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tirol.kulturell<br />
tirol.kulturell<br />
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ICH<br />
WILL<br />
WISSEN<br />
VER-<br />
MITTELN<br />
VON<br />
REINHOLD<br />
OBLAK<br />
Im November wird Michael Forcher 80 Jahre jung. Der Historiker,<br />
Autor, Gründer des Haymon Verlages spricht über „seinen“ Verlag,<br />
über Andreas Hofer und Michael Gaismair, über die Tiroler Schützen<br />
und Eduard Wallnöfer. Michael Forcher befindet sich nach wie vor<br />
im selbst gewählten Unruhestand.<br />
Damit sind wir eh beim Thema. 1982<br />
hast du in Innsbruck den Haymon Verlag<br />
gegründet. Warum gründet ein vernunftbegabter<br />
Mensch wie du ausgerechnet<br />
einen Verlag?<br />
Michael Forcher: Mein erklärtes Ziel war<br />
und ist es, Wissen zu vermitteln. Darum<br />
wollte ich zuerst Professor am Gymnasium<br />
werden, darum entschied ich mich dann für<br />
den Journalismus, später war ich Pressereferent<br />
am Theater. Darum schreibe ich auch<br />
Bücher. Wissensvermittlung ist mein Credo,<br />
mein Antrieb, mein Bildungsauftrag, wenn<br />
du so willst. Aber natürlich hast du schon<br />
Recht: Am Anfang wusste ich wirklich nicht,<br />
worauf konkret ich mich da einlasse. Andererseits<br />
habe ich auch viel Glück gehabt.<br />
Michael Gaismair, auf ihn kommen<br />
wir noch zurück, war ja indirekt dein<br />
Geburtshelfer.<br />
So ist es. Ich wollte immer schon ein Buch<br />
über diese faszinierende Persönlichkeit<br />
schreiben. Der Tyrolia Verlag hatte mir<br />
bereits zugesagt. Doch dann war das Land<br />
Tirol plötzlich nicht bereit, ein Buch über<br />
Gaismair zu subventionieren, die Tyrolia hat<br />
mir daraufhin wieder abgesagt. Gut, habe<br />
ich mir gedacht, dann gründe ich halt selbst<br />
einen Verlag. So ist es dann zum Haymon<br />
Verlag gekommen.<br />
Ein Schritt ins Ungewisse.<br />
UNTEN:<br />
Michael Forcher<br />
versteht sich vor allem<br />
als Wissensvermittler.<br />
Darum studierte er<br />
Geschichte, darum hat<br />
er den Haymon Verlag<br />
gegründet, darum<br />
schreibt er Bücher.<br />
(© Felix Richter)<br />
Das kann man ruhig so sagen, ja. Mein Bruder<br />
hat mir damals 100.000 Schilling geliehen,<br />
ich selbst hatte auch etwas auf der<br />
hohen Kante. Natürlich habe ich mir alles<br />
viel einfacher vorgestellt, als es dann tatsächlich<br />
war. Es gibt ja nicht nur die Druckkosten<br />
zu bezahlen, die Autorenhonorare.<br />
Was man als Neuling gerne vergisst, sind<br />
die allgemeinen Kosten, dafür ist Monat für<br />
Monat ein Haufen Geld notwendig. Aber ich<br />
habe auch großes Glück gehabt.<br />
Weil es plötzlich viele Subventionen<br />
gegeben hat?<br />
(Lacht.) Nein. Ich wollte nie auf Subventionen<br />
angewiesen sein, hab sie darum auch<br />
für meinen Verlag kategorisch abgelehnt.<br />
Zumindest die ersten Jahre. Mein Glück war,<br />
dass sich gleich zwei der ersten Bücher ausgezeichnet<br />
verkauft haben. Die Memoiren<br />
des Südtirolers Friedl Volgger, der ja schon<br />
in der faschistischen Zeit eine Rolle im<br />
Widerstand gespielt hat und von den Nazis<br />
ins KZ Dachau deportiert wurde. Nach 1945<br />
war er in allen Phasen der Südtirolpolitik<br />
eine der Schlüsselfiguren, sowohl als Journalist<br />
als auch als Politiker nicht unumstritten.<br />
Er hatte viel Aufregendes zu erzählen.<br />
Eine Autobiografie, die für großes Aufsehen<br />
sorgte, heftig diskutiert wurde und sich ausgezeichnet<br />
verkaufte. Der zweite Glücksfall,<br />
das zweite Buch …<br />
… war deines über Michael Gaismair.<br />
Nicht ganz, mein Buch über Tirols Geschichte<br />
in Wort und Bild. Über 130.000 verkaufte<br />
Exemplare, nun bereits in der zwölften Auflage.<br />
Diese beiden Bücher haben den Haymon<br />
Verlag, insbesondere am Beginn, schon<br />
sehr gestützt. Am Anfang waren meine Frau<br />
und ich die einzigen Angestellten, dann sind<br />
es halt immer mehr geworden. Heute, im<br />
Rückblick, war die Verlagsgründung eine<br />
Erfolgsgeschichte.<br />
2005 hast du dich endgültig vom Verlag<br />
getrennt, ein Jahr später bist du in<br />
den Unruhestand gegangen. Und hast<br />
begonnen, Bücher um Bücher um Bücher<br />
zu schreiben. Flucht vor der Langeweile?<br />
