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279.TIROL - November 2021

Ausgabe 5, November 2021

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78 tirol.traditionell<br />

tirol.traditionell 79<br />

Wolle aus dem<br />

Villgratental als ökologischer<br />

Dämmstoff<br />

Seit Menschengedenken liefern Schafe<br />

ein wichtiges Produkt für den<br />

Menschen: die Schurwolle. Aufgrund<br />

ihrer vielfältigen und hervorragenden<br />

Eigenschaften wird Wolle seit Jahrtausenden<br />

zum Herstellen für Kleidung<br />

genutzt und dient als Dämmmaterial.<br />

Josef Schett stammt aus einer Bergbauernfamilie,<br />

die über viele Generationen<br />

hinweg traditionelle Milchwirtschaft<br />

betrieb. Bedingt durch die topografischen<br />

Gegebenheiten des Villgratentals, das<br />

für eine Milchwirtschaft im größeren Stil<br />

ungeeignet ist, war der Hof zu klein. Er<br />

reichte auf längere Sicht nicht aus, eine<br />

wirtschaftliche Basis zu schaffen. Als der<br />

Villgrater 1985 den elterlichen Hof übernahm,<br />

stellte er den Betrieb auf Schafzucht<br />

um. Schon als Bub hatte er eine<br />

kleine Schafherde, durch die er eine intensive<br />

Beziehung zu den Tieren aufbauen<br />

konnte. Er vergrößerte den Betrieb durch<br />

den Zukauf von Almen und baute eine<br />

kleine Metzgerei. Anfänglich konzentrierte<br />

er sich auf den Verkauf von Lammfleisch<br />

und anderen Schafprodukten. Schnell<br />

merkte Josef Schett, dass so auch viel<br />

Wolle anfiel. Er überlegte sich, was man<br />

daraus machen kann, nahm Kontakt zur<br />

Universität Innsbruck auf und ließ eine<br />

Studie zu den Marktchancen von Schafwolle<br />

als Dämmmaterial erstellen.<br />

Natürlicher Baustoff mit vielen Vorzügen<br />

Die Untersuchung ergab: Schafwolle hat<br />

großes Potenzial in Sachen Dämmstoff,<br />

allerdings gab es Mitte der 1980er-Jahre<br />

in Österreich keine Möglichkeit, Wolle<br />

entsprechend zu verarbeiten. Der umtriebige<br />

Bauer beschloss daraufhin, die Sache<br />

selbst in die Hand zu nehmen. Er kaufte<br />

eine über 200 Jahre alte Wollkatatsche,<br />

mit der er experimentierte.<br />

Schafwolle kann<br />

bis zu einem Drittel<br />

ihres Eigengewichts an<br />

Feuchtigkeit aufnehmen,<br />

ist feuchtigkeits- und<br />

temperaturausgleichend,<br />

kann nicht schimmeln und<br />

ist verrottungsresistent.<br />

OBEN: Rebecca und Josef Schett<br />

prüfen die Qualität und Verarbeitungsmöglichkeiten<br />

der Schafschurwolle. (© Villgrater Natur<br />

Produkte/Innervillgraten)<br />

Schafwolle<br />

hat einen<br />

hohen<br />

Wärmedämmwert<br />

und eine<br />

positive Auswirkung<br />

auf<br />

das<br />

Raumklima.<br />

OBEN: Filze aus<br />

Schafschurwolle sind<br />

hervorragend als Trittschallschutz<br />

geeignet<br />

und sorgen zusätzlich für<br />

ein gutes Raumklima.<br />

(© Villgrater Natur Produkte/Innervillgraten)<br />

Seine ersten vielversprechenden Versuchsprodukte<br />

schickte er schließlich<br />

zur Eidgenössischen Material- und Forschungsanstalt<br />

(Empa) in St. Gallen/<br />

Schweiz zur Prüfung der bauphysikalischen<br />

Eigenschaften seiner Wolle. Das<br />

Ergebnis: Schafwolle hat einen hohen<br />

Wärmedämmwert, eine positive Auswirkung<br />

auf das Raumklima, brennt erst ab<br />

560 Grad und das ohne den Zusatz von<br />

brandhemmenden Stoffen, absorbiert<br />

Schadstoffe, kann bis zu einem Drittel<br />

ihres Eigengewichts an Feuchtigkeit aufnehmen,<br />

ist feuchtigkeits- und temperaturausgleichend,<br />

kann nicht schimmeln,<br />

ist verrottungsresistent, und auch Ungeziefer<br />

ist kein Thema. Mit diesem positiven<br />

