Szene - cevet - Universität Paderborn
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Kirchenbauten einmal anders<br />
Gäste entspannen sich beim Cocktail<br />
unter den bunten Glasfenstern im<br />
Chor, aus der Kanzel sprießen Zimmerpflanzen,<br />
im Seitenschiff spielen<br />
Schüler Basketball. Diese <strong>Szene</strong>n<br />
gehören heute zum Alltag in ehemaligen<br />
Kirchengebäuden, so etwa in Bielefeld,<br />
Willingen oder Trier, und in Zukunft<br />
werden solche Fälle zunehmen.<br />
Wir müssen uns an die veränderte<br />
Nutzung zahlreicher Kirchenbauten<br />
gewöhnen, wenn der Abriss vermieden<br />
werden soll. Dieser aktuelle Kontext<br />
ist einer der Gründe, sich mit dem<br />
Thema Sakralbauten als Kulturerbe<br />
zu beschäftigen und zu fragen, ob<br />
sich solche Entwicklungen womöglich<br />
in einem länger andauernden steten<br />
Wechsel zwischen Sakralisierung und<br />
Entsakralisierung bzw. Säkularisierung<br />
vollziehen und welche Erkenntnisse<br />
daraus für die Gegenwart zu gewinnen<br />
sind. Solchen Fragestellungen<br />
geht der <strong>Paderborn</strong>er Lehrstuhl für<br />
Materielles und Immaterielles Kulturerbe<br />
UNESCO innerhalb seines Projektes<br />
„Kulturerbe – Sakralbauten“<br />
nach. Prof. Dr. Eva-Maria Seng lud daher<br />
ein Dutzend Experten aus<br />
Deutschland und Polen zu einer Impulstagung<br />
„Kirchenbau zwischen Säkularisierung<br />
und Sakralisierung – im<br />
17./18. Jahrhundert und heute“ nach<br />
<strong>Paderborn</strong>.<br />
Doch inwiefern sind Kirchen überhaupt<br />
sakrale Räume? Während ka-<br />
<strong>Paderborn</strong>er <strong>Universität</strong>szeitschrift 2-2009/2010<br />
tholischeGotteshäuserkirchenrechtlich als „heilige<br />
Räume“ definiert<br />
sind, interpretiert<br />
die evangelische<br />
Seite Kirchenräumelediglich<br />
als Versammlungsort,<br />
und erst<br />
in jüngerer Zeit<br />
häufen sich dort<br />
Stimmen, die dem<br />
Kirchenraum sakrale<br />
Qualitäten<br />
zusprechen. Jenseits<br />
der theologischen Bestimmung<br />
von Sakralität im Kirchenraum, ist die<br />
heilige Wirkung von Räumen zugleich<br />
immer eine Frage der formalen Gestaltung.<br />
Sowohl katholische als auch<br />
evangelische Gotteshäuser sind seit<br />
dem 18. Jahrhundert im Außen- und<br />
besonders im Innenraum von Phänomenen<br />
gekennzeichnet, die man<br />
als Folge von und als Reaktion auf Sakralitätsverlust<br />
verstehen kann. So<br />
kamen bei der Tagung die „Säkularisierung<br />
im Protestantismus“ (Hartmut<br />
Lehmann, Kiel) und die Geschichte<br />
des protestantischen Kirchenbaus in<br />
der Frühen Neuzeit (Jan Harasimowicz,<br />
Wroctaw/Polen) genauso wie<br />
die so genannte Katholische Aufklärung<br />
im späten 18. Jahrhundert<br />
und deren „Entzauberung des Sakralraums<br />
im Zeichen ‚edler Simplicität’“<br />
Die Organisatoren der Kirchenbau-Tagung am Lehrstuhl für Materielles und Immaterielles Kulturerbe<br />
UNESCO: Lehrstuhlinhaberin Prof. Dr. Eva-Maria Seng und Projekt-Mitarbeiter Dr. Gerd Brüne.<br />
Kurz berichtet<br />
Profan genutzte, ehemalige Kirchengebäude wie das abgebildete Bielefelder<br />
Beispiel waren eines der Diskussionsthemen bei der Tagung des Lehrstuhls<br />
für Materielles und Immaterielles Kulturerbe UNESCO.<br />
Foto: Hartmann<br />
(Meinrad von Engelberg, Darmstadt)<br />
zur Sprache.<br />
Der moderne Kirchenbau des 20. Jahrhunderts<br />
in Deutschland wandte sich<br />
symbolträchtigen, doch schlichten<br />
Formen zu und orientierte sich bei katholischen<br />
Kirchen zunächst vor allem<br />
an der liturgischen (Erneuerungs-) Bewegung.<br />
Seit den späten 1960er-Jahren<br />
setzte man dann die Reformen<br />
des Zweiten Vatikanischen Konzils<br />
um, während die evangelischen Christen<br />
multifunktionale Gemeindezentren<br />
zu bauen begannen. Der „Entzauberung“<br />
des Kirchenraums in der Gegenwart<br />
bis hin zu den eingangs erwähnten<br />
Umnutzungen ist der seit einigen<br />
Jahren zu beobachtende Einsatz<br />
sakraler Motive bei profanen Bauwerken<br />
verwandt. Dementsprechend diskutierten<br />
die Tagungsteilnehmer, was<br />
den Kirchengebäuden an Sakralität<br />
bleibt, wenn ihre Formensprache<br />
nicht mehr exklusiv ist oder ihr Verwendungszweck<br />
ein kommerzieller<br />
wird. Der Architekt Rainer Fisch (Berlin)<br />
plädierte in diesem Zusammenhang<br />
dafür, zukünftig auch die überzähligen,<br />
nicht mehr benötigten Kirchen<br />
sowohl als heilige wie als Denkmal-<br />
und Identifikationsorte ernst zu<br />
nehmen.<br />
Kontakt:<br />
Dr. Gerd Brüne,<br />
Historisches Institut,<br />
Lehrstuhl für Materielles und Immaterielles<br />
Kulturerbe UNESCO,<br />
05251 60-5463,<br />
gbruene@mail.uni-paderborn.de<br />
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Foto: GLÜCKUNDSELIGKEIT