Als Verleger hatte ich einfach keine Zeit<br />
mehr, Bücher zu schreiben. Da musste ich<br />
mich um all die anderen Sachen kümmern.<br />
Doch dann das große Aufatmen, endlich<br />
durfte ich wieder schreiben, mein Wissen<br />
bzw. jenes anderer Menschen in Buchform<br />
weitergeben.<br />
In Tirol wird der stockkonservative Andreas<br />
Hofer (1767–1810) überschätzt und<br />
als „Nationalheld“ hochverehrt, der sozial<br />
engagierte und liberale Bauernführer<br />
Michael Gaismair hingegen unterschätzt<br />
und kleingehalten. Du hast über beide<br />
Personen ein Buch geschrieben. Warum<br />
dieses eklatante Ungleichgewicht?<br />
Das ist einfach zu erklären. Gaismair war<br />
damals gegen die herrschende Regierung,<br />
Hofer hingegen für den Kaiser. Auch heute<br />
werden brave, obrigkeitshörige Menschen<br />
vielfach mehr geschätzt als unbequeme Kritiker,<br />
auch wenn – zumindest bei uns – die<br />
Mächtigen ihre Gegner nicht wie den Gaismair<br />
gleich umbringen lassen. Als vor über<br />
25 Jahren mein Buch über Michael Gaismair<br />
erschien, wurde ich schon gefragt, wie ich<br />
über so einen Rebellen schreiben könne, der<br />
die Verhältnisse in Tirol massiv kritisiert hat.<br />
Auch deshalb wurden die Erinnerungen an<br />
den Bauernführer über Jahrhunderte unterdrückt,<br />
und auch in unserer Zeit blieb Gaismair<br />
fast verschwiegen. Mittlerweile hat<br />
sich das geändert.<br />
Und bei Hofer?<br />
Auch da ändert sich etwas. Heute wird anerkannt,<br />
was er alles falsch gemacht, wo er<br />
versagt hat. Andererseits kann man nicht<br />
nur aus heutiger Zeit über ihn urteilen. Er<br />
trat mit allem, was er hatte und konnte, für<br />
seine Überzeugung ein. Wenn er mit seinen<br />
Getreuen jeden Tag einen Rosenkranz gebetet<br />
hat, dann war das damals halt so. Seine<br />
Persönlichkeit und sein Schicksal faszinieren<br />
mich genauso wie Michael Gaismair.<br />
Über die Tiroler Schützen und ihre Verstrickungen<br />
in der NS-Zeit hast du ebenfalls<br />
geforscht und geschrieben. Die<br />
Erwartungen an dieses Buch waren sehr<br />
hoch, deine Kritik fiel relativ milde aus.<br />
Findest du? So milde ist meine Kritik ja<br />
gar nicht. Andererseits bleiben natürlich<br />
viele Details offen, weil es nur mehr wenige<br />
Unterlagen dazu gibt. Mit Zeitzeugen<br />
konnte ich leider nicht mehr sprechen, die<br />
allermeisten sind schon gestorben. Und ja,<br />
natürlich sind die Schützen mit den Nazis<br />
mitgelaufen, haben sich für die Nazipropaganda<br />
vereinnahmen lassen, waren an vorderster<br />
Front. Gleichzeitig muss man erkennen,<br />
dass die Schützen ein Spiegelbild der<br />
damaligen Gesellschaft waren. Da waren<br />
natürlich viele Nazis dabei, noch mehr Mitläufer.<br />
Letztendlich war selbst der extreme<br />
Schützenkritiker Markus Wilhelm, der<br />
bekannte Blogger aus dem Ötztal, mit dem<br />
Buch zufrieden.<br />
Im November wirst du 80 Jahre jung.<br />
Über Eduard Wallnöfer (1913–1989),<br />
fast 25 Jahre lang Landeshauptmann von<br />
Tirol, eine Persönlichkeit mit Licht und<br />
Schatten, mit Stärken und Schwächen,<br />
gibt es noch keine umfassende Biografie.<br />
Wäre das ein Projekt für dich?<br />
Nein, heute nicht mehr. Früher hätte mich<br />
das durchaus interessiert, aber alles kann<br />
man nicht machen. Jetzt schreibe ich kein<br />
neues Buch mehr. Meine alten Bücher aktualisieren,<br />
das schon, aber was Neues möchte<br />
ich mir mit meinem Alter nun wirklich<br />
nicht mehr anfangen.<br />
ZUR PERSON: DR.<br />
MICHAEL FORCHER<br />
1941 in Lienz als jüngstes von sechs<br />
Kindern geboren und aufgewachsen.<br />
Sein Vater war Tischlermeister und<br />
Pfarrmesner, seine Mutter Hausfrau.<br />
Er studierte in Wien und Innsbruck.<br />
Seine Dissertation verfasste<br />
er in österreichischer Geschichte<br />
über „Die geheime Staatspolizei im<br />
vormärzlichen Tirol und Vorarlberg“.<br />
Um all seine beruflichen Stationen<br />
aufzuzählen, reicht der Platz nicht.<br />
Er ist Historiker, Journalist, hat einen<br />
Verlag gegründet, unzählige Bücher<br />
geschrieben. Seit 1966 ist er mit<br />
der Innsbruckerin Christine Daprá<br />
verheiratet, gemeinsam haben sie<br />
einen Sohn und eine Tochter, mittlerweile<br />
auch sechs Enkelkinder.