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Philosophie - Gymnasien in Rheinland-Pfalz

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2.5 Das Gedankenexperiment<br />

Gedankenexperimente s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e Erf<strong>in</strong>dung von Didaktikern, sondern gehören seit<br />

der Antike zum Repertoire klassischer Texte der <strong>Philosophie</strong>. Beispiele s<strong>in</strong>d das<br />

Höhlengleichnis <strong>in</strong> PLATONS Politeia (514a–517a), die Annahme e<strong>in</strong>es bösen und<br />

mächtigen Geistes zu Beg<strong>in</strong>n der Meditationen über die Erste <strong>Philosophie</strong> des DES-<br />

CARTES oder auch das Ch<strong>in</strong>esische Zimmer bei JOHN R. SEARLE (Geist: E<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führung),<br />

um nur e<strong>in</strong>ige zu nennen. Allen diesen Gedankenexperimenten ist geme<strong>in</strong>sam,<br />

dass die Leser<strong>in</strong> oder der Leser dazu aufgefordert wird, mit Hilfe se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>bildungskraft<br />

die gewohnte Wahrnehmung der Wirklichkeit zu durchbrechen. Die durch<br />

die E<strong>in</strong>bildungskraft vorgestellte Wirklichkeit ist dabei irreal, e<strong>in</strong> bloßes „als ob“, auf<br />

die sich aber die philosophische Urteilskraft bezieht, so „als ob“ eben das <strong>in</strong> der Imag<strong>in</strong>ation<br />

Vorgestellte real sei, obgleich Autor und Leser doch andererseits wiederum<br />

genau wissen, dass die imag<strong>in</strong>ierte Welt doch bloße Fiktion ist. Bei DESCARTES lesen<br />

wir:<br />

„Ich will also annehmen, dass nicht der allgütige Gott, der die Quelle der Wahrheit<br />

ist, sondern e<strong>in</strong> ebenso böser wie mächtiger und listiger Geist all se<strong>in</strong> Bestreben<br />

darauf richtet, mich zu täuschen; ich will glauben, dass der Himmel, die Luft, die<br />

Erde, die Farben, die Gestalten, die Töne, und alles außerhalb von uns nur das<br />

Spiel von Träumen sei, durch die er me<strong>in</strong>er Leichtgläubigkeit nachsieht. Mich<br />

selbst will ich so ansehen, als hätte ich ke<strong>in</strong>e Hände, ke<strong>in</strong>e Augen, ke<strong>in</strong> Fleisch,<br />

ke<strong>in</strong> Blut, noch irgende<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n sondern dass ich mir dies bloß e<strong>in</strong>bildete“ (RENÉ<br />

DESCARTES: Meditationes de prima Philosophia - Meditationen über die Erste <strong>Philosophie</strong>,<br />

Erste Meditation).<br />

Das Gedankenexperiment <strong>in</strong> der ersten Meditation zeigt die Grundstruktur der Gedankenexperimente<br />

an, die immer mit e<strong>in</strong>em – zum<strong>in</strong>dest implizit vorhandenen –<br />

„Nehmen wir an. . .“ beg<strong>in</strong>nen (dies ist auch der gleich lautende Titel e<strong>in</strong>es Buches<br />

von H. ENGELS). Wie das Beispiel <strong>in</strong> der Meditation von DESCARTES zeigt, steht die<br />

imag<strong>in</strong>ierte Welt <strong>in</strong> Widerspruch zu unserer Erfahrungswelt. Gedankenexperimente<br />

wirken deshalb surreal. H. ENGELS schlägt folgende Differenzierung vor:<br />

(1) Das „re<strong>in</strong>e Gedankenexperiment“ steht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em pr<strong>in</strong>zipiellen Widerspruch zu<br />

unserer Erfahrungswelt. Es ist, als seien die Naturgesetze außer Kraft gesetzt.<br />

Andere Gesetze treten an deren Stelle, wie z. B. <strong>in</strong> Märchen, Mythen<br />

oder Gleichnissen, <strong>in</strong> denen die natürliche Weltordnung ersetzt wird durch e<strong>in</strong>e<br />

Gültigkeit von Gesetzen e<strong>in</strong>er höheren Welt, sowohl des Guten wie auch<br />

des Bösen.<br />

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