4. Ausgabe
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Die Wahrnehmung psychisch
und geistig kranker Menschen
von 1933 bis heute
Fährt man die A52 in Fahrtrichtung Roermond, so fällt einem auf
Höhe des Waldnieler Ortsteil Hostert ein halbverfallener, jedoch
imposanter Gebäudekomplex auf. Beigefarbende Gebäude, an die
sich eine kleine Kirche mit aufsitzendem Glockenturm anschließt.
Äußerlich eine bizarre Idylle. Jedoch trügt dieser Schein.
In dem aus dem Jahre 1913 stammenden Areal, das als Franziskanerkloster
St.Josefsheim erbaut wurde, wurden in den Jahren 1941
bis 1943 97 Kinder im Rahmen der Euthanasie getötet.
Diese Kinder galten als unwertes Leben... sie waren geistig behindert.
Es war die Zeit des Nationalsozialismus. An der Macht ein faschistoider
Wahnsinniger.
Bereits seit 1937 an diente das ehemalige Josefsheim als Zweigstelle
der Landesheilanstalt Süchteln in Benutzung. Der Arzt Doktor
R. und das Ärztepaar W. ermordeten die Kinder durch Aushungern
und mittels des Schlafmittels Luminal.
Es waren grauenvolle Tode. In den Totenscheinen der Kinder standen
natürlich andere Diagnosen als das, was tatsächlich geschehen
war.Mitte 1943 wurde die sogenannte Kinderfachabteilung aufgelöst.
Nach Kriegsende wurde vom hauseigenen Personal nur der
Psychiater Dr. W. verurteilt. Ein großer Teil des Personals solcher
Kliniken wurde nie belangt (vergl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Heil‐_und_Pflegeanstalt_S%C3%BCchteln‐Johannistal_%E2%80%93_Abteilung_Waldniel.
19.04.21)
Das Haus war bis 1945 noch Nebenstelle des Rheydter Stadtkrankenhauses.
Ab 1953 teilten sich die britische Armee und die Franziskaner,
welche ihre vormaliges Anwesen zurück erstehen
konnten, die Gebäude. Seit 1963 waren die Gebäude als Kent School
für die Kinder der britischen Armee in Benutzung. Im Rahmen dessen
wurde der Komplex erweitert (vergl.: http://www.kentschool.de/
19.04.21).
Seit 1991 steht das Anwesen leer und gehört heute einem Privatmann.
Im Rahmen von Führungen kann der Komplex besichtigt werden.
Am Beispiel der Kent School zeigt sich, wie weit es gehen kann
wenn ein einzelner faschistoider Gedanke Millionen von Menschen
in die falsche Richtung zieht. Das Schlimme ist, dass ein solches
Szenario wie jene Morde damals größten Teils ungeahndet blieben.
Wichtig ist jedoch auch, dass man erstens diesen Schrecken nicht
vergessen darf, denn sowas kann unter ungünstigen Umständen
immer und überall wieder passieren. Und zweitens, das Gedanken
an jene die ihr Leben ließen aufrechterhalten sollte. Unter allen
Umständen.
Mit diesen Zeilen möchte ich mal das beleuchten, was für uns
selbstverständlich ist aber vielen anderen Menschen unsrer Umgebung
noch fremd ist und gegebenenfalls Unbehagen beschert.
Wie werden wir als psychisch kranke Menschen überhaupt wahrgenommen?
Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat sich vieles geändert, einiges
nicht. Zu Zeiten des Nationalsozialismus wurde alles getan um psychisch
und geistig behinderte Menschen ruhigzustellen, oder später
auch zu vernichten. Als ich meine Oma fragte, die heute 85 ist
und die Zeit noch erlebte, sagte sie: „man sagte damals zu denjenigen:
der hat sie nicht alle.“
Aber wie ist es heute?
Szenenwechsel. Als ich etwa vor vier Jahren auf dem Heimweg von
der Arbeit war, saßen hinter mir im Bus zwei junge Damen, die
recht abfällig bemerkten: „Ach schau mal, da kommen die Bekloppten
vom HPZ wieder.“ Ich schüttelte nur den Kopf.
Was mir bei vielen Menschen aufgefallen ist, sind die enorme Unwissenheit
und die Angst vor etwas Fremden.
Damals zu meiner Schulzeit war es schon schlimm, wenn man als
Schüler in der Nähe des Klinikgeländes der Psychiatrischen Landesklinik
wohnte. Wörter wie Ballerburg und Klapsmühle wurden
dann gerne spöttisch verwendet.