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Glücksburg Living 05/21 September & Oktober

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eingeliefert, erzählte mir derselbe. Als man ihn<br />

hereinbrachte, begrüßte er mich freudestrahlend<br />

und wunderte sich über die peinliche Sauberkeit,<br />

die nun mal in Krankenhäusern herrscht. Als die<br />

Krankenschwester herbei kam, um ihm eine Morphiumspritze<br />

zu geben, da empfing er sie lautstark<br />

und meinte zum Bootsmann, dass er schon immer<br />

mal mit einer Krankenschwester posieren wollte.<br />

Die alten blasenleidenden Herren in den Nachbarbetten<br />

hatten entgeistert ihre greisen Körper aus<br />

den Federn gereckt, als ob sie von Jonnys Lebenswillen<br />

angesteckt worden wären. Jonny hielt<br />

eine Zeit lang das Krankenzimmer mit Scherzen<br />

und schlagfertigen Antworten unter Wind, bis er<br />

bewusstlos wurde. Als Jonnys Bett am nächsten<br />

Morgen leer stand, da wollte zunächst niemand<br />

glauben, dass er tot war. Doch Jonny war am<br />

frühen Morgen gestorben mit mehreren Ampullen<br />

Morphium im Blut und einem halben Quadratmeter<br />

verbrannter Haut. Er hatte wie ein Mann bis<br />

zuletzt seinen Job getan und war wie ein Mann<br />

gestorben, ohne zu klagen, bis zur letzten Minute<br />

um sein Leben kämpfend.<br />

Warum konnte Jonny nicht einmal ein Feigling<br />

sein oder warum dachte er nicht ein einziges Mal<br />

an sich? Jonny war eben ein ganzer Kerl, das war<br />

die einzig richtige Antwort auf diese Frage.<br />

Bei der Beerdigung traf ich Jonnys Mutter. Eine<br />

stille, gepflegt aussehende Dame. Was sollte ich<br />

ihr zum Trost sagen? Das Jonny ein guter Kamerad<br />

war, das wusste wohl niemand besser als sie.<br />

Jonnys Mutter wünschte mir Glück für mein weiteres<br />

Leben und ich kann sagen, dass ich bisher<br />

Glück gehabt habe. Als ein paar Tage nach dem<br />

Unglück die einzelnen Schicksale der verschiedenen<br />

Besatzungsmitglieder bekannt wurden, da<br />

stellte sich heraus, dass bei jedem Einzelnen eine<br />

Kleinigkeit zum Glück oder Unglück geführt hatte.<br />

Der Kapitän stand kurz vor seiner Pensionierung.<br />

Er wollte die letzten Jahre noch etwas Ruhe haben;<br />

die Ruhe, die er bekommen hatte, meinte er<br />

bestimmt nicht. Der Kapitän hatte die gefährlichen<br />

Kriegsjahre bei der Handelsmarine sowie so manchen<br />

Sturm überstanden. Sein Leben verlor er, als<br />

das Schiff sicher im Hafen lag, welche Ironie des<br />

Schicksals. Der 1.Offizier war vor kurzem aus der<br />

Ostzone geflüchtet. Wäre er doch dort geblieben;<br />

denn es ist immerhin besser, im Osten zu leben<br />

als im Westen zu sterben. Der 2. Offizier ging kurz<br />

vor Ausbruch der Katastrophe an Land, um sich<br />

die Haare schneiden zu lassen, so entging er dem<br />

Tod in den Flammen.<br />

Ein Schmierer war vom 1. Ingenieur an Land<br />

geschickt worden, er sollte ein Rohr schweißen<br />

lassen, auch dieser Mann blieb unversehrt.<br />

Ich verschlief dieses Unglück und seitdem braucht<br />

man mich vor Wachbeginn nur einmal zu<br />

wecken.<br />

Peter Marxen reichte die Geschichte<br />

1967 beim amerikanischen Magazin<br />

„The Reader‘s Digest“ ein. Es wurde<br />

für die beste Lesergeschichte ein<br />

Preisgeld über 10.000 US<br />

Dollar ausgeschüttet. Später stellte<br />

sich heraus, dass der Preis an<br />

den Neffen des damaligen<br />

Chefredakteurs ging.<br />

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