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279.TIROL - Juli 2021

Ausgabe 4, Juli 2021

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tirol.kulturell<br />

tirol.kulturell<br />

49<br />

ICH<br />

WILL<br />

WISSEN<br />

VER-<br />

MITTELN<br />

VON<br />

REINHOLD<br />

OBLAK<br />

Im November wird Michael Forcher 80 Jahre jung. Der Historiker,<br />

Autor, Gründer des Haymon Verlages spricht über „seinen“ Verlag,<br />

über Andreas Hofer und Michael Gaismair, über die Tiroler Schützen<br />

und Eduard Wallnöfer. Michael Forcher befindet sich nach wie vor<br />

im selbst gewählten Unruhestand.<br />

Damit sind wir eh beim Thema. 1982<br />

hast du in Innsbruck den Haymon Verlag<br />

gegründet. Warum gründet ein vernunftbegabter<br />

Mensch wie du ausgerechnet<br />

einen Verlag?<br />

Michael Forcher: Mein erklärtes Ziel war<br />

und ist es, Wissen zu vermitteln. Darum<br />

wollte ich zuerst Professor am Gymnasium<br />

werden, darum entschied ich mich dann für<br />

den Journalismus, später war ich Pressereferent<br />

am Theater. Darum schreibe ich auch<br />

Bücher. Wissensvermittlung ist mein Credo,<br />

mein Antrieb, mein Bildungsauftrag, wenn<br />

du so willst. Aber natürlich hast du schon<br />

Recht: Am Anfang wusste ich wirklich nicht,<br />

worauf konkret ich mich da einlasse. Andererseits<br />

habe ich auch viel Glück gehabt.<br />

Michael Gaismair, auf ihn kommen<br />

wir noch zurück, war ja indirekt dein<br />

Geburtshelfer.<br />

So ist es. Ich wollte immer schon ein Buch<br />

über diese faszinierende Persönlichkeit<br />

schreiben. Der Tyrolia Verlag hatte mir<br />

bereits zugesagt. Doch dann war das Land<br />

Tirol plötzlich nicht bereit, ein Buch über<br />

Gaismair zu subventionieren, die Tyrolia hat<br />

mir daraufhin wieder abgesagt. Gut, habe<br />

ich mir gedacht, dann gründe ich halt selbst<br />

einen Verlag. So ist es dann zum Haymon<br />

Verlag gekommen.<br />

Ein Schritt ins Ungewisse.<br />

UNTEN:<br />

Michael Forcher<br />

versteht sich vor allem<br />

als Wissensvermittler.<br />

Darum studierte er<br />

Geschichte, darum hat<br />

er den Haymon Verlag<br />

gegründet, darum<br />

schreibt er Bücher.<br />

(© Felix Richter)<br />

Das kann man ruhig so sagen, ja. Mein Bruder<br />

hat mir damals 100.000 Schilling geliehen,<br />

ich selbst hatte auch etwas auf der<br />

hohen Kante. Natürlich habe ich mir alles<br />

viel einfacher vorgestellt, als es dann tatsächlich<br />

war. Es gibt ja nicht nur die Druckkosten<br />

zu bezahlen, die Autorenhonorare.<br />

Was man als Neuling gerne vergisst, sind<br />

die allgemeinen Kosten, dafür ist Monat für<br />

Monat ein Haufen Geld notwendig. Aber ich<br />

habe auch großes Glück gehabt.<br />

Weil es plötzlich viele Subventionen<br />

gegeben hat?<br />

(Lacht.) Nein. Ich wollte nie auf Subventionen<br />

angewiesen sein, hab sie darum auch<br />

für meinen Verlag kategorisch abgelehnt.<br />

Zumindest die ersten Jahre. Mein Glück war,<br />

dass sich gleich zwei der ersten Bücher ausgezeichnet<br />

verkauft haben. Die Memoiren<br />

des Südtirolers Friedl Volgger, der ja schon<br />

in der faschistischen Zeit eine Rolle im<br />

Widerstand gespielt hat und von den Nazis<br />

ins KZ Dachau deportiert wurde. Nach 1945<br />

war er in allen Phasen der Südtirolpolitik<br />

eine der Schlüsselfiguren, sowohl als Journalist<br />

als auch als Politiker nicht unumstritten.<br />

Er hatte viel Aufregendes zu erzählen.<br />

Eine Autobiografie, die für großes Aufsehen<br />

sorgte, heftig diskutiert wurde und sich ausgezeichnet<br />

verkaufte. Der zweite Glücksfall,<br />

das zweite Buch …<br />

… war deines über Michael Gaismair.<br />

Nicht ganz, mein Buch über Tirols Geschichte<br />

in Wort und Bild. Über 130.000 verkaufte<br />

Exemplare, nun bereits in der zwölften Auflage.<br />

Diese beiden Bücher haben den Haymon<br />

Verlag, insbesondere am Beginn, schon<br />

sehr gestützt. Am Anfang waren meine Frau<br />

und ich die einzigen Angestellten, dann sind<br />

es halt immer mehr geworden. Heute, im<br />

Rückblick, war die Verlagsgründung eine<br />

Erfolgsgeschichte.<br />

2005 hast du dich endgültig vom Verlag<br />

getrennt, ein Jahr später bist du in<br />

den Unruhestand gegangen. Und hast<br />

begonnen, Bücher um Bücher um Bücher<br />

zu schreiben. Flucht vor der Langeweile?<br />

