Neue Szene ePaper2021-08
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DMit dem Fahrrad vom Allgäu nach Peking,
15.000 Kilometer in sieben Monaten. Wie
kommt man auf so eine Idee? Und warum ist
euer Ziel ausgerechnet Peking?
Wir sind vor zwei Jahren mit dem Rad von
Leipzig nach Odessa in die Ukraine geradelt und
haben dabei tolle Erfahrungen gemacht. Und
irgendwann stand die Idee im Raum, noch weiter
in den Osten zu ziehen. Peking deshalb, weil man
von dort aus mit der Transsibirischen Eisenbahn
wieder zurückfahren kann, fliegen kommt für uns
aus klimaneutralen Gründen gar nicht in Frage.
Mal sehen, ob unsere Reise tatsächlich in Peking
enden wird, aktuell sind die Grenzen nach China
wegen der Corona-Pandemie geschlossen. Aber
wenn nicht China, dann eben woanders, das tut
der Sache letztendlich keinen Abbruch.
Eure Fahrräder stammen aus den 90ern.
Genau, wir haben unsere Flitzer bei “Kette
und Kurbel” in Augsburg gekauft, anschließend
hat die “Radlkiste” die Bikes noch fit gemacht und
daraus qualitativ super Trekkingbikes gezaubert.
Die neuen Fahrradmodelle sind gar nicht so
praktisch, weil die Rahmen meist aus Alu sind und
man sie nicht schweißen kann.
Wie verläuft denn eure Reise-Route?
Von Deutschland über Österreich, Slowenien,
Kroatien, Serbien, Rumänien, Bulgarien, Türkei,
Georgien, Aserbaidschan, Kasachstan und Kirgistan
dann hoffentlich nach China. Zurück geht es
dann wie erwähnt mit dem Zug durch Russland.
Kennt ihr Margot Flügel-Anhalt?
Nein.
Die ist mit 67 Jahren mit dem Motorrad Richtung
Himalaya gestartet. Ich habe die Doku
über sie im TV gesehen und ihr Abenteuer
war auch mit großen Strapazen verbunden.
Gerade wenn massive Bergketten zu überwinden
sind.
Ja, doch, das haben wir auch gesehen. Auf
so einer Reise erlebt man natürlich extreme
Temperaturen und Wetterbedingungen. Wir sind
entsprechend ausgerüstet, unsere Schlafsäcke,
Zelte und Kleidung sind für Minusgrade gerüstet.
In der Türkei erwarten wir in bestimmten Regionen
um die 40 Grad. Derzeit fahren wir im Schnitt
100 Kilometer täglich, damit wir nicht zu spät in
Zentralasien ankommen. In Kasachstan kann es
sehr schnell Winter werden und durch Corona
sind wir auch etwas später gestartet.
Ida und Ana Lutzenberger sind im Mai mit ihren Rädern von Schwaighausen in Richtung Peking losgezogen,
das sind 15.000 Kilometer in sieben Monaten. Neben ihrer Abenteuerlust haben die Schwestern mit ”Rette,
rette, Fahrradkette” auch eine Spendenaktion für ”Seawatch” ins Leben gerufen. Ida hat hier studiert, lebt
seit sechs Jahren in Augsburg. 2020 war sie mit ihren Bildern bei der Schwabillu zu sehen, seit 2016 ist Ida
mit ihrer Handpuppe ”Graf Schaf” Teil des Programms im Ballonmuseum. Interview: Walter Sianos
Inzwischen seid ihr in der Türkei und habt ca.
4.000 Kilometer hinter euch. Wie war´s bisher?
Rumänien ist irgendwie eine ganz eigene
Nummer, die Leute leben gerade auf dem Land
ganz anders, als wir es gewohnt sind, hier wird
man noch von Pferdekutschen überholt. Wir sind
sehr von der Herzlichkeit und der Gastfreundschaft
beeindruckt, obwohl die Menschen selbst
ein sehr bescheidenes Leben führen, wurden wir
immer wieder zum Essen und zum Übernachten
eingeladen. Als wir von Rumänien die Grenze mit
einer Donaufähre überqueren wollten, hat uns
der bulgarische Grenzbeamte aus unerklärlichen
Gründen nicht einreisen lassen. Wir mussten
daraufhin einen Umweg von 100 Kilometern
in Kauf nehmen. Noch dazu hat es die nächsten
Tage auch noch durchgeregnet und unser
Outdoor-Equipment hat sich auch nicht gerade
als wasserdicht erwiesen. Da war die Stimmung
erstmals so richtig im Keller.
