02.08.2021 Aufrufe

Neue Szene ePaper2021-08

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Zoom

35

DMit dem Fahrrad vom Allgäu nach Peking,

15.000 Kilometer in sieben Monaten. Wie

kommt man auf so eine Idee? Und warum ist

euer Ziel ausgerechnet Peking?

Wir sind vor zwei Jahren mit dem Rad von

Leipzig nach Odessa in die Ukraine geradelt und

haben dabei tolle Erfahrungen gemacht. Und

irgendwann stand die Idee im Raum, noch weiter

in den Osten zu ziehen. Peking deshalb, weil man

von dort aus mit der Transsibirischen Eisenbahn

wieder zurückfahren kann, fliegen kommt für uns

aus klimaneutralen Gründen gar nicht in Frage.

Mal sehen, ob unsere Reise tatsächlich in Peking

enden wird, aktuell sind die Grenzen nach China

wegen der Corona-Pandemie geschlossen. Aber

wenn nicht China, dann eben woanders, das tut

der Sache letztendlich keinen Abbruch.

Eure Fahrräder stammen aus den 90ern.

Genau, wir haben unsere Flitzer bei “Kette

und Kurbel” in Augsburg gekauft, anschließend

hat die “Radlkiste” die Bikes noch fit gemacht und

daraus qualitativ super Trekkingbikes gezaubert.

Die neuen Fahrradmodelle sind gar nicht so

praktisch, weil die Rahmen meist aus Alu sind und

man sie nicht schweißen kann.

Wie verläuft denn eure Reise-Route?

Von Deutschland über Österreich, Slowenien,

Kroatien, Serbien, Rumänien, Bulgarien, Türkei,

Georgien, Aserbaidschan, Kasachstan und Kirgistan

dann hoffentlich nach China. Zurück geht es

dann wie erwähnt mit dem Zug durch Russland.

Kennt ihr Margot Flügel-Anhalt?

Nein.

Die ist mit 67 Jahren mit dem Motorrad Richtung

Himalaya gestartet. Ich habe die Doku

über sie im TV gesehen und ihr Abenteuer

war auch mit großen Strapazen verbunden.

Gerade wenn massive Bergketten zu überwinden

sind.

Ja, doch, das haben wir auch gesehen. Auf

so einer Reise erlebt man natürlich extreme

Temperaturen und Wetterbedingungen. Wir sind

entsprechend ausgerüstet, unsere Schlafsäcke,

Zelte und Kleidung sind für Minusgrade gerüstet.

In der Türkei erwarten wir in bestimmten Regionen

um die 40 Grad. Derzeit fahren wir im Schnitt

100 Kilometer täglich, damit wir nicht zu spät in

Zentralasien ankommen. In Kasachstan kann es

sehr schnell Winter werden und durch Corona

sind wir auch etwas später gestartet.

Ida und Ana Lutzenberger sind im Mai mit ihren Rädern von Schwaighausen in Richtung Peking losgezogen,

das sind 15.000 Kilometer in sieben Monaten. Neben ihrer Abenteuerlust haben die Schwestern mit ”Rette,

rette, Fahrradkette” auch eine Spendenaktion für ”Seawatch” ins Leben gerufen. Ida hat hier studiert, lebt

seit sechs Jahren in Augsburg. 2020 war sie mit ihren Bildern bei der Schwabillu zu sehen, seit 2016 ist Ida

mit ihrer Handpuppe ”Graf Schaf” Teil des Programms im Ballonmuseum. Interview: Walter Sianos

Inzwischen seid ihr in der Türkei und habt ca.

4.000 Kilometer hinter euch. Wie war´s bisher?

Rumänien ist irgendwie eine ganz eigene

Nummer, die Leute leben gerade auf dem Land

ganz anders, als wir es gewohnt sind, hier wird

man noch von Pferdekutschen überholt. Wir sind

sehr von der Herzlichkeit und der Gastfreundschaft

beeindruckt, obwohl die Menschen selbst

ein sehr bescheidenes Leben führen, wurden wir

immer wieder zum Essen und zum Übernachten

eingeladen. Als wir von Rumänien die Grenze mit

einer Donaufähre überqueren wollten, hat uns

der bulgarische Grenzbeamte aus unerklärlichen

Gründen nicht einreisen lassen. Wir mussten

daraufhin einen Umweg von 100 Kilometern

in Kauf nehmen. Noch dazu hat es die nächsten

Tage auch noch durchgeregnet und unser

Outdoor-Equipment hat sich auch nicht gerade

als wasserdicht erwiesen. Da war die Stimmung

erstmals so richtig im Keller.