Resultat reichte der Osttiroler ein<br />

Ansuchen auf die bautechnische Zulassung<br />

ein und bekam die alles entscheidende<br />

europäische technische Bauzulassung.<br />

Außerdem entschloss sich Josef<br />

Schett, den Betrieb erneut zu vergrößern.<br />

Er kaufte einen Grund und errichtete in<br />

den Jahren 1989 und 1990 ein Betriebsgebäude<br />

inklusive Maschinenpark, in dem<br />

Villgrater Natur Produkte noch heute ist<br />

und produziert. „In den darauffolgenden<br />

Jahren wurden Produkte aus Wolle entwickelt<br />

wie Dämmstoffe und Trittschallfilze,<br />

für die wir 1993 das Baubiologie- und<br />

Ökogütesiegel erhielten. Dadurch konnten<br />

wir den Markt aufbauen, der Anfang der<br />

1990er erst erschlossen werden musste<br />

– mit allem, was dazu gehört“, erinnert<br />

sich Rebecca Schett, Josef Schetts Tochter,<br />

die den Betrieb heute mitführt. Es galt<br />

also, Vertriebspartner und Abnehmer zu<br />

finden. Schließlich nahm einer der größten<br />

österreichischen Baustoffhändler die<br />

Dämmstoffprodukte aus Innervillgraten in<br />

sein Sortiment auf. Dieses Unternehmen<br />

war auch das erste, das eine umfangreiche<br />

Informationsbroschüre über natürliche<br />

Baudämmstoffe veröffentlichte. Heute<br />

liefert das Villgrater Unternehmen Naturprodukte<br />

an Abnehmer in ganz Europa<br />

und vermehrt auch in Osteuropa.<br />

Wolle für die Dämmung von Schulen<br />

und Kindergärten<br />

„Die Nachfrage steigt stetig. Um den<br />

Bedarf zu decken, kaufen wir neben der<br />

Wolle aus Osttirol auch aus ganz Österreich,<br />

Südtirol, der Schweiz und Bayern<br />

zu. Bei uns wird sie verarbeitet und geht<br />

dann in die ‚Welt‘ hinaus. Durch die enge<br />

Zusammenarbeit mit den regionalen<br />

Schafzuchtverbänden haben wir keine<br />

Lieferengpässe“, sagt Rebecca Schett.<br />

Inzwischen findet die Wolle aus dem Villgratental<br />

auch Verwendung beim Bau<br />

von Kindergärten, Schulen und Turnhallen.<br />

Angefragt werden die Dämmstoffe,<br />

Winddichtungen, Geh- und Trittschalldämmfilze<br />

von Architekten, Ausschreibungsteams,<br />

Bauunternehmen und Bauherren<br />

– öffentlich wie privat. So hat ein<br />

Turnhallenbauer über Jahre Wolle nur für<br />

die Geh- und Trittschalldämmung in den<br />

Turnsälen verwendet. Die Vorteile des<br />

Naturmaterials haben ihn schließlich so<br />

überzeugt, dass er Schafwolle heute auch<br />

für die Isolierung der Wände verwendet.<br />

Schafwolle ist eine ökologische<br />

Alternative<br />

Mit wachsendem ökologischen Bewusstsein<br />

steigt auch das Interesse an alternativen<br />

Baustoffen. Zu den vielen Vorzügen<br />

beim Bauen mit Produkten aus Schafwolle<br />

kommt noch hinzu, dass sie kein Sondermüll<br />

ist – sie kann wiederverwertet oder<br />

problemlos kompostiert werden. „Wirtschaftlich<br />

gesehen lohnt sich auch ein<br />

rechnerischer Vergleich. Dabei sollte nicht<br />

das reine Produkt im Mittelpunkt stehen.<br />

Es müssten auch viele andere Faktoren<br />

berücksichtigt werden, auf die es beim<br />

Bauen ankommt. Die Gesamtsumme ist<br />

entscheidend. Daher sind Dämmstoffe<br />

aus Schafwolle neben den natürlichen<br />

positiven Eigenschaften des Grundstoffs<br />

auch rechnerisch eine Alternative“, betont<br />

Rebecca Schett.<br />

ZUM AUTOR<br />

JAN SCHÄFER<br />

Jan Schäfer ist Experte für Marketing<br />

und Kommunikation. Er war maßgeblich<br />

bei der Entstehung des GemNova-Buches<br />

„Wir alle sind Gemeinde“ beteiligt<br />

und unterstützt seit 2020 die GemNova<br />

als Gemeindebetreuer in Osttirol.<br />

Kontakt: j.schaefer@gemnova.at

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