhnliche Situation der<br />
Kunstbetrachtung eingelassen haben.<br />
Ich möchte hier meine persönliche Wertschätzung zum Ausdruck<br />
bringen, weil dieses Arbeitsvorhaben insbesondere für mich ein<br />
sehr bereichernder Bildungsprozeß war. Danken möchte ich<br />
meiner Mum, die meine Eigeninitiative stärkte und<br />
unvoreingenommen auf meine Fulda-Enttäuschung einging:<br />
„Wenn du im leeren Fulda Engagement zeigst, dann wird dies<br />
bestimmt weitaus größere Kreise ziehen, als wenn du in der Masse<br />
einer Großstadt Eine unter Vielen bist! Gehe hin und verschiebe<br />
die Wirklichkeit, damit sie eine andere Bedeutung bekommt!“<br />
Durch dieses Arbeitsvorhaben habe ich einen neuen Standpunkt<br />
gegenüber meiner Lebensumwelt erhalten, das Arbeitsvorhaben<br />
hat das Negative zum Positiven verwandelt, weil ich es vor dem<br />
Spiegel der Auseinandersetzung hielt.<br />
Da ich diese Arbeit unter erschwerten Bedingungen schreiben<br />
mußte, bin ich umso dankbarer für die entgegenkommende<br />
liebevolle Unterstützung insbesondere von Alex, Anja, Birgit,<br />
Kerstin, Mirja, Frau Becker, Frau Holthysen und der Friedrich-<br />
Ebert-Stiftung; HERZLICHSTEN DANK!<br />
88
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KOPP, B. (1996): <strong><strong>Sehen</strong>d</strong> denken <strong>–</strong> denkend <strong>Sehen</strong>.<br />
Ein Medienkunstobjekt im öffentlichen Diskurs.<br />
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