Als Verleger hatte ich einfach keine Zeit<br />

mehr, Bücher zu schreiben. Da musste ich<br />

mich um all die anderen Sachen kümmern.<br />

Doch dann das große Aufatmen, endlich<br />

durfte ich wieder schreiben, mein Wissen<br />

bzw. jenes anderer Menschen in Buchform<br />

weitergeben.<br />

In Tirol wird der stockkonservative Andreas<br />

Hofer (1767–1810) überschätzt und<br />

als „Nationalheld“ hochverehrt, der sozial<br />

engagierte und liberale Bauernführer<br />

Michael Gaismair hingegen unterschätzt<br />

und kleingehalten. Du hast über beide<br />

Personen ein Buch geschrieben. Warum<br />

dieses eklatante Ungleichgewicht?<br />

Das ist einfach zu erklären. Gaismair war<br />

damals gegen die herrschende Regierung,<br />

Hofer hingegen für den Kaiser. Auch heute<br />

werden brave, obrigkeitshörige Menschen<br />

vielfach mehr geschätzt als unbequeme Kritiker,<br />

auch wenn – zumindest bei uns – die<br />

Mächtigen ihre Gegner nicht wie den Gaismair<br />

gleich umbringen lassen. Als vor über<br />

25 Jahren mein Buch über Michael Gaismair<br />

erschien, wurde ich schon gefragt, wie ich<br />

über so einen Rebellen schreiben könne, der<br />

die Verhältnisse in Tirol massiv kritisiert hat.<br />

Auch deshalb wurden die Erinnerungen an<br />

den Bauernführer über Jahrhunderte unterdrückt,<br />

und auch in unserer Zeit blieb Gaismair<br />

fast verschwiegen. Mittlerweile hat<br />

sich das geändert.<br />

Und bei Hofer?<br />

Auch da ändert sich etwas. Heute wird anerkannt,<br />

was er alles falsch gemacht, wo er<br />

versagt hat. Andererseits kann man nicht<br />

nur aus heutiger Zeit über ihn urteilen. Er<br />

trat mit allem, was er hatte und konnte, für<br />

seine Überzeugung ein. Wenn er mit seinen<br />

Getreuen jeden Tag einen Rosenkranz gebetet<br />

hat, dann war das damals halt so. Seine<br />

Persönlichkeit und sein Schicksal faszinieren<br />

mich genauso wie Michael Gaismair.<br />

Über die Tiroler Schützen und ihre Verstrickungen<br />

in der NS-Zeit hast du ebenfalls<br />

geforscht und geschrieben. Die<br />

Erwartungen an dieses Buch waren sehr<br />

hoch, deine Kritik fiel relativ milde aus.<br />

Findest du? So milde ist meine Kritik ja<br />

gar nicht. Andererseits bleiben natürlich<br />

viele Details offen, weil es nur mehr wenige<br />

Unterlagen dazu gibt. Mit Zeitzeugen<br />

konnte ich leider nicht mehr sprechen, die<br />

allermeisten sind schon gestorben. Und ja,<br />

natürlich sind die Schützen mit den Nazis<br />

mitgelaufen, haben sich für die Nazipropaganda<br />

vereinnahmen lassen, waren an vorderster<br />

Front. Gleichzeitig muss man erkennen,<br />

dass die Schützen ein Spiegelbild der<br />

damaligen Gesellschaft waren. Da waren<br />

natürlich viele Nazis dabei, noch mehr Mitläufer.<br />

Letztendlich war selbst der extreme<br />

Schützenkritiker Markus Wilhelm, der<br />

bekannte Blogger aus dem Ötztal, mit dem<br />

Buch zufrieden.<br />

Im November wirst du 80 Jahre jung.<br />

Über Eduard Wallnöfer (1913–1989),<br />

fast 25 Jahre lang Landeshauptmann von<br />

Tirol, eine Persönlichkeit mit Licht und<br />

Schatten, mit Stärken und Schwächen,<br />

gibt es noch keine umfassende Biografie.<br />

Wäre das ein Projekt für dich?<br />

Nein, heute nicht mehr. Früher hätte mich<br />

das durchaus interessiert, aber alles kann<br />

man nicht machen. Jetzt schreibe ich kein<br />

neues Buch mehr. Meine alten Bücher aktualisieren,<br />

das schon, aber was Neues möchte<br />

ich mir mit meinem Alter nun wirklich<br />

nicht mehr anfangen.<br />

ZUR PERSON: DR.<br />

MICHAEL FORCHER<br />

1941 in Lienz als jüngstes von sechs<br />

Kindern geboren und aufgewachsen.<br />

Sein Vater war Tischlermeister und<br />

Pfarrmesner, seine Mutter Hausfrau.<br />

Er studierte in Wien und Innsbruck.<br />

Seine Dissertation verfasste<br />

er in österreichischer Geschichte<br />

über „Die geheime Staatspolizei im<br />

vormärzlichen Tirol und Vorarlberg“.<br />

Um all seine beruflichen Stationen<br />

aufzuzählen, reicht der Platz nicht.<br />

Er ist Historiker, Journalist, hat einen<br />

Verlag gegründet, unzählige Bücher<br />

geschrieben. Seit 1966 ist er mit<br />

der Innsbruckerin Christine Daprá<br />

verheiratet, gemeinsam haben sie<br />

einen Sohn und eine Tochter, mittlerweile<br />

auch sechs Enkelkinder.

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