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KATASTROPHENMANAGEMENT<br />
VORBEREITET FÜR DEN TAG X?<br />
Das Hochwasser von Kössen 2013, der Felssturz von Vals 2017 oder die Stürme und das Schneechaos<br />
in Osttirol: Immer wieder sind Tiroler Gemeinden von Katastrophen betroffen. Aber Gefahren<br />
gehen auch von Kraftwerken, Chemietransporten oder Krankheiten aus, wie die anhaltende<br />
Pandemie zeigt. Krisen und Katastrophen sind für die Tiroler Gemeinden eine enorme Herausforderung.<br />
Der in Krisen- und Katastrophenmanagement ausgebildete Bürgermeister von Assling,<br />
Bernhard Schneider, schildert dazu seine Einschätzung.<br />
EIN GESPRÄCH MIT JAN SCHÄFER<br />
Wie kommt ein Bürgermeister dazu, Krisen-<br />
und Katastrophenmanagement zu<br />
studieren?<br />
BILD: Kapitale Schäden<br />
entstanden in den letzten<br />
zwei Wintern durch Sturm<br />
und Schnee in Osttirol.<br />
(© Jan Schäfer)<br />
Die Gemeinde Assling in Osttirol erstreckt<br />
sich über rund 99 Quadratkilometer, auf<br />
denen sich 29 Wildbäche und 19 Lawinenstriche<br />
befinden. Es liegt also auf der Hand:<br />
Als sich 2010 die Möglichkeit für ein entsprechendes<br />
Studium zu diesem wichtigen<br />
Thema ergab, schrieb ich mich ein. Schließlich<br />
geht es in solchen Fällen um weitaus<br />
mehr als einen Katastrophenplan, der im<br />
Ernstfall aus der Schublade geholt wird.<br />
Ohne Frage sind diese Pläne im Katastrophenfall<br />
gute Instrumente. Jedoch ist eine<br />
Gemeinde gut beraten, ständig mögliche<br />
Szenarien durchzuspielen, auch wenn sie<br />
oft noch so weltfremd erscheinen. Man<br />
denke an Fukushima, an das Erdbeben, den<br />
verheerenden Tsunami, Atomunfall, dann<br />
noch ein Wintereinbruch und alles zur gleichen<br />
Zeit. Ich bin mir jedoch sicher, würde<br />
man ein solches Szenario für ein Planspiel<br />
vorschlagen, es führte wohl zu allgemeinem<br />
Kopfschütteln. Obwohl es gut wäre,<br />
das Unmögliche einmal durchzudenken<br />
und durchzuspielen! Die so gewonnenen<br />
Erkenntnisse sind dann im Katastrophenplan<br />
mit den entsprechenden Maßnahmen<br />
zu fixieren. Selbstverständlich müssen auf<br />
dieser Basis sämtliche Szenarien mit der<br />
Gemeindeeinsatzleitung, allen Akteur*innen<br />
wie z. B. Feuerwehr, Lawinenkommission,<br />
Bergrettung usw. und den offiziellen<br />
Stellen geprobt werden! So wie es schon<br />
nach Großereignissen geschieht.<br />
Wenn man die Schlagzeilen regelmäßig<br />
verfolgt, scheint es so, als hätten die<br />
Katastrophen zugenommen. Stimmt dieser<br />
Eindruck?<br />
Teilweise. Katastrophen hat es schon<br />
immer gegeben. Nur: Durch die Medien<br />
werden solche Nachrichten aus der ganzen<br />
Welt rascher verbreitet. Die Digitalisierung<br />
mit ihren Möglichkeiten beschleunigt das<br />
um ein Vielfaches. Aber man muss auch<br />
sehen, unser Leben ist wesentlich komplexer<br />
geworden. Damit steigt das Gefahrenpotenzial.<br />
Ebenfalls ist der Klimawandel<br />
mit seinen Auswirkungen klar erkennbar.<br />
Wird dem in Bezug auf Krisenmanagement<br />
