Jubiläumsbeilage vom 24. März 2011 (PDF) - Morgen im Landboten
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DER LANDBOTE<br />
Donnerstag, <strong>24.</strong> märz <strong>2011</strong> 175 JAhRE LANDBOTE l<br />
Peter Niederhäuser<br />
Wanderer oder Zeitungsmonarch –<br />
die Anfänge des «<strong>Landboten</strong>»<br />
Das Zeitungswesen habe als Zeichen<br />
einer «verwilderten und losgebundenen<br />
Zeit» um 1830 einen grossen Aufschwung<br />
erlebt, klagte der konservative<br />
Winterthurer Schulmeister und<br />
Historiker Johann Conrad Troll in seinen<br />
Erinnerungen von 1844. Dieser<br />
Aufschwung erfüllte «die Köpfe der<br />
Publicisten mit schwindligem Stolz,<br />
und sie fingen an, sich wie Volkspropheten<br />
zu gebärden, von denen die<br />
Bürger den rechten Verstand, und<br />
die Obrigkeiten die wahre Weisheit<br />
zu lernen hätten.» Auch Winterthur<br />
habe dieser Entwicklung gefolgt und<br />
1836 mit dem «<strong>Landboten</strong>» «einen<br />
von Parteiansicht solid gefärbten Zeitungsmonarchen»<br />
erhalten, «der eine<br />
diktatorische Sprache vor dem Volke<br />
zu führen begann und eine Oppositionshochschule<br />
zu errichten strebte.»<br />
Ganz anders tönte es von Seiten der<br />
von Troll als «Despotie» und «Barbarei»<br />
verurteilten Presse. Der «Landbote»<br />
stellte sich in der Einleitung der<br />
Erstausgabe <strong>vom</strong> <strong>24.</strong> <strong>März</strong> 1836 vielmehr<br />
als «rüstigen Wanderer» dar,<br />
der die Wünsche und Bedürfnisse der<br />
Menschen erforschen und nur der Sache<br />
wegen das «Tadelnswerthe» aufzeigen<br />
wolle. Information versus Sensation<br />
– was heute die kontroverse<br />
Wahrnehmung des Zeitungswesens<br />
best<strong>im</strong>mt, war offensichtlich bereits<br />
früher ein Diskussionspunkt.<br />
Winterthur <strong>im</strong> Aufbruch<br />
Woher stammt diese Polemik zu einer<br />
Zeitung, die lange um ihren Platz und<br />
ihren Einfluss kämpfen musste? In<br />
welchem Umfeld blühte das Pressewesen<br />
tatsächlich auf, und wie wichtig<br />
waren dessen Produkte? Rektor Troll<br />
mag zwar eine attraktive, da wortgewaltige<br />
St<strong>im</strong>me darstellen, war aber<br />
ein parteiischer Zeitzeuge. Seine Aussagen<br />
passen jedoch in eine Epoche<br />
hinein, wo der Kampf mit Worten und<br />
anderen Mitteln zu einer Politik gehörte,<br />
deren Emotionalität heute noch<br />
frappiert. Politik war praktisch Religion,<br />
entsprechend heftig prallten die<br />
Meinungen aufeinander. Und an Stoff<br />
«Die Köpfe der<br />
Publicisten<br />
erfüllten sich mit<br />
schwindligem Stolz»<br />
Johann Conrad troll, 1844<br />
für Auseinandersetzungen fehlte es in<br />
der damaligen Zeit nie. Die Schweiz<br />
und der Kanton Zürich erlebten zwischen<br />
1798 und 1848 einen Umbruch,<br />
der die Lebensverhältnisse drastisch<br />
veränderte. Der Weg <strong>vom</strong> Ancien Rég<strong>im</strong>e<br />
mit der Herrschaft der Gnädigen<br />
Herren von Zürich zum von Industrialisierung<br />
und Demokratisierung geprägten<br />
Kanton war steinig. Bürgerkriegsähnliche<br />
Unruhen begleiteten<br />
eine «Modernisierung», die von einigen<br />
Zeitgenossen als Verheissung, von<br />
anderen als existenzielle Bedrohung<br />
wahrgenommen wurde. Als kleine,<br />
prosperierende «Handelsstadt» charakterisiert,<br />
erlebte auch Winterthur<br />
– um 1840 ein Landstädtchen mit rund<br />
4500 Einwohnerinnen und Einwohnern<br />
– eine stürmische Entwicklung.<br />
Äusseres Zeichen des Wandels war<br />
die «Überwindung» der Stadtmauer,<br />
die weniger eine Befestigung als ein<br />
