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279.TIROL - November 2021

Ausgabe 5, November 2021

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94 tirol.hat Recht<br />

tirol.hat Recht 95<br />

DIE grüne Vergabe IN<br />

DER BAUWIRTSCHAFT<br />

ZU DEN AUTOREN<br />

RA DR. STEPHAN HEID<br />

Partner bei Heid & Partner Rechtsanwälte,<br />

Spezialgebiete: Vergabe<br />

von komplexen Infrastruktur- und<br />

Bauprojekten, Gesundheits- und<br />

Mobilitätsbereich, Digitalisierung und<br />

Green Procurement. Herausgeber des<br />

„Kommentar BVergG 2018“, „Handbuch<br />

Vergaberecht“ und RPA.<br />

RA MAG. BERTHOLD<br />

HOFBAUER<br />

Partner bei Heid & Partner Rechtsanwälte,<br />

Spezialgebiete: Vergaberecht,<br />

Nachhaltigkeitsrecht, Green Public<br />

Procurement und Vergabe-Compliance.<br />

Mitherausgeber des „Kommentar<br />

BVergG 2018“ und der „Zeitschrift für<br />

Nachhaltigkeitsrecht“ (NR).<br />

Mit § 20 Abs 5 BVergG 2018 und der<br />

Verankerung der „Umweltgerecht -<br />

heit“ als allgemeinen Vergabegrundsatz<br />

findet die „grüne Vergabe“ ihren<br />

gesetzlichen Niederschlag. Das Nachhaltigkeitsprinzip<br />

ist im Vergaberecht<br />

angekommen. Da Gebäude mit einem<br />

Energieverbrauch von rund 40 Prozent<br />

einen wesentlichen Teil des Gesamtenergieverbrauchs<br />

innerhalb der<br />

EU ausmachen, 1 scheint es geboten,<br />

gegenständlich einen ersten Blick auf<br />

die neue „grüne Vergabewelt“ im Baubereich<br />

zu werfen. Im demnächst an<br />

dieser Stelle erscheinenden zweiten<br />

Teil folgen sodann die „grünen“ Spezialthemen:<br />

Lebenszykluskosten und<br />

Gütesiegel im Bau.<br />

§ 20 Abs 5 BVergG 2018 definiert die<br />

Berücksichtigung der „Umweltgerechtheit<br />

der Leistung“ als allgemeinen Vergabegrundsatz<br />

und somit gleichbedeutend<br />

mit den „klassischen“ Grundsätzen der<br />

Bietergleichbehandlung, Nichtdiskriminierung<br />

und Transparenz. Vergabeunterlagen,<br />

die diesem Nachhaltigkeitsprinzip<br />

widersprechen, sind somit rechtswidrig<br />

und mit Nichtigerklärung bedroht.<br />

1<br />

ErwGr 3 GebäudeRL<br />

2<br />

Abrufbar unter: https://www.nabe.gv.at/nabe-aktionsplan/<br />

„Nachhaltigkeit“ als technische<br />

Spezifikation<br />

Ökologische Kriterien können grundsätzlich<br />

quer über den gesamten Beschaffungsprozess<br />

berücksichtigt werden<br />

(„horizontales Nachhaltigkeitsprinzip“).<br />

Was allerdings bei der technischen Leistungsspezifikation<br />

verabsäumt wurde,<br />

lässt sich auf späteren Ebenen nur<br />

schwer bis ungenügend korrigieren.<br />

Es sollte daher einer grünen bzw. konstruktiven<br />

Festlegung des Auftragsgegenstandes<br />

durch technische Spezifikationen<br />

der Vorzug gegeben werden.<br />

Ökologisch-technische Anforderungen an<br />

den Leistungsgegenstand ergeben sich<br />

in der Baubranche insbesondere durch<br />

Vorgabe von Baustandards, durch die Festlegung<br />

von Anforderungen an einzelne<br />

Baustoffe (z. B. Vorgabe eines zwingenden<br />

Recyclinganteils beim verbauten<br />

Zement) oder an das ganze Gebäude (z. B.<br />

eine Zertifizierung nach dem „klimaaktiv<br />

Gold“-Standard). Für öffentliche Auftraggeber<br />

des Bundes muss zudem zwingend<br />

der Österreichische Aktionsplan zur nachhaltigen<br />

öffentlichen Beschaffung 2020<br />

(naBe-Aktionsplan 2020) 2 herangezogen<br />