Rechnung getragen?<br />
Ja, aber nicht in dem Umfang, wie es wünschenswert<br />
wäre. Die Möglichkeiten, die<br />
die Digitalisierung bietet, werden noch zu<br />
wenig ausgeschöpft. Hier liegt viel Potenzial.<br />
Generell sollte man mehr ins Katastrophenmanagement<br />
investieren. Damit<br />
meine ich neben den Schutzverbauungen<br />
auch eine ausreichende Unterstützung der<br />
Gemeinden. Schließlich müssen sie die<br />
Sicherheit gewährleisten. Das fängt beim<br />
Schneeräumen an, geht über die Kommunikationsausstattung<br />
und hört beim Einsatzfahrzeug<br />
nicht auf. Nach meinem Verständnis<br />
ist Sicherheit Öffentlichkeitskompetenz.<br />
Wie sieht es in Bezug auf die Krisenkommunikation<br />
aus?<br />
Die Krisenkommunikation geht heute<br />
rasend schnell. Sobald ein Ereignis<br />
passiert, gibt es im Netz schon Bilder<br />
oder einen Film dazu. Man hat als Einsatzleitung<br />
keine Chance mehr, sich auf<br />
eine Presseaussendung oder eine Stellungnahme<br />
vorzubereiten. Man muss sofort<br />
reagieren, anstatt vorbereitet zu agieren.<br />
Hinzu kommt: Für fast alles gibt es mittlerweile<br />
schon eine App. Wir müssen dabei<br />
jedoch aufpassen, dass wir die Bürgerinnen<br />
und Bürger nicht dahin „erziehen“, dass die<br />
Eigenverantwortung noch mehr abnimmt<br />
– unter dem Motto: Ich habe noch keine<br />
Nachricht von einer Winterstraßensperre<br />
bekommen, also kann ich fahren. Diese<br />
Information muss hauptsächlich eine Holschuld<br />
bleiben! Ebenfalls muss die Bevölkerung<br />
bestimmte Gefahren auch selbst einschätzen<br />
können, denn was passiert, wenn<br />
diese Informationsmedien ausfallen? Wie<br />
wird dann kommuniziert und wie leitet die<br />
Gemeindeeinsatzleitung in einem solchen<br />
Fall den Einsatz? Daher sollte als „Plan B“<br />
auf die altbewährten Instrumente nicht verzichtet<br />
werden.<br />
Und wie ist es um das Katastrophenmanagement<br />
in den Tiroler Gemeinden<br />
bestellt?<br />
Generell sind die Gemeinden gut aufgestellt<br />
und haben in der Vergangenheit bei<br />
Katastrophen sehr gut reagiert. Das Thema<br />
wird ernst genommen. Die Blaulichtorganisationen,<br />
die Lawinenkommissionen,<br />
die Ämter wie die BH, die Wildbach- und<br />
Lawinenverbauung, Forst, Baubezirksamt<br />
und Agrar unterstützen die Gemeinden<br />
tatkräftig in diesen Ausnahmesituationen.<br />
Das überbehördliche Zusammenspiel ist<br />
über die Jahre gewachsen und funktioniert<br />
sehr gut. Anhand der letzten Ereignisse<br />
sehen wir, dass der Personalabbau bzw.<br />
das Nichtnachbesetzen des Personals<br />
und die Reduktion des Fuhrparkes in den<br />
angesprochenen Ämtern unser System an<br />
die Grenzen bringt. Bei solchen Ereignissen<br />
benötigen wir in den Tiroler Bezirken<br />
die Unterstützung dieser Fachkräfte. Das<br />
gehört auch zum Katastrophenschutz.<br />
Gibt es etwas zu verbessern?<br />
Es besteht immer Spielraum nach oben.<br />
Aber mit jeder Katastrophe lernt man<br />
dazu und baut dann entsprechend das<br />