War da nicht was mit einem Galadinner mit

iranischen Fernfahrern?

Auf der Fähre zurück nach Rumänien waren

einige iranische Trucker an Bord, die uns mit Kaffee

und Keksen getröstet haben. Als wir wieder an Land

waren, gab es auch noch ein üppiges und leckeres

iranisches Abendessen. In Nachhinein war es einer

der lustigsten Begegnungen, die wir bisher hatten.

Wenn man euer Tourtagebuch bei Facebook

liest, dann berichtet ihr über viele schöne

Begegnungen mit anderen Menschen. Ist die

Welt doch besser als uns das die Nachrichten

immer verkaufen?

Auf jeden Fall, der Mensch ist leider oft so

gestrickt, dass er Angst vor Dingen hat, die er nicht

kennt, die Medien präsentieren auch leider oft

ein negatives Bild von unserer Welt. Wir erfahren

auf unserer Reise genau das Gegenteil, die Leute

präsentieren sich offen und hilfsbereit. Manchmal

haben wir deshalb auch ein schlechtes Gewissen,

weil gerade diese Menschen in unseren Breitengraden

nicht so freundlich behandelt werden.

Auf eurem Trip sammelt ihr auch Spenden

für “Seawatch”. Gerade auf eurer Route sind

auch Asylsuchende in die andere Richtung

unterwegs, die gezwungen sind, ihr Land zu

verlassen und die nicht so freundlich empfangen

werden wie ihr.

Das stimmt leider, wir wissen, dass man zu uns

so nett ist, weil wir aus Deutschland kommen, wir

haben in mehreren Gesprächen mitbekommen,

dass man gegenüber Flüchtenden aus fernöstlichen

Ländern nicht so positiv eingestellt ist. Und

gerade diese Menschen haben doch Gastfreundschaft

viel nötiger als wir. Krass war es, als wir an

der türkischen Grenze diese meterhohen Mauern

gesehen haben. Das stimmt einen schon traurig.

In Kroatien hattet ihr eine Begegnung mit

einem Monster, das sich am nächsten Tag als

kleiner Hund entpuppt hat. Habt ihr inzwischen

ähnliche Abenteuer erlebt?

Jedenfalls keine so gruseligen mehr (lachen).

Wir erleben viele spontane, kleine und witzige

Aktionen. In Bulgarien haben wir eine Deutsche

kennengelernt, die dort gerade ein Praktikum

absolviert und über das Internet von unserer

Aktion mitbekommen hat. Als wir durch die Stadt

Russe geradelt waren, sind wir zufällig direkt an

ihrer Nase vorbeigefahren. Das muss man sich

mal vorstellen. Sie hat uns

gleich zu sich eingeladen und

wir hatten zusammen einen

supernetten Abend.

Die

Neue Szene begleitet

Ida und Ana Lutzenberger

redaktionell auf ihrer

Reise. Alle zwei Wochen gibt

es ein aktuelles Interview

auf www.neue-szene.

de

So eine Tour nagt

natürlich an Mensch und

Maschine. Hattet ihr schon

irgendwelche Pannen?

Uns ist die Kette gerissen,

aber das konnten wir selber reparieren. Ansonsten

sind wir überrascht, dass wir bisher noch keinen

Platten hatten. Stopp … ich muss gleich mal auf

Holz klopfen (lacht). Wir haben in Istanbul unsere

Räder nochmal durchchecken lassen.

Verglichen mit dem was kommt, war das bisher

aber eher ein leichter Aufgalopp, oder?

Ja voll. Wir haben uns, warum auch immer,

die Türkei als superflaches Land vorgestellt, das

vom Meer umgeben ist. Zu unserer Überraschung

gibt es hier viele Berge mit gewaltigen Höhenunterschieden.

Zudem ist es hier sehr heiß, der

Asphalt fängt auf den Straßen schon zu schmelzen

an. Vor uns liegen jetzt knapp 2.000 Kilometer bis

zur nächsten Grenze. Bisher sind wir immer so an

die 100 Kilometer pro Tag geradelt, das wird sich

in den nächsten Wochen sicher reduzieren.

Wenn man fast 100 Kilometer täglich radelt,

wie kompensiert man den Kalorienverbrauch?

Mit viel Kuchen und Süßigkeiten (lachen).

Das Gute ist, dass wir viel essen dürfen und hier in

der Türkei gibt es selbst in den kleinsten Dörfern

an jeder Ecke die leckersten Sachen. Wir genießen

das und gönnen uns auch schon mal zum Frühstück

ein dickes Mittagsmenü.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!