War da nicht was mit einem Galadinner mit
iranischen Fernfahrern?
Auf der Fähre zurück nach Rumänien waren
einige iranische Trucker an Bord, die uns mit Kaffee
und Keksen getröstet haben. Als wir wieder an Land
waren, gab es auch noch ein üppiges und leckeres
iranisches Abendessen. In Nachhinein war es einer
der lustigsten Begegnungen, die wir bisher hatten.
Wenn man euer Tourtagebuch bei Facebook
liest, dann berichtet ihr über viele schöne
Begegnungen mit anderen Menschen. Ist die
Welt doch besser als uns das die Nachrichten
immer verkaufen?
Auf jeden Fall, der Mensch ist leider oft so
gestrickt, dass er Angst vor Dingen hat, die er nicht
kennt, die Medien präsentieren auch leider oft
ein negatives Bild von unserer Welt. Wir erfahren
auf unserer Reise genau das Gegenteil, die Leute
präsentieren sich offen und hilfsbereit. Manchmal
haben wir deshalb auch ein schlechtes Gewissen,
weil gerade diese Menschen in unseren Breitengraden
nicht so freundlich behandelt werden.
Auf eurem Trip sammelt ihr auch Spenden
für “Seawatch”. Gerade auf eurer Route sind
auch Asylsuchende in die andere Richtung
unterwegs, die gezwungen sind, ihr Land zu
verlassen und die nicht so freundlich empfangen
werden wie ihr.
Das stimmt leider, wir wissen, dass man zu uns
so nett ist, weil wir aus Deutschland kommen, wir
haben in mehreren Gesprächen mitbekommen,
dass man gegenüber Flüchtenden aus fernöstlichen
Ländern nicht so positiv eingestellt ist. Und
gerade diese Menschen haben doch Gastfreundschaft
viel nötiger als wir. Krass war es, als wir an
der türkischen Grenze diese meterhohen Mauern
gesehen haben. Das stimmt einen schon traurig.
In Kroatien hattet ihr eine Begegnung mit
einem Monster, das sich am nächsten Tag als
kleiner Hund entpuppt hat. Habt ihr inzwischen
ähnliche Abenteuer erlebt?
Jedenfalls keine so gruseligen mehr (lachen).
Wir erleben viele spontane, kleine und witzige
Aktionen. In Bulgarien haben wir eine Deutsche
kennengelernt, die dort gerade ein Praktikum
absolviert und über das Internet von unserer
Aktion mitbekommen hat. Als wir durch die Stadt
Russe geradelt waren, sind wir zufällig direkt an
ihrer Nase vorbeigefahren. Das muss man sich
mal vorstellen. Sie hat uns
gleich zu sich eingeladen und
wir hatten zusammen einen
supernetten Abend.
Die
Neue Szene begleitet
Ida und Ana Lutzenberger
redaktionell auf ihrer
Reise. Alle zwei Wochen gibt
es ein aktuelles Interview
auf www.neue-szene.
de
So eine Tour nagt
natürlich an Mensch und
Maschine. Hattet ihr schon
irgendwelche Pannen?
Uns ist die Kette gerissen,
aber das konnten wir selber reparieren. Ansonsten
sind wir überrascht, dass wir bisher noch keinen
Platten hatten. Stopp … ich muss gleich mal auf
Holz klopfen (lacht). Wir haben in Istanbul unsere
Räder nochmal durchchecken lassen.
Verglichen mit dem was kommt, war das bisher
aber eher ein leichter Aufgalopp, oder?
Ja voll. Wir haben uns, warum auch immer,
die Türkei als superflaches Land vorgestellt, das
vom Meer umgeben ist. Zu unserer Überraschung
gibt es hier viele Berge mit gewaltigen Höhenunterschieden.
Zudem ist es hier sehr heiß, der
Asphalt fängt auf den Straßen schon zu schmelzen
an. Vor uns liegen jetzt knapp 2.000 Kilometer bis
zur nächsten Grenze. Bisher sind wir immer so an
die 100 Kilometer pro Tag geradelt, das wird sich
in den nächsten Wochen sicher reduzieren.
Wenn man fast 100 Kilometer täglich radelt,
wie kompensiert man den Kalorienverbrauch?
Mit viel Kuchen und Süßigkeiten (lachen).
Das Gute ist, dass wir viel essen dürfen und hier in
der Türkei gibt es selbst in den kleinsten Dörfern
an jeder Ecke die leckersten Sachen. Wir genießen
das und gönnen uns auch schon mal zum Frühstück
ein dickes Mittagsmenü.