Krisen- und Katastrophenmanagement<br />
aus. Die Ausstattung, die es im Ernstfall<br />
braucht, ist nicht überall optimal. Natürlich<br />
ist das eine Frage der Finanzen, wie ich<br />
vorhin schon erwähnte. Man muss einfach<br />
das Verhältnis sehen: Was kostet eine<br />
Investition in den Katastrophenschutz<br />
und welche Kosten entstehen durch eine<br />
Katastrophe? Prävention ist immer billiger,<br />
nur will man sich die nicht immer<br />
leisten. Potenzial gibt es noch in der<br />
Bewertung (Risikoanalyse) der Szenarien.<br />
Diese müssen je nach Zuständigkeit<br />
von der Gemeinde über den Bezirk, das<br />
Land und den Bund nach einem einheitlichen<br />
Bewertungssystem durchgeführt<br />
werden. So kann die Gefahr von allen<br />
handelnden Stellen bzw. Einsatzleitungen<br />
richtig eingeschätzt werden. Da holpert’s<br />
extrem. Zum Beispiel könnte durch<br />
ein einheitliches Beurteilungssystem,<br />
wie bei der Einstufung der Lawinengefahr,<br />
manche Hürde genommen werden.<br />
Was ich mir jedoch grundlegend wünsche,<br />
auch im Hinblick auf die bevorstehenden<br />
Gemeinderatswahlen, ist eine „Grundausbildung<br />
im Krisen- und Katastrophenmanagement“<br />
für Bürgermeisterinnen und<br />
Bürgermeister. Gleiches gilt für Gemeinderätinnen<br />
und Gemeinderäte. Man stelle<br />
sich vor, eine neue Bürgermeisterin oder<br />
ein neuer Bürgermeister wurde gerade<br />
gewählt, ist wenige Wochen im Amt, und<br />
eine Katastrophe passiert. Was dann?<br />
Eine entsprechende Schulung wäre nicht<br />
nur eine enorme Hilfestellung, es geht<br />
auch um Rechts- und Haftungsfragen, für<br />
die der Bürgermeister, die Bürgermeisterin<br />
im schlimmsten Fall dann am Ende<br />
ganz allein geradestehen muss.<br />
Haben Sie zum Abschluss noch einen<br />
Tipp für die Gemeinden?<br />
Regelmäßig schulen und mit Planspielen<br />
den Ernstfall üben, damit die Abläufe<br />
eines Einsatzes verinnerlicht werden.<br />
Sicher lässt es sich von „außen“ immer<br />
g’scheit daherreden. Aber: Das Unvorhergesehene,<br />
Unvorstellbare kann immer und<br />
überall geschehen. Da helfen oft auch die<br />
besten Konzepte und Ausbildungen nichts.<br />
Eine gute Vorbereitung ist noch die beste<br />
Versicherung für den Tag X, den sich niemand<br />
wünscht.<br />
Danke für das Interview, Bürgermeister<br />
Schneider!<br />
ZUR PERSON<br />
Bernhard Schneider, Jahrgang<br />
1964, ist das 18. Jahr Bürgermeister<br />
in der Gemeinde Assling<br />
in Osttirol. Davor war er<br />
sechs Jahre lang Vizebürgermeister.<br />
Neben seinem Amt<br />
in Assling ist der Osttiroler<br />
u. a. Geschäftsführer des<br />
Abfallwirtschaftsverbands Osttirol,<br />
Obmann des Abwasserverbands<br />
Unteres Pustertal<br />
und des Sozialsprengels Assling,<br />
Anras und Abfaltersbach.<br />
2010 inskribierte sich Bernhard<br />
Schneider an der UMIT Hall<br />
für den Studienlehrgang<br />
sozialökonomisches und<br />
psychosoziales Krisen-<br />
und Katastrophenmanagement,<br />
den er<br />
erfolgreich absolvierte.<br />
BERNHARD<br />
SCHNEIDER