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bull_05_04_Feuer

Credit Suisse bulletin, 2005/04

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CREDIT SUISSE<br />

Bulletin_4.<strong>05</strong><br />

Zivilisation <strong>Feuer</strong> 15<br />

Interview: Marcus Balogh<br />

Als der Funke übersprang<br />

Die Menschen haben das <strong>Feuer</strong> gezähmt. Und das <strong>Feuer</strong> hat die Menschheit zur Zivilisation geführt.<br />

Johan Goudsblom, emeritierter Professor für Soziologie der Universität Amsterdam, über den heissen Ursprung<br />

und die feurige Zukunft der Zivilisation.<br />

Bulletin: Hat <strong>Feuer</strong> den Funken zur Entwicklung der Menschheit<br />

geliefert?<br />

Johan Goudsblom: Nicht das <strong>Feuer</strong> an sich hat die Menschen weitergebracht,<br />

sondern die Fähigkeit, das <strong>Feuer</strong> zu kontrollieren. Natürlich<br />

ist es schwierig, zwei Millionen Jahre zurückzuschauen und zu sagen:<br />

Dies oder das hat so oder so stattgefunden. Aber ich bin überzeugt,<br />

dass die Kontrolle über das <strong>Feuer</strong> ein immens wichtiger Katalysator für<br />

die Entwicklung der Menschheit war. Sie ist quasi die Brücke, über die<br />

sich die Menschen von den anderen Tieren entfernt haben. Der Umgang<br />

mit <strong>Feuer</strong> hat zu neuen Machtverhältnissen auf der Erde geführt.<br />

Wie meinen Sie das?<br />

Ich habe das 1981 sehr schön im Film «Am Anfang war das <strong>Feuer</strong>» von<br />

Jean-Jacques Annaud gesehen. In der Anfangsszene des Films jagt<br />

einer unserer Ahnen ein Rudel prähistorischer Wölfe mit brennenden<br />

Zweigen in die Flucht. So wurde die Macht des Menschen über die<br />

anderen Tiere vergrössert. Und natürlich auch die Macht über andere<br />

Menschen, die kein <strong>Feuer</strong> hatten oder es nicht kontrollieren konnten.<br />

Aber weshalb sind warme Höhlen oder gegrilltes Fleisch für<br />

die Entwicklung der Menschheit derart wichtig?<br />

Nicht Wärme und Licht haben die Entwicklung der Menschheit vorangetrieben,<br />

sondern das Streben danach. Zahlreiche Tiere profitieren<br />

passiv vom <strong>Feuer</strong>. Vögel oder Primaten zum Beispiel picken sich nach<br />

Bränden gegarte Früchte aus der warmen Asche. Die Menschen waren<br />

jedoch die Ersten, die sich aktiv um <strong>Feuer</strong> gekümmert haben.<br />

Was genau heisst aktiv in diesem Zusammenhang?<br />

<strong>Feuer</strong> kommt in der Natur nur äusserst selten vor. Die <strong>Feuer</strong>sbrünste<br />

der letzten Monate sind zum Beispiel fast ausschliesslich menschlichen<br />

Ursprungs. Unsere Vorfahren – etwa der Homo erectus vor 1,8<br />

Millionen Jahren in Ostafrika – haben in ihrem Leben wahrscheinlich<br />

nicht mehr als ein oder zwei Mal <strong>Feuer</strong> unter natürlichen Umständen<br />

gesehen. Es war also gar nicht so einfach, zu <strong>Feuer</strong> zu kommen. Und<br />

wer es denn erst mal hatte, der musste sich auch intensiv um seine<br />

<strong>Feuer</strong>stelle kümmern.<br />

Und dieses «Drumkümmern» hat uns schlau gemacht?<br />

Die Evolution «macht» nicht schlau, denn sie schafft nicht zielgerichtet<br />

Neues. Wer – zufällig – einen Vorteil mit sich bringt, hat einfach grössere<br />

Chancen, sich fortzupflanzen. In Bezug auf das <strong>Feuer</strong> bedeutet<br />

das: Es muss bereits ein gewisses Mass an «Schlauheit» da gewesen<br />

sein. Denn es ist nicht einfach, ein <strong>Feuer</strong> zu entfachen, es über Tage,<br />

vielleicht Wochen oder Monate am Leben zu halten. Aber sobald ein<br />

Teil unserer Vorfahren begann, <strong>Feuer</strong> zu kontrollieren, stieg der evolutionäre<br />

Druck auf jene, denen diese Fähigkeit abging – sie hatten dadurch<br />

weniger gute Chancen zu überleben.<br />

Ich bin bisher davon ausgegangen, dass Sprache – also die<br />

Fähigkeit zur Kommunikation – oder der Gebrauch von Werkzeug<br />

entscheidende Impulse für die Entwicklung der Menschen<br />

geliefert hat.<br />

Natürlich hätte sich unsere Zivilisation nicht ohne Sprache oder ohne<br />

den Gebrauch von Werkzeug entwickelt. Tatsache ist aber, dass die<br />

Fähigkeit, <strong>Feuer</strong> zu kontrollieren, den Menschen vorbehalten ist, während<br />

sich die Fähigkeit zur Kommunikation und der Gebrauch von Werkzeug<br />

auch bei Tieren finden. Zudem lässt sich die Geschichte der Menschen<br />

gut an der Entwicklung des Umgangs mit <strong>Feuer</strong> festmachen.<br />

Sie sprechen drei in Ihrem Buch erwähnte Entwicklungsschritte<br />

an?<br />

Genau. Der erste Schritt fand im frühen Paläolithikum statt, als die<br />

Menschen begannen, <strong>Feuer</strong> in kontrollierter Form zu gebrauchen. Der<br />

zweite grosse Schritt ist der Wechsel vom Leben als Jäger und Sammler<br />

zu einer bäuerlichen Lebensart. Das hat sich im Verlauf der letzten<br />

10 000 Jahre abgespielt.<br />

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