werden, der eine Auflistung verpflichtend<br />

anzuwendender Nachhaltigkeitskriterien<br />

für den Baubereich vorsieht. Konkret<br />

teilen sich die Spezifikationen für bauliche<br />

Anlagen in die Beschaffungsgruppe 15<br />

„Hochbau“ und die Beschaffungsgruppe 16<br />

„Tiefbau“. In den Kriterien für den Hochbau<br />

wird überwiegend auf die Planung,<br />

Nutzung und den Rückbau von Gebäuden,<br />

aber auch auf die Verwertung der Baurestmassen<br />

als Recyclingbaustoff Bezug<br />

genommen. Wesentliche Kriterien sind<br />

hierbei zum Beispiel das (Mindest-)Erreichen<br />

des klimaaktiv-Standards „Silber“,<br />

die Anwendung des „Energy Efficiency<br />

First“-Prinzips oder das Einrichten eines<br />

Produkt- und Chemikalienmanagements,<br />

um sicherzustellen, dass im Innenraum<br />

emissions- arme Baustoffe eingesetzt<br />

werden und das fertige Gebäude über eine<br />

hohe Innenraumluftqualität verfügt. Für<br />

die Beschaffungsgruppe des Tiefbaus ist<br />

z.B. die Erarbeitung eines Materialkonzepts<br />

bei der Planung (u. a. Einsatz<br />

von Recyclingbaustoffen) verpflichtend<br />

vorzuschreiben oder die Einhaltung<br />

gewisser Emissionsgrenzwerte für<br />

Baumaschinen. Daneben müssen auch<br />

unionsrechtliche Anforderungen beachtet<br />

werden: So schreibt die EU-GebäudeRL<br />

im Hinblick auf die Gesamtenergieeffizienz<br />

von Neubauten vor, dass seit <strong>2021</strong><br />

nur mehr „Nearly Zero Energy“-Gebäude<br />

errichtet werden dürfen.<br />

„Nachhaltigkeit“ als Vergabekriterium<br />

Auch auf der Ebene der Eignungs-, Auswahl-<br />

und Zuschlagskriterien kann das<br />

vergaberechtliche Nachhaltigkeitsprinzip<br />

verwirklicht werden. Hierfür finden sich<br />

an mehreren Stellen des BVergG 2018<br />

Anhaltspunkte. Zum einen finden sich<br />

gesetzliche Vorgaben in § 78 Abs 1 Z 5<br />

BVergG 2018, wonach ein Wettbewerber<br />

von der Teilnahme am Vergabeverfahren<br />

auszuschließen ist, wenn er im Rahmen<br />

seiner beruflichen Tätigkeit schwere<br />

Verfehlungen gegen Bestimmungen des<br />

Umweltrechts begangen hat. Zum anderen<br />

kann ein öffentlicher Bauherr gemäß<br />

§ 87 Abs 2 BVergG 2018 als Eignungsnachweis<br />

verlangen, dass ein Bieter<br />

bestimmte Systeme bzw. Normen für das<br />

SEIT <strong>2021</strong> DÜRFEN<br />

NACH DER<br />

EU-GEBÄUDERICHTLINIE<br />

NUR MEHR<br />

„NEARLY ZERO ENERGY“-<br />

GEBÄUDE ERRICHTET<br />

WERDEN.<br />

Umweltmanagement erfüllt (z. B. EMAS,<br />

ISO 14001 oder gleichwertig). Das Vergaberecht<br />

macht – mit Ausnahme der<br />

Einhaltung der klassischen Vergabegrundsätze<br />

– keine verbindlichen Vorgaben<br />

bei der Festlegung von Auswahl- und<br />

Zuschlagskriterien, weshalb beispielsweise<br />

auch die technische Ausstattung der<br />

einzusetzenden Baufahrzeuge oder die<br />

Reduktion der Umweltbelastung durch<br />

Verringerung von Transportkilometern<br />

auf die Baustelle als Zuschlagskriterien<br />

herangezogen werden können.<br />

Auch in diesem Zusammenhang<br />

kann auf den naBe-Aktionsplan<br />

2020 verwiesen<br />

werden, der optionale Vorgaben<br />

als Zuschlagskriterien<br />

definiert (z. B. Vergabe von<br />

Zusatzpunkten entsprechend<br />

dem prozentuellen Anteil recycelter<br />

Gesteinskörnung, die von<br />

einer mobilen Anlage direkt auf<br />

der Baustelle erzeugt wird).

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