CREDIT SUISSE Bulletin_4.<strong>05</strong> 14 Johan Goudsblom: «Mit der Fähigkeit, das <strong>Feuer</strong> zu kontrollieren, hat die Menschheit begonnen, sich von den anderen Tieren der Erde abzusetzen.» .» Foto: Alex ten Napel
CREDIT SUISSE Bulletin_4.<strong>05</strong> Zivilisation <strong>Feuer</strong> 15 Interview: Marcus Balogh Als der Funke übersprang Die Menschen haben das <strong>Feuer</strong> gezähmt. Und das <strong>Feuer</strong> hat die Menschheit zur Zivilisation geführt. Johan Goudsblom, emeritierter Professor für Soziologie der Universität Amsterdam, über den heissen Ursprung und die feurige Zukunft der Zivilisation. Bulletin: Hat <strong>Feuer</strong> den Funken zur Entwicklung der Menschheit geliefert? Johan Goudsblom: Nicht das <strong>Feuer</strong> an sich hat die Menschen weitergebracht, sondern die Fähigkeit, das <strong>Feuer</strong> zu kontrollieren. Natürlich ist es schwierig, zwei Millionen Jahre zurückzuschauen und zu sagen: Dies oder das hat so oder so stattgefunden. Aber ich bin überzeugt, dass die Kontrolle über das <strong>Feuer</strong> ein immens wichtiger Katalysator für die Entwicklung der Menschheit war. Sie ist quasi die Brücke, über die sich die Menschen von den anderen Tieren entfernt haben. Der Umgang mit <strong>Feuer</strong> hat zu neuen Machtverhältnissen auf der Erde geführt. Wie meinen Sie das? Ich habe das 1981 sehr schön im Film «Am Anfang war das <strong>Feuer</strong>» von Jean-Jacques Annaud gesehen. In der Anfangsszene des Films jagt einer unserer Ahnen ein Rudel prähistorischer Wölfe mit brennenden Zweigen in die Flucht. So wurde die Macht des Menschen über die anderen Tiere vergrössert. Und natürlich auch die Macht über andere Menschen, die kein <strong>Feuer</strong> hatten oder es nicht kontrollieren konnten. Aber weshalb sind warme Höhlen oder gegrilltes Fleisch für die Entwicklung der Menschheit derart wichtig? Nicht Wärme und Licht haben die Entwicklung der Menschheit vorangetrieben, sondern das Streben danach. Zahlreiche Tiere profitieren passiv vom <strong>Feuer</strong>. Vögel oder Primaten zum Beispiel picken sich nach Bränden gegarte Früchte aus der warmen Asche. Die Menschen waren jedoch die Ersten, die sich aktiv um <strong>Feuer</strong> gekümmert haben. Was genau heisst aktiv in diesem Zusammenhang? <strong>Feuer</strong> kommt in der Natur nur äusserst selten vor. Die <strong>Feuer</strong>sbrünste der letzten Monate sind zum Beispiel fast ausschliesslich menschlichen Ursprungs. Unsere Vorfahren – etwa der Homo erectus vor 1,8 Millionen Jahren in Ostafrika – haben in ihrem Leben wahrscheinlich nicht mehr als ein oder zwei Mal <strong>Feuer</strong> unter natürlichen Umständen gesehen. Es war also gar nicht so einfach, zu <strong>Feuer</strong> zu kommen. Und wer es denn erst mal hatte, der musste sich auch intensiv um seine <strong>Feuer</strong>stelle kümmern. Und dieses «Drumkümmern» hat uns schlau gemacht? Die Evolution «macht» nicht schlau, denn sie schafft nicht zielgerichtet Neues. Wer – zufällig – einen Vorteil mit sich bringt, hat einfach grössere Chancen, sich fortzupflanzen. In Bezug auf das <strong>Feuer</strong> bedeutet das: Es muss bereits ein gewisses Mass an «Schlauheit» da gewesen sein. Denn es ist nicht einfach, ein <strong>Feuer</strong> zu entfachen, es über Tage, vielleicht Wochen oder Monate am Leben zu halten. Aber sobald ein Teil unserer Vorfahren begann, <strong>Feuer</strong> zu kontrollieren, stieg der evolutionäre Druck auf jene, denen diese Fähigkeit abging – sie hatten dadurch weniger gute Chancen zu überleben. Ich bin bisher davon ausgegangen, dass Sprache – also die Fähigkeit zur Kommunikation – oder der Gebrauch von Werkzeug entscheidende Impulse für die Entwicklung der Menschen geliefert hat. Natürlich hätte sich unsere Zivilisation nicht ohne Sprache oder ohne den Gebrauch von Werkzeug entwickelt. Tatsache ist aber, dass die Fähigkeit, <strong>Feuer</strong> zu kontrollieren, den Menschen vorbehalten ist, während sich die Fähigkeit zur Kommunikation und der Gebrauch von Werkzeug auch bei Tieren finden. Zudem lässt sich die Geschichte der Menschen gut an der Entwicklung des Umgangs mit <strong>Feuer</strong> festmachen. Sie sprechen drei in Ihrem Buch erwähnte Entwicklungsschritte an? Genau. Der erste Schritt fand im frühen Paläolithikum statt, als die Menschen begannen, <strong>Feuer</strong> in kontrollierter Form zu gebrauchen. Der zweite grosse Schritt ist der Wechsel vom Leben als Jäger und Sammler zu einer bäuerlichen Lebensart. Das hat sich im Verlauf der letzten 10 000 Jahre abgespielt. >