Symbol der städtischen Autonomie<br />
darstellte. Bis 1835 wurden die Tore<br />
jeden Abend verriegelt, und bis 1836<br />
mussten Passanten «Durchgangs-,<br />
Ausgangs- und Eingangszölle wie Tor-<br />
und Pflastergeld» entrichten. Die Zuschüttung<br />
der Gräben und der Abriss<br />
Eine Kleinstadt <strong>im</strong> Aufbruch, Winterthur in der Mitte des 19. Jahrhunderts. (Aquatinta von David Schmid, gestochen von Lukas Weber.) Bild: winbib<br />
einzelner Tore und Türme öffnete die<br />
«geschlossene» Stadt gegen aussen.<br />
Ausserhalb des engen städtischen Per<strong>im</strong>eters<br />
entstanden erste Promenaden<br />
und 1838/42 das Knabenschulhaus<br />
(das heutige Museum Oskar Reinhart<br />
am Stadtgarten).<br />
Der liberale Umsturz<br />
Die grossen Veränderungen kamen<br />
aber von aussen. Im Zeichen der Konfrontation<br />
zwischen konservativer und<br />
liberaler Bewegung war die Julirevolution<br />
1830 in Paris ein Fanal, das in<br />
ganz Europa die «Neuerer» mobilisierte<br />
– auch in Zürich. Am 22. November<br />
1830 fanden sich rund 10 000<br />
Männer in Uster zusammen, die in<br />
einem Memorial politische und wirtschaftliche<br />
Forderungen formulierten.<br />
Die <strong>im</strong> Frühjahr 1831 angenommene<br />
neue Kantonsverfassung setzte einen<br />
schönen Teil dieser Forderungen um:<br />
Die politische Vormacht der Stadt Zürich<br />
wich einer repräsentativen Demokratie,<br />
wo gewählte Vertreter der<br />
1798 wurde in Winterthur die «Druckerei<br />
Ziegler» gegründet, die auch<br />
das erste regelmässige Presseorgan<br />
der Stadt, das «Winterthurer Wochenblatt»,<br />
herausgab. Ab 1836<br />
druckte die zieglersche Druckerei<br />
zudem – mit einem Unterbruch zwischen<br />
1839 und 1857 – den «<strong>Landboten</strong>».<br />
Diese Druckerei schlägt<br />
allerdings nur dem Namen nach<br />
einen Bogen zu jener Familie, die<br />
1886 das Zepter übernehmen sollte.<br />
Vor genau 125 Jahren, 1886, kamen<br />
nämlich Zeitung und Verlag testa-<br />
Landschaft, zu der auch Winterthur<br />
gehörte, die Mehrheit hatten – Frauen<br />
und Armengenössige blieben jedoch<br />
von der Mitsprache ausgeschlossen.<br />
Gleichzeitig läutete das Jahr 1831 die<br />
Gewerbefreiheit ein, brachte schrittweise<br />
eine Ablösung von jahrhundertealten<br />
Abgaben und stellte Schul- und<br />
Gerichtswesen auf eine zeitgemässere<br />
Grundlage. Der Kampf zwischen Fortschritt<br />
und Reaktion war mit der Umwälzung<br />
von 1831 aber nicht entschieden,<br />
wie der «Züri-Putsch» von 1839<br />
zeigte, der 15 Todesopfer forderte und<br />
– vorübergehend – die liberale Regierung<br />
stürzte. In diesem mit viel Herzblut<br />
– und manchmal auch mit Waffen<br />
– geführten Streit um «Alt» und «Neu»<br />
spielten Presse und Bücher eine wichtige<br />
Rolle. Aktive Bürger suchten<br />
neben ihrem politischen Engagement<br />
ihren Bildungshunger zu stillen. Auf<br />
der Landschaft entstanden Lesegesellschaften,<br />
während in Winterthur etwa<br />
der 1833 gegründete «Zirkel zum Kaffeehaus»<br />
seine Mitglieder zu «Conver-<br />
12 Jahre Familienbetrieb Ziegler<br />
mentarisch an Gottlieb Ziegler, den<br />
Schwager des langjährigen Inhabers<br />
des «<strong>Landboten</strong>», Salomon Bleuler.<br />
Als Sohn eines Winterthurer Leinenwebers,<br />
erlebte Gottlieb Ziegler<br />
eine erstaunliche Karriere, die<br />
ihn <strong>vom</strong> Pfarrer- und Lehrerberuf<br />
in die Politik und zur Presse führte.<br />
Einer der Väter der Demokratischen<br />
Bewegung, prägte er die neue<br />
Kantonsverfassung von 1869, sass<br />
<strong>im</strong> Kantons-, Regierungs- wie Nationalrat<br />
und drückte von 1877 bis<br />
zu seinem Tod 1898 dem «Land-<br />
sation» und Lektüre von Zeitungen<br />
und Zeitschriften einlud. In solchen<br />
Vereinen und Gruppierungen fanden<br />
sich Fabrikanten und Lehrer, Kaufleute<br />
und Pfarrer, aber auch Juristen<br />
und Gastwirte zusammen. Diese bildeten<br />
eine neue «bürgerliche» Öffentlichkeit,<br />
die in politischer, wirtschaftlicher<br />
und gesellschaftlicher Hinsicht<br />
den Ton angab. Die Ideale des Liberalismus<br />
gingen Hand in Hand mit dem<br />
Misstrauen gegenüber der Stadt Zürich,<br />
die allzu lange dominant geblieben<br />
war und auch weiterhin grosses<br />
Gewicht besass. Umso bedauerlicher<br />
musste dieser ländlichen Elite erscheinen,<br />
dass alle massgeblichen Zeitungen<br />
in der L<strong>im</strong>matstadt erschienen. So<br />
ist es kein Zufall, dass in Antwort auf<br />
das Zeitungsmonopol der Kantonshauptstadt<br />
<strong>vom</strong> <strong>24.</strong> <strong>März</strong> 1836 an der<br />
«Landbote» seine St<strong>im</strong>me als Sprachrohr<br />
der Reformer erhob.<br />
Wer genau hinter der Gründung<br />
des «<strong>Landboten</strong>» stand, der sich<br />
ausdrücklich nicht als Winterthurer,<br />
boten» zuerst als Redaktor, dann<br />
als Verleger seinen Stempel auf.<br />
Seine Nachkommen führten das<br />
Haus als Familienunternehmen<br />
unter dem Namen «Druck und Verlag<br />
von Geschwister Ziegler» weiter<br />
und spielten auch <strong>im</strong> journalistischen<br />
Alltag bis in die Gegenwart hinein<br />
eine wichtige Rolle. 1974 verwandelte<br />
sich die «Firma Ziegler Druck-<br />
und Verlags-AG» zwar in eine Aktiengesellschaft,<br />
gehört aber bis heute<br />
mehrheitlich den Erben von Gottlieb<br />
Ziegler.<br />
sondern als «Land»-Zeitung <strong>im</strong> Sinne<br />
eines nichtzürcherischen Blattes<br />
sah, lässt sich nur vermuten. Es ist<br />
auf jeden Fall bezeichnend, dass die<br />
Zeitung in den ersten Jahren nicht<br />
von einer einzelnen Person herausgegeben<br />
wurde, sondern von einer Gesellschaft,<br />
der in den besten Zeiten<br />
gegen 500 Mitglieder angehörten, eine<br />
mit Blick auf die Einwohnerzahl von<br />
Winterthur eindrückliche Zahl.<br />
Ein Kampfblatt?<br />
Federführend waren vor allem<br />
Winterthurer «Liberale» (Juristen,<br />
Kaufleute oder Unternehmer), die<br />
politisch tätig waren und am Ustertag<br />
von 1830 teilgenommen hatten. Die<br />
journalistischen Kenntnisse stammten<br />
von Alexander Flegler, einem der<br />
vielen Deutschen, die damals liberales<br />
Gedankengut und Reformideen in die<br />
Schweiz brachten. Dass der «Landbote»<br />
sich an ein «besseres» Publikum<br />
richtete, zeigte der Abonnementspreis<br />
von einem Gulden – deutlich mehr als<br />
der Tageslohn eines Arbeiters –, aber<br />
auch der Inhalt. Der «rüstige Wanderer»<br />
leitete seine wöchentlichen Ausführungen<br />
mit einem Hauptartikel<br />
über grundsätzliche Zeitfragen ein,<br />
der Wissen und Interesse voraussetzte.<br />
Die Inserate machten in den ersten<br />
Ausgaben vor allem Werbung zu aufklärerischer<br />
Literatur und zum Postverkehr,<br />
zu Vergantungen und der<br />
Baumwollbörse oder zu bürgerlicher<br />
Kultur und Unternehmerversammlungen.<br />
Die Zeitung war und blieb lange<br />
eine eher elitäre Sache. Seinen eigentlichen<br />
Siegeszug trat der «Landbote»<br />
erst später an. 1857 wurde er Tageszeitung<br />
und ab 1860 unter Salomon<br />
Bleuler zum schweizweit beachteten<br />
Kampfblatt der in Winterthur wurzelnden<br />
Demokratischen Bewegung.